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Prävention weiter denken

Im Dokument Alternativer Drogen- und Suchtbericht (Seite 67-70)

Der Konsum von Rauschmitteln, gleichgültig ob legal oder illegal, hat vielfältige Ursachen.

Aus gesellschaftlichen, sozialen und individu-ellen Einflussfaktoren resultiert eine mehr oder weniger ausgeprägte Affinität zu künst-lich hervorgerufenen positiven Gefühlen und veränderter Wahrnehmung. Diese steht in einem bestimmten Verhältnis zur Risikobereit-schaft, die von ebenso vielen Determinanten beeinflusst wird.

Das Abstinenzdogma schadet

Die klassische Drogenprävention vermittelt in Umsetzung der politischen Null-Toleranz-Strategie das Bild von der ausschließlich zer-störerischen Droge, häufig gepaart mit ab-schreckenden Beispielen zerrütteter Existen-zen. Momentan werden etwa gerne Vorher-Nachher-Bilder von Crystal-Konsumierenden verwendet (vgl. auch Barsch in diesem Band).

In der Regel wird die große Anziehungskraft, die Drogen auf einige Menschen ausüben, kaum thematisiert – geschweige denn, wie man mit dieser Anziehungskraft umgehen kann. Es wird auf die eine Seite der Medaille, die Risikobereitschaft, abgestellt, und zwar unabhängig vom tatsächlichen Schadens-potenzial der einzelnen Drogen. Häufig gibt es nur „die Drogen“, so wie es das Betäubungs-mittelgesetz auch vorsieht. Wie zynisch müs-sen diese Darstellungen auf Jugendliche wirken, deren Eltern sich mit 5€-Schnaps legal in die Abhängigkeit getrunken haben.

Gerade in Deutschland wird zu wenig zwischen risikoarmem und riskantem Konsum unterschieden - jedenfalls bei illegalisierten Rauschmitteln. Jemand, der auf einem Festi-val zur Ecstasy-Dosis greift, wird rechtlich und gesellschaftlich in einen Topf geworfen mit dem Crystal-Abhängigen. Dabei haben die beiden Konsumierenden, was Gefährdung, Konsummotivation und Hilfebedürftigkeit an-geht, nur wenig gemeinsam. Man kann in diesem Zusammenhang darüber diskutieren,

ob risikoarmem Konsum überhaupt vorge-beugt werden muss.

Es verwundert nicht, dass die Null-Toleranz-Prävention nur wenig Wirkung zeigt. Zu sehr ignoriert sie nicht nur die Lebensrealität von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, son-dern auch medizinisch-wissenschaftliche Da-ten und Erkenntnisse aus der Public-Health-Wissenschaft zur Wirksamkeit von Maßnah-men der Gesundheitsförderung.

Daran wird auch deutlich, dass es bei Abstinenz-Belehrungen nicht darum geht, Menschen zu befähigen, sondern darum, dass sie gehorsam sind. Sie sollen vor sich selbst geschützt werden, denn man traut ihnen nicht zu, selbstbestimmt verantwortlich zu handeln. Der erhobene Zeigefinger und die simplen Vorschriften für den „korrekten“ Um-gang mit Drogen zeugen von einem Men-schenbild, das eher ins neuzehnte als ins einundzwanzigste Jahrhundert gehört.

Das alte erzieherische Verständnis wurde mittlerweile in der praktischen Präventions-arbeit zum Teil von der Wirklichkeit überholt.

Doch ähnlich wie etwa bei Substitutionsbe-handlungen wirken akzeptierende Ansätze trotz und nicht wegen des Betäubungsmittel-rechts und die Handelnden stehen teils in Gefahr, sich strafbar oder zumindest bei ihren Trägern sehr unbeliebt zu machen (siehe u.a.

Ullmann in diesem Band). Ebenso wie Ärztin-nen und Ärzte von Rechts wegen zum Teil internationale Leitlinien missachten müssen, wird es Menschen in der Prävention schwer gemacht, die Erkenntnisse der Public-Health-Wissenschaft anzuwenden. Hier müsste die Förderung gesundheitlicher Ressourcen, drogenbezogen etwa die Förderung der Kon-sum-kompetenz, weit oben auf der To-do-Liste stehen.

Ohne Partizipation der Betroffenen und letztlich eine gemeinsame individuelle Ent-scheidungsfindung findet Präventionsarbeit nur wenig Akzeptanz. Das stört viele politisch Verantwortliche kaum, können sie doch mit ihren Kampagnen allen zeigen, wie „ernst“ sie den Kampf gegen die Drogen nehmen.

61 Konsumierende verstehen

Voraussetzung für eine wirksame Präven-tionsarbeit ist das Verständnis davon, warum jemand zu berauschenden Mitteln greift und bereit ist, dafür gesundheitliche Risiken in Kauf zu nehmen. Doch gerade die Konsum-motivation und ihre Einflussfaktoren sind für viele Konsumenten- und Substanzgruppen nur unzureichend untersucht. Sicherlich ist der Ausdruck „Man hat nicht das Problem wegen der Droge, sondern nimmt die Droge wegen des Problems“ zu kategorisch gedacht.

Trotzdem lohnt es sich, das vorherrschende Verständnis von Ursache und Wirkung einmal umzudrehen und mit der Präventionsarbeit dort zu beginnen, wo der Wunsch nach Reali-tätsflucht als Problemlösungsstrategie ent-steht. Wir wissen, dass sehr viele Menschen mit einer Suchterkrankung eine psychia-trische Ko-Erkrankung aufweisen. Bekannt ist auch etwa der hohe Anteil an Frauen, die vor ihrer Suchterkrankung durch sexualisierte Gewalt traumatisiert worden sind. Das macht deutlich, dass gute Drogenprävention im Rahmen einer Gesundheitsförderungsstrate-gie auch die Ursachen problematischen Dro-genkonsums verstehen und angehen muss.

