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Bildungstheorie und Sportdidaktik Ein Diskurs zwischen kategorialer und transformatorischer Bildung

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Academic year: 2022

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Bildungstheorie und Sportdidaktik

Ralf Laging

Peter Kuhn Hrsg.

Ein Diskurs zwischen kategorialer

und transformatorischer Bildung

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Reihe herausgegeben von N. Neuber, Münster, Deutschland M. Krüger, Münster, Deutschland

Schriftenreihe des Centrums für

Bildungsforschung im Sport (CeBiS)

Band 9

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sollen nach den ernüchternden Ergebnissen der PISA­Studien zu Beginn des 21.

Jahrhunderts zu einer Qualitätssteigerung des deutschen Bildungssystems beitra­

gen. Dabei geht es um mehr als nur eine erneute Bildungsreform. Sichtbar werden vielmehr die Konturen eines umfassenden und grundlegenden Strukturwandels des Erziehungs­ und Bildungssystems. Von Sport ist in diesem Zusammengang aller­

dings selten die Rede. Dabei ist die pädagogische Bedeutung von Bewegungs­, Spiel­

und Sportangeboten unstrittig. Bildungsprozesse blieben unvollständig, würden sie körperlich­leibliche Dimensionen des Lernens ausblenden. Mit der Reihe „Bil­

dung und Sport“ sollen die Bildungspotenziale des Sports vor dem Hintergrund aktueller Bildungsdebatten ausgelotet werden. Dabei wird eine sozialwissenschaft­

liche Perspektive eingenommen. Die Reihe eignet sich insbesondere für empirische Forschungsarbeiten mit pädagogischer, soziologischer und psychologischer Aus­

richtung. Darüber hinaus werden theoretische Arbeiten zur Bildungsdiskussion im Sport berücksichtigt.

Das Centrum für Bildungsforschung im Sport (CeBiS) ist ein Forschungs­

verbund, der am Institut für Sportwissenschaft der Westfälischen Wilhelms­

Universität Münster angesiedelt ist. Der Forschungsverbund zielt auf die Förderung schulischer und außerschulischer Bildungsforschung im Sport.

Weitere Bände in der Reihe http://www.springer.com/series/12751 Reihe herausgegeben von

Nils Neuber, Münster, Deutschland Michael Krüger, Münster, Deutschland

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(Hrsg.)

Bildungstheorie und Sportdidaktik

Ein Diskurs zwischen kategorialer

und transformatorischer Bildung

(5)

Marburg, Deutschland Bayreuth, Deutschland

Bildung und Sport

ISBN 978­3­658­17095­0 ISBN 978­3­658­17096­7 (eBook) https://doi.org/10.1007/978­3­658­17096­7

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­

bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d­nb.de abrufbar.

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V Bildung ist ein sportpädagogischer Dauerbrenner. So führten die Diskussionen um den Bericht der Bildungskommission NRW Mitte der 1990er zur so genann- te pädagogischen Wende. Der „Erziehende Sportunterricht“ hielt Einzug in die Sportlehrpläne der Bundesländer. Dies bedeutete auch eine Rehabilitierung der klassischen Theorie der Leibeserziehung. Bildungstheoretische Vorstellungen vom Sportunterricht wurden wieder hoffähig. Mitte der 2000er Jahre führte der zwölfte Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung dazu, dass Bildung nicht mehr allein den Bildungsinstitutionen, wie Schule und Hochschule, vorbehalten blieb, sondern breiter gefasst wurde. Alle Lebensbereiche sollten am Bildungs- prozess beteiligt sein, wenn auch in unterschiedlichen Bildungsmodalitäten, sei es formell, non-formal oder informell. In der Sportpädagogik erschienen in Folge mehrere Arbeiten zum Informellen Lernen in unterschiedlichen sportbezogenen Handlungsfeldern. Nicht zuletzt entstand auch die vorliegende Buchreihe „Bildung und Sport“ im Rahmen der Diskussionen um den 12. Kinder- und Jugendbericht.

Jetzt greifen Ralf Laging und Peter Kuhn das Bildungsthema im sportpäda- gogischen Kontext erneut auf. Vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Verände- rungsprozesse machen sie sich auf die Suche nach einem Bildungsbegriff, der als zeitgemäßer Orientierungsrahmen für eine Didaktik des Sportunterrichts dienen kann. Dabei spannen sie den Bogen von der kategorialen Bildung (Klafki) über die transformatorische Bildung (Koller) bis hin zu relationalen Bildungskonzep- ten (Benner). Das Suchraster des vorliegenden Sammelbands umfasst neben eher klassischen Zugängen zum Bildungsthema, denen mit dem Tod von Wolfang Klaf-

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ki im August 2016 besondere Aufmerksamkeit zuteilwird, aktuelle Zugänge zum Bildungsthema, die mit der Krise als Anlass für Bildungsprozesse einen anderen Ausgangspunkt aufweisen. Hinzu kommen integrative Zugänge zum Bildungsthe- ma, die die Person/Mensch-Welt-Beziehung in den Mittelpunkt rücken und expli- zit nach der Sache „Sport“ als subjektiv bedeutsamer Weltbegegnung fragen.

