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Kognitive Prozesse bei der Verarbeitung von bildlichen Informationen

Theoretische Vorüberlegungen

3.2 Bildverstehen

3.2.2 Kognitive Prozesse bei der Verarbeitung von bildlichen Informationen

weitgehend der representaional function von (J. Levin et al., 1987) entspricht. Ähnlich verhält es sich mit derKonstruktionsfunktion, die dadurch gekennzeichnet ist, dass Bilder den Aufbau mentaler Modelle unterstützen können und somit im Sinne derinterpretation function das Verstehen fördern. Allerdings erfüllen grafische Darstellungen, die bei den Betrachtern gezielt Vorwissen oder Alltagserfahrungen aktivieren sollen, nach Weiden-mann (2002a) einesituierende Funktion. Diese dritte und letzte Kategorie unterscheidet sich damit von derorganizational function, da hier das Bildmaterial keine Organisations-hilfe ist, sondern durch die Aktivierung von Kontextinformationen den Wissenserwerb po-sitiv beeinflusst. Fasst man die verschiedenen Definitionen zusammen, die J. Levin et al. (1987) und Weidenmann (2002a) aufzählen, dann ergeben sich damit insgesamt fünf kognitive Bildfunktionen.

Abschließend lässt sich festhalten, dass die verschiedenen Arten und Funktionen von Bildern den Weg zu einer allgemeinen Theorie des Bildverstehens deutlich erschweren.

Dennoch gibt es einige kognitive Prozesse, die theoretisch jeder Verarbeitung bildlicher Informationen zugrunde liegen, wie in dem nun folgenden Abschnitt ausführlich darge-stellt wird.

wenigen Strichen beispielsweise einen Baum erkennen, werden noch heute mit den Ge-staltgesetzen von Wertheimer (1923) erklärt, auf die an dieser Stelle aber nicht näher eingegangen werden soll. Seitdem wurden vereinzelt weitere theoretischer Ansätze zur grundlegenden Bildwahrnehmung und -verarbeitung entwickelt vgl. Pinker (1984), doch auch diese führen zu sehr ins Detail. Festzuhalten bleibt, dass in dem Frühstadium der Verarbeitung piktorialer Informationen schwierig ist, eine klare Trennlinie zwischen Per-zeption und Kognition zu ziehen. Immerhin kann man davon ausgehen, dass ein Großteil der frühen Prozesse automatisiert und stimulusgeleitet abläuft, weshalb höhere kognitive Fähigkeiten und vorhandene Wissensstrukturen diese kaum beeinflussen dürften (Ull-man, 1984).

Das Ergebnis der präattentiven Verarbeitsungschritte ist schließlich eine perzeptuel-le Repräsentation des Bildes oder Diagramms, die sich mit der Textoberflächenstruktur verbaler Informationen vergleichen lässt. Schnotz und Dutke (2004) nehmen an, dass spätestens nach dem Aufbau dieserBildoberflächenrepräsentation bewusstseinspflichti-ge Prozesse einsetzen, welche die Aufmerksamkeit des Betrachters erfordern und damit die Kapazitäten des Arbeitsgedächtnisses in Anspruch nehmen. Das visual sketchpad, in dem piktoriale Informationen wahrnehmungsnah abgebildet werden (Baddeley, 1992), unterliegt dabei Kapazitätsbeschränkungen, weshalb die kognitive Verarbeitung komple-xer oder umfangreicher Bildmaterialien mehrere Arbeitsschritte benötigen kann. Während beim Lesen von Texten, die Reihenfolge der Prozesse in Abhängigkeit von Grammatik und Schriftart vorgegeben ist, wird der Betrachter einer grafischen Darstellung sehr viel weniger angeleitet (Winn, 1990). Bei der Betrachtung eines Bildes ist demzufolge nicht immer klar, welche der dargestellten Elemente für das Verständnis wichtig sind und wel-che nicht. Zwar kann man davon ausgehen, dass bei der Bildverarbeitung mental zuerst eine globale Gesamtstruktur aufgebaut wird (Navon, 1977), doch ist die Sequenz, in der die einzelnen grafischen Komponenten Komponenten analysiert werden, weitgehend der Entscheidung des Betrachters überlassen. Damit bestimmt letztlich das Vorwissen über Auswahl und Reihenfolge der entnommenen piktorialen Informationen, da die Erfahrun-gen des Betrachter festleErfahrun-gen, in welchen Kontext die Abbildung einzuordnen ist.

