• Keine Ergebnisse gefunden

Frühere Arbeiten und Ansätze

Im Dokument Forschung & Entwicklung (Seite 37-40)

3 Begriffe und Positionen

3.5 Konzepte der Eltern-Lehrperson-Zusammenarbeit

3.5.1 Frühere Arbeiten und Ansätze

Spätestens seit der Reformpädagogik wurden Konzepte zur Eltern-Lehrer-Zusammenarbeit entwickelt (Überblick in Melzer 1985). Beispielsweise erwarteten Wahldorf-Schulen seit ihrer Gründung ein hohes Engagement der Eltern bei Schulan-lässen (z. B. Schultheater, Schulfrühstück usw.). Die Schule sollte damit stärker in den Lebenszusammenhang der Kinder integriert werden. Seither ist eine umfangreiche pra-xisbezogene Ratgeberliteratur zur Zusammenarbeit von Lehrpersonen und Eltern ent-standen (z. B. König 1982; Leist 1986; Dusolt 1993; Hughes, Wikeley & Nash 1994;

Reichgeld 1994; Hennig & Ehinger 1999; Rüegg 2001). Diese Literatur besteht vor al-lem aus Erfahrungsberichten von Eltern und Lehrpersonen und enthält zahlreiche Ratschläge, wie die Zusammenarbeit optimal zu gestalten sei. Die Empfehlungen sind aber nicht systematisch überprüft oder evaluiert worden. Es ist daher offen, ob sie tat-sächlich zu einer Verbesserung der Zusammenarbeit beitragen. Sie berücksichtigen überdies kaum die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die sich im Zuge der gesell-schaftlichen Modernisierung verändert haben. Insbesondere wird in der Regel das Ver-hältnis von Schule und Familie wenig reflektiert.

In der Schweiz konzentriert sich die pädagogische Diskussion im Themenkreis der kindbezogenen Elternarbeit weitgehend auf Fragen, (1) wie sich (in reformpädagogi-scher Tradition) die Eltern in die Schule einbringen können, (2) wie die Einschulung der Kinder optimiert werden kann, (3) wie die Schule Stufenübertritte gemeinsam mit den Eltern gestalten soll, (4) wie der Kontakt mit Migranteneltern gestaltet werden könnte, (5) wie Lernberichte mit den Eltern diskutiert werden, (6) wie der Elternabend organi-siert werden könnte. Diese Fragen werden in der Regel erfahrungsbaorgani-siert diskutiert und sind weder wissenschaftlich abgestützt noch evaluiert (vgl. z.B. bei Hennig & Ehinger 1999). Sie werden traditionell in der Unterstufe (Tomecek 1993), teilweise im Vor-schulalter (Lanfranchi 2002), intensiver geführt als in der Mittel- und Oberstufe. Die Eltern-Lehrperson-Zusammenarbeit erhält bei der Einschulung der Kinder Bedeutung, um den Schuleintritt des Kindes zu erleichtern (Nickel 1990), indem durch Absprachen

Begriffe und Positionen 37

zwischen Eltern und Lehrpersonen das Kind beim Übergang zwischen Familie und Schule unterstützt wird. Daneben wird die Zusammenarbeit im Kanton Bern vor allem bei schulischen Übertritten (Selektion in die Sekundarstufe I) gesetzlich gefordert und ist entsprechend häufig.

Vor allem in den USA ist seit dem Report von Coleman et al. (1966), welcher auf die grosse Bedeutung der Eltern für den Schulerfolg der Kinder hingewiesen hat, und aufgrund lauter Schulkritik eine intensive Debatte zum Elterneinbezug („parental invol-vement“) lanciert worden. Unzählige Programme wurden entwickelt und immer wieder auch evaluiert, wie die Eltern sich verstärkt für ihre Kinder engagieren können. Manche Programme richteten sich auf die Unterstützung der Eltern bei den Hausaufgaben, auf die Frage, wie bildungsferne Eltern sich verstärkt für die Schule engagieren könnten, wie die Elternschaft untereinander in engeren Kontakt treten könnte, wie die Freiwilli-genarbeit der Eltern für die Schule verstärkt werden kann, wie die Lehrer-Eltern-Kommunikation verbessert werden kann (Übersicht z.B. in Henderson & Mapp 2002).

