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Theoretische Einbettung und Darstellung des Prozessmodells Schon bei der Einschulung differieren das schulische Wissen und Können der

Im Dokument Forschung & Entwicklung (Seite 98-103)

Item 8: Erzieherische Massnahmen bei Suchtmitteln und Erziehung allgemein In Item 8 geht es um den Konsum von Nikotin und Alkohol an Schulanlässen und

6 Eltern und Schülerverhalten im Unterricht

6.2 Ein Prozessmodell zur Erklärung von Schülerver- Schülerver-halten

6.2.1 Theoretische Einbettung und Darstellung des Prozessmodells Schon bei der Einschulung differieren das schulische Wissen und Können der

Kin-der erheblich. Diese Unterschiede vergrössern sich im Verlauf Kin-der Schulzeit. Obwohl die Lehrperson ihren Unterricht in der Klasse erteilt und somit alle Schülerinnen und Schüler grundsätzlich gleiche Lernbedingungen haben, profitieren nicht alle im gleichen Ausmass vom Unterricht. Sofern für die Leistungsunterschiede innerhalb von Klassen nicht einfach Merkmale der Schülerinnen und Schüler verantwortlich gemacht werden

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sollen, liegt die Annahme nahe, dass die Lerngegebenheiten in der Familie mitbestim-men, was die Kinder in der Schule lernen (Krumm 1996).

Dass die Eltern einen grossen Einfluss auf die Schulleistungen ihrer Kinder haben, ist eine Erkenntnis, welche die Forschung seit den sechziger Jahren beschäftigt. Damals wurde versucht, die Defizite von Unterschichtsfamilien mittels kompensatorischer Er-ziehung auszugleichen. Längerfristige Evaluationsstudien kompensatorischer Vorschul-programme konnten in den USA die Bedeutung des Einbezugs der Eltern und ihres so-zialen Umfeldes belegen (Fauser, Marbach, Pettinger & Schreiber 1985).

Die PISA-Studie, die 2000 weltweit durchgeführt wurde, ermöglichte einen inter-nationalen Vergleich der Kompetenzen von 15-jährigen Jugendlichen in den Bereichen Mathematik, Naturwissenschaften und Lesefähigkeit. Das mittelmässige Abschneiden der Schweiz in den Naturwissenschaften und bei den Leseleistungen hängt auch damit zusammen, dass es der Schule nur ungenügend gelingt, die ungünstigen Lernvorausset-zungen von Kindern und Jugendlichen aus bildungsfernen Elternhäusern zu kompensie-ren. Der Zusammenhang zwischen dem sozioökonomischen Status und den Testleistun-gen ist in der Schweiz im internationalen Vergleich besonders hoch (PISA-Bericht 2001).

Nach wie vor ist also der sozioökonomische Status ein wichtiger Prädiktor für die Schülerleistung; es muss jedoch davon ausgegangen werden, dass zwischen den beiden Variablen eine erhebliche kausale Distanz besteht (Helmke & Weinert 1997). Das For-schungsinteresse hat sich vom sozialen und kulturellen Hintergrund der Schülerinnen und Schüler verschoben hin zur Frage, wie Eltern und Kinder im Hinblick auf die Schu-le miteinander interagieren und welche Prozesse dabei ablaufen: Wie unterstützen und ermutigen Eltern ihre Kinder beim Lernen? Wie reagieren sie auf schlechte Leistungen?

Bekommt das Kind Hilfe bei den Hausaufgaben? Welche Leistungen erwarten die El-tern von ihren Kindern? Diese psychologischen Prozesse sind wichtig für die Leistun-gen des Kindes – und sie sind schichtabhängig: So beeinflusst der sozioökonomische Status beispielsweise die Leistungserwartungen der Eltern an ihre Kinder, die Art und Weise, wie sie mit der Schule zusammenarbeiten, sowie ihre Ressourcen, um die Kinder in schulischen Angelegenheiten zu unterstützen (Lareau 1989).

Im Folgenden werden zwei theoretische Modelle dargestellt, welche den Zusam-menhang zwischen Elternmerkmalen, Schülermerkmalen und Schülerleistungen erklä-ren. Unser eigenes Modell wird im Anschluss daran präsentiert und erläutert. Ryan (1995) postuliert ein Erklärungsmodell, in dem zwischen „exogenen sozialen, kulturel-len und biologischen Variabkulturel-len“, zu denen er auch den sozioökonomischen Status zählt, und den Leistungen des Kindes fünf Ebenen liegen, die eine vermittelnde Funktion be-sitzen:

Ebene 0: Leistungen und schulbezogenes Verhalten: Mit Leistungen sind sowohl von der Lehrperson gesetzte Beurteilungen (Noten) als auch Testleistungen ge-meint. Unter schulbezogenem Verhalten versteht Ryan das Sozialverhalten im Unterricht. Dieses lässt sich einerseits über Schulfichen erfassen, in denen fest-gehalten wird, ob ein Kind schwänzt, nachsitzen muss oder vom Unterricht aus-geschlossen wird. Eine weitere Datengrundlage besteht in von den Lehrpersonen erhobenen Beobachtungen über die Fähigkeit des Kindes, sich an die Regeln der Schule zu halten und über seine Beziehungen zu Lehrpersonen und Mitschülern und Mitschülerinnen.