Im Zusammenhang mit realistischen Bildern kann dabei auf kognitive Schemata zu-rückgriffen werden, die vor allem das Ergebnis alltäglicher Wahrnehmungen sind (Wei-denmann, 1988). Beim Verstehen von logischen Bildern ist ein solcher Rückgriff dagegen in der Regel nicht möglich, da hier keine perzeptuelle Ähnlichkeit mit dem repräsentier-ten Sachverhalt vorliegt. Beispielsweise werden zur Verarbeitung eines Liniendiagram-mes spezifische Schemata benötigt, mit deren Hilfe ein Lernender die Relationen von Achsen und Kurven mental integriert, um eine entsprechende Information ermitteln zu können. Diese müssen aber, ähnlich wie die Fertigkeit zu lesen, erlernt werden. Schnotz (1994b) nimmt an, dass ein Betrachter zum vollständigen Verstehen eines logischen Bil-des zwei unterschiedliche Arten von Schemata benötigt. Dielokalen Schematabeziehen sich auf Details, wie das Erkennen von Minima und Maxima oder das Ablesen eines be-stimmten einzelnen Wertes. Für das Erkennen von Entwicklungstrends, Relationen zwei-ter Ordnung oder andere komplexer Muszwei-ter sind dagegenglobale Schemataerforderlich,

über das vor allem Personen mit entsprechendem inhaltlichen Vorwissen verfügen (Lowe, 1994). Somit ist auch das Verstehen von logischen und realistischen Bildern stark vorwis-sensabhängig, da zum Aufbau einer kohärenten mentalen Repräsentation in der Regel Informationen verlangt werden, die in der entsprechenden grafischen Darstellungen nicht enthalten sind.

Was die Repräsentationsform anbelangt, so wird gerade von bildlichen Lehr- bzw. Lern-materialien erwartet, dass sie aufgrund ihres anschaulichen Charakters die Konstruktion mentaler Modelle besonders gut unterstützen (Gyselinck & Tardieu, 1994; Glenberg &

Langston, 1992). T. Rasch (2006) weist jedoch darauf hin, dass sich text- und bildbasierte Konstruktionsprozesse unterscheiden, da das Verstehen eines Bildes mehr oder weniger direkt zum Aufbau eines mentalen Modells führt. Nach seiner Ansicht entfällt die proposi-tionale Repräsentationsebene, zumal der Aufbau des mentalen Modells in erster Linie auf der Grundlage der wahrnehmungsnahen Bildoberflächenrepräsentation vollzogen wird.

Beide Repräsentationsformen sind ihrer Natur nach analog, weshalb der Übergang von der Wahrnehmung zum Verstehen eines Bildes eigentlich leicht fallen sollte. Allerdings schließt der Autor nicht aus, dass bei der Verarbeitung piktorialer Informationen Propo-sitionen beteiligt sein können, doch werden diese erst anhand des mentalen Modells abgelesen, wie Abbildung 3.1 verdeutlicht. Trotz der strukturellen Ähnlichkeit zwischen

Abbildung 3.1:Repräsentationsebenen beim Bildverstehen nach Rasch (2006)

Oberflächen- und Modellrepräsentation ist anzunehmen, dass die Prozesse, die von einer Ebene zur nächsten führen, vielschichtig und komplex sind. So müssen einzelne graphi-sche Komponenten entdeckt, identifiziert und aufgrund der Kapazitätsbeschränkungen der Arbeitsgedächtnisses sequentiell in den Konstruktionsprozess eingebracht werden.

Von einem schlichten Kopiervorgang kann in diesem Zusammenhang keine Rede sein.

Eine davon leicht abweichende Position vertreten Schnotz und Dutke (2004), in deren Vorstellung die Konstruktion des mentalen Modells und eine konzeptgeleitete Analyse mehr oder weniger parallel ablaufen. Grundsätzlich basiert die Verarbeitung piktorialer In-formationen zunächst vor allem auf analogen Strukturabbildungsprozessen (vgl. Gentner, 1983), bei denen ein Betrachter anforderungsrelavante Charakteristika einer grafischen Darstellungen mental nachbildet. Die erfolgreiche Identifikation einzelner Bildkomponen-ten macht es jedoch wahrscheinlich, dass bereits während der Konstruktion des mentalen

Modells verschiedenen Elementen eine Bedeutung zugewiesen wird. Mit dieser konzept-geleiteten Analyse ist somit auch eine deskriptionale Enkodierung verbunden, so dass die propositionale Verarbeitung von Beginn an zum Bildverstehen dazu gehört. Piktoriale Inhalte können dabei sowohl anhand der perzeptionsnahen Oberflächenrepräsentation, als auch auf der Grundlage des mentalen Modells abgelesen und propositional enkodiert werden. Demzufolge nimmt ein Betrachter saliente oder bedeutsame Bildkomponenten zunächst wahr und analysiert bzw. interpretiert sie mithilfe kognitiver Schemata, welche er aus dem Vorwissen abruft. Ist der Interpretationsprozess erfolgreich, führt dies unter an-derem zu einer propositionalen Repräsentation der entnommenen piktorialen Informatio-nen, mit denen sich bereits vorhandene Propositionsgefüge ergänzt werden können. Die beteiligten Prozesse sind dabei miteinander verschachtelt und operieren seriell, so dass sich eine klare Abgrenzung der einzelnen Verarbeitungschritte selbst theoretisch kaum verwirklichen lässt. Abbildung 3.2 fasst die Annahmen von Schnotz und Dutke (2004) noch einmal grafisch zusammen.

