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Sphärentheorie i. V. m. dem personalen Selbstbestimmungsrecht

Im Dokument Der Schutz vor unerwünschter Werbung (Seite 53-58)

Teil I Einleitung

A. Allgemeines Persönlichkeitsrecht, Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG

IV. Sphärentheorie i. V. m. dem personalen Selbstbestimmungsrecht

Auch wenn die Sphärentheorie vorwiegend Anwendung findet, um die Zulässigkeit des Her-ausdringens von Informationen aus dem persönlichen in den öffentlichen Bereich zu bestim-men171, kann dieser Ansatz auch für die persönlichkeitsrechtlichen Sachverhalte Anwendung finden, in denen es um das Eindringen von Informationen – insbesondere dem Aufdrängen von Werbung – geht. Die Vorgehensweise ist dabei keine andere als beim Schutz vor dem Heraus-dringen von Informationen, sodass im Vordergrund die Zuordnung der Werbebotschaft zu dem öffentlichen, dem privaten oder dem intimen Sphärenbereich steht. So kann die Sphärentheorie zusammen mit dem personalen Selbstbestimmungsrecht als stufenweise Einschränkung des

171 Vgl. nur BGH, GRUR 2009, 86 – Ernst August von Hannover.

Persönlichkeitsrechts herangezogen werden. Zunächst ist näher auf die Sphären und dem damit verbundenen Gewicht des Selbstbestimmungsrechts einzugehen.

1. Ubiquität des geschützten Bereichs und Sphärentheorie als Einordnungshilfe

Unter Anwendung der Sphärentheorie ist der geschützte Bereich des Einzelnen nicht auf einen bestimmten Ort oder eine bestimmte Zeit beschränkt, denn das Operieren mit quasi-räumlichen Grenzziehungen überzeugt nicht in einer Zeit, in der private und öffentliche Angelegenheiten sich auf den unkörperlichen digitalen Raum ausgeweitet haben.172 Örtliche und zeitliche Krite-rien können jedoch als Anhaltspunkte für die Beurteilung des konkreten Einzelfalls dienen.

Zunächst ist daher von einer Omnipräsenz des Persönlichkeitsrechts auszugehen. Diese Allge-genwärtigkeit hat zur Folge, dass grundsätzlich jede Werbemaßnahme einen Eingriff in den

„geschützten Bereich“ darstellt. Als Rahmenrecht ist jedoch erst im konkreten Einzelfall inner-halb der Rechtswidrigkeitsprüfung zu untersuchen, ob das personale Selbstbestimmungsrecht in einer Weise betroffen ist, in der eine rechtswidrige Verletzung bejaht werden muss.173 Dies ist immer dann der Fall, wenn das Werbeinteresse der Wirtschaft dem Interesse des Einzelnen von der Suggestivkraft der Werbung verschont zu bleiben unterliegt.174 Im Fortgang ist – an-knüpfend an bereits oben gemachte Ausführungen – näher auf die einzelnen Sphären einzuge-hen.

2. Intimsphäre

Die Intimsphäre des Menschen ist aufgrund der Nähe zur Menschenwürde unantastbar. Ein Eingriff ist unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht zu rechtfertigen.175

Ein Eingriff in die Intimsphäre liegt vor, wenn der zugrundeliegende Sachverhalt inhaltlich einen höchstpersönlichen Charakter hat.176 Beim Herausdringen von Informationen wurde dies beispielweise für das Anfertigen intimer Fotografien angenommen.177 Wenn es jedoch um das Eindringen in die Intimsphäre geht, sind Praxisfälle schwer vorstellbar. Ein solcher Eingriff ist denkbar, wenn der Werbende derart in den Rückzugsort des Individuums eindringt, dass er

172 Auch Ladeur, Ökonomie der Aufmerksamkeit, S. 89.

173 Bamberger, in: BeckOKBGB, § 12 Rn. 259.

174 BGH, WRP 1989, 308 (310) – Handzettel-Wurfsendung, zumindest für den Bereich der Privatsphäre setzt sich der Wille von einer Konfrontation der Suggestion verschont zu bleiben gegenüber den Werbeinteressen des Werbenden durch.

