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Strafrechtsprofessoren fordern Reform des Drogenstrafrechts 83

Im Dokument Alternativer Drogen- und Suchtbericht (Seite 123-126)

Anfang 2014 sorgte eine Resolution für Aufsehen in der deutschen Medienlandschaft.

Das 2011 vom „Schildower Kreis“, einem auf Drogenpolitik bezogenen interdisziplinären Netzwerk von Experten aus Wissenschaft und Praxis gestartete Projekt kriminalpolitischer Aktionsforschung bezweckt eine Reform des Betäubungsmittelrechts mittels interdiszipli-när beratender parlamentarischer Enquête-Kommission gem. § 56 BT-Geschäftsordnung.

1. Ziel: Enquête-Kommission

Bisher unterzeichneten 122 deutsche Strafrechtsprofessorinnen und -professoren die Resolution, welche die Einrichtung einer Enquête-Kommission des Bundestages zum Thema ‚Erwünschte und unbeabsichtigte Folgen des geltenden Drogenstrafrechts’ zum Ziel hat (Text: www.schildower-kreis.de;

www.polizei-newsletter.de)84. Im Sinne der verfassungsrechtlich vorgegebenen Überprü-fungspflicht des Gesetzgebers soll diese eine wissenschaftlich und interdisziplinär begrün-dete Evaluation des Drogenstrafrechts vor-nehmen. Fernziel ist die Veränderung des Drogenstrafrechts auf der Grundlage empi-rischer Forschung und informierter gesell-schaftlicher bzw. parlamentarischer Verstän-digung. Solche hat bisher das BtMG betref-fend nie stattgefunden.

      

83 Modifizierte, erweiterte und aktualisierte Version eines Artikels, der erstmals in der Deutschen Richterzeitung (01/2014, 10f.) erschienen ist;

Bearbeitung: Bernd Werse

84 Lorenz Böllinger ist sowohl Sprecher des inter-disziplinären Schildower Kreises als auch Initiator der hier dargestellten Resolution von Strafrechts-professorinnen und -professoren.

Der mittels der Enquête-Kommission an den Gesetzgeber adressierte Appell ist in mehr-facher Hinsicht verfassungsrechtlich begrün-det. Die umfassendste Begründung findet er im herausragendsten Prinzip des Grund-gesetzes, dem von allen drei Teilgewalten zugrunde zu legenden Verhältnismäßigkeits-prinzip. Daraus ergibt sich allgemein und formal, dass Gesetze, welche die Grund-freiheiten der Bürger einschränken, inhaltlich und wissenschaftlich begründet sein müssen und dass sie im Verlauf ihrer Anwendung hinsichtlich ihrer Wirksamkeit überprüft werden müssen. Dogmatisch operationalisiert ist das Verhältnismäßigkeitsprinzip nach allseits akzeptierter Verfassungslehre in den drei Unterprinzipien Erforderlichkeit, Geeig-netheit und Proportionalität. In diesem Rah-men ist die inhaltliche Überprüfung des BtMG vorzunehmen.

Das BVerfG hat zwar in seiner Cannabis-Entscheidung von 1994 und in mehreren darauf basierenden Nicht-Annahme-Beschlüs-sen die strafrechtlichen Vorschriften des BtMG für verfassungsgemäß befunden. Es legte jedoch in enger exemplarischer Auswahl die damals aktuelle, lückenhafte Daten- und Erkenntnislage zugrunde. Es beachtete nicht, dass der BtM-Gesetzgeber 1971 auf Druck der USA ohne eigene wissenschaftliche Begründung unbesehen die Vorgaben der UNO-Single Convention von 1961 in das BtMG umgesetzt hatte. In den seither ver-strichenen fast 20 Jahren hat sich zum einen die soziale Realität in hohem Maße verändert, zum anderen die entsprechende wissen-schaftliche Daten-, Methoden und Erkenntnis-lage massiv erweitert. Initiierung und Neube-wertung entsprechender Forschung sind also erforderlich, um dem BtMG erstmals eine dem Verfassungs- und Gesetzgebungsrecht genügende Grundlage zu verleihen. Folgende Begründung der Resolution könnte Grundlage eines systematischen Prozederes der Enquête-Kommission werden.

1. Der Krieg gegen die Drogen ist gescheitert Die strafrechtliche Prohibition bestimmter als gefährlich definierter Drogen ist gescheitert, sozialschädlich, unökonomisch. Dies gilt insbesondere und vor allem für Marijuana.

117 Die Zeit ist reif dafür, die Natursubstanz

Cannabis sowohl für medizinischen als auch für den normalen Gebrauch zu legalisieren.

