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Mediatoren in der Drogenszene Partizipative Gesundheitsförderung

Im Dokument Alternativer Drogen- und Suchtbericht (Seite 108-112)

mit russischsprachigen Drogen-gebrauchern

1. Vorbemerkungen Ausgangslage

Die aidshilfe dortmund hält ein breites Spektrum zielgruppenspezifischer Leistungen vor, zu denen auch die niedrigschwellige Drogenhilfeeinrichtung „kick“ zählt.

Diese in Dortmund szenenächste Anlaufstelle für Konsumenten illegaler Drogen integriert ein Kontaktcafé, Beratungsangebote, medizi-nische Hilfen und einen Drogenkonsumraum.

Dortmund verfügt über ein relativ gut ausgebautes und differenziertes Drogenhilfe-netz; Drogengebraucher mit Migrationshinter-grund allerdings nahmen die Angebote bis-lang kaum wahr. Die Ursachen dafür er-scheinen vielfältig: so spielen kulturelle und teils auch Sprachbarrieren eine Rolle, ein Misstrauen in vermeintlich staatlich-behörd-liche Institutionen und Einrichtungen sowie auf der Seite der Hilfeorganisationen ebenso ein gewisser „Argwohn“ dieser Klientel gegen-über. Zudem sind kultursensible Kompe-tenzen wenig verbreitet; hauptamtliche Mitar-beiter mit Migrationshintergrund gibt es kaum.

All dies wog insofern umso schwerer, als nach unseren Erfahrungen die gesundheits-präventiven Kenntnisse und Kompetenzen dieser Drogenkonsumenten (Safer Use, Safer Sex) sehr unzureichend waren.

Ziele und Prinzipien

Mit dem Projekt „Gesundheitsmediatoren“

sollte nunmehr ein Ansatz entwickelt werden, über den Drogenkonsumenten mit Migrations-hintergrund für gesundheitsfördernde Bot-schaften und Angebote erreicht werden.

Die Partizipation der Betroffenen war dabei das zentrale Prinzip: Aufgrund der großen Hemmschwellen sollten Szeneangehörige selbst als „Gesundheitsbotschafter“ fungieren und aufsuchend – in der offenen Szene und in einzelnen Communities – Informationen, Materialien und Zugänge in das Hilfesystem vermitteln.

Die aidshilfe stellte den Mittlern oder

„Mediatoren“ einen unterstützenden Rahmen (Fachwissen, Materialien, kontinuierliche Be-gleitung und Projektkoordination) zur Ver-fügung.

Vorannahmen und Problemfelder

Die konsequente Beteiligung ausgewählter Zielgruppenangehöriger war also das wesent-liche Prinzip – und gleichzeitig die größte Schwachstelle der gesamten Projektkon-zeption, waren doch unsere Kontakte in diese Gruppe zuvor sehr begrenzt und von gegen-seitigem Misstrauen geprägt.

Auch waren wir uns unsicher, ob die

„russischen“ Drogengebraucher überhaupt ein Interesse an Gesundheitsförderung und einem Engagement für „Dritte“ haben, und ob die vorgesehenen Projektstrukturen für sie angemessen sein würden.

Hinzu kam, dass eine kontinuierliche Mitar-beit durch „suchtspezifische Ausfallzeiten“

(JVA, Entgiftung, exzessive Konsumphasen etc.) konterkariert werden könnte und unsere generellen Erfahrungen aus der Arbeit mit Schwerstabhängigen hinsichtlich Verbind-lichkeit, Ausdauer oder Zuverlässigkeit sehr ambivalent waren.

2. Umsetzung Rahmenbedingungen

Das Projekt wurde mit Mitteln der Deutschen AIDS-Hilfe aus dem Etat der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) geför-dert. Die Maßnahme wurde über eineinhalb Jahre durchgeführt.

Akquise

Im laufenden Betrieb des kick wurden poten-zielle Mediatoren aus der entsprechenden Zielgruppe vom hauptamtlich in der

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tung beschäftigten Projektkoordinator ange-sprochen.

Diese erste Phase einschließlich der orga-nisatorischen Vorbereitungen dauerte rund 4 Wochen.

6 russischsprachige Drogengebraucher wur-den schließlich ausgewählt, an der folgenwur-den Qualifizierungsphase teilzunehmen. Die Projektteilnehmer waren allesamt Besucher des kick, teils allerdings nur sporadisch; alle waren akut abhängig.

