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Die Rolle der Schüler/innen in der kategorialen Bildung und kritisch-konstruktiven Didaktik

6.3 „Schüleraktivierung“ durch „Bewegungsbildung“

6.4 Die Rolle der Schüler/innen in der kategorialen Bildung und kritisch-konstruktiven Didaktik

Wie verhält es sich mit der Rolle der Schüler/innen im Unterricht im bildungs-theoretischen und später kritisch-konstruktiven Denken Wolfgang Klafkis über die 1951 beschriebene konstitutive Selbsttätigkeit hinaus? Dies ist eine Frage, der in der Rezeption der Klafkischen Schriften in den letzten Jahren von verschiede-nen Autor/inn/en eher beiläufi g nachgegangen wurde (u.a. Meyer & Meyer, 2007, Lin-Klitzing 2009a, 2009b, 2011, 2017, Stübig & Stübig 2007). Meyer und Meyer kritisierten, dass die Schüler/innen bei Klafki „durchgehend nur als Objekte der didaktischen Bemühungen und nicht als Subjekte didaktischer Prozesse, nicht mit ihrer didaktischen Kompetenz in den Blick“ (Meyer & Meyer 2007, S. 112) gerieten, was sich auch in Klafkis Perspektivenschema zur Unterrichtsplanung

zeige, in dem die Schülerperspektive nach wie vor eine untergeordnete Rolle spiele. Koch-Priewe widmet sich diesem Thema unter der provozierenden Fra-gestellung: „SchülerInnen nur als ‚Störgröße‘? Vermeintliche und reale Defi zite der bildungstheoretischen bzw. kritisch-konstruktiven Didaktik und ihre aktuelle Bedeutung“ (Koch-Priewe, 2017), hier nun ebenfalls unter Einbezug der 2013 ver-öffentlichten zweiten Staatsexamensarbeit von Wolfgang Klafki. Dazu fragt sie nach impliziten und expliziten Aussagen Wolfgang Klafkis zur Rolle der Schüler/

innen als Subjekte in der Kategorialen Bildung und in der kritisch-konstruktiven Didaktik. Sie stellt zusammenfassend für die Didaktische Analyse und für das vorläufi ge Perspektivenschema zur Unterrichtsplanung diesbezügliche Leerstellen fest. Das spräche aus ihrer Sicht aber nicht dagegen, dass Klafki dies nicht für wünschenswert gehalten habe, denn letztlich könnten nur die Schüler/innen selbst darüber entscheiden, was für sie Bildungswert habe, dessen kategoriale Bedeutung sich ja im Hier und Jetzt des Lebens der Schüler/innen erweisen solle (vgl. Koch-Priewe, 2017, S. 140). Lehrpersonen müssten demgemäß gemeinsam mit den Schü-lern/innen auf die Suche danach gehen, worin für sie ein Bildungsgehalt stecke.

Koch-Priewe geht davon aus, dass Klafki diesen Interaktionsprozess als natürlich vorausgesetzt und diesen auch in der achten Studie „Zur Unterrichtsplanung im Sinne kritisch-konstruktiver Didaktik“ expliziert habe. In eine modernisierte Di-daktische Analyse müsse allerdings eine neue Leitfrage aufgenommen werden, in der die jeweiligen kategorialen Selbst- und Weltbezüge der Schüler/innen ge-meinsam in der Gruppe besprochen werden sollten. Koch-Priewe entwickelt dazu folgende ergänzende Frage, die im Wesentlichen Aspekte innerer Differenzierung berücksichtigt:

„Was ist für alle SchülerInnen bildend an der durch den Austausch erzielten ge-meinsamen Erkenntnis über die Verschiedenheit und die Ähnlichkeit der Zugän-ge, Lernwege und Bedeutungshorizonte? Nach dieser Vorstellung brauchen Unter-richtseinheiten mit individualisierten Phasen zusätzlich eine Meta-Ebene, in der die individuelle Verschiedenheit der Zugänge, Arbeitsweisen und Ergebnisse begriffl ich erfasst und damit zu bestimmten Anteilen überwunden wird.“ (Koch-Priewe, 2017, S. 150)

Ich teile die Kritik an der Rezeption der Schemata bzw. an diesen Schemata selbst.

