• Keine Ergebnisse gefunden

Die Funktionen von Schule und Familie

Im Dokument Forschung & Entwicklung (Seite 52-57)

5 Differenz zwischen Schule und Familie

5.1 Die Funktionen von Schule und Familie

Familie und Schule sind beides zentrale Sozialisationsinstanzen des Kindes. Ihr Ver-hältnis ist nicht statisch, sondern im Rahmen gesellschaftlicher Prozesse zu sehen, die der Wandel von der Agrar- zur Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft mit sich brin-gen. In der soziologischen Modernisierungsdebatte (vgl. Kapitel 3.1) wird auf die Säku-larisierung, die Pluralisierung der Lebenswelten, die Individualisierung der Lebenswei-sen und die Ausdifferenzierung gesellschaftlicher Funktionen verwieLebenswei-sen. Beide pädagogischen Institutionen5, die Schule und die Familie, reagieren mehr oder weniger auf diese gesellschaftlichen Veränderungsprozesse und gestalten sie mit. Das hat nicht nur Konsequenzen für die Ausgestaltung der jeweiligen Institution, sondern auch für die gesellschaftlichen Zuschreibungen und Wahrnehmungen ihrer jeweiligen Funktion in dieser Gesellschaft. In dieser Einleitung werden im Folgenden die der jeweiligen Insti-tution zugeschriebenen Funktionen beschrieben. Auf dieser Grundlage werden, als Aus-gangspunkt für die in den folgenden Kapiteln dargestellten empirischen Ergebnisse, die Fragen bearbeitet, inwiefern die arbeitsteilige Funktionszuschreibung aufrecht erhalten werden soll, tatsächlich auch aufrecht erhalten wird und wo Überlappungen bestehen.

Die öffentliche staatliche Schule ist ein relativ junges Gebilde, das sich als Institu-tion erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts flächendeckend verbreitet. Die Einführung der nachfolgenden Generation in Wissen und Normen bleibt nicht mehr nur Kirche und Familie überlassen. Schule tritt als Ort der „gesellschaftlich kontrollierten und veran-stalteten Sozialisation“ (Fend 1981) neben die primäre Sozialisationsinstanz Familie.

Sie „bestimmt (…) Wissen und Können, Einstellungen und Handlungsdispositionen, Lebensweg und Kulturteilhabe, Sozialstatus und Sozialchancen eines jeden Menschen“

(Sandfuchs 2000, S. 10) neben der Familie mit. Mit der Schule übernimmt eine öffentli-che Institution Aufgaben, die vorher bei den meisten Kindern mehrheitlich von der Fa-milie wahrgenommen wurden.

In der Entwicklung der Schule lassen sich mit Fend (1981) im Wesentlichen drei gesellschaftliche Funktionen erkennen:

1. Qualifikationsfunktion: Schule soll das gesellschaftlich als notwendig erachtete Wissen und Können vermitteln, damit die Schülerinnen und Schüler sich erfolg-reich am Berufs- und Beschäftigungssystem beteiligen und in dieser Welt zu-rechtfinden können.

2. Selektion und Allokation: Selektion wird als das Instrument verstanden, Schüle-rinnen und Schülern gemäss ihren Leistungen mittels Zeugnissen und

5 Der Begriff der pädagogischen Institution betont, dass sich hier in relativ dauerhafter Form nieder-schlägt, „was die Gesellschaft von Erziehung erwartet, wie sie sie bewertet und sich ihren Einfluss si-chert. Die Institution regelt die Vorgänge in ihrem Verantwortungsbereich" (Prenzel 1986 , S. 111) . Sie bestimmt somit über Ziele, Inhalte und Methoden der Erziehung.

Differenz zwischen Schule und Familie 52

sen Berechtigungen – z. B. zum Besuch bestimmter Schulformen, weiterführen-den Schulen oder Berufsbildungen - zuzusprechen. Schule bestimmt durch Be-rechtigungen die Schullaufbahn, denn sie weist dadurch den Schülerinnen und Schülern Schularten und Ausbildungsgänge zu und verteilt damit auch Lebens-chancen (Allokationsfunktion).

3. Integrations- und Legitimationsfunktion: Schule integriert die Schülerinnen und Schüler in das jeweilige kulturelle und gesellschaftliche System, das ihnen ge-genüber – um es als sinnvoll erfahren und erkennen zu können – gerechtfertigt werden muss.