175 BGH, NJW 1981, 1366 – Wallraff II; BGH, NJW 2012, 767 – Pornodarsteller; Härting, in: Härting, Internet-recht, A. Persönlichkeitsrechte Rn. 36; vgl. auch Mann, in: Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien,

§ 823 BGB Rn. 37, der auch zulässige Eingriffe in die Intimsphäre für möglich hält.

176 In der Rechtsprechung wurde ein Eindringen in die Intimsphäre bei dem Vertreterbesuch von Grabsteinver-käufern nach dem Tod eines Nahestehenden bejaht, BGH, GRUR 1971, 317 – Grabsteinwerbungen II.

177 BGH, NJW 2016, 1094 (1095) – Intime Aufnahmen.

diesen ohne dessen Bewusstsein oder ohne Gebrauch eines durch den Beworbenen vorgehalte-nen Empfangsgeräts der Suggestion aussetzt. Hierunter kann die subliminale Beeinflussung so-wie die unterschwellige Werbung als beispielhafter Eingriff gesehen werden. So muss der Kernbereich der Persönlichkeit dann als verletzt gelten, wenn zielgerichtet, unter Außeracht-lassung der werberechtlichen Kennzeichnungspflichten, am Bewusstsein vorbei, Einfluss auf die Persönlichkeit des Werbeadressaten genommen wird. Im Hinblick auf das personale Selbst-bestimmungsrecht bedeutet dies, dass der Werbende beim Einsatz unterschwelliger Werbung nicht nur gegen den vermuteten Willen des Werbeadressaten wirbt, sondern eine Willensbil-dung bei jenem erst gar nicht ermöglicht, da dieser sich keiner Werbung ausgesetzt sieht.

Im Hinblick auf die personale Selbstbestimmung greift bei der Intimsphäre von vornherein die Vermutungsregel, dass der Betroffene nicht mit Werbung belästigt werden möchte. Eine Miss-achtung stellt stets eine rechtswidrige Persönlichkeitsverletzung dar.

3. Privatsphäre

Der absolute Schutz der Intimsphäre gilt nicht für alle persönlichkeitsrechtlichen Belange. Ein-griffe in die Privatsphäre beurteilen sich grundsätzlich innerhalb einer Interessenabwägung.178 Hier ist sodann allerdings zu berücksichtigen, dass die Privatsphäre noch der inneren Sphäre des Kernbereichs der Persönlichkeit zuzuordnen ist und somit kein Bezug zur Öffentlichkeit besteht. Der Einzelne muss daher in diesem persönlichen Rückzugsbereich, den er als seinen Bereich privater Lebensgestaltung erklärt hat, grundsätzlich erwarten dürfen, dass er keinen Werbenachrichten ausgesetzt wird, solange er nichts anderes erklärt. Ein Eingriff in diesen Be-reich ist daher grundsätzlich rechtfertigungsbedürftig.179 Im Hinblick auf sein personales Selbstbestimmungsrecht wird folglich vermutet, dass der Einzelne kein Interesse an Werbebot-schaften hat.

Die Privatsphäre beschränkt sich dabei nicht allein auf den häuslichen Bereich. Stattdessen wird auf einen autonomen Bereich privater Lebensgestaltung abgestellt, in dem der Mensch seine Individualität entwickeln und wahren kann – der sogenannte Innenbereich oder Innenraum der Persönlichkeitsentfaltung.180 Solche Orte können vorliegen, wenn für Dritte begründeter Ma-ßen erkennbar ist, dass jemand für sich alleine bleiben möchte.181 Auch bestimmte Kommuni-kationsgeräte sind dem geschützten Privatbereich zuzuordnen. Insbesondere technische Geräte,

178 BVerfG, NJW 1973, 1226 (1228) – Lebach; BVerfG, BeckRS 9998, 109621– Scheidungsakten; BGH, NJW 1992, 1958 (1959) – Briefkastenwerbung.