Dies gilt nämlich ebenso für die verkürzte Rezeption des Dimensionen- und Kri-terienrasters für Innere Differenzierung (vgl. dazu Lin-Klitzing, 2017).

In der „Didaktischen Analyse“ wurde also aus der Planungsperspektive der Lehrenden für die Schüler/innen, aber nie ohne deren notwendige Gegenwarts- und Zukunftsbedeutung, die konstitutiv für die Kategoriale Bildung der Schüler/

innen ist, gedacht und geplant. Aber es wird in der Tat mit bestem Wissen und

Gewissen für sie geplant. 1951, lange vor der Veröffentlichung der Didaktischen Analyse, drückt Klafki das so aus:

„Seinen spezifi sch pädagogischen Gehalt erhält das Bemühen der Erziehung um die objektiven Werte und die Einbindung ihrer gestaltenden Kraft dadurch, daß all das um des werdenden Menschen willen geschieht, aus einer im letzten unergründlichen Liebe zum Kinde und den in ihm schlummernden Wertmöglichkeiten. Damit aber verschafft sich zugleich der individualisierende Pol der Bildung Gehör. Der Erzieher, die Schule, werden ihre Maßnahmen, die ja immer Hilfe zur Selbstbildung sind, den Gesetzen der körperlichen und geistig-seelischen Entwicklung des Kindes anpassen.

Und bei aller Offenheit und Objektivität gegenüber der Mannigfaltigkeit der Wert-welt wird die Schule doch auch stets Raum schaffen müssen, daß der Zögling seine, die ihm gemäße Form der Bildung zu gewinnen oder doch anzubahnen vermag.“

(Klafki, 2013, S. 54)

Danach, in den 1970er Jahren, ging es bei der bildungspolitischen Auseinander-setzung um „offene Curricula“ und die Förderung von selbstbestimmtem und ge-sellschaftskritischem Lernen u.a. auch um die Mitplanung von Unterricht durch die Schüler/innen. Die Lehrenden sollen mit den Schülern/innen über den Unter-richt sprechen, ihn refl ektieren, ihn planen und gestalten. Dazu schreibt Klafki 1985:

„Im Lehr-Lern-Prozeß müssen die Prinzipien der Selbstbestimmung, der Mitbestim-mung und der Solidarität in einer Folge wachsender Schwierigkeitsgrade, wachsen-den Anspruchs verwirklicht werwachsen-den. Anders formuliert: in der Form der Mitplanung des Unterrichts bzw. einzelner Unterrichtsphasen durch die Schüler, durch Unter-richtskritik zusammen mit den Schülern, durch ‚Unterricht über Unterricht‘. Das sind Elemente dessen, was heute unter den Stichworten ‚offener‘, ‚schülerzentrierter‘

bzw. ‚schülerorientierter‘ Unterricht oder unter dem Motto ‚Lehrer und Schüler ma-chen Unterricht‘ erfreulich intensiv diskutiert wird.“ (Klafki, 1985, S. 77)

2007 interpretieren Stübig und Stübig in ihrem Beitrag „Mit Klafki Offenen Un-terricht planen?“ die o.g. Aufforderungen Klafkis bezogen auf UnUn-terrichtspla- Unterrichtspla-nung so, dass die Schüler/innen mehrschrittig zunächst

„im Prozess der Unterrichtsplanung aufgefordert und ermutigt werden, ihre ak-tuellen Interessen und Vorerfahrungen einzubringen. Die Planung von Unterricht wird dabei zunehmend eine von Lehrern und Schülern gemeinsam betriebene Auf-gabe. Sie kann in Form von (Planungs-) Unterricht für den folgenden Unterricht stattfi nden, der darauf abzielt, die Sichtweisen der Schüler zu thematisieren und da-mit in Planungsschritte zu transformieren“. Darüber hinaus stünde „zum Abschluss wieder Unterricht über Unterricht an, um das Erreichte sichtbar zu machen.

