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Wie die Realität neue Wege in der Drogenpolitik aufzwingt

Im Dokument Alternativer Drogen- und Suchtbericht (Seite 167-171)

Einleitung

Die Diskussion um die Einrichtung legaler Abgabestellen für Cannabis („Coffeeshop“) im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg hat in Deutschland und teilweise sogar europa- und weltweit für Aufsehen gesorgt. Im Folgenden sollen Hintergrund und Ziel dieser Idee beschrieben sowie die einzelnen Schritte dorthin kurz skizziert werden. Abschließend wird auf die Reaktionen verschiedenster Akteure eingegangen. Insgesamt zeigt sich eine prinzipielle Offenheit für eine pro-gressivere Drogenpolitik in Bevölkerung und Medien sowie breites Interesse an einer differenzierten Debatte. Politische Gegner einer Entkriminalisierung verweisen oft auf rechtlich-formale Hindernisse und diskutieren selten auf politisch-fachlicher Ebene, was den Eindruck einer gewissen argumentativen Hilflosigkeit vermittelt. Der Vorwurf der Ver-harmlosung des Cannabiskonsums scheint dabei ein letztes Argument zu sein.. Dabei wird auch von Befürwortern einer Cannabis-Entkriminalisierung stets auf die Risiken hin-gewiesen, während auf der anderen Seite deren Gegner nicht bereit scheinen, die Schäden durch Strafverfolgung ernst zu nehmen.

Hintergrund und Entstehung – wie kam es zu der Initiative?

Dass auch in einem illegalisierten Markt die Nachfrage das Angebot bestimmt, wurde Sommer 2013 im Görlitzer Park in Kreuzberg immer deutlicher. Obwohl schon immer ein Ort, an dem insbesondere Cannabis gehan-delt wurde, hatte es 2013 eine spürbare Zu-nahme des Drogenhandels im Park

gegeben126. Immer mehr Händler sprachen teilweise aufdringlich und offensiv Passant/

innen und Parknutzer/innen an. Der Unmut darüber wuchs gerade in Teilen der Anwoh-nerschaft und selbst zur Zurückhaltung mah-nende Stimmen gestanden ein, dass etwas passieren müsse127. Kritik und Beschwerden blieben dabei bemerkenswert differenziert: Im Fokus standen vor allem die als Belästigung empfundene Art und Weise des Handels, seine stark gestiegene, nicht mehr tolerier-bare Präsenz an den Eingängen des flächen-mäßig kleinen Parks sowie die teils abstrakte, teils konkrete Sorge um vermeintlich ange-sprochene Kinder. Dabei wurde stets Vers-tändnis für die Situation der Händler ge-äußert, welche zu einem Großteil afrikanische Flüchtlinge waren und sind.128

Vor allem Medien griffen das Thema während des Sommerlochs dankbar auf und trugen durch teils skandalisierende und überzogene Berichterstattung („Im Görlitzer Park eskaliert die Gewalt“ 129) zur Verschärfung des Kon-flikts und seiner Diskussion über die Bezirks-grenzen hinaus bei130. Die Polizei steigerte die Zahl der Razzien und Durchsuchungen und zeigte fast täglich Präsenz im Park. In den ersten drei Quartalen 2013 kam die Polizei auf 113 Einsätze und 7.749 Einsatzstun-den131. Wie unter einem Brennglas zeigte die       

126

http://www.tagesspiegel.de/berlin/drogenumschlagp latz-in-berlin-kreuzberg-ich-gebe-den-jungs-hier-keine- schuld-meinungen-zum-drogenhandel/8525058-2.html

127

http://www.morgenpost.de/bezirke/friedrichshain- kreuzberg/article118399116/Im-Goerlitzer-Park-in-Kreuzberg-eskaliert-die-Gewalt.html

128 http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-91768486.html

129

http://www.morgenpost.de/bezirke/friedrichshain- kreuzberg/article118399116/Im-Goerlitzer-Park-in-Kreuzberg-eskaliert-die-Gewalt.html

130

http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/kriminalitaet /drogenhandel-im-goerlitzer-park-ein-spalier-aus-dealern-12614165.html

131

http://www.berlin.de/sen/inneres/presse/pressemitt eilungen/2013/pressemitteilung.35844.php

