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6.2 „Selbsttätiges Lernen“ in den Veröff entlichungen von Wolfgang Klafki von 1951 bis 2007

Erst 2013 wurde die von Klafki 1951 geschriebene zweite Staatsexamensarbeit veröffentlicht. Hildegard Klafki hatte das Manuskript in der großen Bibliothek ihres Mannes gefunden. Seine zweite Staatsexamensarbeit soll insofern in diesem Beitrag besonders gewürdigt werden, weil sie Theorie und Praxis der „Schular-beit“ des damaligen Volksschullehrers Wolfgang Klafki dokumentiert, noch nicht breit rezipiert wurde, aber bereits grundlegende Einsichten zur „Selbsttätigkeit“

von Schüler/innen im Unterricht und zur „Schularbeit“ verdeutlicht, die sich über 50 Jahre später auch in seinen „Sinn-Dimensionen allgemeiner Bildung in der Schule“ wiederfi nden (vgl. auch Klafki, 2005a). Gleichzeitig lassen sich verän-derte bzw. weiterentwickelte Vorstellungen schüleraktivierenden Unterrichts u.a.

in Bezug auf die „körperliche Erziehung“ in seiner zweiten Staatsexamensarbeit (Klafki, 2013, S. 6, S. 163ff.) bzw. der kontinuierlichen Weiterentwicklung zur

„Bewegungsbildung“ bis in sein letztes Buch feststellen (Klafki & Braun, 2007, S. 185ff.).

Klafki untergliedert seine zweite Staatsexamensarbeit in zwei Teile: „Grund-legung, Begriff und Wesen der Bildung“, Teil 1, und „Die Kategoriale Bildung“, Teil 2. In diesem zweiten Teil entwickelt er die „Idee der Kategorialen Bildung“, setzt sich mit dem „philosophischen Kategoriensystem“, insbesondere mit Kants Kategorienlehre auseinander, von der er sich scharf abgrenzt, stellt die Forderung nach einem „pädagogischen Kategorienplan“ auf und führt dann ausführlich in

„[d]ie Methode der kategorialen Bildung“ ein (Klafki, 2013, S. 5-6, Hervorhebung SLK). Für diese „Methode der Kategorialen Bildung“ stellt er insbesondere die durch die Lehrenden bzw. durch Anschauungsbeispiele provozierte notwendige

„Fragehaltung“ der Schüler/innen als treibende Kraft für kategoriale Bildungs-prozesse heraus. Im Unterkapitel „Kategoriale Bildung und Selbsttätigkeit“ geht Klafki von einem „innere[n], unzerreißbare[n] Zusammenhang […] zwischen ka-tegorialer Bildung, methodischer Bildung und Selbsttätigkeit“ aus:

„Durch unsere gesamte Erörterung zog sich vom 1. Kapitel ab unverkennbar ein Prinzip hindurch, das wir nun ins Bewußtsein heben wollen: Die Forderung nach Selbsttätigkeit. […] Kategoriale Bildung ist Bildung zur Selbsttätigkeit und durch

Selbsttätigkeit, und Selbsttätigkeit ist die Form, in der sich Bildung offenbart.“

(Klafki, 2013, S. 176)

Kategoriale Bildung, die Klafki hier mit der „Einssetzung von Subjekt und Objekt im Bildungsbegriffe“ fasst, sei nötig, um das Leben, das eine „Kette von Erlebnis-sen, Erkenntnisakten, Gefühlsregungen, Tätigkeiten von unabsehbarer Zahl“ sei, zu formen (Klafki, 2003, S. 92). Der Einzelne könne