Diese gesellschaftsbezogenen schulischen Funktionen variieren historisch und kulturell in Gewicht und Inhalt (Sandfuchs 2000) und sind für sich komplex, widersprüchlich (Schratz 1998, Gruntz-Stoll 1999) und zugleich spannungsreich miteinander verbunden.

Seit es Schulen gibt, sind sie und ihre Aufgaben auch der Kritik ausgesetzt. Dabei sind sowohl die Schule und ihre Wirkungen als auch – häufig nur implizit - grundsätzlicher ihre Funktionen Gegenstand der pädagogischen, ökonomischen und bildungspolitischen Diskussion. Selten ist dabei aber von der grundsätzlichen Ablehnung der mit der Schule installierten Arbeitsteilung zwischen Familie als Primär- und Schule als einer Sekundär-sozialisationsinstanz in Bezug auf alle drei schulischen Funktionen die Rede.

Die Familie gehört zweifellos „zu den ursprünglichsten Formen sozialer Zusam-mengehörigkeit“ (Mitterauer 1991, S. 22), ist als Sozialgebilde jedoch nicht reduzierbar auf eine biologisch verstandene, überzeitliche Konstante – eine Art ‚natürliche Ord-nung’ aufgrund der Blutsverwandtschaft - sondern verändert sich in Formen und Funk-tionen in Interaktion mit gesellschaftlichen und politischen Prozessen (ebd.) und lässt sich auch als „ein ideologisches, symbolisches Konstrukt mit eigener Geschichte und Politik“ (Judith Stacey 1993 in Gillis 1997, S. 45) verstehen. Als Familie lässt sich heu-te nicht mehr nur die „Lebensgemeinschaft des verheiraheu-teheu-ten Elheu-ternpaars und seiner noch nicht erwachsenen Kinder“ (Brockhaus 1984) verstehen, sondern auch Schei-dungs- und Einelternfamilien, Adoptiv- und Stiefelternschaft oder Mehrgenerationen-familien sind soziale Realität. Was macht denn die Familie aus, wenn nicht die bluts-verwandtschaftliche, „natürliche“ Bindung? Schneewind (1998) definiert Familie durch das Prinzip des gemeinsamen Lebensvollzugs als intimes Beziehungssystem, welches das soziale System Familie von anderen sozialen Beziehungssystemen unterscheidet.

Dies zeigt sich in vier Bereichen: (i) Abgrenzung von anderen Personengruppen, (ii) privater, umgrenzter Lebensraum, (iii) Dauerhaftigkeit der Beziehung aufgrund wech-selseitiger Verpflichtung, Bindung und gemeinsamen Perspektiven und (iv) Nähe als physische und emotionale Intimität. Der hier verwendete Familienbegriff folgt diesem Verständnis einer subjektiv erfahrenen Familie als „gelebte Wirklichkeit, die wesentlich aus den Beziehungen und Erfahrungen, aus dem Erleben und aus den Handlungsmög-lichkeiten für die einzelnen Familienmitglieder besteht“ (Wicki 1997)6.

Wie die Schule unterliegt die Familie funktionalen Zuschreibungen. Viele Kataloge familialer Funktionen ähneln sich darin, dass sie in Reproduktion und Sozialisation die Kernbereiche der Aufgaben der Familie sehen. Die Systematik von Kaufmann (1995) basiert ebenfalls darauf, differenziert jedoch weiter: Anstelle von Sozialisation spricht er von Pflege und Erziehung der Kinder, da damit das intentionale Moment der Aufgabe betont wird. Weitere Aufgaben: Haushaltsführung, Gesundheit und Erholung (Regene-ration); wechselseitige Hilfe; Kohäsion und emotionale Stabilisierung der

6 Dieser Familienbegriff unterscheidet sich von einem biologischen (Bindung durch Blutsverwandtschaft definiert), rechtlichen (Bindung durch Rechtssystem definiert) oder funktionalen (Bindung durch gemein-sames Haushalten und Aufziehen von Kindern) Verständnis der Familie (Schneewind 1998; Wicki 1997).

Differenz zwischen Schule und Familie 53

glieder. Auf die Kohäsions- und die Sozialisationsaufgabe soll etwas näher eingegan-gen werden.