Ebene 1: Persönlichkeitseigenschaften des Kindes: Psychosoziale Charakteristi-ka wie Selbstvertrauen, Sozialkompetenz, Selbstwirksamkeitsüberzeugungen oder Motivation beeinflussen die Art und Weise, wie das Kind die häuslichen

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Exogene soziokulturelle und biologische Variablen Persönlichkeitseigenschaften der Eltern Allgemeine Familienbeziehungen Allgemeine Eltern-Kind-Interaktionen Schulbezogene Eltern-Kind-Interaktionen

Persönlichkeitseigenschaften des Kindes

Leistungen und schulbezogenes Verhalten

Abbildung 6.2: Modell der Beziehungen zwischen Schule und Familie nach Ryan (1995)

Rahmenbedingungen verarbeitet und wie sie sich auf die Leistungen und das schulbezogene Verhalten auswirken.

Ebene 2: Schulbezogene Eltern-Kind-Interaktionen: Unterstützung und Ermuti-gung beim Lernen, Überwachung der Hausaufgaben und des Schulbesuchs oder Motivierungsstrategien sind Variablen, welche die schulbezogene Interaktion zwischen Eltern und Kindern charakterisieren.

Ebene 3: Allgemeine Eltern-Kind-Interaktionen: Variablen wie der Erziehungs-stil (autoritär, autoritativ oder permissiv), emotionale Wärme vs. Kälte oder Au-tonomieunterstützung vs. Kontrolle beschreiben die Beziehung zwischen Eltern und Kindern.

Ebene 4: Allgemeine Familienbeziehungen: Der nächste Schritt führt von den Interaktionen zwischen Eltern und Kindern zu Variablen, welche die Familie als Ganzes beschreibt und charakterisiert. Dazu gehören etwa der Zusammenhalt unter den Familienmitgliedern, der Umgang mit Konflikten oder die eheliche Beziehung.

Ebene 5: Persönlichkeitseigenschaften der Eltern: Charaktereigenschaften der Eltern wie Dominanz, Introvertiertheit, Flexibilität oder Ängstlichkeit, aber auch persönliche Einstellungen zu Schule und Lernen oder leistungsbezogene Erwar-tungen sind dieser Ebene zugeordnet. Ihr direkter Einfluss auf die LeisErwar-tungen und das schulbezogene Verhalten des Kindes ist zwar gering, nicht aber auf die

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Art und Weise, wie die Eltern mit ihren Kindern (im Hinblick auf die Schule, aber auch allgemein) umgehen.

Ebene 6: Exogene soziokulturelle und biologische Variablen: Auf der letzten Ebene sind Variablen wie der sozioökonomische Status, der Zivilstand der El-tern oder die ethnische Zugehörigkeit der Familie angesiedelt. Hinzu kommen biologische Merkmale des Kindes wie das Geschlecht des Kindes und allfällige Erbdefekte.

Um die Validität seines Modells zu überprüfen, vergleicht es Ryan mit 17 empirischen Studien, die den Zusammenhang zwischen Elternmerkmalen und Schülerleistungen un-tersuchen. Er kommt zum Schluss, dass die Ergebnisse dieser Studien mit der Struktur des Modells grösstenteils übereinstimmen und das Modell daher eine hilfreiche Grund-lage biete für das Design künftiger Studien. Forschungsbedarf sieht Ryan bei der Frage nach den Zusammenhängen zwischen Variablen auf verschiedenen Ebenen. Es ist anzu-nehmen, dass nicht nur Variablen auf benachbarten Ebenen miteinander verknüpft sind, sondern auch weiter auseinanderliegende. So ist beispielsweise vielfach nachgewiesen worden, dass das Geschlecht des Kindes, das Ryan auf Ebene 6 ansiedelt, mit der Schü-lerleistung direkt zusammenhängt (Helmke & Weinert 1997). Schon die bildliche Dar-stellung von Ryans Modell, welche die Zusammenhänge zwischen den sechs Ebenen nur vage andeutet, lässt erkennen, dass es sich um ein theoretisches Modell im Sinne einer Arbeitsgrundlage und nicht um ein empirisch geprüftes Modell handelt.

Die US-amerikanische Psychologin J. Eccles (2003) dagegen hat ihr theoretisches Modell des Zusammenhanges zwischen dem Schulabschluss der Eltern, Familien-merkmalen (häusliches emotionales Klima, Anregungsgehalt und Elternerwartungen bezüglich der Schule) und dem Schülerverhalten (Leistungen, Fähigkeitsselbstkonzept und Verhaltensschwierigkeiten) mittels Strukturgleichungsmodellen empirisch über-prüft. Die Datengrundlage bildete eine nationale Studie mit über 3000 Familien mit Kindern zwischen 5 und 12 Jahren.

