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Persönlichkeitsrechtlicher Schutzbereich

Im Dokument Der Schutz vor unerwünschter Werbung (Seite 49-53)

Teil I Einleitung

A. Allgemeines Persönlichkeitsrecht, Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG

III. Persönlichkeitsrechtlicher Schutzbereich

Nach der Rechtsprechung des BGH ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht das Recht des Ein-zelnen auf Entfaltung seiner individuellen Persönlichkeit.149 Dieser abstrakte Schutzbereich lässt dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht eine lückenschließende Gewährleistung zukom-men, die dort relevant wird, wo die gesellschaftlichen oder technischen Entwicklungen neue Gefährdungen für den Einzelnen bedeuten können.150 Der Versuch einer abschließenden, sub-sumtionsfähigen Definition des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gelingt deshalb nicht. Eine solche könnte der Eigenart der Persönlichkeit und ihrer Stellung in der Verfassung auch nicht gerecht werden.151 Aus diesem Grund ist das zivilrechtliche Persönlichkeitsrecht als Rahmen-recht einzuordnen, bei dem sich Erfolgs- und HandlungsunRahmen-recht untrennbar miteinander ver-mengen.152 Dies bedeutet, dass die Rechtswidrigkeit nicht bereits durch den Eingriff indiziert ist. Stattdessen ist der Schutzbereich durch eine Interessenabwägung „zu konturieren“ und „für den Einzelfall zu konkretisieren“.153 Erst bei einer Betrachtung des Einzelfalls unter sorgfältiger Würdigung und Abwägung aller jeweils relevanten Umstände kann eine Persönlichkeitsverlet-zung beim Überwiegen des Schutzinteresses des Geschädigten gegenüber den Belangen des Schädigenden bejaht werden.154

Das Ausmaß und die Konturenlosigkeit des Schutzbereichs machen es schwierig, allgemein-gültige Wertungen zum Schutz vor Werbung zu treffen. Um den Schutzbereich deshalb ansatz-weise für die vorliegende Arbeit zu umreißen, ist auf zwei Systematisierungsvarianten aus der Rechtsprechung einzugehen und wie diese in der Vergangenheit im Hinblick auf Werbung an-gewandt wurden.

149 BGH, GRUR 1955, 197 – Leserbrief; BGH, NJW 1957, 1146 – Krankenpapiere; BGH, GRUR 1958, 615 – Tonbandaufnahmen.

150 BVerfG, NJW 1980, 2070 (2070 f.) – Eppler.

151 BGH, NJW 2010, 2728; Rixecker, in: MüKoBGB, nach § 12, Rn. 12; Mummenhoff, Persönlichkeitsschutz gegen Telefonwerbung, S. 148, m. w. N.

152 Wagner, in: MüKoBGB, § 823 Rn. 364; Klass, in: Erman, BGB, Anh. zu § 12 Das Allgemeine Persönlich-keitsrecht, Rn. 11; Rixecker, in: MüKoBGB, nach § 12, Rn. 12.

153 Wagner, in: MüKoBGB, § 823 Rn. 364, m. w. N.

154 Wagner, in: MüKoBGB, § 823 Rn. 364, m. w. N.

1. Strukturierung des Persönlichkeitsrechts anhand von Fallgruppen

Die Rechtsprechung hat das Persönlichkeitsrecht in der Vergangenheit mehreren Fallgruppen zugeordnet.155 Zum Schutz vor Werbung ist das Recht, in Ruhe gelassen zu werden156 zusam-men mit dem personalen Selbstbestimmungsrecht157 und die Unzulässigkeit von Werbung auf-grund ihrer Wirkintensität anerkannt.158

a) Recht in Ruhe gelassen zu werden i. V. m. der personalen Selbstbestimmung

Nach Ansicht der Rechtsprechung folge aus dem Recht, in Ruhe gelassen zu werden ein Schutz-bereich privater Lebensgestaltung, der dem Betroffenen das Recht zubillige, zu bestimmen, mit wem und in welchem Umfang er Kontakt haben möchte.159 Das Eindringen Dritter in diesen geschützten Bereich sei aus rechtlicher Sicht zunächst neutral zu werten.160 Denn es gehöre zur Freiheit kommunikativen Verhaltens innerhalb einer marktwirtschaftlichen Ordnung, mit Wer-bung konfrontiert zu werden. In der schlichten – als solchen nicht ehrverletzenden – Kontakt-aufnahme sei regelmäßig nur dann ein Anspruch auf Ruhe gegeben, wenn gegen den eindeutig erklärten Willen des Betroffenen geworben werde.161 Das Recht in Ruhe gelassen zu werden, ist folglich erst im Zusammenspiel mit dem personalen Selbstbestimmungsrecht als wirksamer Schutz zu verstehen.

