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der Bildung 8

8.5 Bewegungs-Bildung

Über die konkrete Bewegungsdimension von Bildung und die konkrete Bildungs-dimension von körperlichen Bewegungen soll hier nichts ausgeführt werden.

Schon die bisherigen Überlegungen wollten keine inhaltlichen Aussagen zur Be-wegungs-Bildung machen oder vorbereiten, sondern ausschließlich topologisch argumentieren, also Angaben zum systematischen Ort machen. Was ich inhaltlich zur Bewegungs-Bildung sagen könnte, würde nicht über die einschlägigen Arbei-ten von SeiArbei-ten der Sport- und Bewegungspädagogik hinausgehen können, hinaus-gehen wollen, hinaushinaus-gehen müssen. Stellvertretend für viele sei auf die Arbeiten von Bietz, Laging, Meinberg, Prohl oder Scherer verwiesen (exemplarisch Bietz,

Laging & Roscher, 2005; Meinberg 2011; Prohl & Seewald, 1995; Prohl, 1999;

Prohl, 2001; Prohl, 2004; Scherer & Bietz, 2013). Die bisherigen Ausführungen waren eine Einladung zur Relektüre mit dem Appell, noch expliziter eine bloße Synthese-Konzeption zu unterlaufen; sie waren nicht als Kritik an dortigen inhalt-lichen Ausführungen zu einer Konzeption von Bewegungs-Bildung zu verstehen.

Der Gewinn einer präziseren Abgrenzung von einer Synthese-Konzeption wür-de sich u.a. bei wür-dem vielfach gemeinsam angenommenen Ausgangspunkt aktueller Debatten um Bewegungs-Bildung niederschlagen. Die Rede vom „Doppelauftrag des Schulsports“ ist vom bloßen Wortlaut her sicher nicht eigentlich falsch. Aber schon der Wortlaut verbirgt nur notdürftig, dass es sich um eine typische Synthese-Konzeption – um einen Appell an ein einerseits und andererseits – handelt. Genau in dieser Version ist diese Rede dann auch wirkmächtig geworden. Dann aber ist klar, dass die Eigenbedeutsamkeit des Sich-Bewegens in einem so verstandenen Sportunterricht keine Rolle spielen kann (vgl. Bietz, 2015, S. 201f.). Weder bei der Erziehung zum Sport noch bei der Erziehung durch Sport kommt es auf die kon-kreten Bewegungserfahrungen konkreter Sportpraktiken an, die vielmehr in den eigentlich leitenden pädagogischen Anliegen zu austauschbaren Mitteln werden.

Der „Doppelauftrag“ bleibt eine Synthese zweier Anliegen, weil er kein Drittes kennt – z.B. das Medium konkreter Bewegungsvollzüge –, innerhalb dessen jene beiden Anliegen vermittelt sind. „Der Doppelauftrag wird auf diese Weise tatsäch-lich zu einer Verdoppelung des Auftrages.“ (ebd., S. 202)

Obwohl also inhaltliche Ausführungen der Bewegungspädagogik gar nicht thematisiert werden sollen oder müssen, lohnt es sich dennoch, den praxistheo-retischen Blick auf Bildung noch in einer Hinsicht auf Bewegungs-Bildung hin zuzuspitzen. Das betrifft den oben schon angedeuteten Punkt, dass verschiedene Aspekte eines Bildungsvollzugs in den Blick geraten, wenn man sportliches und sportunterrichtliches Handeln in verschiedenen Medien situiert. Es sind zunächst einmal schlicht verschiedene Möglichkeiten, solches Handeln im Medium der Er-kenntnis, im Medium der Körperlichkeit oder im Medium der Bewegungsvollzüge zu situieren. Deshalb bieten sich abschließend einige, wiederum topologisch und nicht inhaltlich gemeinten, Anmerkungen zur Spezifi k der Wahl von Bewegung als Medium an.

Wenn man auf der Basis der Unergründlichkeit der Person die Unverfügbarkeit von Bildung pointiert, dann gilt dies zunächst und wesentlich für Bildung generell, also nicht nur, aber auch für Bewegungs-Bildung, und nicht nur, aber auch für sportunterrichtliches Handeln dann, wenn man dieses Handeln im Medium der Bewegung situiert. Auf der Basis der Unergründlichkeit der Person wäre auch sportunterrichtliches Handeln, das im Medium der Körperlichkeit oder im Medi-um des Erkennens situiert ist, unverfügbar. Die Bewährungsprobe dieses Postulats

der Unverfügbarkeit der Bildung ist die jeweils konkrete Ausgestaltung der as-sistierten Bildung, insbesondere also des Lehrens von sportlichen Handlungen.