Drogenkonsum ist menschliches Normalver-halten und nicht zu eliminieren. Mindestens 5% der Bevölkerung West-Europas konsu-mieren – so die Europäische Drogenbeobach-tungsstelle in Lissabon – regelmäßig Canna-bis. Weltweit sind Drogen leichter und billiger denn je erhältlich. Angebot und Nachfrage sind durch Strafdrohung faktisch kaum zu beeinflussen. Mit der Intensität der Repres-sion steigt lediglich der Schwarzmarktpreis und weiten sich mafiose Strukturen aus.

2. Die Naturdroge Cannabis ist weniger gesundheitsgefährlich als Alkohol und

Nikotin

Wie bei allen Medikamenten und psycho-tropen Substanzen hängt die Gesund-heitsgefährlichkeit der meist genutzten und strafverfolgten Droge Cannabis von Dosierung und Frequenz des Gebrauchs ab. Bei nie-driger Dosierung und Frequenz hat Cannabis keine gesundheitliche, kognitive und oder psychische Beeinträchtigung zur Folge. Nur 5% der Gebraucher praktizieren riskanten Konsum oder werden abhängig. Ihnen hilft nicht das Strafrecht, sondern nur sach-gerechte präventive Beratung und Psycho-therapie. Das Heroin-Problem ist erst gesund-heitsrechtlich, durch Methadonprogramme und Heroinvergabe weitgehend gelöst worden. Legalisierung könnte auch das Gesundheitsrisiko anderer bisher illegaler Drogen entscheidend mindern.

3. Mit der Drogenprohibition gibt der Staat seine Kontrolle über Verfügbarkeit und Rein-heit von Drogen auf

Nicht die Wirkung der Drogen ist das Problem, sondern die repressive Drogenpolitik schafft Probleme. 90-95% der Konsumenten illegaler Drogen leben ein normales Leben. Selbst abhängige Konsumenten bleiben oftmals so-zial integriert. Menschen mit problema-tischem Drogenkonsum brauchen Hilfe. Die Strafverfolgung hat für sie und alle anderen nur negative Folgen. Der Schwarzmarkt bewirkt Unkalkulierbarkeit des

Wirkstoffge-haltes und gesundheitsschädliche Beimen-gungen zur Profitsteigerung. Es gibt im durch die Prohibition erzeugten Schwarzmarkt keinen Verbraucher- und Jugendschutz.

4. Der Zweck der Prohibition wird systema-tisch verfehlt.

Prohibition soll den schädlichen Konsum be-stimmter Drogen verhindern. Tatsächlich kann sie dieses Ziel nicht erreichen. Das zei-gen alle wissenschaftlich relevanten Unter-suchungen. Sogar die Evaluation des 10-Jah-res-Programms der UNO zur Drogenbekämp-fung kommt im Jahr 2008 zu diesem Schluss.

Prohibition schreckt zwar einige Menschen ab, verhindert aber Aufklärung und vergrößert gleichzeitig dramatisch die gesundheitlichen und sozialen Schäden für diejenigen, die nicht abstinent leben wollen. Selbst in totalitären Regimes und Strafanstalten kann Drogen-konsum nicht verhindert werden.

5. Die Prohibition ist schädlich für die Gesellschaft

Sie behindert eine angemessene medizi-nische und psychotherapeutische Versorgung von Problemkonsumenten. Sie erzeugt Be-schaffungs- und Begleitkriminalität. Sie erzeugt den Schwarzmarkt und fördert die organisierte Kriminalität. Sie bewirkt die Ein-schränkung von Bürgerrechten und korrum-piert den Rechtsstaat. Durch massive Macht-anballung bei Kartellen und Mafia nimmt die Gefahr eines Scheiterns der Zivilgesellschaft zu. Sie hat desaströse Auswirkungen auf staatliche und demokratische Strukturen der Anbau- und Transitländer.

Tausende von Toten im aktuellen „Krieg der Drogenkartelle" in Mexiko sind weitgehend den Kämpfen um exorbitante Schwarzmarkt-profite zuzurechnen. Der Schwarzmarkt gene-riert eine extreme und globalisierte Schatten-wirtschaft mit weiterer Folgekriminalität und destabilisierenden Auswirkungen auf globale Finanzmärkte ebenso wie nationale Volkswirt-schaften. Angesichts effektiver informeller Geldtransfersysteme kann Geldwäschekon-trolle kaum funktionieren. In Reaktion auf den Krieg der Kartelle kommt es sowohl zu einer Quasi-Militarisierung der Polizei als auch zu

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quasi-polizeilichen Funktionen des Militärs.

Auch dadurch erodieren staatliche Grund-strukturen.