„[…] schlechthin nicht leben – weder körperlich noch geistig –, wenn es ihm nicht gelingt, dieses Meer von einmaligen Augenblicken zusammenzuraffen und zu glie-dern, zu typisieren, zu normieren, zu verallgemeinern. Erst solche ‚Raffung‘ gibt dem Leben Gestalt und Form. Die Mittel dieser Formung aber sind m.E. die Katego-rien. Sie werden nicht um ihrer selbst willen gesucht, sondern immer nur um eines Besonderen willen. Sie haben also ihre ‚Existenzberechtigung‘ nur, weil das geistige Leben als produktives und rezeptives nach unserer Überzeugung nicht anders als mit Hilfe solcher Gliederungsprinzipien – oder besser: in ihnen – da ist. Die Not-wendigkeit solcher Kategorien läßt sich wohl psychologisch oder anthropologisch, als Folgerung aus vorgefundenen Bedingungen des menschlichen Geistes begreifen, nicht aber philosophisch-logisch.“ (Klafki, 2013, S. 92)

Die Gliederung der Welt soll von den Schülern/innen also anhand intersubjekti-ver Kategorien erschlossen werden (er nennt die Kategorien damals ‚objektiv‘ im Sinne der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik und des hermeneutischen Zirkels), zu denen jeder Mensch „in seiner jeweils besonderen, historischen und individu-ellen Art die Beziehung […] suchen und verwirklichen“ müsse, „die wir Bildung nennen“, die aber „nie etwas stets Gleiches, Allgemeines und Allgemeingültiges“

darstelle. Allgemein sei „jeder Form von ‚Bildung‘ allein das ‚Überhaupt-Bezo-gensein‘“ auf intersubjektive Kategorien (Klafki, 2013, S. 45; Hervorhebung SLK).

In der kategorialen Bildung lassen sich also Subjekt und Objekt nicht mehr trennen, kategoriale Bildung lässt sich nicht mehr nach formalen oder materialen Anteilen aufteilen, sondern meint die im Individuum eingegangene geistige Bezie-hung zwischen subjektiven und intersubjektiven („objektiven“) Gliederungsprin-zipien der Weltdurchdringung. Koch-Priewe beschreibt die kategoriale Bildung so, dass Schüler/innen die Wirklichkeit dann mit anderen Kategorien als früher betrachteten (vgl. Koch-Priewe, 2017, S. 139)

Eine Kategorie, die Klafki aus den Erfahrungen seines Grundschulunterrichts als wesentlich benennt, sei beispielsweise für die erdkundliche Bildung (seiner Zeit) das Kartenverständnis. Um ein Verständnis des „symbolischen Bildcha-rakters“ des „Wesens der Karte“ (Klafki, 2013, S. 125) zu ermöglichen, führte Klafki Schüler in die „Ursprungssituation“: Er durchwandert mit seinen Schülern

das Heimatdorf, danach bauen die Schüler ein Dorfmodell, dann werden Häuser-grundrisse aufgrund dieses Modells gezeichnet und schließlich die selbsterstellte Karte im Klassenzimmer aufgehängt (vgl. Klafki, 2013, S. 124).

„Methodisch“ beginnt ein kategorialer Bildungsprozess mit einer echten Schü-ler/innenfrage („Fragehaltung und kategoriale Bildung“, Klafki, 2013, S. 6), de-ren Beantwortung sich im Rahmen selbsttätiger Arbeit vollzieht, mit begleitender Hilfe der Lehrenden an den Stellen, an denen die Lernenden ohne sie nicht wei-terkommen. Die „Methode der kategorialen Bildung“ ist demgemäß angewiesen auf „Anschauungsbeispiele“, an denen sich die auf Antwort drängenden Fragen zu Grundproblemen in einzelnen Unterrichtsgebieten „entzünden“. Klafki berich-tet in seiner zweiten Staatsexamensarbeit von einem entsprechenden Unterrichts-beispiel, das er durchführte und dem seine eigene Schülerfrage zugrunde lag: Er habe ein reges Interesse für Geschichte gehabt, es sei im Geschichtsunterricht auch über Stadtgründungen gesprochen worden. Aber: Auch nach der damaligen Unterrichtseinheit konnte er sich nicht den ersten Ursprung einer Stadtgründung erklären. Diese Frage beschäftigte ihn lange:

„Wer mochte der Erste oder die Erste gewesen sein, die sich dort, wo heute ‚die Stadt‘ steht […], ansiedelten, warum mochten sie gesiedelt haben usw.? Ich empfand damals diese Lücke im eigenen Wissen sehr deutlich, fragte aber nicht, wahrschein-lich, um mich nicht zu ‚blamieren‘. Heute würde ich sagen, daß der Unterricht nicht die kategoriale Anschauung geboten hatte, um das Phänomen Stadt wirklich vom Ursprung her zu klären.“ (Klafki, 2013, S. 127)

Diese Erinnerung beeinfl usste seine eigene Unterrichtsplanung für die Stunde, in der es um die „geschichtliche Kategorie ‚Stadtentstehung aus einer Burganlage‘

am Beispiel Stadthagens“ ging. Vorausgegangen war dieser Unterrichtsstunde ein halbtägiger Klassenbesuch Stadthagens, bei der die wichtigsten Straßenzüge durchwandert, historische und aktuelle Bauten, Bäche etc. besichtigt wurden. In sechs Schritten überlegt sich Klafki den Ablauf der Unterrichtstunde: Thema und Ziel der Stunde, Vermutungen, welche Voraussetzungen und Einzelkenntnisse die Schüler wahrscheinlich mitbringen, Klärung dieser und Zusammenfassung und Weiterführung zu Vorstellungen von den Gründen der Entstehung der Stadt, deren allmählichem Wachstum, dem Zusammenhang zwischen der Burganlage und der Stadtsiedlung etc. Er überlegt sich zudem die Veranschaulichungsmittel und die Arbeitsweisen. Vorwiegende Arbeitsweise sollte wegen der Schwierigkeit des Stoffes das Klassengespräch und die damit verbundene Anlage eines Modells sein.

Der damalige Volksschullehrer Klafki führt im Stundenverlauf mit einer von ihm vorbereiteten und erzählten Geschichte fort, als die Schüler nicht weiterkamen:

Graf Adolf III. will nach etlichen Kriegszügen in fernen Ländern nun versuchen, für seine eigene Grafschaft und die Menschen dort für Wohlstand sorgen. Neues Land soll dazu urbar gemacht werden. Zunächst müsse jedoch in diesem neu zu besiedelnden Gebiet für Schutz gesorgt werden. Die Kinder „ziehen nun selbst den Schluß: Da muß er eine Burg bauen!“ (ebd., S. 131). Im gemeinsamen Gespräch entwickeln die Schüler nun alle weiteren relevanten Überlegungen für den besten Bau einer Burg unter selbst erkannten relevanten Bedingungen wie Schutz, ver-steckte Lage, Ausblick etc. und weiteren Konsequenzen für eine dann folgende Stadtgründung. Klafki resümiert abschließend, um dieses Vorgehen als sinnvolles kategoriales Anschauungsbeispiel für den Beginn einer Unterrichtseinheit zum Thema „Stadtentstehung aus einer Burganlage“ zu begründen:

„Das Prinzip der geschilderten Unterrichtsstunden ist klar. Die Lektion unterschei-det sich m.E. wesentlich von der Form, daß man ein Bild einer mittelalterlichen Stadt vor die Klasse hängt und daran das Wesen der alten Städte zu klären versucht. Auch das ist Anschauung! Auch in einer solchen Stunde wird sicherlich wertvolle geistige Arbeit geleistet werden, auch in ihr besteht noch die Möglichkeit, Kategorien aufzu-decken. Aber es fehlt einer solchen Stunde – soweit das nicht früher schon irgendwie geklärt worden ist – die ‚kategoriale Anschauung‘ der primären Ursprungssituation des Kulturgutes ‚Stadt‘, von der her alles andere, weil ‚spätere‘, erst voll verstanden werden kann. Auch ich betrachtete mit meiner Klasse in mehreren späteren Stunden mittelalterliche Städtebilder. Aber da war die kategoriale Anschauung bereits vor-ausgegangen.“ (Klafki, 2013, S. 131)