Kohäsion und emotionale Stabilisierung der Familienmitglieder:

Die Verlagerung der Arbeit in ausserfamiliäre Bereiche im Zuge gesellschaftlicher Dif-ferenzierungsprozesse wird als eine der Ursachen für die „Privatisierung der Familie“

(Sieder 1991) angesehen, da sie „’nur’ mehr zum Ort des Wohnens und der Regenerati-on“ (ebd., S. 141) wurde. Der Verschulungsprozess bewirkte zudem ein längeres Verbleiben der Jugendlichen bei den Eltern, was gemäss Sieder „eine Intimisierung der Familie – insbesondere eine emotionale Aufladung der Eltern-Kind-Beziehung zur Fol-ge haben musste“ (ebd.). Affektivität – das Äussern von Gefühlen bzw. das EinFol-gehen auf Gefühle ist "eine der wesentlichen Leistungen, die Familienmitglieder voneinander erwarten dürfen" (Kaufmann 1995, S. 36) - als einzigem Ort in modernen Gesellschaf-ten, wo dies erlaubt, ja als wünschenswert gilt. Es spricht einiges dafür, dass der famili-ale Zusammenhalt von erheblicher, ja vermutlich im Zuge der Modernisierung wach-sender Bedeutung für den Gefühlshaushalt der Familienmitglieder geworden ist. Dass Familie als Ort der Regeneration, Intimität und Affektivität durch emotionale Unterstüt-zung und persönliche Zuwendung erlebt werden kann, ust für Kinder, aber auch für Ju-gendliche und Erwachsene, von grosser Bedeutung. Die grosse Nähe und Affektivität haben aber auch ihre Kehrseiten. In historisch-soziologischer Perspektive beschreibt Sennett (1983) diese Entwicklung zu einer „Tyrannei der Intimität“ als eine Geschichte des Verfalls der öffentlichen Sphäre „durch die Annahme, gesellschaftlicher Sinn er-wachse aus dem Gefühlsleben der Individuen“ (ebd., S. 426). Kaufmann (1995) weist auf ein psychologisches Problem hin, wenn er auf die recht verbreitete Gewaltsamkeit familiärer Beziehungen hinweist. Auch die Aufgabe des Zusammenhaltes der Familie ist anspruchsvoller geworden. Wegen der zunehmenden Möglichkeiten alternativer Le-bensstile und der allgemeinen Individualisierungstendenzen „muss heute familiale Ko-häsion, also die Bildung und Aufrechterhaltung einer Familie als soziales System selbst als Problem bzw. Aufgabe bzw. Leistung begriffen werden" (S. 36). Das Bemühen dar-um wird zur "Beziehungsarbeit" (ebd.). Nichtsdestotrotz lässt sich mit Lüscher (2001) die Familie als dasjenige soziale System sehen, das die „besondere Chance bietet, ver-lässliche soziale Beziehungen zu erfahren und zu verwirklichen“ (ebd., S. 33).

Pflege und Erziehung der Kinder:

Es gilt als weit verbreitete Norm, dass Kinder in Familien aufwachsen sollten. Indiz da-für ist nicht nur familienpolitische Rhetorik, welche häufig undifferenziert in erster Li-nie die Wichtigkeit der biologisch verstandenen Familie betont. Kaufmann (1995) weist auf ein weiteres Indiz hin: Für Kinder ohne Eltern werden zunehmend familienähnliche Arrangements geschaffen. Zentral scheint zu sein, dass subjektiv erfahrene Familien den Kindern dauerhafte Bezugspersonen verschaffen, was für eine förderliche Entwick-lung von grosser Bedeutung ist. Unzählige psychologische Studien verweisen auf wich-tige Zusammenhänge zwischen Familien- bzw. Eltern- und Kindermerkmalen (vgl. Ka-pitel 3). Die Bedeutung der Pflege und Erziehung der Kinder als gesamtgesellschaftlicher Konsens findet ihren Niederschlag auch in rechtlichen Festle-gungen der Aufgaben von Eltern, wie sie in der Schweiz im Zivilgesetzbuch festgehal-ten sind. Die Elternschaft bringt die „Unterhaltspflicht“ (ZGB, Art. 276ff) mit sich, die durch Pflege und Erziehung oder Geldzahlungen geleistet wird. Zudem gilt es, die „el-terliche Sorge“ (ZGB, Art. 296ff) wahrzunehmen. Inhaltlich heisst das laut ZGB: „Die

Differenz zwischen Schule und Familie 54

Eltern haben das Kind ihren Verhältnissen entsprechend zu erziehen und seine körperli-che, geistige und sittliche Entfaltung zu fördern und zu schützen“ (Art. 302, Abs. 1).