Solch pädagogisches Handeln – das Assistieren von Bildungsprozessen – hat dann, mit Benner (1999) gesprochen, experimentelles Tun zu sein. Das Ergebnis von Bildungsprozessen gilt als nicht herstellbar, weil es nicht herstellbar sein soll – ein Ergebnis von Bildungsprozessen herstellen zu wollen, gilt als freien Bürgern unwürdig.11 Assistierte Bildung ist also dann gelungen, wenn sich die Assistenz überfl üssig gemacht hat – dort wo sich pädagogische Unterstützung in Bildungs-prozessen auf Dauer stellt oder stellen will, ist dies die Kündigung der Idee der Selbst-Bildung.

Vermutlich ist diese Konsequenz der Unverfügbarkeit von Bildung für alle Pädagogen, die nicht längst auf zynische Gleichgültigkeit umgestellt haben, eine harte Nuss. Was aber wie eine Kränkung daherkommt, bietet mindestens auch die Chance, das eigene pädagogische Handeln in institutionelle und gesamtgesell-schaftliche Kontexte zu situieren, sprich: sich nicht selber die ganze Verantwor-tungslast des pädagogischen Handelns auf die eigenen Schultern zu laden. Oder mit Benner:

„Die mit der Schule als Institution gefundene moderne Form eines Lehrens und Lernens jenseits aller vormodernen Einheiten von Leben und Lernen ist jedoch, um in einem pädagogisch-interaktiven Sinne erfolgreich sein zu können, auf Voraus-setzungen angewiesen, die heute zunehmend gefährdet sind und die sich durch das pädagogische Handeln im engeren Sinne allein nicht sichern lassen. Gelingende Er-ziehung ist auf den Umgang von Kindern und nicht-professionellen sowie professio-nellen Pädagogen allein nicht zu gründen. Sie ist vielmehr daran zurückgebunden, dass es inmitten der Gesellschaft Freiräume und Welten gibt, in denen Heranwach-sende miteinander und mit Erwachsenen in einer Weise umgehen, welche jenseits schulischer Lehr-Lern-Situationen und -prozesse Experimente im Ausprobieren der in der Schule gewonnenen Einsichten gestattet sowie die Wahl der eigenen Lebens-form zulässt.“ (Benner, 1999, 16)

11 Das „soll“ in diesem Satz will also mit Bedacht verstanden werden: Ein Verweis da-rauf, dass das Herstellen von Bildungsergebnissen empirisch-praktisch nicht ‚funk-tioniert‘, weil man immer Phänomene von Nicht-Linearität beobachten könne, ist ein sehr ernstzunehmendes Symptom, aber als solches noch kein Argument. Sehr strikt genommen, müssten wir uns um Indoktrinationsphänomene gar keine Sorgen machen, denn die gäbe es gar nicht, wenn das Herstellen von Bildungsergebnissen überhaupt gar nicht funktioniert. Zudem kann man jene Phänomene von Nicht-Linearität immer auch anders interpretieren: dass der eigentlich lineare Prozess nicht hinreichend gut hergestellt wurde. – Umgekehrt zielt das »soll« ersichtlich nicht auf eine normativisti-sche Vorgabe, sondern auf das zugrunde gelegte Raster der Personalität.

Es steht nun zu erwarten, dass diese Unverfügbarkeit von Bildungsprozessen refl e-xiv wird – also der Möglichkeit nach als unverfügbare Prozesse erfahrbar werden –, wenn Bildungsprozesse im Medium von Bewegungen situiert werden, denn dann handelt es sich sowohl bei den Bildungsprozessen als auch bei ihrem Medium um Vollzüge. Das wäre ein gutes Argument, sportunterrichtliches Handeln nicht nur, wie ja möglich, im Medium der Erkenntnisse und im Medium der Körperlichkeit zu situieren (s.o., Anm. 7), sondern eben auch, immer einmal wieder, im Medium der Bewegungsvollzüge.

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