6. Die Prohibition ist unverhältnismäßig kostspielig

Bürger werden Opfer der Beschaffungs- und Begleitkriminalität. Jährlich werden Milliarden-beträge für die Strafverfolgung aufgewendet, welche sinnvoller für Prävention und Ge-sundheitsfürsorge eingesetzt werden könn-ten. Der Staat verzichtet auf Steuerein-nahmen, die er bei einem legalen Angebot hätte.

7. Die Prohibition ist schädlich für die Konsumenten

Konsumenten werden diskriminiert, straf-rechtlich verfolgt, stigmatisiert und in krimi-nelle Karrieren getrieben. Weil es sich um

„opferlose“ Kontrolldelikte handelt, welche lediglich proaktiv – und damit Unterschicht-angehörige und Migranten benachteiligend – verfolgt werden, kommt es zu grundrechts-verletzender Ungleichbehandlung. Es gibt keine adäquate Risikoaufklärung, keinen Ver-braucher- und Jugendschutz. Riskante Kon-sumformen werden gefördert und die auf den Schwarzmarkt gezwungenen Konsumenten werden – teilweise unbekannten – Drogen ausgesetzt, welche gefährlich oder schwie-riger zu handhaben sind. Normales jugend-liches Experimentierverhalten wird kriminali-siert und das Erlernen von Drogenmündigkeit erschwert. Junge Menschen werden dauer-haft stigmatisiert und ihre Lebenschancen werden gemindert – auch durch unver-hältnismäßigen Entzug der Fahrerlaubnis.

8. Quasi-Feldexperimente mit Cannabis beweisen dessen soziale, kulturelle und legale Integrierbarkeit

Diverse Quasi-Feldexperimente mit der libera-lisierten Zugänglichkeit oder Vergabe von bislang illegalen Drogen (z.B. Niederlande, Schweiz, Spanien, Portugal, Tschechien) erga-ben, dass die befürchtete Ausweitung des Cannabis-Konsums ausbleibt. Außerdem hat sich das drogenpolitische Klima in den bis-lang im repressiven Drogenregime federfüh-renden U.S.A. stark verändert: Medizinisches Cannabis ist in 18 Bundesstaaten erlaubt und

in zwei Bundesstaaten (Colorado, Washing-ton) ist Cannabis ab 1.1.2014 mit sachge-rechter Regulierung und Besteuerung legali-siert.

Fazit

Der Staat darf die Bürger durch die Dro-genpolitik nicht schädigen. Es ist deshalb notwendig, Schaden und Nutzen der Drogen-politik unvoreingenommen wissenschaftlich zu überprüfen. Für Cannabis kann das Ergeb-nis aufgrund gegebener Forschungslage nur lauten: Legalisierung und sachgerechte Regu-lierung von Herstellung, Vertrieb, Prävention und Behandlung. Das Heroin-Problem ist erst gesundheitsrechtlich, durch Methadonpro-gramme und Heroinvergabe weitgehend ge-löst worden. Für andere illegale Drogen sind aufgrund wissenschaftlicher Analyse spezi-fische Lösungen zu finden. Für diese Aufga-ben wäre eine Enquête-Kommission der geeignete Rahmen. Und damit erhielte das Parlament seine ureigenste Aufgabe zurück.

Nachtrag, Juni 2014 (Maximilian Plenert):

Am 4. Juni 2014 wurde der Antrag "Beabsich-tigte und unbeabsich"Beabsich-tigte Auswirkungen des Betäubungsmittelrechts überprüfen"

dipbt.bundestag.de/dip21/btd/18/016/18016 13.pdf durch die LINKE und die Grüne Fraktion im Deutschen Bundestag eingebracht. Mit dieser gemeinsamen Initiative greifen die Oppo-sitionsparteien die Forderungen der Resolution auf und setzen sie auf die Tagesordnung des Deutschen Bundestages.

Der Antrag beinhaltet explizit keine drogenpoli-tischen Positionen, sondern fordert eine externe wissenschaftliche Evaluierung der Auswirkungen der Verbotspolitik für illegalisierte Betäubungs-mittel. Auf Grundlage dieser Überprüfung sollen wissenschaftlich untermauerte Handlungsem-pfehlungen entwickelt werden. Die im Bundes-tag vertretenen Parteien können dann entschei-den, für welche Drogenpolitik mit allen ihren beabsichtigten und unbeabsichtigten Auswir-kungen sie stehen.

Quelle und Weiterlesen:

http://hanfverband.de/index.php/themen/drogenpoli tik-a-legalisierung/2482-uebersichtsseite-zum-antrag- qbeabsichtigte-und-unbeabsichtigte-auswirkungen-des-betaeubungsmittelrechts-ueberpruefenq

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Maximilian Plenert und Bernd Werse

Für eine verantwortungsvolle

Im Dokument Alternativer Drogen- und Suchtbericht (Seite 123-126)

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