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Cannabis als Medizin – Probleme und Handlungsbedarf aus

Im Dokument Alternativer Drogen- und Suchtbericht (Seite 94-97)

Patientensicht

Die Bundesregierungen der vergangenen Le-gislaturperioden hatten und haben kein Inter-esse am Thema Cannabis als Medizin, ge-schweige denn am Leiden der Betroffenen.

"Schwarz-Gelb gibt grünes Licht für Cannabis-Arzneien" hieß es 2010 anlässlich der 25.

BtMÄndVo, welche die Zulassung von Fertig-arzneimitteln auf Cannabisbasis ermöglichte.

Diese Änderung ist und bleibt bis heute eine bloße „Lex Sativex“, die aktuell ausschließlich ein Medikament bei lediglich einer Indikation marktfähig gemacht hat. Diese Mini-Änderung der Gesetzgebung wurde im Drogen- und Suchtbericht 2011 noch gefeiert. Im Bericht 2012 herrscht seither wieder Schweigen – obwohl FDP und SPD bei der Anhörung im Bundestag einen Handlungsbedarf erkannten.

Cannabisblüten als Medizin sind weiterhin nur für einen Bruchteil der Patienten erhältlich. So übersteigt der Anteil der registrierten Erlaub-nis-Inhaber an der Gesamtbevölkerung in Ländern wie Kanada oder Israel den für Deutschland um ein Vielfaches (siehe Groten-hermen in diesem Band).

Aus Sicht der Betroffenen sind folgende Punkte dringend notwendig, um die Achtung der Menschenrechte und die gesundheit-lichen Interessen von Cannabis nutzenden Patienten sicherzustellen.

1. Lockerung der Kriterien für eine Cannabis-Ausnahmeerlaubnis

Die Hürden für eine Erlaubnis durch die Bundesopiumstelle zum Erwerb von Cannabis sind weiterhin enorm hoch.

Einer der häufigsten Ablehnungsgründe ist eine (fern-)diagnostische Prognose (respek-tive eine prognostische Diagnose) „möglicher Cannabis-Abhängigkeit“, die von mitunter ei-genartig fachfremden Ärzten beim Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) erstellt wird. Ausnahmeerlaubnis-Anträge

je-doch negativ zu bescheiden, nur weil „der starke Wunsch Cannabis zu konsumieren“

besteht, macht bei kranken Menschen, denen Cannabis Linderung verschafft, keinen Sinn.

Ein zweiter häufiger Grund, die Erlaubnis zu versagen, ist der Status des Patienten, so lange dessen Krankheit nicht als „austhera-piert“ gilt und es noch Pharmaprodukte gibt, die der zu behandelnde Kranke bislang nicht probiert hat, und die von ihm deshalb wochen- oder monatelang mit allen ggf. auf-tretenden Nebenwirkungen regelrecht „getes-tet“ werden müssen.

Diese Forderung als Antragsvoraussetzung namens des BfArM macht Patienten zwangs-weise zu „Medikamente-Versuchskarnickeln“.

Sie müssen daher nicht selten eine Vielzahl pharmakologischer Produkte mit teilweise erheblichen Nebenwirkungen – und wiederum Medikamente gegen diese Nebenwirkungen – einnehmen, obwohl oft schon bekannt – aber ggf. nicht dokumentiert – ist, dass viele dieser Mittel nicht ausreichend wirken und/oder zu viele zu starke unerwünschte und gesund-heitsschädigende Effekte zeigen.

In den meisten dieser Fälle weiß der Patient allerdings schon geraume Zeit vor Antrag-stellung, dass Cannabis ihm die erwünschte Linderung verschafft. Einen Antrag zu stellen, der medizinisch nicht gerechtfertigt wäre und nur den Genussgründen des Antragstellers dienen sollte, ist schon allein wegen des großen finanziellen Mehr-Aufwands auszu-schließen. Insoweit kann davon ausgegangen werden, dass Anträge auf eine Ausnahme-erlaubnis in aller Regel gesundheitliche Ursachen haben.

Es sollte demnach vollkommen ausreichend sein, wenn ein Arzt feststellt, dass der Einsatz von Cannabis als Medizin beim Erkrankten sinnvoll erscheint, zumal es bei Patienten mit schweren Erkrankungen (wie beispielsweise Epilepsie) Monate und Jahre dauern kann, bis der Kranke als „austherapiert“ bezeichnet werden kann.

