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Elektronische (E-)Zigaretten und E-Shishas auf dem Vormarsch –

Im Dokument Alternativer Drogen- und Suchtbericht (Seite 164-167)

fehlende gesetzliche Regelungen behindern den Verbraucherschutz

Seit der Patentierung des E-Zigarettenmodells von Hon Lik im Jahre 2003 in China hat die chinesische Firma Ruyan mit der Massenferti-gung und Verkauf im Jahre 2004 begonnen.

In Europa begann der Verkauf etwa seit 2007/8. Seitdem hat die Verbreitung der E-Zigarette enorm zugenommen. Marktanalys-ten vermuMarktanalys-ten, dass die E-Zigarette schon in 10 Jahren die konventionelle Nikotinzigarette überholen wird (Wells Fargo 2013). Bereits heute gibt es mehr als 7 Mio. „Dampfer“ in Europa (European Commission 2012) – Ten-denz ansteigend; eine Entwicklung, die sich genau gegenläufig zum Rückgang der Tabak-zigaretten vollzieht. Diese Entwicklung ist nur vergleichbar mit einer anderen Rauchrevo-lution: der Erfindung der Zigarettenrollma-schine von James Bonsack im Jahre 1880, mit einer Fertigung von 200 Zigaretten pro Minute. Damit hatte die Zigarette ihren Sie-geszug begonnen – und die Gesellschaft gespalten in Raucher und Nichtraucher.

Seltsam nur, dass die Politik nicht wirklich auf dieses neues Phänomen reagiert: Noch immer fehlen gesetzliche Regelungen für E-Zigaretten und E-Shishas. Das Deutsche Krebsforschungszentrum in Heidelberg äußert sich in einem Factsheet kritisch (DKFZ 2014) – mahnt aber auch gesetzliche Regelungen an. Diese kommen aber nicht, und zwar schon seit Jahren nicht.

Aber wie gefährlich ist das Dampfen? Als Konsequenz aus dem Fehlen gesetzlicher Regelungen und Verbraucherschutzbestim-mungen (keine klare Etikettierung mit Auswei-sung der Inhaltsstoffe etc.) weiß man in der Tat nicht genau, was die E-Zigarette, ob mit Nikotinkartusche oder „nur“ Aromastoffen, tatsächlich enthält. Klar ist nur, dass auch die E-Zigarette Spuren fremder Substanzen

enthalten kann, allerdings sehr viel seltener und in einem weitaus geringerem Maße als Tabakzigaretten und im Übrigen viel ungefähr-licher. Gerauchter Tabak hingegen enthält etwa 4.000 chemische Stoffe, von denen mehrere Hundert toxisch (z.T. kanzerogen) sind und auch nicht auf der Zigaretten-schachtel ausgewiesen. Es gibt keine Anhalts-punkte, dass Dampfen Stoffe freisetzt, die ge-bräuchlichen Standards hinsichtlich der Sicherheit am Arbeitsplatz widersprechen (Burstyn 2014). Abgewogen und nüchtern betrachtet muss man auf einem Kontinuum der Risiken E-Zigaretten und E-Shishas am unteren Ende, etwa neben Produkten zum Nikotinersatz, ansiedeln, Tabakzigaretten je-doch ganz oben (Nutt et al. 2014).

Die Rat- und Tatenlosigkeit der Politik und Verantwortlichen führt allerdings dazu, dass nicht nur der wichtige Verbraucherschutz un-genügend beachtet wird, sondern auch dazu, dass das Potenzial der E-Zigarette für Rauch-stopp- bzw. Reduktionsversuche nicht annä-hernd ausgeschöpft wird. Zu groß ist die Ver-wirrung über die Inhaltsstoffe und ggf. das Gefährdungspotenzial für Jugendliche, die zwar erfreulicherweise immer stärker Tabak-zigaretten ablehnen, aber teilweise den süß-lichen Aromen beim „Dampfen“ nicht abge-neigt sind.

Aus der Not des Fehlens klarer gesetzlicher Bestimmungen ist eine verbrauchergestützte Selbsthilfe-/Gesundheits-/Genussbewegung erwachsen: Verbraucher informieren, orientie-ren und organisieorientie-ren sich selbst. Keine Res-sourcen der Gesundheitsversorgung erhält diese Gegenbewegung, aber sie wird konfron-tiert mit Ablehnung, Missachtung oder sogar Antipathie von vielen Stellen der Gesundheits-versorgung. Es besteht eine Ablehnungs-koalition der Öffentlichen Gesundheit, keine – auf Schadensminimierung ausgelegte – Gesundheitsdebatte der Verantwortlichen, geschweige denn Forschung auf diesem Gebiet. Der Public Health-Diskurs fokussiert sich auf den E-Zigarettengebrauch bei Jugendlichen, als Einfallstor für das Rauchen konventioneller Tabakzigaretten – verbunden mit der Gefahr, dass E-Zigaretten den Prozess

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der „De-Normalisierung“ des Rauchens unter-graben und zu einer „Re-Normalisierung“

führen konnten; eine unbewiesene Jugendver-führungstheorie vieler Gegner (Frankenberger 2014). Nutzer von E-Zigaretten verstehen sich nicht mehr als Raucher, sondern als

„Dampfer“ (Ekberg 2014).

Nur wenige Gesundheitsexperten engagieren sich für Schadensminimierung beim Tabak-rauchen, und noch weniger für die Frage der Tauglichkeit von E-Zigaretten für die Millionen Noch-Tabakraucher als Risikoreduktionsmittel in Deutschland. Die Grass-Roots-Bewegung der „Dampfer“ wird alleingelassen und mehr oder weniger ausgegrenzt. Was aber hat das mit den Prinzipien der Gesundheitsförderung zu tun? Gesundheitsförderung ist laut Ottawa-Charta (WHO 1986) ein Prozess der Befähigung von Menschen, mehr Kontrolle und Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zu gelangen. Und dazu haben die (poten-ziellen) Gebraucher von E-Zigaretten ein Recht, insbesondere auch dazu, besser infor-miert und aufgeklärt zu werden.

Was also angesichts der immer noch hohen Zahl gegenwärtiger Raucherinnen und Rau-cher sehr erstaunt, ist, dass das Potenzial der E-Zigarette in schadensminimierender Hin-sicht unbeachtet, ja fast verbannt bleibt. Die offiziellen Verlautbarungen des DKFZ sehen eigentlich nur Gefahren (Pötschke-Langer, 2014), unternehmen aber keinen Abwägungs-prozess auf evidenzbasierter Ebene, um den Strohhalm, den die E-Zigarette darstellt, für die Rauchprävention nutzbar zu machen.

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C 3.1 Fallbeispiele

C 3.1-1

Jonas Schemmel und Werner Graf

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