Unterricht besteht bei Klafki, erschlossen aus seinen Unterrichtsbeispielen in der zweiten Staatsexamensarbeit, aus einem kontinuierlichen Dialog zwischen ihm als Lehrer und den Schülern/innen sowie den Schülern/innen untereinander (Klafki, 2013, S. 128ff.). Hier realisiert er einerseits den pädagogischen Bezug der Geis-teswissenschaftlichen Pädagogik. Andererseits wird selbsttätiger Unterricht der Schüler bei ihm häufi g im Gruppenunterricht praktiziert, wovon auch die prakti-sche Umsetzung seiner zweiten Staatsexamensprüfung Rechnung trägt:

„Mindestens vier Fünftel der Stunde aber spielten sich in den Kleingruppen ab“ und Klafki „forderte seine Prüfer dementsprechend auch dazu auf, sich zu den Schüler-gruppen zu setzen, nur dort werde sich der Unterricht im folgenden, größten Teil der Stunde abspielen. Außerdem stünden die Arbeitsmappen der Schüler über frühere Unterrichtseinheiten zur Ansicht zur Verfügung“ (Klafki, 2013, S. 26).

Damit Selbsttätigkeit gelinge, so Klafkis These, müssten die kategorialen Voraus-setzungen für den Schüler entwickelt werden:

„Ich glaube, mancher Versuch, mit dem Grundsatz der Selbsttätigkeit in der Schul-wirklichkeit ernst zu machen, ist daran gescheitert, daß die kategorialen Vorausset-zungen für die Selbsttätigkeit fehlten. […] Aber auch diese kategorialen Einsichten sollen, ja können ihm nicht nur übermittelt werden, sondern auch sie müssen erarbei-tet werden. […] Nirgends ist mir die innere Beziehung von Selbsttätigkeit und kate-gorialer Bildung deutlicher geworden als im Gruppenunterricht, in den wir – ‚meine‘

Jungen und ich – uns nun seit gut einem Jahre langsam hineingearbeitet haben. […]

Die Schüler müssen ein gewisses Rüstzeug an Vorbedingungen für eine sachgemäße Selbsttätigkeit haben, wenn der Gruppenunterricht Früchte tragen soll. […] Kate-goriale Bildung setzt wertgerichtete Selbsttätigkeit voraus und treibt wertgerichtete Selbsttätigkeit aus sich hervor; echte Selbsttätigkeit schafft kategoriale Bildung und ist zugleich selbst nicht denkbar ohne kategoriale Bildung. Selbsttätigkeit ist dem-nach nicht etwas, was zur Bildung hinzutritt oder ihr vorweggeht, sondern sie ist nichts anderes als ein Moment dieser werterfüllten, einheitlichen Form des Lebens, die wir Bildung nennen.“ (Klafki, 2013, S. 176-178)

„Echte“ und „wertgerichtete“ Selbsttätigkeit ist in Klafkis damaligem Verständnis eine solche, die auf die Erarbeitung und Vertiefung kategorialer Einsichten dringt.

Schüler/innen können dann „wertgerichtet“ selbsttätig sein, wenn „die Richt-schnur des Unterrichts der kategoriale Zusammenhang“ bliebe (Klafki, 2013, S. 102). Selbsttätiges Arbeiten als reine Beschäftigungsmaßnahme im Unterricht, wäre nach Klafki also nicht „wertgerichtet“ und wäre die Erklärung dafür, wenn Schüler/innen – aus Sicht ihrer Lehrer/innen – nicht selbsttätig arbeiten könnten.

Im Gespräch mit Karl-Heinz Braun (Klafki & Braun, 2007) resümiert Klafki mehr als 50 Jahre später abschließend seine pädagogischen und wissenschaftli-chen Erfahrungen in der Zeit seines Erst- und anschließenden Zweitstudiums, in der biografi sche Erfahrung und wissenschaftliche Pädagogik zusammengebracht werden sollen. Er selbst habe

„im Schulunterricht einige Male solche ‚Sternstunden‘ im Lernprozess erlebt, die sich mir als ‚doppelseitig aufschließende‘ Bildungserfahrungen eingeprägt haben, als Begreifen von Prinzipien oder neuen Fragestellungen und zugleich als Steige-rung der persönlichen Möglichkeiten, als beglückende KönnenserfahSteige-rungen“ (Klaf-ki & Braun, 2007, S. 14).