Die Liste schwerer Nebenwirkungen selbst alltäglicher Medikamente wie etwa Diclofenac und Metoclopramid wächst durch neue Erkenntnisse immer weiter. Patienten seitens

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der klinischen Abteilung beim BfArM auf solche Mittel zu verweisen und deren Ein-nahme zu propagieren, bevor Cannabis erlaubt werden kann, ist schlichte Nötigung und widerspricht aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen zu derlei bedenklichen Arznei-mitteln.

Cannabis darf nicht das allerletzte Mittel der Wahl sein. Im Gegenteil: Es sollte durchaus vorrangig empfohlen werden. Für die Anwen-dung von Cannabis-Medikamenten sollte ebenso wie bei der Behandlung anderer Krankheiten mit anderen Mitteln für Arzt und Patienten Therapiefreiheit herrschen.

2. Cannabis-Patienten-Residenzpflicht auf den Prüfstand

Für Grenzübertritte innerhalb Europas mit erlaubtem Cannabis werden – anders als etwa in den Niederlanden – keine Geneh-migungen vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte erteilt.

Das SCM-Mitglied Liliane Moriello monierte als in Deutschland lebende Dänin bei der EU-Kommission ihre Residenzpflicht bzw. Reise-freiheits-Beschränkung, die einerseits Folge der Einstufung von Cannabis in die Anlage I des BtMG ist, andererseits auch Folge eines Mangels an Schaffung(swille) entsprechend zeitgemäßer Verwaltungsvorschriften.

Das BfArM hat der mit der Sache befassten Stelle bei der EU-Kommission Kompromiss-vorschläge zur Lösung des Problems unter-breitet; diese sind aber für die Ausnahme-erlaubnis-Inhaberin Moriello weder prakti-kabel, noch deuten diese eher hilflos wir-kenden Lösungsversuche seitens des BfArM auf tatsächliche Sach- oder Fachkenntnisse der Cannabis-Situation in Dänemark hin.

3. Erstattung Dronabinol, Sativex und Cannabisblüten

Dronabinol, Sativex und Cannabisblüten wer-den von wer-den Gesetzlichen Krankenkassen in aller Regel nicht erstattet bzw. bei Sativex nur bei Spastiken infolge multipler Sklerose. Auch ohne eine Zulassung mit Indikation ist eine Erstattung prinzipiell möglich, sei es als freiwillige Leistung der Krankenkasse oder auf Beschluss des Gemeinsamen

Bundes-ausschuss (G-BA). Der GKV-Spitzenverband stellt allerdings (seit Jahren) keinen ent-sprechenden Antrag beim Gemeinsamen Bundesausschuss. Fortschreitende soziale Verelendung und gesundheitliche Destabili-sierung von Cannabis nutzenden Patienten sind die direkten Folgen dieser Untätigkeit.

Medizinischer Cannabis wird in Apotheken derzeit mit Gramm-Preisen zwischen knapp über 12 und 21 € gehandelt. Für viele, wenn nicht sogar die meisten Kranken, ist damit der Monatsbedarf an Cannabisblüten nur kurzfristig zu decken. Bei einem Konsum-bedarf von mehren Gramm täglich ergeben sich schnell Kosten über 1000 Euro pro Monat. Im Falle des Bezugs von Hilfe zum Lebensunterhalt (Hartz IV) ist Cannabis-Medizin für Erkrankte generell unerschwing-lich.

Über die Widersinnigkeit des vorherrschenden Mangels einer Dronabinol-Kostenerstattung gibt Ute Köhlers Schicksal seit vielen Jahren Auskunft. Ihr Fall zeigt die verheerenden gesundheitspolitischen Fehleinschätzungen in Sachen medizinisches Potenzial von Cannabis auf.

Er gibt aber auch Auskunft über die daraus resultierenden unmenschlichen Konsequen-zen für Frau Köhler mit ihrem stark Schmerz-geprägten Dasein zwischen Selbstanzeige, Selbstaufgabe und selbstlosem Einsatz für die gerechte Sache Medikamentenkosten-Erstattung, die 2013 überraschend in die Verleihung der Bundesverdienst-Medaille mündete. Jedoch noch immer nicht zur Erstat-tung der Kosten für das Dronabinol durch die AOK Thüringen.

