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der Bildung 8

8.3 Kategoriale Bildung

dern in diesen Erfahrungen auch Bewegung als Bewegung mit zu erfahren, und analog Körperlichkeit als Körperlichkeit, Erkennen als Erkennen.9

mittelbarkeit. Zwar ist das Innewerden einer Einheit von Momenten, wie es Bil-dungsprozesse charakterisiert, von gänzlich anderer Art als etwa das ‚Innewerden‘

des Ergebnisses einer Schlussfolgerung aus vorausgesetzten Prämissen – es handelt sich um präsentisches, nicht um repräsentisches Wissen, und dies mag die Rede von Unmittelbarkeit motivieren –, aber das ändert nichts daran, dass man auch prä-sentisches Wissen nicht einfach so, gänzlich unvermittelt, einfach hat, und Amen.

Auch viele Jahre später wird Klafki diese Unklarheit noch einbauen. Er benutzt dort zwar explizit den Terminus des Mediums, aber dies nur in der Abschnitts-überschrift, nicht im Text des Abschnitts selbst, und folglich auch nicht, um die Dreiheit der Struktur herauszuheben. Unter dem Titel „Bildung als Subjektent-wicklung im Medium objektiv-allgemeiner Inhaltlichkeit“ (Klafki, 1986, S. 459-463) wird das Grundanliegen kategorialer Bildung wiederholt. Die Betonung der Selbst-Bildung eines autonomen Subjekts resp. einer Person „ist alles andere als subjektivistisch“ zu verstehen, was deutlich wird, wenn man „eine zweite Gruppe von Bestimmungen ins Auge fasst“, die eine kategoriale Bildung charakterisieren, nämlich „Humanität, Menschheit und Menschlichkeit, Welt, Objektivität, All-gemeines“. Dies ist gemeint, wenn er ‚Subjektentwicklung im Medium der Inhalt-lichkeit‘ sagt, mit der entscheidenden Erläuterung:

„Freiheit des Denkens und Handelns gewinnt das Subjekt nur in Aneignungs- und Auseinandersetzungsprozessen mit einer Inhaltlichkeit, die zunächst nicht ihm selbst entstammt, sondern Objektivation bisheriger menschlicher Kulturtätigkeit im weitesten Sinne des Wortes ist.“ (ebd., S. 459f.)

Was hier gewollt ist, ist klar und deutlich. Aber was bis in die Formulierungen hinein nicht bedacht ist, ist die hier eingehende notwendige Doppeldeutigkeit al-ler Begriffe jener zweiten Gruppe. Zu unterscheiden sind Dinge in der Welt und die Welt. Ein Aneignungsprozess ist ein Prozess zwischen einem weltlichen (in-dividuellen oder kollektiven) Subjekt und weltlichen Objekten, der in einer Welt stattfi ndet. Ein Selbst-Bildungsprozess ist also nicht primär deshalb ein inhaltlich bestimmter, ein materialer Prozess, weil er notwendigerweise immer auf Objekte in der Welt bezogen ist, sondern primär deshalb, weil er kein rein ätherischer ist, bei dem sich rein willkürlich dieses oder jene Subjekt je nach Lust und Laune auf dieses oder jene Objekt bezieht, sondern weil Bildungsprozesse bereits in einer Welt, eben in einem Medium kultureller Objektivationen stattfi nden.10

10 Die hier eingebaute Unklarheit hat systematisch ihren Grund auch darin, dass Klafki mit Hegel auf Kriegsfuß steht (etwa Klafki, 1986, S. 462f.). Gerade mit Hegel ist aber klar, dass Bildungsprozesse niemals nur auf Basis der Dualität Besonderes –

Allge-Mag diese Unterscheidung noch so unscheinbar sein, so macht sie doch einen Unterschied. Bildungsprozesse sind Prozesse, in denen Subjekte in einer Situation auf Objektivationen bezogen sind, und diese Situationen sind als kleinere oder größere Welten nicht einfach die Summe der in ihnen sich befi ndenden Subjekte und Objekte, sondern eben das Medium, in denen subjektive Bezugnahmen auf Objektivationen geschehen.

Ein Beispiel mag zeigen, welche Unterschiede auf dem Spiel stehen und drohen, verloren zu gehen, wenn man jene Dreierstruktur von Medialität nicht hinreichend explizit macht oder gar einer Unmittelbarkeit im Erleben oder im Verstehen an-derer Menschen (Klafki, 1959a, S. 43; s.o.) das Wort redet. Bei Adam Smith gibt es eine feine Unterscheidung in dem, was Sympathie heißen könnte, und was man leicht miteinander verwechseln könnte. Smith nennt genau das Sympathie, was mit Klafki eine kategoriale Erschlossenheit ist: „Sympathie entspringt also nicht so sehr aus dem Anblick des Affektes, als vielmehr aus dem Anblick der Situation, die den Affekt auslöst“ (Smith [1791]; zit. n. Johnen, 2016, S. 56f.). Das Verstehen des Affektes des anderen Menschen ist demgemäß alles andere als unmittelbar oder ‚einfühlend‘, sondern vermittelt durch ein Verstehen der Situation, in der der Andere einem begegnet.