Die Rechtsprechung und Literatur sehen das personale Selbstbestimmungsrecht als die Befug-nis des Einzelnen, sich in seinem Lebensbereich vor einer Konfrontation mit der Suggestivkraft von Werbung zu schützen.162 Hiernach müsse dem Einzelnen zur Umsetzung seiner personalen Selbstbestimmung die Möglichkeit gewährt werden, seinen Willen gegenüber Werbetreibenden äußern zu können.163 Das personale Selbstbestimmungsrecht ist damit gleichzusetzen mit der

155 S. hierfür BVerfG, NJW 1980, 2070 (2070 f.) – Eppler.

156 BGH, BeckRS 2011, 04947, Rn. 8.

157 Vgl. BGH, NJW 1989, 902 (903) – Handzettel-Wurfsendung; BGH, NJW 2011, 1005 (1006 f.); BGH, WRP 2016, 493 (494) – No-Reply-E-Mails; Klass in: Erman, BGB, Anh. zu § 12 Das Allgemeine Persönlichkeits-recht, Rn. 216; Fikentscher/Möllers, NJW 1998, 1337 (1339).

158 Prütting, in: Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, § 12 Rn. 48; Klass in: Erman, BGB, Anh. zu § 12 Das allge-meine Persönlichkeitsrecht, Rn. 216 – 218b; teilweise werden in der Literatur noch weitere Fallgruppen genannt, die sich insoweit allerdings mit den hier genannten Fallgruppen überschneiden.

159 BGH, BeckRS 2011, 04947, Rn. 8.

160 Vgl. hierzu BGH, WRP 1989, 308 – Handzettel-Wurfsendung; BGH, NJW 1973, 1119 – Briefwerbung;

BGH, NJW 1994, 1071 – Lexikothek; Rixecker, in: MüKoBGB, § 12 Anh. Rn. 122.

161 BGH, NJW 2011, 1005 (1006); BGH, WRP 2016, 493 – No-Reply-E-Mails; vgl. Rixecker, in: MüKoBGB, § 12 Anh. Rn. 123; Hager, in: Staudinger, BGB, C. Das Persönlichkeitsrecht, Rn. C 232.

162 BGH, WRP 1989, 308 – Handzettel-Wurfsendung; Rixecker, in: MüKoBGB, § 12 Anh. Das Allgemeine Per-sönlichkeitsrecht Rn. 123; a. A. hins. Briefkastenwerbung Weise, GRUR 1989, 653, der den Abwehranspruch auf das Eigentumsrecht stützt.

163 BGH, NJW 1973, 1119 (1120) – Briefwerbung; BGH, WRP 1989, 308 (309) – Handzettel-Wurfsendung;

BGH, WRP 2016, 493 (494) – No-Reply-E-Mails; OLG Frankfurt, NJW 1996, 934; Rixecker, in: MüKoBGB, § 12 Anh. Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht Rn. 123; a. A. nach Weise, GRUR 1989, 653 (656) könne der

Möglichkeit, seinen Willen nach außen hin kundzutun, aber auch erwarten zu dürfen, dass die-ser durch andere Beachtung findet.

b) Schutzanspruch vor Werbung wegen ihrer Art und Intensität

Teilweise wird auch vertreten, dass eine Persönlichkeitsverletzung auch ohne eine vorherige Willenskundgabe angenommen werden könne. Dies sei der Fall, wenn Werbebotschaften auf-grund ihrer Art und Intensität bereits von vornherein als persönlichkeitsverletzend beurteilt werden müssten. In der Vergangenheit wurde dies bei Werbeformen bejaht, bei denen der Be-worbene die Nachricht auf ihren Inhalt hin überprüfen muss. Begründet wurde dies damit, dass der werbende Charakter der Information nicht bereits im Voraus zu erkennen sei und der Be-worbene so den Inhalt unweigerlich zur Kenntnis zu nehmen habe.164 Dieser Mangel an Offen-kundigkeit des Werbemotivs, der dazu führe, dass eine vorherige oder generelle Kundgabe ge-genüber dem werbenden Dritten nicht möglich sei, lasse die Werbebotschaft für sich genom-men als rechtswidrige Persönlichkeitsverletzung wirken, ohne dass ein erklärter Wille hinzu-treten müsse.165 Dies gelte insbesondere dann, wenn der Adressat einer Art räumlichen oder emotionalen Zwangslage ausgesetzt sei.166 Dies ist beispielsweise der Fall, wenn der Werbende sich einer Kommunikationsvorrichtung des Werbeadressaten bediene, die ihm die Möglichkeit

Wille einer Person kein selbständiges Schutzgut im Zivilrecht sein und die bloße Missachtung einer Willenser-klärung auch nicht per se als Persönlichkeitsverletzung angesehen werden. Ein Schutz des Willens bestehe nur hinsichtlich bestimmter Rechte und Rechtsgüter oder gegen bestimmte Handlungen. Die Ansicht schlussfolgert deshalb, dass es aufgrund der Vielfalt an getätigten Willensäußerungen zu Abwägungsbeliebigkeiten in der Rechtsprechung kommen würde, die eine erhebliche Beeinträchtigung der Rechtssicherheit zur Folge hätten.

Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden. Die befürchtete Rechtsunsicherheit ist insoweit unbegründet, da der BGH (BGH, WRP 1989, 308 (309) – Handzettel-Wurfsendung) deutlich herausstellt, dass zumindest der Bereich der Privatsphäre zu den Bereichen gehört, in denen der Wille des Beworbenen sich gegen den des Werbenden durchsetzt. Folglich schützt der BGH gerade nicht den Willen prinzipiell oder pauschal, sondern knüpft den Schutz, wie vom Autor gefordert, an bestimmte Voraussetzungen. Ebenfalls die Ansicht ablehnend: Baston-Vogt, Schutzbereich des zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts, S. 466.

164 KG Berlin, WRP 2015, 1534, auf dem Briefumschlag selbst waren weitere Hinweise angebracht: „Vertrauli-cher Inhalt“, „Nur vom Empfänger persönlich zu öffnen“ sowie „Express Eilige Terminsache“; OLG Bamberg, MMR 2006, 481(481); LG Berlin, GRUR-RR 2011, 332 – Interstitials; Krüger-Nieland, GRUR 1974, 561 (562);

Köhler, in: Köhler/Bornkamm, UWG, § 7, Rn. 111.

165 BGH, GRUR 1970, 523 (524) – Telefonwerbung I.

166 Vgl. BGH, GRUR 2004, 699 – Ansprechen in der Öffentlichkeit I; BGH, GRUR 1970, 523 (524) – Telefon-werbung I; BGH, NJW 1975, 689 – Werbung am Unfallort I; BGH, NJW 1975, 691 – Werbung am Unfallort II;

BGH, NJW 1980, 1690 – Werbung am Unfallort III; BGH, GRUR 2000, 235 – Werbung am Unfallort IV; BGH, GRUR 1971, 317 (318) – Grabsteinwerbungen II, so auch der Besuch von Vertretern, die jene mit dem Tod ver-bundene emotionale Gefühlslage zum Verkauf von Grabsteinen ausnutzen; LG Berlin, GRUR-RR 2011, 332 – Interstitials.

gebe, zu entscheiden, zu welchem Zeitpunkt der Beworbene die Werbung entgegennehme. Dar-über hinaus könne es auch eine Rolle spielen, ob mit der Werbeform ein zwischenmenschlicher Kontakt einhergehe, der aus Höflichkeitsgründen ungerne abgelehnt werde.167

2. Strukturierung des Schutzbereichs durch die Sphärentheorie

Abschließend ist noch auf Möglichkeit der Strukturierung des allgemeinen Persönlichkeits-rechts durch die Unterteilung in sogenannte Sphären einzugehen.168 Die Sphärentheorie basiert auf der Annahme, dass die menschliche Persönlichkeit sich in verschiedene Lebensbereiche unterteilt. Von einer absolut geschützten Kernsphäre, die den Innenbereich der Persönlichkeit umfasse, seien konzentrisch weitere Sphären von der Intims- über die Privats- bis hin zu der Öffentlichkeitssphäre gelagert. Je weiter sich die Sphären vom Kernbereich der innersten Per-sönlichkeit entfernen, desto geringer sei die Schutzbedürftigkeit der PerPer-sönlichkeit in die Ab-wägung miteinzubeziehen.169 Entsprechend der jeweils betroffenen Sphäre ist daher auch der Schutz vor Werbung entweder stärker oder schwächer innerhalb der bisherigen gerichtlichen Abwägung gewichtet worden.170

3. Stellungnahme zur Strukturierung des Schutzbereichs

Der Dissens und die unterschiedliche Herangehensweise wie das Persönlichkeitsrecht im Hin-blick auf Werbung herangezogen wird, ist für das Ziel, ein allgemeingültiges Wertungssystem aufzustellen, das bestimmt, ob Werbung persönlichkeitsverletzend ist, nicht hilfreich.