4. Private Anbau-Genehmigungen zu medi-zinischen Zwecken

Ein unkomplizierter Ausweg aus zu hohen Cannabismedizin-Preisen und eine Alternative zu immer wiederkehrenden Lieferausfällen seitens des Cannabis-Importeurs und auch eine Alternative zur eingeschränkten Sorten-Auswahl (minimale Produktpalette des euro-päischen Cannabismedizin-Monopolisten Be-drocan) wäre der Eigenanbau von Cannabis-pflanzen durch Patienten.

89 BfArM und BMG sind durch zahlreiche Urteile

der höchsten Gerichte aktuell im Zugzwang bezüglich der Erteilung von Genehmigungen zum Anbau von Cannabis. Denn...

• Cannabis als Medizin ist zu teuer.

• Cannabis als Medizin ist nicht für jeden Patienten zugänglich.

• Cannabis als Medizin ist zu rar.

• Cannabis als Medizin zieht überdies einen Rattenschwanz an bürokratischem Auf-wand mit viel zu hohen Folgekosten für den Kranken nach sich.

All das nicht selten, wenn es „nur“ um Leben und Tod geht.

Ähnlich wie bei der Erteilung von Geneh-migungen zur ärztlich begleiteten Selbstthe-rapie werden im Falle von Erlaubnis-Ertei-lungen für den privaten Anbau allerdings unverhältnismäßig hohe Sicherheitsanfor-derungen durch das BfArM gestellt. Diese Anforderungen – so lassen erste Schreiben des Bundesinstituts erahnen – sind maßlos überzogen und lassen die durchschnittliche finanzielle Ausstattung chronisch Kranker un-berücksichtigt. Die Argumente für die ableh-nende Haltung zum Eigenanbau beispiels-weise der Bundesärztekammer sind halt- und sinnlos, denn sie ignorieren die Alternative zur nicht-standardisieren Versorgung durch Eigen-anbau: Keine Versorgung.

5. Anbau-Genossenschaft nach dem Vorbild Cannabis Social Club zulassen

Die europaweite Diskussion über das Modell des Cannabis Social Clubs ist gerade für Patienten interessant. Das starke Bedürfnis nach finanziell erschwinglicher Cannabis-Medizin-Versorgung sorgt für ersten konstruk-tiven Meinungs-Austausch zwischen SCM – Mitgliedern in Sachen Gründung einer oder mehrerer solidarischer Anbau-Genossen-schaft/en. Für solche Social Clubs mit vorwie-gend medizinischem Charakter müssen Anb-au-Genehmigungen erteilt werden.

Schlussendlich muss eine juristische Duldung medizinisch begründeter Selbstversorger-Maßnahmen erfolgen; ähnlich wie dies in Belgien bei „Trekt uw Plant“ der Fall ist. Hier sind gemeinsam erarbeitete Bestimmungen des Bundesjustizministeriums unter Heiko

Maas und Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe dringend erforderlich.

6. Sorten-Auswahl – Angebotsvielfalt vergrößern

Die rasch voranschreitende Forschung an medizinischen Cannabis-Sorten zur optimalen Versorgung verschiedener Krankheitsbilder hat weltweit zu einer Sortenvielfalt geführt, welche sämtliche medizinisch genau defi-nierten Symptomkomplexe abdecken kann.

Die vier in Deutschland vom Produzenten Be-drocan erhältlichen Sorten können entspre-chend nur mit Einschränkung wirksam sein.

Mit der Zugabe neu entwickelter medizi-nischer Sorten im Eigenanbau könnte die Versorgung von Patienten daher enorm optimiert werden.

Der Geschäftsführer von Bedrocan B.V. hat in einem Interview auf arte verlautbart, dass es auch in seinem Sinne sei, wenn es künftige weitere Cannabis-Anbieter zur Versorgung des stetig steigenden europäischen Bedarfs gäbe.

Fazit

Die Gesamtsituation Deutschlands in Sachen Versorgung mit Cannabismedizin im Vergleich zu anderen Ländern wie z.B. USA, Kanada, Niederlande, Spanien muss aufgrund vorlie-gender Erkenntnisse als gesundheits- und rechtspolitisch gewollt desolat und als erschreckendes medizinisches Entwicklungs-gebiet zugleich bezeichnet werden – einer fortschrittlichen Nation jedenfalls absolut unwürdig.

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Diagnosen für Cannabis-

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