Schulabschluss

Abbildung 6.3: Modell des Zusammenhangs zwischen elterlichem Schulabschluss und Schülerverhalten

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Eccles et al. (2003) konnten zeigen, dass die Leistungen der Kinder in den Fä-chern Mathematik und Muttersprache umso besser sind, je höher der Schulabschluss der Eltern ist. Neben diesem direkten Zusammenhang gibt es einen indirekten: Ein höherer Schulabschluss hängt mit verschiedenen Merkmalen einer anregenden häuslichen Lern-umgebung zusammen. Wenn das häusliche Umfeld hinsichtlich des kognitiven Anre-gungsgehaltes, des emotionalen Klimas und der Erwartungen der Eltern in Bezug auf die Schule günstig ist, sind nicht nur die Leistungen der Kinder in Mathematik und Mut-tersprache besser. Sie trauen sich in diesen Fächern auch mehr zu (haben also ein höhe-res Fähigkeitsselbstkonzept) und zeigen weniger störendes Verhalten.

Ebenso wie Eccles und Ryan postulieren wir, dass zwischen der häuslichen Lern-umgebung, die entscheidend von den Eltern geprägt wird, und dem schulbezogenen Verhalten der Kinder Zusammenhänge bestehen. Eltern mit einem höheren sozioöko-nomischen Status (dessen Ausprägung unter anderem vom Bildungsabschluss ab-hängt)25 zeigen ein tendenziell leistungsfördernderes Verhalten gegenüber ihren Kin-dern in Bezug auf die Schule. Sie trauen ihren KinKin-dern zu, die schulischen Anforderungen zu erfüllen und erwarten entsprechende Leistungen und ein den Normen entsprechendes Verhalten von ihnen. Diese elterlichen Einstellungen und Verhaltens-weisen widerspiegeln sich nicht nur im sichtbaren leistungsbezogenen Schülerverhalten (den Testleistungen und der Neigung, den Unterricht zu stören), sondern auch in der Einstellung der Kinder gegenüber den schulischen Ansprüchen (Motivation, Volition, Fähigkeitsselbstkonzept). Sowohl auf Eltern- als auch auf Schülerebene unterscheiden wir also zwischen schul- und leistungsbezogenen Einstellungen auf der einen und Ver-haltensweisen auf der anderen Seite: Die schul- und leistungsbezogenen Einstellungen und Verhaltensweisen der Eltern interagieren mit den schul- und leistungsbezogenen Einstellungen und Verhaltensweisen ihrer Kinder.

Das Geschehen im Klassenzimmer wird aber nicht allein durch diese wechselseiti-ge Beeinflussung zwischen Eltern und ihren Kindern bestimmt. Die Schule bildet ein eigenes System, und was im Klassenzimmer und zwischen der Lehrperson und den Schülerinnen und Schülern abläuft, hat ebenfalls einen wichtigen Einfluss auf das leis-tungsbezogene Schülerverhalten. Aus diesem Grund haben wir im Gegensatz zu Ryan und Eccles zwei weitere Ebenen zur Erklärung von Schülerverhalten mitberücksichtigt:

die Lehrperson und die Klasse. Auch die Lehrperson hat leistungsbezogene Einstellun-gen und zeigt Verhaltensweisen, welche für die LeistunEinstellun-gen der Schüler/innen eher för-derlich oder eher hemmend sein können. Schliesslich haben wir auf der Ebene der Schulklasse leistungsrelevante Strukturmerkmale berücksichtigt. Wir haben einige Va-riablen ausgewählt, deren Bedeutsamkeit für die Erklärung von Schülerleistungen theo-retisch breit abgestützt ist, ohne aber einen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben.

Wie Kapitel 6.1 zeigt, wäre dies nicht leistbar. Das Ziel dieser Untersuchung besteht nicht in einer möglichst hohen Varianzaufklärung der Schülerleistung, sondern im Ver-gleich zwischen der Einflussstärke der häuslichen und der schulischen Lernumgebung auf das Schülerverhalten. Wir wollen prüfen, ob sich die von Krumm et al. (1996) be-richtete hohe Übereinstimmung zwischen familiärer Lernumgebung und Schülerverhal-ten empirisch untermauern lässt. In der folgenden Abbildung ist unser Prozessmodell zur Erklärung von Schülerverhalten dargestellt: In den Kapiteln 6.2.2 bis 6.2.4 werden

25 Der soziökonomische Status wurde in unserer Studie mit der sogenannten ISEI-Skala von Ganzeboom, De Graaf, Treiman und de Leeuw (1992) gemessen. ISEI heisst „International Socio-Economic Index of Occupational Status“ und umfasst Informationen über die berufliche Tätigkeit, das Einkommen und den Bildungsabschluss.

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die einzelnen Variablen präzisiert und operationalisiert, so dass das Modell empirisch überprüft werden kann.26

Eltern:

Einstellungen

(Erwartungen, Attributionen

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