Schüler-feedback und Portfolio erscheinen dabei als geeignete Instrumente, um sowohl die nächste Planungsphase zu unterstützen als auch um inhaltliche und methodische Metarefl exion so zu verbinden, dass der Freisetzungsprozess der Lernenden für sie selbst erfahrbar wird“. Aus ihrer Sicht erfahre die Unterrichtsplanung in Klafkis Konzeption insofern eine neue Ausrichtung, „als die Fragen der inhaltlichen Be-stimmung der bildenden Unterrichtsgegenstände und die Beteiligungsnotwendigkeit der Lernenden nun gleichwertig zum Tragen“ kämen (Stübig & Stübig 2007, S. 118).

Obwohl Meyer und Meyer (2007) einerseits die mangelnde Berücksichtigung der Schüler/innen als Subjekte mit eigener didaktischer Kompetenz kritisiert hat-ten, sahen sie andererseits in der kritisch-konstruktiven Didaktik einen offenen Horizont für die Planungsbeteiligung der Schüler/innen: Die Mitplanung und Mitgestaltung von Unterricht auch durch die Schüler/innen würde in der wei-ter entwickelten kritisch-konstruktiven Didaktik von Klafki im Rahmen seiner Schlüsselproblemkonzeption eingelöst. Mit den sich verändernden epochalty-pischen Schlüsselproblemen werde nämlich kein Inhaltskanon mehr festgelegt, sondern „die Entscheidungen über die Inhalte, Gegenstände und Verfahren in die Hände der am Unterricht Beteiligten, also der Lehrerinnen und Lehrer und der Schülerinnen und Schüler, gelegt“ (Meyer & Meyer, 2007, S. 125).

Sowohl Koch-Priewe als auch Stübig und Stübig binden die Unterrichtspla-nung und -evaluation an die gemeinsame Lehrer/innen-Schüler/innen-Refl exion, an den diskursiven Austausch über das Gelernte, im besten Falle über gewonne-ne Einsichten und deren Konsequenzen für das weitere Lergewonne-nen. Rückblickend im Gespräch mit Karl-Heinz Braun formuliert Klafki, dass Erziehende/Lehrende

„Bezugspersonen in Interaktionen“ (Klafki & Braun, 2007, S. 91) seien. Für das pädagogische Feld sei nach wie vor der „Interaktionsaspekt“ der wesentliche:

„Denn pädagogische Interaktionen sind der Ort jener edukativen Prozesse, in denen Selbst- und Mitbestimmungsfähigkeit entwickelt oder mindestens deren Entwick-lung angeregt werden kann. Die zentrale Frage richtet sich auf die Struktur und die Bedingungen so verstandener Interaktionsprozesse, die hier grundsätzlich als historisch-vermittelte, aber nicht als notwendigerweise total gesellschaftlich de-terminierte verstanden werden. […] Vor allem über die Organisationsmomente sind päd agogische Interaktionen mit gesamtgesellschaftlichen Verhältnissen und Prozessen vermittelt. Überkommene bzw. in der Praxis vorfi ndliche Organisations-momente sind also unter dem Gesichtspunkt der angestrebten Interaktionen auf ihre Angemessenheit bzw. Veränderungsbedürftigkeit und -möglichkeit hin zu unter-suchen; Theorie und Praxis müssen aber zugleich neue, den Interaktionszielen ent-sprechende Organisationsformen entwickeln und erproben.“ (Klafki & Braun, 2007, S. 87)

In dieser Rückschau bildet sich die synthetische Weiterentwicklung des „vorkriti-schen“ bildungstheoretischen Klafki mit dem pädagogischen Bezug aus der Geis-teswissenschaftlichen Pädagogik hin zum weiterentwickelten, kritisch-konstruk-tiven Denker ab. Die gemeinsame Refl exion im pädagogischen Bezugsverhältnis konkreter Selbst- und Weltbezüge, individueller „Lern- und Bildungsentwicklung“

lässt sich als ein durchgehendes Merkmal der Person und bildungstheoretischen Konzeptionen Wolfgang Klafkis beschreiben.