Schulungsphase

Um die späteren Mediatoren auf ihre Auf-gaben vorzubereiten, wurden sie über rund dreieinhalb Monate qualifiziert.

Unter der Leitung des Projektkoordinators fanden wöchentlich zweistündige Gruppen-treffen statt, in denen Basiswissen zu Themen wie HIV und Hepatitis, Übertragungswege, Safer-Sex- und Safer-Use-Strategien sowie zum Hilfesystem in Dortmund vermittelt wurde.

Im Anschluss an die Vermittlung der wesent-lichen Inhalte wurden gemeinsam die Vor-Ort-Einsätze geplant und vorbereitet, indem etwa spezielle Broschüren in russischer Sprache entwickelt oder eine „Infomappe“ über die Hilfestrukturen in Dortmund erstellt wurden.

Dadurch wurden einerseits die eingangs behandelten Themen vertieft, andererseits entstanden durch die direkte Beteiligung Materialien mit einem ausgeprägten Ziel-gruppenbezug.

Streetwork

Das Mediatorenteam agierte nach der Quali-fizierungsphase einerseits bei wöchentlichen Vor-Ort-Einsätzen, andererseits fungierten sie individuell auch außerhalb dieses festen Rahmens als Ansprechpartner und vermittel-ten gesundheitsfördernde Informationen in ihren unterschiedlichen subkulturellen Milieus.

Dazu hatten sie die Möglichkeit, wöchentlich ihren „Projektrucksack“ mit Materialien im kick auffüllen zu lassen.

Auch in dieser Phase erfolgten regelmäßige Treffen mit dem Projektkoordinator, der zu-dem stets als Ansprechpartner zur Verfügung stand.

3. Bewertung und Empfehlungen Gewinnung von Mediatoren

Entscheidend war eine sorgfältige Auswahl der Projektteilnehmer. Wichtig war, dass der Projektkoordinator sich im kick tagtäglich einen differenzierten Überblick über die Szene verschaffen konnte – über Beobach-tungen, Gespräche mit Klienten etc.

Auf diese Weise konnten Szeneangehörige ausgewählt werden, die in der Community anerkannt waren – alleine dadurch gewannen die vermittelten Informationen deutlich an Gewicht und Glaubwürdigkeit.

Entwicklung von Kontinuität und Verlässlichkeit

Unsere Befürchtungen hinsichtlich Motivation, Verbindlichkeit oder Durchhaltevermögen erwiesen sich als unbegründet. Ganz im Gegenteil zeigte sich rasch, dass russisch-sprachige Drogengebraucher über ein hohes Solidaritätsempfinden verfügten und eine hohe Motivation, sich untereinander zu unter-stützen. Sie wirkten trotz eines nur geringen monetären Anreizes äußerst verbindlich und kontinuierlich mit.

Natürlich hatten Mediatoren immer wieder individuell problematische Phasen, die aber dann einerseits vom Projektkoordinator the-matisiert wurden, zum anderen entwickelten sich unter den Projektteilnehmern gewisse

„Selbstregulierungsmechanismen“.

Entscheidenden waren sicherlich die vielfäl-tigen Möglichkeiten der Mediatoren, sich sehr konkret einzubringen, sowie das hohe Maß an Anerkennung und Bestätigung, das sie durch ihre Mitarbeit gewannen. Die sie von der Szene abhebende Sonderstellung als Projek-tmitarbeiter war ein ganz wesentlicher Motiva-tionsfaktor.

Als weiteren Motivationsanreiz erhielten die Mediatoren schließlich zum einen eine wöchentliche Aufwandsentschädigung von 10

€. Darüber hinaus wurden sie mit günstigen Monatstickets für den ÖPNV ausgestattet, damit sie auch unabhängig von den gemein-samen Einsatzzeiten flexibel in ihren Com-munities agieren konnten. Beides hatte eben-falls einen motivierenden Aspekt, diente aber

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Mitarbeit.

Safer Use und Safer Sex

Bestätigt hat sich die Annahme, dass die russischsprachigen Drogengebraucher nur über einen sehr begrenzten Wissensstand zu Safer Use verfügten, Mythen u.ä. hielten sich hartnäckig.

Die Veränderung derart stabiler und

„tradierter“ Haltungen und Verhaltensweisen erforderte daher in den Schulungen ausrei-chend Raum für eine intensive Auseinander-setzung, bei den Vor-Ort-Einsätzen lag der Schwerpunkt in gleicher Weise auf der Vermittlung von Basisinformationen.