Mir scheint daher, dass man den von Klafki gewählten Namen ernster nehmen muss als Klafki selbst das getan hat. Kategorien stehen nicht, einfach so, für all-gemeine Inhalte oder für Prinzipien; sie stehen überhaupt nicht für begriffl iche Gehalte, sondern für Ermöglichungsstrukturen. Diesen Unterschied in dem, was

„allgemein“ heißt, ebnet Klafki ein: „nicht weniger allgemein (sprich: kategorial) als alle anderen Bestimmungen auch“ (Klafki, 1959b, S. 308). Die klassische kantische Formulierung war aber, dass kategoriale Gehalte transzendentale Be-dingungen der Möglichkeit von Erfahrungen sind, und daher kann Plessner recht lapidar formulieren: „Kategorien sind keine Begriffe, sondern ermöglichen sie“

(Plessner, 1928, S. 116). Kategoriale Gehalte sind jene dritten, medialen Momente, die subjektive Aneignungsprozesse von Objektivationen ermöglichen.

Kategoriale Bildung in diesem Sinne ist keineswegs ein Gegenkonzept zu Klafki, im Gegenteil. Aber über jene Unklarheit bei Klafki hinaus würde die-ses Konzept herausstellen, dass Bildung als Inbegriff von formal-materialen Er-schließungsvorgängen auch mit dem Erschließen der mitgegebenen bestimmten Situation zu tun hat, in der sich solche Vorgänge vollziehen. Situationen sind die Färbung, die alle Subjekte und Objekte in dieser Situation je schon haben. Es sind dann zwei ganz verschiedene Kontingenz-Register gezogen, und es kann

didak-mein verständlich sind, sondern in der Dreiheit Einzelnes – Besonderes – Allgedidak-meines und insbesondere in der Figur des übergreifenden Allgemeinen gründen.

tisch und methodisch im Einzelfall sinnvoll sein, diese beiden Register je einzeln erfahrbar zu machen. Exemplarisch gesprochen: Es ist ein Erschließungsprozess zu erfahren, welche ganz verschiedenen Möglichkeiten ein Fahrrad als Transport- und Fortbewegungsmittel oder ein Speer als Wurfgerät hat; aber es erschließt sich etwas anderes, wenn diese Erfahrungen kategoriale Grenzen überschreiten und man in jenen Erfahrungen plötzlich erfährt, dass man ein Fahrrad gar nicht als Fortbewegungsmittel, sondern als Kunstgegenstand, als Statussymbol oder gar als Sportgerät gebrauchen kann, oder dass man einen Speer auch als Jagdwerkzeug oder als Waffe gebrauchen kann. Etwas pathetisch klingend, gleichwohl strikt struktural gesagt: Bildung vollzieht sich dort, wo nicht nur Freiheit von Denken und Handeln erfahren wird, sondern wo diese Freiheit zugleich als Freiheit er-fahren wird. Oder alltäglicher gesagt: Mein Prototyp von Bildung ist der gebildete Geschmack, und ein Geschmack ist dann gebildet, wenn er ein Differenzierungs-vermögen ausgebildet hat.

Bildung hätte es dann zunächst mit Differenzerfahrungen innerhalb von ka-tegorialen Grenzen zu tun, mit der Erweiterung des Horizonts von Möglichkeiten.

Als Freiheit wird diese Freiheit von Möglichkeiten dabei dadurch erfahrbar, dass die kategorialen Grenzen dieses Möglichkeitsraums refl exiv eingeholt werden, also durch Differenzierung der Perspektive, in der jene Möglichkeiten betrachtet werden. Diese zweite Kontingenzerfahrung muss die Form der Befremdung an-nehmen, denn zunächst ist die immer schon eingenommene Perspektive die selbst-verständliche, die vertraute, von der eben deshalb nicht einmal klar ist, dass es überhaupt eine bestimmte Perspektive ist. Dass Möglichkeitsräume überhaupt ka-tegorial formatiert sind – dass die Differenzenreihe ‚PKW, Bus, Bahn, Fahrrad, zu Fuß‘ anders gerastert ist (Format: Fortbewegungsmittel) als die Reihe ‚PKW, Eigenheim, Golfclub, Ehefrau‘ (Format: Statussymbol) – ist uns allen alltäglich bekannt, aber deshalb noch lange nicht erkannt.

Assistierte Bildung hat es auch, und vielleicht vor allem, damit zu tun, Per-spektivenunterschiede erfahrbar zu machen. Vermutlich lohnen hier Relektüren der Theaterkonzeption von Brecht, oder schlicht der Verweis auf drastisch-gute Beispiele, wie sie z.B. Judith Butler unter dem Titel Raster des Krieges themati-siert. Die in das sog. embedded reporting eingebundene Kriegsberichterstattung ist, weit diesseits aller faktischen Einschränkungen von Wahrnehmungsvielfalt, der Versuch, die Perspektive zu dirigieren, also das Feld des Wahrnehmbaren zu rastern. Klafki (1959a) hat bereits auf solche Zweidimensionalität von Kontingen-zen verwiesen, wenn er darauf verweist, dass auch zu organisieren ist, dass an einem naturwissenschaftlichen Fallbeispiel nicht nur das Allgemeine dieses Falles erschlossen wird, sondern auch noch „aufginge, was die exakt-naturwissenschaft-liche Methode überhaupt bedeutet“ (ebd., S. 41). Analog kann einem dort, wo

Butler mit Susan Sontag über die Rolle von Photographien in der Kriegsbericht-erstattung nachdenkt, an diesem Beispiel der Bilder aufgehen, was zeitgenössische Kriegsberichterstattung überhaupt ist: „After all, rather than merely referring to acts of atrocity, the photograph builds and confi rms these acts for those who would name them as such“ (Butler, 2009, S. 70).