161 Situation im Görlitzer Park die Nutzlosigkeit

der Prohibition auf, denn trotz täglicher Polizeikontrollen gab es nicht die geringste Entschärfung; der Handel blieb davon weitest-gehend unbeeindruckt 132 . Während der Innensenator die Bemühungen seitens der Polizei betonte, konnte er keine Angaben zur sichergestellten Menge an Drogen, Ergeb-nissen der Ermittlungsverfahren oder Kosten der Einsätze machen133 und verstärkte damit den Eindruck der Erfolglosigkeit der polizei-lichen Strategie134. In dieser medial aufge-heizten Situation und vor dem Hintergrund weitgehend wirkungsloser Razzien schlug der damalige Bezirksbürgermeister von Frie-drichshain-Kreuzberg, Franz Schulz, eine le-gale Verkaufsstelle für Cannabis vor. Sein Ziel: dem Schwarzmarkt das Wasser abgra-ben 135 . Diese Idee wurde von Anwoh-ner/innen an ihn herangetragen. Unter seiner Nachfolgerin Monika Herrmann, die gleich-zeitig Stadträtin für Jugend und Gesundheit ist, wurde diese Idee gemeinsam mit der grünen Fraktion im Bezirksparlament und dem bezirklichen Parteivorstand der Grünen nicht nur aufgenommen, sondern gesund-heits- und jugendpolitisch qualifiziert: Auf Antrag der Grünen beauftragte das Bezirks-parlament von Friedrichshain-Kreuzberg mit Stimmen der SPD, Linken und Piraten Ende November 2013 die Bezirksbürgermeisterin damit, eine Ausnahmegenehmigung im Sinne von §3 des Betäubungsmittelgesetzes zu stellen, um eine legale, kontrollierte Abgabe von Cannabis am Görlitzer Park sowie an weiteren Stellen in Friedrichshain-Kreuzberg zu ermöglichen 136 . Dies erfordere das

      

132 http://www.berliner-zeitung.de/polizei/drogen-im-

goerlitzer-park-nach-der-razzia-ist-vor-der-razzia,10809296,24922256.html

133 http://dirk-behrendt.net/wp- content/uploads/2014/01/Anfrage-DrogenrazzienGoerli.pdf

134 http://www.taz.de/!131167/

135

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=

ba&dig=2013%2F07%2F23%2Fa0123&cHash=c558 2d8acb7744d1fa643b8ed4594042

136 http://www.berlin.de/ba-friedrichshain-

kreuzberg/bvv-Nachweisen eines wissenschaftlichen oder anderen öffentlichen Interesses. Ausdrücklich wird darauf hingewiesen, dass eine kontrol-lierte Abgabe im Sinne von Prävention, Ge-sundheits- und Jugendschutz sowie einer frühzeitigeren Erreichbarkeit von Menschen mit problematischen Konsummustern erfol-gen müsse.

Rechtliche Möglichkeiten und Schritte zur Realisierung

Die Initiative möchte einen Spielraum nutzen, den das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) lässt. In §3 (2) BtMG heißt es, dass „das Bun-desinstitut für Arzneimittel und Medizin-produkte nur ausnahmsweise zu wissen-schaftlichen oder anderen im öffentlichen Interesse liegenden Zwecken [eine Ausnahme vom absoluten Verkehrsverbot] erteilen [kann]“. Ziel ist es, eine solche Ausnahme-genehmigung zu erhalten, also Cannabis kontrolliert und legal abgeben und vielleicht sogar produzieren zu dürfen. Dazu muss nicht nur das besagte öffentliche oder andere wissenschaftliche Interesse nachgewiesen, sondern auch die in §5 BtMG definierten Gründe für das Versagen einer Erlaubnis nach

§3 BtMG ausgeschlossen werden.

Vorgesehen sind mehrere Fachkonferenzen mit Expert*innen, welche zu spezifischen Fragestellungen tagen sollen, z.B. welche wissenschaftlichen Fragestellungen im Zuge einer kontrollierten Abgabe wie untersucht werden können, wie viele Abgabestellen im Bezirk nötig sein würden, woher das Cannabis bezogen werden könnte etc. Explizit er-wünscht ist auch die Einbindung von Anwoh-ner/innen. Wissenschaftliche Fragestellungen könnten sein: Lässt sich mit einer kon-trollierten Abgabe ein besserer Jugendschutz durchsetzen? Kann Präventionsarbeit effek-tiver erfolgen, z.B. durch enge Anbindung bzw.

Zusammenarbeit mit einem Träger? Ist ein wirksamer Verbraucher/innenschutz und somit auch ein gezielterer Konsum durch eine

       

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legale Abgabe möglich? Wird dem Schwarz-markt die Nachfrage entzogen?

Am Ende dieses Klärungsprozesses soll ein Antrag auf eine Ausnahmegenehmigung an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gestellt werden.