Er habe in seinen Erfahrungen als Schüler einen „Vor-Begriff davon gewonnen […], was Unterricht sein kann, der Verstehen lehrt, in dem er entwickelnd ‚ka-tegoriale Erkenntnis‘ ermöglicht“ (Klafki & Braun, 2007, S. 14; Hervorhebung im Original). Er fasst rückblickend zusammen:

„Stichworte wie ‚pädagogischer Bezug‘, ‚Entwicklung der Fähigkeit zu selbst-tätigem Lernen‘, ‚Erfahrungsbezug und Individualisierung des Lernens‘, ‚Gemein-schaftserziehung‘, ‚musische Erziehung‘ mögen die Zielsetzungen kennzeichnen, an denen ich meine Praxis zu orientieren versuchte.“ (Klafki 2007, S. 22)

Die anfänglich dominante Prägung in seinem Erststudium durch Grundmotive der Reformpädagogik, vor allem der Arbeitsschulbewegung und Hugo Gaudig, durch das Konzept „freier geistiger Schularbeit“ von Otto Scheibner und Lotte Müller erweiterte er in seiner späteren Lehrertätigkeit „vor allem um die Beschäftigung mit dem Modell des fächerübergreifenden, sogenannten ‚gebundenen Gesamtun-terrichts‘; durch den ‚Gruppenunterricht‘ und die Gestaltung des ‚Schullebens‘ in Anlehnung an Peter Petersen“ und Schriften von Spranger, Nohl, Lehmensick und Copei (Klafki & Braun, 2007, S. 25-26).

Selbsttätigkeit ist konstitutiv für das Klafkische Verständnis von Bildungs-erwerb: „Kategoriale Bildung ist Bildung zur Selbsttätigkeit und durch Selbsttätig-keit, und Selbsttätigkeit ist die Form, in der sich Bildung offenbart“ (Klafki 2013, S. 176; Hervorhebung SLK). So formuliert es Klafki in seiner zweiten Staatsexa-mensarbeit 1951. In einem veröffentlichten Vortrag zur „Selbsttätigkeit als Grund-prinzip des Lernens“ versteht er das „Prinzip der Selbsttätigkeit als Hilfe zum Selbstständigwerden junger Menschen“ (Klafki, 1992, S. 15). Diese Zielsetzung des selbstständigen Lernens als eines Elementes von Selbstbestimmung entwickelt er ab den 1970er Jahren, in denen er an der allgemeinen Grundlegung der kritisch-konstruktiven Erziehungswissenschaft und seinen Neuen (!) Studien zu Bildungs-theorie und Didaktik arbeitet. In den veröffentlichten Vorträgen von 1992 „Selbst-tätigkeit als Grundprinzip des Lernens. Wiederaufnahme und Weiterentwicklung einer reformpädagogischen Idee und ihre Verwirklichung in der Schule“ sowie 2003 „Selbständiges Lernen muß gelernt werden“ erläutert er dies folgendermaßen:

Das Ziel von Schule sei, dass die Schüler/innen lernten, möglichst selbstständig zu lernen. Deshalb sollten Schüler/innen als Subjekte ihres eigenen Lernens und nicht als Objekte betrachtet und behandelt werden, die darauf angewiesen wären, „vom Lehrer ständig belehrt und gelenkt zu werden“. Zur Selbstbestimmung gehöre, selbstständig lernen zu können. Da Lernen aktive Auseinandersetzung sei, stecke darin von Anfang an die Möglichkeit, die Bedingungen des Lernens und das, was man lernt, zu verändern, umzugestalten. – Diese Ausführungen von Klafki sind in-sofern interessant, als Kersten Reich sowie Meinert und Hilbert Meyer ihm in den 2000er Jahren vorwerfen, dass er die Schüler/innenperspektive und deren didak-tische Fähigkeiten nicht in seine Unterrichtsplanung einbeziehe (vgl. Reich, 2008;