Abbildung 3.2:Repräsentationsebenen beim Bildverstehen nach Schnotz & Dutke (2004) Der weiße Pfeil zwischen der Bildoberfläche und der propositionalen Repräsentation in der Abbildung soll verdeutlichen, dass diese Verbindung sehr viel schwächer ausgeprägt ist, als es ein schwarzer Pfeil anzeigen würde. So ist anzunehmen, dass Propositionen, die auf der Grundlage der Bildoberfläche generiert werden, in erster Linie der Identifikati-on bzw. Benennung einzelner Bildelemente dienen. Die eigentlichePropositionalissierung piktorialer Zusammenhänge erfolgt dagegen auf der semantischen Ebene des mentalen Modells, an dem sich sich Informationen ablesen bzw. inferieren lassen. Schnotz und Dutke (2004) nehmen an, dass diese neuen Informationen als Propositionen enkodiert und zu der bereits bestehenden Strukturen hinzugefügt werden. Ist die porpositionale Repräsentation elaboriert genug bzw. kohärent, kann sie ihrerseits als Ausgangspunkt fungieren, um das mentale Modell zu inspizieren und weiter zu entwickeln. Es findet also eine Interaktion zwischen den beiden Formaten auf der semantischen Repräsentations-ebene statt. Unabhängig von dem zugrunde liegenden Zeichensystem ist eine proposi-tionale Repräsentation ebenso ein Bestandteil der kognitiven Bildverarbeitung, wie die Konstruktion eines mentalen Modells beim Textverstehen.

Allerdings unterschätzen Lernende häufig den Informationsgehalt grafischer

Darstel-lungen, so dass die zum Verständnis notwendige konzeptionelle Analyse oft zu ober-flächlich ausfällt. Ähnlich wie beim Lesen von Texten, kann damit auch beim Betrachten von Bildern eine Artillusion of knowing entstehen (vgl. Glenberg, Wilkinson & Epstein, 1982), ohne dass die dargestellten Sachverhalte wirklich begriffen werden. Nach Schnotz und Dutke (2004) ist dieses oberflächliche Verständnis ein Zeichen dafür, dass ein Ler-nender zu wenige oder nur unzureichende Ableseprozesse an seinem mentalen Modell vorgenommen hat. Die direkte Folge ist eine propositionale Repräsentation, die nicht ge-nügend elaboriert ist, um für eine weitere Modellkonstruktion und -inspektion verwendet zu werden. Der Aufbau des mentalen Modells bleibt damit unvollendet und die entspre-chenden Informationen werden nur scheinbar kohärent repräsentiert. Allgemein besteht beim Lernen mit Bildern die Gefahr, dass ein Betrachter glaubt, alle relevanten Informatio-nen mit wenigen Blicken aufnehmen und verarbeiten zu könInformatio-nen (Mokros & Tinker, 1987).

Gleichzeitig verfügen viele Lernende nicht über die erforderlichen metakognitiven Moni-toringstrategien oder wenden sie bei grafischen Darstellungen nicht an, so dass die Kon-trolle, ob der abgebildete Sachverhalt tatsächlich verstanden wurde, weitgehend entfällt (Pettersson, 1988). Aus diesem Grund ist es oft notwendig, die tiefergehende Verarbei-tung eines Bildes zu fördern, indem man diese ausdrücklich instruiert.

Obwohl einige Ansätze bestehen, zeigen die bisherigen Ausführungen, dass eine um-fassende und detaillierte Theorie, wie sie beispielsweise für das Verstehen von Texten existiert, bislang fehlt. Ein Grund für diese bestehende Lücke ist sicherlich mit dem Um-stand verbunden, dass es sehr verschiedene Arten von Bildern gibt, die konsequenter Weise eine spezifische theoretische Betrachtung erfordern. Beispielsweise wird ange-nommen, dass realistische Bilder aufgrund von Schemata verstanden werden, die in der alltäglichen Auseinandersetzung mit der Umwelt zuvor erworben wurden. Dagegen muss ein Individuum den korrekten Umgang mit logischen Bilder, vergleichbar mit der Lesekom-petenz, erst erlernen. Hinzu kommt, dass grafische Darstellungen sehr unterschiedliche kognitive Funktionen wahrnehmen können, die darüber hinaus nicht immer mit Absichten desjenigen übereinstimmen, der sie gestaltet hat (Pettersson, 1988). Bilder sind oftmals mehrdeutig und werden daher gerade im Zusammenhang mit dem Wissenserwerb in der Regel nicht isoliert eingesetzt. So beziehen sich Abbildungen in Lehr- oder Schulbüchern meistens auf Texte oder enthalten selbst symbolische Zeichen wie Beschriftungen oder Legenden, die den Betrachter anleiten sollen. Aus diesem Grund ist es nicht erstaunlich, dass einige ausführliche theoretische Modelle existieren, die sich mit der integrativen Ver-arbeitung von Text- und Bildinformationen beschäftigen. Diesen Modellen und dem Wis-senserwerb mit multiplen Informationsquellen ist das nachfolgende Kapitel gewidmet.