Die rechtliche Festlegung der Pflege- und Erziehungsaufgabe weist darauf hin, dass diese Aufgabe nicht nur von psychologischer Bedeutung für die Kinder, sondern auch von gesellschaftspolitischem Interesse ist. Die oben aufgeführten Erwartungen an fami-liale Leistungen sind kind- bzw. familienbezogen zu sehen. Sie geschehen ausschliess-lich "um der betroffenen Familienangehörigen willen" (S. 63), aber ihre Qualität und ihr Umfang haben "Folgen für andere gesellschaftliche Teilbereiche, ja für den gesamten Sozialzusammenhang (...)" (Kaufmann 1995, S. 64). Von den kind- bzw. familienbezo-genen Funktionen der Familie sind deshalb gesellschaftsbezogene zu unterscheiden.

Kaufmann (1995) benennt neben der Stabilisierung der Generationensolidarität die Nachwuchssicherung und insbesondere das Humanvermögen, um die soziale, ökonomi-sche und kulturelle Komponente der familialen Leistung anzusprechen und macht damit deutlich, dass es nicht nur um die Quantität der Geburten allein geht, sondern ebenso um die Erwartung einer angemessenen Sozialisation. Der Beitrag der Familien dazu liegt vor allem im Bereich der Pflege und des Aufziehens der Kinder, der Fundierung ihrer körperlichen und psychischen Gesundheit, der Förderung ihrer Intelligenz und Motiventwicklung. Kaufmann meint, dass von der Nutzung des Humanvermögens als die an die menschliche Person gebundenen Ressourcen, also Gesundheit, Wissen, Moti-ve und Kompetenzen, “sowohl die individuelle wie die kollektiMoti-ve Wohlfahrt abhängt"

(S. 73).

Es scheint weitgehend Konsens darüber zu herrschen, dass sich die Lebensverhält-nisse und der Kontext von Kindern, ihren Familien und auch der Schule verändern.

Grundlegend scheint die zunehmende Ausdifferenzierung von Privatheit und Öffent-lichkeit (Prost 1999, Mitterauer 1991) zu sein. Durch die Trennung der Arbeit von Haus und Familie verschiebt sich die wirtschaftliche Funktion der Familie ausser Haus. Auf-grund der parallel verlaufenden Verschulung ist es nicht mehr primäre Aufgabe der Fa-milie, die Kinder für den Eintritt in die wirtschaftliche und politische Öffentlichkeit zu qualifizieren. In Bezug auf die Qualifikationsfunktion hat sich damit eine Arbeitsteilung zwischen Schule und Familie etabliert und der Aufbau spezifischerer Qualifikationen und Kompetenzen wird auch heute - nebst Erfahrungslernen durch Teilnahme an ver-schiedenen Handlungsbereichen - in Arbeitsteilung zwischen Familie und Bildungssys-tem überwiegend von der zweiten Institution übernommen. Die Familie schafft durch

„Pflege und Erziehung“ bzw. ihre Sozialisationseffekte ein bestimmtes Mass an Hu-manvermögen als Voraussetzung, auf dem das Lernen im Bildungssystem aufbaut. Die grossen Effekte der Familie auf z. B. die Motivation und Leistungsfähigkeit der Schüle-rinnen und Schüler aber lässt fragen, inwiefern diese Arbeitsteilung die Schule die Qua-lifikationsfunktion erfüllen lässt. Auch nicht eindeutig ist die Arbeitsteilung zwischen Familie und Schule in Bezug auf die Integrationsfunktion der Schule. Zweifellos schafft auch hier die Familie die Voraussetzungen mit, die Aufgabe der Schule ist angesichts vielfältiger gewordenen Lebensformen und Normen nicht mehr eindeutig. Aufgrund zunehmender Mitsprache- und –Entscheidungsmöglichkeiten bei Beurteilungs- und Se-lektionsentscheiden ist auch die schulische Selektionsfunktion unter dem Aspekt der Arbeits- bzw. Verantwortungsteilung nicht mehr eindeutig einer Instanz zuzuschreiben.