179 Gomille, GRUR 2017, 241 (244).

180 BVerfG, GRUR 2000, 446 (449) – Caroline von Monaco II; BVerfG, NJW 1990, 563 (564); BGH, NJW 1983, 1569 (1570).

181 Vgl. BVerfG, GRUR 2000, 446 (450) – Caroline von Monaco II.

die nur zur privaten Kommunikation angeschafft wurden und nur solchen Personen die Kon-taktaufnahme ermöglichen sollen, bei denen nach allgemeiner Anschauung ein anerkennens-wertes Bedürfnis für die Benutzung des Geräts zum Zwecke der Ansprache des Anschlussin-habers besteht, sind Teil der Privatsphäre.182

4. Öffentlichkeitssphäre

Was nicht von der inneren Sphäre, das heißt der Intim- oder Privatsphäre erfasst wird, spielt sich in der Sozial- bzw. Öffentlichkeitssphäre183 ab. Die Öffentlichkeitssphäre umfasst die per-sönliche Entfaltung, die sich von vornherein im Wirken und Ansehen des Einzelnen in der Ge-sellschaft ausdrückt.184 Die Interessen der Allgemeinheit an einer Teilhabe am gemeinschaftli-chen Kommunikationsprozess treten hier gegenüber der personalen Selbstbestimmung stärker in den Vordergrund, als es bei den anderen Sphären der Fall ist. Gerade wegen des unmittelba-ren Kontakts mit der Außenwelt ist der Grad der Selbstbestimmung im Vergleich zu den der Öffentlichkeit abgewandten Sphären deutlich niedriger zu gewichten.

Eine solche Abstufung des Persönlichkeitsschutzes findet bereits in anderen Gesetzen statt. So sieht § 23 Abs. 1 KUG eine Ausnahme von der grundsätzlichen Einwilligungsbedürftigkeit des Verbreitens von Bildnissen anderer Leute im Sinne des § 22 KUG vor, wenn die Person nur als

„Beiwerk“ neben einer Landschaft erscheint oder wenn sie als Teil einer Gruppe abgelichtet wurde. Die Intention des Gesetzgebers sowie Sinn und Zweck dieser Regelung ist es, das In-formationsinteresse der Allgemeinheit sowie die Pressefreiheit hinreichend zu berücksichti-gen.185 Dieser Wertung entsprechend muss auch derjenige, der die Öffentlichkeitssphäre auf-sucht, die für eine demokratische und offene Gesellschaft typischen kommerziellen Kommuni-kationsvorgänge persönlichkeitsrechtlich hinnehmen. Allerdings muss auch im Hinblick

da-182 Vgl. BGH, GRUR 1970, 523 (524) – Telefonwerbung; Mummenhoff, Persönlichkeitsschutz gegen Telefon-werbung, S. 219 f; Gomille, GRUR 2017, 241 (243 f.); Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation), Erwägungsgrund 24.

183 Die begriffliche Zuordnung wird in Rechtsprechung und Literatur immer wieder undeutlich vorgenommen.

Verwendet werden Sozialsphäre, Öffentlichkeitssphäre aber auch Individualsphäre. Zumeist geht hiermit kein anderer Schutzbereich einher. Grabenwarter verknüpft mit der Öffentlichkeitssphäre und der Sozialsphäre zwei verschiedene Bereiche. So betreffe die Sozialsphäre Vorgänge, die zwar in der Öffentlichkeit wahrnehmbar statt-finden, aber nicht primär an die Öffentlichkeit gerichtet sind. Die Öffentlichkeitssphäre betreffe hingegen solche Belange, die generell für die Öffentlichkeit bestimmt sind, vgl. Grabenwarter, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 Rn.

215.

184 BGH, MMR 2012, 256 (Rn. 16), m. w. N. – Online-Berichterstattung; Brink, in: BeckOKDatenSR, BDSG, Rn. 26 – 30; Härting, in: Härting, Internetrecht, A. Persönlichkeitsrechte Rn. 47; Grabenwarter, in: Maunz/Dü-rig, GG, Art. 5 Abs. 1, 2 Rn. 215; Mummenhoff, Persönlichkeitsschutz gegen Telefonwerbung, S. 185.