Reaktionen auf die Initiative

Hatte der Vorschlag von Franz Schulz bereits hohe Wellen in der Berliner Presselandschaft geschlagen, eroberte das Thema im Lauf des Spätsommers und Herbstes auch über-regionale Medien (ZDF, RTL, Spiegel, Stern, Zeit etc.). Die Antragstellung und –be-schließung im Kommunalparlament sorgte für weiteres Medienecho, vom Rolling Stone über Vice bis nach Italien und Spanien. Selbst Radio Moskau und einige brasilianische Journalisten zeigten Interesse. Dabei wich die anfangs eher schlagwort-orientierte Berichter-stattung („Coffeeshop in Kreuzberg“) bald einer differenzierteren, in der Expert/innen zu Wort kamen, pro und contra abgewogen und Erfolgschancen bewertet wurden137138.

Zusätzlichen Aufwind bekam das Thema durch die Entkriminalisierung in Uruguay sowie im US-Bundesstaat Colorado ab 2014 und durch die Petition von Prof. Dr. Lorenz Böllinger, der gemeinsam mit fast der Hälfte aller deutschen Strafrechtsprofessor*innen den Bundestag auffordert, Cannabis zu ent-kriminalisieren 139 . Insgesamt kann man feststellen, dass sich gerade vor dem Hinter-grund eines immer mehr als gescheitert be-trachteten „War on Drugs“, die Entkrimi-nalisierung von Cannabis weltweit als gang-bare Option mehr und mehr durchsetzt.

Innerhalb der Anwohnerschaft stieß die Idee auf kritisches Interesse. Schnell zeichnete sich ab, dass dem prinzipiellen Anliegen einer Entkriminalisierung nicht viele entgegen-      

137 http://www.n-tv.de/politik/Der-Irrweg-der-deutschen-Drogenpolitik-article11907176.html

138 http://www.zeit.de/gesellschaft/2013-12/coffeeshops-in-berlin

139

http://www.lto.de/recht/hintergruende/h/strafrechtl er-petition-bundestag-cannabis/; siehe auch Böllinger in diesem Band

standen. Gegenstand lebhafter Diskussion waren vielmehr Details konkreter Ausgestal-tungen, z.B. drohender Drogentourismus, Zukunft der mit Gras handelnden Personen, konkreter Umgang mit der Situation im Park etc.

Träger der Drogen- und Suchtberatung zeigten sich offen für die Diskussion des Projekts und signalisierten teilweise Zustimmung. So sagte Edgar Wiehler von der Kreuzberger Drogen-beratungsstelle Misfit in der Berliner Zeitung, er sei „von der Idee begeistert, weil sie der Diskussion eine neue Richtung gibt“ und fordert den Senat auf, die Idee aufzu-greifen140. Astrid Leicht von fixpunkt e.V.

äußerte sich ähnlich positiv141. Auffällig dabei ist, dass die Zustimmung dort am größten ist, wo der direkte Kontakt mit konsumierenden Klient/innen besteht. Doch auch in anderen Teilen der Fachwelt stößt die Idee auf Interesse. Prof. Dr. Ulrich Gassner von der Universität Augsburg räumte dem Projekt rechtliche Chancen ein und stellte heraus, dass ein öffentliches Interesse wie im Gesetz gefordert durchaus bestehen könne. Zudem kritisierte er die machtvolle Stellung des BfArM als „Schiedsrichter über wissenschaft-liche Wertigkeit“142.

Innerhalb der Politik wurde die Initiative vom konservativen Lager abgelehnt, wobei bemer-kenswerterweise vor allem formal und wenig inhaltlich argumentiert wurde. Berlins Gesundheitssenator Czaja (CDU) sagte Anfang November im Berliner Abgeordnetenhaus, erklärte er halte das Vorhaben für unrea-listisch und falsch. Es liege kein öffentliches Interesse vor 143 . Ähnlich äußerten sich Justizsenator Heilmann (CDU) und Innen-      

140 http://www.berliner-zeitung.de/ueber-berlin- reden/drogenberatung-misfit-die-drogen-der-kreativen-in-berlin,20812554,25863594.html

141 http://www.berliner-zeitung.de/berlin/goerlitzer- park-kreuzberg-coffeeshop---einen-versuch-ist-es-wert,10809148,25468494.html

142

http://www.lto.de/recht/hintergruende/h/cannabis-marihuana-berlin-coffeeshop-kreuzberg/2/

143

http://www.rbb- online.de/politik/beitrag/2013/11/bezirk-und-senat-streiten-um-coffeeshop-in-kreuzberg.html