Mit einem höheren Elternengagement erhoffte man sich die Verbesserung der Schule ohne Folgekosten. Eltern sind in der Regel interessiert am Schulerfolg ihrer Kinder und bereit zu deren Förderung. Durch den Elterneinbezug sollten sie ihre Bemühungen mit den schulischen Anliegen abstimmen und optimieren können. Zudem sollten pädagogi-sche Interventionen koordiniert werden, so dass sie effektiver würden. Die traditionelle Begründung für den Einbezug der Eltern war, dass die Schülerinnen und Schüler auf diese Art bessere Leistungen erbringen konnten. Anhand von Beispielen aus den USA sollen Formen von Familien-Schule-Verbindung stichwortartig illustriert werden:

Elternbildung, welche die ausserschulische Bildung der Kinder indirekt unter-stützt (z.B. Besuch von kulturellen Veranstaltungen, Bibliothek usw.)

Entwicklungsförderliche familiäre Umwelt (z.B. TV-Konsum und Tagesablauf strukturieren)

Vorbilder in der Familie, welche zu schulischer Bildung ermutigen und den Wert von Bildung bestätigen

Elternunterstützung des Kindes (emotional oder kognitiv, Leistungserwartungen an die Kinder formulieren usw.)

Unterstützung der Hausaufgaben durch die Eltern

Eltern-Kind-Kommunikation über die Schule (z.B. Beratung über Schullauf-bahnentscheidungen, Schulprobleme usw.)

Schule-Familie-Kommunikation (z.B. konkrete Eltern-Lehrer-Gespräche) Elternbeteiligung an Schulanlässen

Eltern als (bezahlte) Tutoren in Schulprogrammen Elterneinbezug in Schulreformprojekten

Diese Programme lassen sich nach verschiedenen Kriterien strukturieren. Eccles & Ha-rold (1996) unterscheiden drei Niveaus des Elterneinbezugs in die Schule: (1) Die kind-bezogene Elternarbeit bezieht sich auf die Teilnahme der Eltern an Sitzungen in der Schule, Beurteilungsgesprächen, Telefongesprächen, Elternbesuchstagen usw. und ist auf die Förderung des einzelnen Kindes fokussiert (individuelle Ebene). (2) Eltern kön-nen ihr Schulengagement auf Bereiche ausdehkön-nen, welche sich nicht nur auf das eigene Kind beziehen: Hilfe bei Klassenausflügen, freiwillige Mitarbeit im Unterricht oder bei Schulanlässen, Mitarbeit im Klassenrat, Elternabend, usw. (Klassenebene). Die Zu-sammenarbeit auf dieser Ebene soll dazu beitragen, eine hohe Unterrichtsqualität sicher zu stellen, indem Eltern die Lehrperson bei ihrer Arbeit unterstützen, aber auch die ei-genen Ansprüche einbringen. (3) Eher politisch und strukturell ist der formale Einbezug

Begriffe und Positionen 38

der Eltern im Elternrat der Schule (institutionelle Ebene). Sie wird in der Regel mit An-liegen wie Demokratisierung der Schule und stärkere Einbindung der Eltern als Kunden begründet und soll zur Steigerung der Qualität der Institution Schule beitragen (z.B.

Scheerens & Bosker 1997), aber auch die Akzeptanz der Schule gegenüber den Eltern sicherstellen.

Eine andere Strukturierung schlugen Epstein et al. (1997) aufgrund intensiver, langjähriger Entwicklungs- und Forschungsarbeit mit einer Typologie vor:

Typ 1: Familien werden in ihren Fähigkeiten zur Kindererziehung unterstützt, das Verständnis für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen wird geför-dert. Familienbedingungen werden geschaffen, welche die Kinder in jedem Alter unterstützen.

Typ 2: Kommunikation mit Familien über Schulprogramme, Schulkonzepte, Schulleitbilder und den Lernfortschritt der Schülerinnen und Schüler durch ef-fektive Schule-Elternhaus-Kommunikation.

Typ 3: Die Strategien verbessern, um Familien als Freiwillige in die Schule ein-zubeziehen, um die Schülerinnen und Schüler und die schulische Arbeit zu un-terstützen.

Typ 4: Familien mit ihren Kindern in Lernaktivitäten zu Hause einbeziehen. Da-zu gehören die UnterstütDa-zung der Hausaufgaben und andere schulleistungsbezo-gene Aktivitäten und Entscheidungen.

Typ 5: Familien als Partner zu Schulentscheidungen einschliessen.

Typ 6: Ressourcen und Dienstleistungen für Familien, Schülerinnen und Schüler sowie die Schule mit Wirtschaftsunternehmungen, Betrieben und anderen Grup-pen in der Schulgemeinde koordinieren. Umgekehrt erbringt die Schule Dienst-leistungen für die Schulgemeinde.

Die Typen 1, 4, 5 und 6 sind in der Schweiz selten zu beobachten (vgl. auch Krumm 1996 zu Österreich; Witjes & Zimmermann 2000 zu Deutschland). Typ 4 ist ansatzwei-se in der Schweiz zu finden. Allerdings werden in der Schweiz Eltern nur ansatzwei-selten in der Betreuung der Hausaufgaben bzw. der Schulung des Kindes zu Hause unterrichtet.