Meyer & Meyer, 2007, S. 112). Eine Unterrichtsform zur Förderung des selbststän-digen Lernens sei auch die innere Differenzierung (vgl. Klafki, 2003), so Klafki

im Marburger Grundschulprojekt (1971-77; 1973-79, vgl. Klafki & Braun, 2007, S. 93), in dem bereits in den 1970er Jahren mit Wochenplanarbeit als einem Instru-ment innerer Differenzierung gearbeitet wurde. In diesem Marburger Grundschul-projekt hatte Wolfgang Klafki mit einer Gruppe von Forscher/innen und Lehrer/

innen 17 Unterrichtseinheiten entwickelt, die durchgeführt, evaluiert und anschlie-ßend z.T. veröffentlicht wurden. Für den Arbeitsbereich „naturwissenschaftlich-technischer Sachunterricht und soziales Lernen“ wurden Konzepte zum selbst-ständigen und kooperierenden Lernen im Umgang mit Bausteinen entwickelt;

für den Sachunterricht unter dem Aspekt Gesellschaftslehre und soziales Lernen

„Das Schülergespräch“; zur „Selbststeuerung“: „Der Wochenplan – ein Modell für freie Unterrichtsarbeit“ (vgl. ebd., Hervorhebung SLK). Klafki rekurriert unter dem Aspekt der Selbsttätigkeit, Selbstständigkeit und Selbstbestimmung in seinen Vorträgen auf dieses damalige innovative Projekt und bindet die je individuellen Lernphasen immer wieder rück an die Diskussion und refl exive Kommunikation in der Gruppe bzw. mit der Lehrkraft, so z.B. 1992 mit seiner Einschätzung „Dis-kussion ist ja eine weitere, und zwar eine kommunikative Form der selbstständigen Erarbeitung und Verarbeitung“. Diese von ihm gesehene Dialog-Notwendigkeit wird auch deutlich in seiner kritischen Einschätzung „selbstständiger Lernfähig-keit“ von Schüler/innen, die bei (zu) hoher Zurücknahme der Lehrkräfte inhaltlich manches „mangels pädagogischer Hilfe nicht erkennen“ konnten (Klafki, 2003, S. 55). Dementsprechend formuliert Klafki auch im Rahmen seiner kritisch-kon-struktiven Didaktik noch genauso:

„Bildung muß m.E. heute als selbsttätig erarbeiteter und personal verantworteter Zusammenhang dreier Grundfähigkeiten verstanden werden, der Fähigkeit zur Selbstbestimmung, Mitbestimmung und Solidarität“ (Klafki, 1994, S. 56, Hervorhe-bung SLK). Allgemein gebildet ist nun nach Klafki, wer „ein geschichtlich vermit-teltes Bewußtsein von zentralen Problemen der Gegenwart und – soweit vorausseh-bar – der Zukunft“, „Einsicht in die Mitverantwortlichkeit aller angesichts solcher Probleme“ und „die Bereitschaft, an ihrer Bewältigung mitzuwirken“ selbsttätig erworben hat. (ebd.)

Er bleibt also der Vorstellung des konstitutiven Zusammenhangs von Bildungs-erwerb durch Selbsttätigkeit treu. Wird in der bildungstheoretischen Didaktik unter „kategorialer Bildung“ die bildende Begegnung der Schüler/innen mit aus-gewählten, exemplarischen Inhalten verstanden, die entsprechende Schüler/innen-fragen provozieren sollen und die damit notwendig für die weitere Selbsttätig-keit sind, so soll in seiner weiterentwickelten kritisch-konstruktiven Didaktik der selbstbestimmungs-, mitbestimmungs- und solidaritätsfähige junge Mensch seine Bildung in der Auseinandersetzung mit „epochaltypischen Schlüsselproblemen“

sowie im Rahmen einer vielseitigen Interessens- und Fähigkeitsentwicklung – als Ergänzung zur Konzentration auf die Schlüsselprobleme – selbsttätig erwerben.

Das exemplarische Lehren und Lernen stellt hier nun eines der vier Unterrichts-prinzipien kritisch-konstruktiven „Problemunterrichts“ neben methodenorientier-tem, handlungsorientiertem und dem miteinander verbundenen sachbezogenen und sozialen Lernen dar (vgl. Klafki, 1994, S. 67-69).