Den Ergebnissen, die aufgrund der bisherigen Strukturierungsmethoden erreicht werden, kann zwar zumeist zugestimmt werden; die Vielzahl an unterschiedlichen Herleitungen ist jedoch intransparent und wenig nachvollziehbar. Die herangezogene Trichotomie aus Fallgruppen, Sphären und Belästigungsintensität ist im Hinblick auf manche Werbeformen diffus. So greift

167 Veranschaulicht anhand von Telefonwerbung: Der Angerufene kann nur entscheiden das Telefonat zu dem vom Werbenden bestimmten Zeitpunkt entgegenzunehmen oder auf die möglicherweise wichtige Information zu verzichten, BGH, GRUR 1970, 523 (524) – Telefonwerbung I; BGH, GRUR 1989, 753 – Telefonwerbung II;

BGH, GRUR 1990, 280 (281) – Telefonwerbung III; Mummenhoff, Persönlichkeitsschutz gegen Telefonwer-bung, S. 43.

168 So u. a. bei: BVerfG, BeckRS 9998, 109621 – Scheidungsakte; BVerfG, NJW 1972, 1123 (1124) – Ärztekar-tei; BVerfG, BeckRS 1977, 105993– Sexualkundeunterricht; BVerfG, NJW 1993, 1517 – Transsexueller; BGH, WRP 2016, 493 – No-Reply-E-Mails; BGH, WRP 1989, 308 – Handzettel-Wurfsendung; BGH, NJW 1973, 1119 – Briefwerbung; kritisch, da die einzelnen Sphären sich nur schwer voneinander abgrenzen lassen:

Rixecker, in: MüKoBGB, § 12 Anh. Rn. 12; Wöfl, NVwZ 2002, 49 (50 f.); Degenhart, JuS 1992, 361 (364);

Martini, JA 2009, 839 (844 f.); Baston-Vogt, Schutzbereich des zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeits-rechts, S. 193, 203.

169 Rixecker, in: MüKoBGB, § 12 Anh. Rn. 12; Härting, in: Härting, Internetrecht, A. Persönlichkeitsrechte, Rn.

32 ff.; Mummenhoff, Persönlichkeitsschutz gegen Telefonwerbung, S. 183 f.

170 Vgl. nachfolgende Rechtsprechung, die sich mit jeweils unterschiedlichen Eingriffsbereichen beschäftigt:

BGH, GRUR 1971, 317 (318) – Grabsteinwerbungen II; BGH, NJW 1992, 1958 (1959) – Briefkastenwerbung;

BGH, GRUR 1965, 315 (317) – Werbewagen; OLG Hamm, GRUR 1991, 229 (229) – Scheibenwischerwer-bung.

das Recht, in Ruhe gelassen zu werden beispielsweise nur im privaten Bereich des Einzelnen ein und auch nur dann, wenn es in Verbindung mit dem personalen Selbstbestimmungsrecht steht. Sachverhalten, die sich innerhalb der Öffentlichkeit abspielen oder den Konsum medialer Inhalte betreffen, kann mit diesem Konstrukt nur mit Anstrengung gerecht werden. Aus diesem Grund soll hier diese Dreiteilung zu einem alleinigen Zuordnungssystem optimiert werden.

Hierdurch sollen genauere Aussagen zur Reichweite des Schutzbereiches getroffen werden können.

Dazu bedient sich diese Arbeit der Sphärentheorie in Verbindung mit dem personalen Selbst-bestimmungsrecht. Jede Sphäre steht dabei für eine unterschiedliche Gewichtung des persona-len Selbstbestimmungsrechts mit den Interessen des Werbenden innerhalb der Interessenabwä-gung.

Das personale Selbstbestimmungsrecht ist gerade deshalb von Bedeutung, da es, wie der Ar-beitstitel offenlegt, um die Unerwünschtheit der Werbung geht und somit die selbstbestimmte Entscheidung über den Erhalt von Werbung eine wesentliche Rolle einnimmt. Des Weiteren spricht für die Sphärentheorie die Möglichkeit, zu berücksichtigen, dass innerhalb einer freien demokratischen Marktordnung nicht grundsätzlich jede Werbung unzulässig ist. Die Sphären erlauben es, den unterschiedlichen Lebenssachverhalten, in denen Werbung wirken kann, auch einen jeweils anderen Schutzrahmen zu geben. Gerade im Hinblick darauf, dass Werbemaß-nahmen den Einzelnen sowohl in der Abgeschiedenheit seiner privaten Räume als auch in der Öffentlichkeit erreichen und die gleiche Werbung im öffentlichen Raum eine erheblich andere Wirkung im Privatbereich haben kann, sorgt diese Herangehensweise dafür, dass die Interessen der Werbenden wie Beworbenen situationsabhängig in Relation zueinander gesetzt werden.

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