Sicher entziehen sich viele individuelle Probleme der direkten politischen Beein-flussung. Aber umgekehrt müssen politische Maßnahmen auf ihre Auswirkungen auf Ge-sundheitschancen, auch in Bezug auf Schädi-gungen durch Substanzkonsum hin überprüft werden.

Drogenbezogene Probleme sind nicht allein innerhalb der Drogenpolitik lösbar

Nur wer abstinent ist oder die Abstinenz anstrebt, verdient gesellschaftlichen Rückhalt – so die Botschaft, die sich wie ein roter Faden durch die Drogenpolitik der letzten Bundesregierungen zieht, nicht nur in der offiziellen Präventionsstrategie. Einige weitere Beispiele: Therapien müssen laut Gesetz bzw.

Verordnung vorwiegend das Abstinenzziel verfolgen und damit zum Teil medizinische Leitlinien missachten. Konsumierende von sogenannten „harten Drogen“ werden grund-sätzlich als charakterlich ungeeignet zum Führen eines Fahrzeugs angesehen – im

Gegensatz zum Umgang mit Alkoholsündern unabhängig davon, ob die Verkehrssicherheit tatsächlich gefährdet wurde (siehe Pütz in diesem Band). Wer durch schlechte Drogen-qualität zu Schaden kommt, ist nach kon-servativer Logik selbst schuld, denn nur abstinente oder wenigstens alkoholkonsu-mierende Menschen verdienen einen Ver-braucher- oder Jugendschutz.

Der Konsum illegalisierter Drogen stellt nach vorherrschender Sicht vorwiegend ein gravie-rendes persönliches Versagen dar. Diese Herangehensweise widerspricht allen wissen-schaftlichen Erkenntnissen, wonach der Kon-sum und die Abhängigkeit von Substanzen von einer Vielzahl gesellschaftlicher, sozialer und nicht zuletzt biologischer Faktoren ab-hängen. Sie ermöglicht es der Politik allerdings, eine Mitverantwortung für drogen-bezogene Probleme von sich zu weisen.

Stattdessen kauft sie sich mit „Aufklärungs-kampagnen“ und anderen Feigenblättern frei von ihrer Aufgabe, für gesundheitsförderliche Lebenswelten Sorge zu tragen. Drogenprä-vention im politischen Sinn darf nicht dabei stehen bleiben, die sozialen Auswirkungen anderer Politikfelder abzufedern.

Vielmehr spielt der salutogenetische Ansatz eine entscheidende Rolle: Welche Anfor-derungen stellt das Leben an mich und welche Lösungsressourcen stehen mir zur Verfügung? Aufgabe guter Gesundheitsför-derung ist es, diese gegenläufigen Größen in ein „gesundes“ Verhältnis zueinander stellen.

Nur so werden tatsächlich die Ursachen von problematischem Drogenkonsum angegangen - und zugleich die Ursachen anderer vermeid-barer Krankheiten. Der Erhalt von Gesundheit als psychisches, physisches und soziales Wohlbefinden (Definition der Weltgesund-heitsorganisation) ist der Schlüssel dafür, drogenbedingte Probleme zu vermeiden.

Drogenkonsum als individuelles Defizit zu begreifen und gesetzlich zu verbieten, zeugt auch unter diesem Gesichtspunkt von bemer-kenswerter Kurzsichtigkeit.

Letztlich muss es bei erfolgreicher Prävention (um bei dem drogenpolitisch gebräuchlichen Begriff zu bleiben) um die Förderung von

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Lebenskompetenzen und Gewährleistung von Teilhabechancen gehen. Auch hier greift der paternalistische „Du sollst“-Ansatz nicht. Teil-habe und selbstbestimmtes Leben sind vor allem durch gute und gleiche Chancen etwa in Bildung, Gesundheit und gesellschaftlicher Mitbestimmung zu erreichen. Nur wer sein Leben und seine Umwelt als gestaltbar erlebt, wird Rauschmittel nicht als Problemlösung missverstehen und entsprechend mit diesen umgehen können. Dass etwa Bildungs- und Gesundheitschancen und auch Drogenkon-sum häufig entscheidend vom Sozialstatus abhängen, ist wissenschaftlich unumstritten.

Viele Untersuchungen deuten darauf hin, dass der Weg zu mehr Chancengleichheit effektiv nur über mehr Verteilungsgerechtig-keit zu erreichen ist. Daher ist Drogenpräven-tion – wie andere Maßnahmen der Gesund-heitsförderung – hochpolitisch. Vielleicht fällt es vielen politischen Akteuren deshalb so schwer, die gesellschaftliche und wissen-schaftliche Realität zur Kenntnis zu nehmen.

Drogenkonsum ist immer auch ein Spiegel der Gesellschaft. Es ist kein Zufall, dass in unserer Leistungsgesellschaft die Tendenz weg von Opiaten hin zu aufputschenden und stimulierenden Substanzen geht. Auch dass etwa in Griechenland im Zuge der Staatskrise der Drogenkonsum massiv angestiegen ist, verwundert nicht. Warum fällt aber die Ein-sicht so schwer, dass eben nur gesellschaft-liche Veränderungen effektiv das Drogen-Konsumverhalten verändern können?

Drogenprävention im politischen Sinn darf nicht dabei stehen bleiben, die sozialen Aus-wirkungen anderer Politikfelder abzufedern.

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