Ebenfalls weitgehend unbekannt ist Typ 6, was gelegentlich Gemeindepädagogik ge-nannt wird. Dieses Konzept bezeichnet die Vernetzung der Schule in einer Schulge-meinde, indem es zu Koordinationen zwischen Schule, Familien und Wirtschaftsbetrie-ben kommt. In der Schule werden Dienstleistungen für Kinder zusätzlich zum Unterricht (Beratung, Unterricht, Freizeit, ärztlicher Dienst) und Beratungsangebote für Eltern (Schulpsychologischer Dienst) eingerichtet. Personen aus der Gemeinde können sich als Freiwillige zusätzlich zu professionell Tätigen an diesen Dienstleistungen betei-ligen. Die Schulanlage wird zum Zentrum für Kinderfragen während sieben Tagen pro Woche (vgl. Dryfoos 2000).

Die Wirksamkeit der Eltern-Lehrperson-Zusammenarbeit ist in den USA gründlich und zu allen sechs beschriebenen Typen der Zusammenarbeit untersucht worden. Zu Europa und vor allem zur Schweiz sind nur wenige Studien bekannt. Fast alle Studien basieren auf querschnittlichen Korrelationsanalysen. Während viele Studien, welche das Ziel verfolgten, die Eltern in die Schule einzubinden, dieses Ziel auch erreichten, sind die Befunde inkonsistent in der Frage, ob die Eltern-Lehrperson-Zusammenarbeit die Schülerleistungen steigert (z. B. Keith, Reimers, Fehrmenn, Poottebaum, Aubey 1986;

Bempechat 1990; Eccles 1993; Grolnick & Slowiaczek 1994; Griffith 1996, Watkins 1997; Überblick z. B. in Henderson & Mapp 2002). Ob Effekte gefunden worden sind, hing wesentlich von der Art des Programms ab, wie die

Eltern-Lehrperson-Begriffe und Positionen 39

Zusammenarbeit organisiert worden ist. Möglicherweise ist der Zusammenhang zwi-schen Merkmalen der Eltern-Lehrperson-Zusammenarbeit und der Schülerleistung im Fach Deutsch stärker als in Mathematik (Epstein 1991). Zahlreiche Studien berichten zwischen der Häufigkeit der Eltern-Lehrperson-Zusammenarbeit und Schülerleistungen negative Korrelationen (Watkins 1997; Downey 2002; Schweiz: Rüesch 1998 sowie die eigene Berner Studie): Schwache Schulleistungen bilden offenbar den Anlass zu inten-siver Eltern-Lehrperson-Zusammenarbeit (kompensatorische Funktion). Grolnick &

Ryan (1989) sowie Grolnick & Slowiaczek (1994) zeigten, dass die Häufigkeit des Schulbesuchs durch die Eltern sich auf die Schülermotivation und die Schülerleistung positiv auswirkt. Wahrscheinlich korrespondiert ein hohes Elterninteresse an der Schule positiv mit den schulischen Leistungen des Kindes.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Programme zum Elternein-bezug in der Schweiz wenig elaboriert und nicht evaluiert worden sind. Die amerikani-schen Programme sind zwar weit entwickelt, doch konnte ihre Bedeutung für die Leis-tungen der Kinder nicht schlüssig belegt werden – die Ergebnisse der Studien sind inkonsistent. Generell leidet die Debatte unter einer unklaren Begrifflichkeit, was El-terneinbezug (‚parental involvement’), Elternmitbestimmung, Elternmitwirkung oder Eltern-Lehrer-Zusammenarbeit meint. Insbesondere ist die Funktion der Zusammenar-beit Familie-Schule unklar. Nicht zuletzt werden die unerwünschten Nebeneffekte eines hohen Elterneinbezugs kaum thematisiert. Es wird die Arbeitsthese formuliert, die überprüft werden muss, dass die Eltern-Lehrer-Zusammenarbeit in erster Linie mit Er-scheinungen der gesellschaftlichen Modernisierung begründet werden muss und aus einer politischen Debatte zur Schulkritik resultiert, aber nur sekundär zur Qualitätsstei-gerung der Schule beiträgt. Die Eltern-Lehrer-Zusammenarbeit erfüllt nach dieser The-se die wichtige Funktion der Akzeptanzsicherung der Schule in der Öffentlichkeit in dem Sinn, als Eltern und Kinder ihre Interessen einbringen können.

Im Dokument Forschung & Entwicklung (Seite 37-40)