Es scheint fast, als ob nicht mehr von einer klaren Aufgabenteilung mit klar zuge-wiesener Verantwortlichkeit gesprochen werden kann. Unklare Aufgabenteilungen im Alltag haben häufig Missverständnisse aufgrund nicht abgesprochener oder geklärter Erwartungen zur Folge. Die Frage, ob sich dies mit einer Klärung der Arbeitsteilung und damit der Hauptverantwortung für einen Arbeitsbereich aufgrund je spezifischer Kompetenzen der Akteure verhindern oder zumindest vermindern lässt, stellt sich auch

Differenz zwischen Schule und Familie 55

für Schule und Familie. Es geht dann darum, der jeweiligen pädagogischen Institution eine Hauptaufgabe und damit Hauptverantwortung zuzuschreiben: Der Schule aufgrund ihrer öffentlich verantworteten und kontrollierten Aufgabe, der Familie aufgrund ihrer Intimitätsbeziehung. Kaufmann dreht die Frage um: "Welche Sozialisationseffekte sind es eigentlich, welche von anderen Instanzen nicht oder jedenfalls nur mit weit geringe-ren Erfolgsaussichten erzielt werden können?" (Kaufmann 1995, S. 50). In seinen Au-gen sind dies für die Familie:

die Pflege und Zuwendung in der Kleinstkindphase Vorbilder sozialen Lernens

Prägung der spezifischen Moralität eines Menschen Prägung der spezifischen Emotionalität

Prägung der Lern- und Leistungsbereitschaft im Rahmen schulischer Prozesse Identitätsentwicklung

In Bezug auf die Frage, welche Funktionen die Schule zu übernehmen hat bzw. welche Sozialisationseffekte sie mit wenig Erfolgsaussichten erzielen kann, gehen die Meinun-gen stark auseinander. In der pädagogischen und öffentlichen Diskussion lassen sich einerseits ein Expansionsmodell, das die Integrationsfunktion und damit verstärkte Er-ziehungsbemühungen postuliert, andererseits ein Reduktionsmodell, das auf die Quali-fikations- und Selektionsfunktion hervorhebt, feststellen (vgl. Kapitel 5.2).

Die Familie hat - in gesamtgesellschaftlicher Perspektive gesprochen - einen gros-sen Anteil am Humanvermögen. Hier nun berühren sich gesellschaftliche Funktionen der Schule und der Familie: Es ist eine empirische Tatsache und auch intuitiv plausibel, dass nicht alle Familien und alle Schulen ihre Funktionen tatsächlich in gleichem Aus-mass erfüllen. Es ist sinnvollerweise zu unterscheiden zwischen Erwartungen dessen, was Familien und Schulen typischerweise leisten sollen und was sie nach allgemeiner Erfahrung in der Regel auch tatsächlich leisten. Gerade dort, wo grosse Diskrepanzen zwischen erwarteter und tatsächlicher Leistung wahrgenommen werden, entstehen Dis-kussionen. Sie kreisen in der Regel um zwei Fragen: Erstens wird gefragt, ob die jewei-lige pädagogische Institution ihre bzw. die zur Debatte stehende Funktion überhaupt noch erfüllt. Das ist die Frage nach der tatsächlichen Leistung der Institution. Meist im Anschluss daran folgt zweitens die Frage danach, ob die jeweilige Institution diese Leis-tung überhaupt vollbringen soll. Paradigmatisch für diese funktionale Diskussion steht z. B. die Debatte um den Erziehungsanteil von Schule und Familie angesichts zuneh-mend heterogener Sozialisationseffekte. Vor dem Hintergrund dieser funktionalen Dis-kussionen sind die Beiträge der folgenden beiden Kapitel (5.2 und 5.3) zu sehen. Es geht darum, das Verhältnis von Schule und Familie dahingehend zu untersuchen, inwie-fern in Bezug auf die jeweiligen Primärfunktionen Überlappungen bestehen (analytisch-theoretisch und empirisch) bzw. inwiefern die Funktionserfüllung der je anderen Instanz überantwortet und wie deren tatsächliche Aufgabenausführung beurteilt wird. In Kapitel 5.4 wechselt die Perspektive und die funktionsorientierte Diskussion wird aus Schüle-rinnen- und Schülersicht geführt.

Differenz zwischen Schule und Familie 56

Im Dokument Forschung & Entwicklung (Seite 52-57)