185 Vgl. BGH, WRP 2007, 644 (645).

rauf, dass der Mensch als soziales Wesen gelegentlich die Öffentlichkeit aufsuchen muss, zu-mindest ein gewisser Rahmen gegeben sein, indem er nicht jeglicher Form des Werbens aus-gesetzt ist. Grundsätzlich gilt jedoch, dass das personale Selbstbestimmungsrecht gegenüber dem kommunikativen Interesse der Öffentlichkeit einen geringeren Stellenwert hat186 und Be-einträchtigungen eher als sozialadäquat zu bewerten sind.187

Das personale Selbstbestimmungsrecht beschränkt sich in der Öffentlichkeit folglich auf das erforderliche Mindestmaß. Während dem Betroffenen im Privatbereich ein Ausweichen unzu-mutbar ist, da er sich diesen Ort berechtigterweise als Rückzugsort ersucht hat, berühren Infor-mationen, denen innerhalb des öffentlichen Bereichs ausgewichen werden kann, die Selbstbe-stimmung über den persönlichen Bereich nicht, solange zumindest ein Ausweichen zumutbar und möglich ist.188 In anderen Worten lässt der öffentliche Bereich das personale Selbstbestim-mungsrecht nur noch dann wirken, wenn Zwang und daraus resultierend keine zumutbaren Ausweichmöglichkeiten vor der Rezeptionswirkung bestehen. Die Anforderungen, die an die Schwelle einer zumutbaren Ausweichmöglichkeit gestellt werden können, sind dabei jedoch nicht hochzulegen. Es genügt insoweit, wenn es dem Beworbenen möglich ist, wegzuschauen oder durch eine einfache Geste einem Gespräch mit dem Werbenden auszuweichen.189

5. Sphärentheorie als Bewertungsinstrument innerhalb der Abwägung

Der Vorteil der Sphärentheorie i. V. m. der personalen Selbstbestimmung liegt in der zunächst einfachen Handhabung. So lässt sich jeglicher kommunikative Eingriff auch einer Sphäre zu-weisen und damit verbunden, dem Betroffenen ein der Situation entsprechendes angemessenes Selbstbestimmungsrecht zuteilen.190 Nichtsdestotrotz hat die Theorie zur Folge, dass aufgrund des Abstellens auf die Sphären Rechtsunsicherheit entsteht, da die Abgrenzung der einzelnen Sphären im konkreten Fall aufgrund der mangelnden Trennschärfe schwierig ist.191 Dies ist jedoch ein hinnehmbarer Nachteil. Eine gewisse Trennschärfe ist bei Sachverhalten, die sich über die gesamte Bandbreite des gesellschaftlichen Lebens erstrecken, unabdingbar. Die oben aufgeführten Sphären und deren Bedeutung für das personale Selbstbestimmungsrecht sind folglich das im weiteren Gang zu bevorzugende Bewertungsinstrument, da bestimmt werden

186 Ähnlich BGH, NJW 2012, 767 (Rn. 13 ff.) – Pornodarsteller.

187 Vgl. Baston-Vogt, Persönlichkeitsrecht, S. 162, Kriterien für das Vorliegen einer solchen sozialadäquaten Be-einträchtigung: Geringfügigkeit, Häufigkeit, Üblichkeit, Unvermeidbarkeit und soziale Akzeptanz des Eingriffs.

188 Vgl. BGH, GRUR 1975, 502 (503) – Pornoschriften; BGH, GRUR 1965, 315 (317) – Werbewagen; Köhler, in: Köhler/Bornkamm, UWG, § 7 Rn. 71.

189 Vgl. Rixecker, in: MüKoBGB, § 12 Anh. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht, Rn. 126; hierauf stellen auch Fikentscher/Möllers, NJW 1998, 1337 (1341 f.) ab, wenn auch im Zusammenhang mit der negativen Informati-onsfreiheit.

190 Vgl. Mummenhoff, Persönlichkeitsschutz gegen Telefonwerbung, S. 187.

191 Vgl. die Beispiele bei Mummenhoff, Persönlichkeitsschutz gegen Telefonwerbung, S. 187 ff.

kann, ob das Persönlichkeitsrecht in Form der personalen Selbstbestimmung gegenüber dem Werbeinteresse der Wirtschaft innerhalb einer Abwägung überwiegt.

Im Dokument Der Schutz vor unerwünschter Werbung (Seite 53-58)