Schwierig war das Thematisieren von HIV/

Aids. Krankheiten scheinen in der russisch-sprachigen Community schon grundsätzlich enorm tabuisiert, für HIV als „Schwulenkrebs“

galt das ganz besonders. Entsprechend war eine offene Kommunikation über HIV und Safer Sex kaum möglich – einschließlich der offenen Abgabe von Kondomen. Wir lösten dies ansatzweise, indem wir z. B. in die beim Streetwork verteilten „Care-Packs“ per se Kondome und Informationen hinzugaben.

Schulungskonzept

Im Vorfeld wurde zwar ein grobes Curriculum entwickelt, in der Umsetzung aber erwies sich ein flexibler Ablauf als sehr viel wirkungs-voller.

Die tatsächliche Abfolge orientierte sich maßgeblich an aktuellen Fragestellungen der Projektteilnehmer aus dem Alltag. Zentrale Herausforderung für den Projektkoordinator war somit, neben den „auf der Hand liegen-den Themen“ immer passende wieder An-knüpfungspunkte aus der gegenwärtigen Lebensrealität zu finden bzw. herzustellen.

Es wurde viel visualisiert, unterschiedlichste Medien wie Videos, Internetseiten, Power-point-Präsentationen oder Broschüren wurden genutzt. Generell standen aber gemeinsame Diskussionen und Problemlösungen im Fokus, nicht Vorträge.

Personelle Umsetzung

Die gemeinsamen Streetwork-Einsätze des

Projektteams wurden in zwei unterschied-lichen Formen durchgeführt:

Im ersten Projektdurchlauf waren die Media-toren gemeinsam am zentralen Szenetreff-punkt in der Dortmunder Nordstadt aktiv, nur anfangs wurden sie dabei vom Projekt-koordinator begleitet.

In der „follow-up-Phase“ wurde dieses Kon-strukt dann nochmals modifiziert: Das Media-torenteam wurde vom Projektkoordinator begleitet, unterschiedliche Szeneorte wurden mit einem Kleinbus angefahren.

Beide Modelle erwiesen sich als praktikabel:

Das Streetwork ohne hauptamtlichen Mitar-beiter war (noch) ressourcenschonender und ggf. „basisnäher“, die Präsenz eines Sozial-arbeiters hingegen erhöhte nochmals die Reichweite. Inhaltlich konnten auch weiter-gehende Anliegen beantwortet werden, die Unterstützung durch ein Fahrzeug erhöhte den Einsatzradius, und die Anwesenheit des Projektkoordinators vermittelte den Media-toren Sicherheit, insbesondere in der Kommu-nikation mit Vertretern von Ordnungsamt oder Polizei.

Letztlich waren beide Modelle wirkungsvoll und wären auch in Kombination denkbar. Die Koordination des Gesamtprojektes durch einen hauptamtlichen, möglichst regelmäßig für die Mediatoren verfügbaren Mitarbeiter erwies sich allerdings als unerlässlich.

Wichtig war schließlich, dass das Projekt in der Einrichtung gut verankert war und von allen Mitarbeitern getragen wurde – auch diese fungierten für die Mediatoren immer wieder als wichtige, zunehmend vertrauens-volle Ansprechpartner.

4. Schlussfolgerungen: Zielerreichung und Effekte

Sämtliche vorab formulierten Ziele wurden erreicht, diesbezüglich war das Projekt absolut erfolgreich. Beispielhafte Aspekte:

- Nicht nur konnten kontinuierlich wöchent-liche Streetwork-Einsätze des Mediatoren-teams realisiert werden, darüber hinaus agier-ten die Mediatoren regelmäßig in ihren Communities. Monatlich haben dadurch zwischen 150 und 200 Face-to-face-Kontakte stattgefunden – ein nicht erwarteter Erfolg.

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- Alleine im letzten halben Jahr der Projekt-laufzeit wurden mehr als 6.000 benutzte Spritzen durch die Mediatoren entsorgt – und im Gegenzug neue Konsumutensilien aus-gehändigt.

Stabilisierung der Projektteilnehmer

Das Selbstvertrauen der Mediatoren hat sich sehr positiv entwickelt. Das regelmäßige Engagement hat die Strukturierung des All-tags erleichtert und wiederum die Selbst-sicherheit gefördert.