163 senator Henkel (CDU), welcher immerhin

zugestand, dass Polizeieinsätze das Problem nicht lösen könnten144. Auch die Drogen-beauftragte des Landes Berlin, Christine Köhler-Azara, teilt die Skepsis. In einem Interview mit dem Inforadio des RBB am 28.1.2014145 räumte sie zwar ein, dass es viele Cannabis-User gebe, die „mit ihrem Konsum einigermaßen zurechtkommen“. Das Problem sei allerdings komplex und mit einer Legalisierung nicht zu lösen. Zudem sei ein öffentliches bzw. wissenschaftliches Interes-se, wie laut Gesetz erforderlich, nicht ersicht-lich. Es sei darüber hinaus zunehmender Drogen-Tourismus zu befürchten. All diesen Äußerungen ist gemein, dass sie sich kaum mit dem Thema selbst auseinandersetzen, nämlich den Auswirkungen der aktuellen Drogenpolitik. Bis auf ein paar Allgemein-plätze wie „Cannabis ist keine harmlose Substanz“ (Heilmann) oder einen eher vagen Verweis auf die Gefahren für Jugendliche wird kaum auf die inhaltlichen, drogenpolitischen Argumente für eine entkriminalisierte Abgabe eingegangen, geschweige denn die aktuelle Situation im Görlitzer Park zur Kenntnis bzw.

das Interesse der Anwohner/innen ernst genommen. Insbesondere ist auffällig, dass keine Alternativvorschläge zur Lösung des Problems vorgebracht werden (können). Der Eindruck, der so entsteht, ist der einer defensiven, wenig fachlichen Herangehens-weise an die Auswirkungen der aktuellen Drogenpolitik seitens konservativer Politiker/

innen, welche mitunter hilflos und ideologisch wirkt.

Ein vorgebrachter fachlicher Einwand gegen eine Entkriminalisierung betrifft die vermeint-liche Signalwirkung einer Entkriminalisierung v.a. auf Jugendliche. So warnte Nicolo Witte von „Keine Macht den Drogen“ vor einem verharmlosenden Signal, weil vermittelt       

144

http://www.berlin.de/sen/inneres/presse/pressemitt eilungen/2013/pressemitteilung.35844.php

145

http://www.rbb- online.de/politik/beitrag/2014/01/coffeeshop- goerlitzer-park-berlin-drogenbeauftragte-koehler-azara.html

würde, die Schäden durch Cannabis-Konsum seien nicht so groß wie bisher ange-nommen146. Ebenso wurde vereinzelt stark gemacht, dass man neben Alkohol und Tabak nicht noch eine weitere legale Droge ge-brauchen könne. Dabei wird jedoch verges-sen, dass gerade die Nebenwirkungen des Verbotes meist größer sind – weder Jugend- noch Verbraucherschutz kann in der Prohi-bition effektiv betrieben werden, von einer frühzeitigen Aufklärung ganz zu schweigen.

Dennoch ist Akteuren wie Herrn Witte zuzugestehen, dass sie Interesse an einer fachlichen Debatte des Vorschlags zeigen, auch wenn das dahinter stehende Ziel einer möglichst abstinenten Gesellschaft fachlich und politisch äußerst diskussionswürdig ist.

Fazit

Die Diskussionen um legale Abgabestellen für Cannabis in Friedrichshain-Kreuzberg haben gezeigt, dass deutschlandweit die Bereit-schaft besteht, die Kriminalisierung des Konsums von Cannabis kritisch zu diskutie-ren, sowohl seitens der Bevölkerung als auch in der Fachwelt. Zudem scheint gesamtgesell-schaftlich zumindest ein Problembewusstsein zu existieren, wobei die Gegner einer Entkriminalisierung entweder, so von poli-tischer Seite, defensiv formal und eher inhaltsarm argumentieren oder, vonseiten mancher Verbände, vor der gesellschaftlichen Signalwirkung einer Entkriminalisierung war-nen. Hier muss zukünftig insbesondere auf die bisherige Wirkungslosigkeit der Straf-verfolgung auf die Konsumprävalenz hinge-wiesen werden. Der Vorwurf, man wolle Drogenkonsum verharmlosen oder gar bewer-ben, sollte konsequent ausgeräumt werden.

Sinnvoll ist darüber hinaus die Betonung der Präventions- und Jugendschutzbelange des Projekts. Denn eines ist klar: Die Prohibition ist gescheitert und muss endlich auf den Prüfstand.

      

146

http://www.sueddeutsche.de/panorama/drogenums chlagplatz-goerlitzer-park-coffeeshop-fuer-die-wissenschaft-1.1831530

164  C 3.1-2

Heidrun Behle, Jürgen Heimchen

Im Dokument Alternativer Drogen- und Suchtbericht (Seite 167-171)

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