Bei allen Mediatoren hat eine psychosoziale Stabilisierung zu stabileren Konsummustern beigetragen, zwei von ihnen haben im Projekt-verlauf eine Substitutionsbehandlung aufge-nommen, einer eine Interferonbehandlung.

Gleichwohl hat es auch einen tragischen Moment gegeben: Einer der Mediatoren starb kurz nach Projektende an einer Überdo-sierung.

Zugänge in Drogenhilfe eröffnen

Faktisch hat das Projekt eine Brücke von einer bislang vom Hilfesystem kaum erreich-ten Zielgruppe in die niedrigschwellige Dro-genhilfe geschlagen.

Auf der einen Seite hat das Projekt die Hemmschwellen russischsprachiger Drogen-konsumenten zur Nutzung des kick deutlich reduziert. Der Einrichtung und ihren Mitar-beitern wird in „der“ Szene heute sehr viel mehr vertraut, die Anzahl der russisch-sprachigen Besucher ist merklich gestiegen.

Auf der anderen Seite haben sich auch die Haltungen vieler Mitarbeiter zu „den Russen“

deutlich gewandelt: Herrschten ein gewisses Misstrauen und eine grundsätzliche Distanz aufgrund der kulturellen und sprachlichen Unterschiede vor, hat sich ein sehr viel realistischeres und objektives Bild entwickelt.

Gesamtfazit

Drogengebraucher haben durchaus ein aus-geprägtes Gesundheitsbewusstsein – es braucht „nur“ die passenden Unterstützungs-angebote. Die – sicherlich nicht revolutionäre – Grund-idee, „key-persons“ in die praktische Arbeit einzubinden und ihnen dabei einen unter-stützenden organisatorisch-personellen Rah-men zu bieten, in dem sie ihre

Ressour-cen nutzen können, hat sehr gut funktioniert und ist auf andere Zielgruppen und Arbeits-bereiche der Gesundheitsförderung übertrag-bar.

Voraussetzung aber ist, den Projektteilneh-mern mit einem hohen Maß an Respekt zu begegnen, ihre Bedürfnisse, die Szenestruk-turen und kulturellen Eigenarten zu akzep-tieren und ihnen Raum zu geben, das Projekt tatsächlich mitzugestalten. Das bedingt nicht zuletzt bei den „professionellen“ Helfern u. a.

die Fähigkeit, eigene Deutungs- und Hand-lungsmuster zu hinterfragen.

Es handelt sich insgesamt um einen äußerst effektiven Ansatz mit vielen Möglichkeiten des „Empowerments“, der gleichwohl die ent-sprechenden Rahmenbedingungen wie eine gesonderte finanzielle Ausstattung benötigt.

Wenngleich diese vergleichsweise gering ist, ist eine Fortführung des Projektes in Dortmund daran leider gescheitert – die posi-tiven Effekte allerdings werden bei uns nachhaltig wirken.

Gesundheitspolitisch zeigt sich hier wieder einmal, dass das Drogenhilfesystem nach wie vor relativ starr ist und ideologische Trenn-linien noch immer wirken.

Innovative Ansätze, insbesondere solche mit ausgeprägter Zielgruppenorientierung und -beteiligung, lassen sich unter den aktuellen Bedingungen nur schwerlich, geschweige denn langfristig realisieren – trotz zahlreicher anderslautender „Sonntagsreden“ auch zu unserem Mediatorenprojekt.

Der gesundheitspolitische Anspruch bedarfs-orientierter Hilfen und die alltägliche Praxis vor Ort klaffen so weiter auseinander – wobei selbstkritisch angemerkt sei, dass daran auch die Träger (-Vertreter) mit ihrem stark aus-geprägten Interesse an „Systemerhalt“ und Bestandssicherung einen Anteil haben.

- http://www.aidshilfe-dortmund.de/31-news/255-mediatorenprojekt-erhaelt-bundespraeventionspreis - http://aidshilfe.de/de/aktuelles/meldungen/hans-

peter-hauschild-preis-fuer-das-dortmunder-drogenprojekt-kick

- http://aidshilfe.de/de/aktuelles/meldungen/30- jubilaeum-glueckwuensche-fuer-die-deutsche-aids-hilfe

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Sandra Köhler

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Im Dokument Alternativer Drogen- und Suchtbericht (Seite 108-112)

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