Den Herausgebern gelingt damit ein umfangreicher Bogenschlag, der allge- mein pädagogische und sportpädagogische Beiträge umfasst. Zugleich bringen sie mit ihrem Band 23 renommierte Autorinnen und Autoren in insgesamt 16 Beiträgen zusammen, die in dieser Form wohl noch an keiner anderen Stelle zu- sammengekommen sind. So unterschiedlich die theoretischen Zugänge und prak- tischen Vorgehensweisen dabei sind, so sehr eint die Beiträge das Bestreben, den Bildungsbegriff vor dem Hintergrund der aktuellen Rahmenbedingungen auszu- loten und weiterzuentwickeln. Dem sportpädagogischen Diskurs tut die Weite der Argumentationsmuster gut, war es doch in den letzten Jahren mit Blick auf die all- gegenwärtige Kompetenzdebatte eher still um den bildungstheoretischen Diskurs im Fach geworden. Bildung ist jedoch mehr als die Summe von Kompetenzen.

Insofern bleibt zu hoffen, dass die in diesem Sammelband vereinten Beiträge der sportpädagogischen Diskussion um eine sport- und bewegungsfreundliche Schule, einen anspruchsvollen Schulsport und einen „guten Sportunterricht“ neue Impulse geben können. Zugleich wäre zu wünschen, dass die Beiträge über die sportpäda- gogische Szene hinaus Beachtung fi nden, denn natürlich werden von hier aus auch Signale in die allgemeine Pädagogik und Schulpädagogik ausgesandt.

Münster, im Juli 2017

Michael Krüger & Nils Neuber

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VII Verzeichnis der Autorinnen und Autoren . . . XI 1 Bildungstheorie und Sportdidaktik . . . 1 Eine Einführung

Ralf Laging und Peter Kuhn

Teil I BEITRÄGE IM HORIZONT KATEGORIALER BILDUNG

2 Kategoriale Bildung und Kompetenzorientierung . . . 29 Ist Wolfgang Klafkis Theorie noch zeitgemäß?

Frauke Stübig und Heinz Stübig

3 Über die unerledigte „Kategoriale Bildung“ . . . 49 In memoriam Wolfgang Klafki

Andreas Gruschka

4 Kategoriale Bildung . . . 61 Grundidee, Differenzierungen und Aktualisierungen im Hinblick

auf eine Didaktik innovativen Sportunterrichts Peter Elfl ein

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5 Kategoriale Bildung als Formbildung

in bewegungskulturellen Feldern . . . 87 Jörg Bietz

6 Prinzipien schülerorientierten und schüleraktivierenden Unterrichts in der kategorialen und kritisch-konstruktiven

Bildungstheorie von Wolfgang Klafki . . . 111 Susanne Lin-Klitzing

7 Bewegungsbildung im Horizont allgemeiner Bildung . . . 133 Robert Prohl und Alexander Ratzmann

8 Bewegung in der Unverfügbarkeit der Bildung . . . 155 Ein praxistheoretischer Blick

Volker Schürmann

Teil II BEITRÄGE IM HORIZONT

TRANSFORMATORISCHER BILDUNG

9 Bildung durch Irritation im Sportunterricht? . . . 179 Rekonstruktion des Schüler/innenverhaltens

und -erlebens am Beispiel von Unterrichtsversuchen zum Erkunden Ingrid Bähr, Claus Krieger und Tobias Regenbrecht

10 Eine berufsbiographische Entwicklungstypologie

von Sportlehrenden vor bildungs-theoretischem Hintergrund . . . 205 Christian Ernst und Wolf-Dietrich Miethling

11 Transformatorische Bildungsprozesse

in universitären Berufsbiographien . . . 229 Eine autobiographische Spurensuche zur Genese von Fremdheit

Matthias Schierz und Jörg Thiele

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Teil III BEITRÄGE IM HORIZONT BILDENDER WELTBEGEGNUNG

12 Eine Allgemeine Pädagogik für die Sportpädagogik? . . . 253 Elk Franke

13 Bildungsprozesse im Wechsel der Perspektiven von Teilnahme

und Beobachtung . . . 293 Vorschlag eines Theorierahmens

Bernhard Dressler

14 Fachliche Bildung im Sportunterricht . . . 317 Basiskonzepte des Sich-Bewegens als didaktische Strukturierung

des Gegenstands im Sportunterricht Ralf Laging

15 Kulturelle Bildung im Bildungsdiskurs . . . 343 Die ästhetische Dimension der Weltbegegnung

Antje Klinge

16 Bildung im Sportunterricht aus der Kinderperspektive . . . 361 Peter Kuhn, Thomas Leffl er und Sebastian Liebl

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XI Bähr, Ingrid, Prof. Dr., Universität Hamburg, Fakultät für Erziehungswissenschaft, Didaktik der sprachlichen und ästhetischen Fächer (EW 4), Von-Melle-Park 8, 20146 Hamburg; E-Mail: ingrid.baehr@uni-hamburg.de

Bietz, Jörg, Prof. Dr., Philipps-Universität Marburg, Fachbereich Erziehungs- wissenschaften, Institut für Sportwissenschaft und Motologie, Barfüßerstraße 1, 35032 Marburg; E-Mail: bietz@staff.uni-marburg.de

Dressler, Bernhard, Prof. Dr. i.R., Philipps- Universität Marburg, Fachbereich Evangelische Theologie, Alte Universität, Lahntor 3, 35032 Marburg; E-Mail:

dressleb@staff.uni-marburg.de

Elfl ein, Peter, Prof. Dr., Universität Osnabrück, Institut für Sport- und Bewegungs- wissenschaften, Jahnstr. 75, 49080 Osnabrück; E-Mail: pelfl ein@uni-osnabrueck.de Ernst, Christian, Dr., Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Institut für Sport- wissenschaft, Olshausenstraße 74, 24098 Kiel; E-Mail: christianernst@email.uni- kiel.de

Franke, Elk, Prof. Dr. em.; Humboldt-Universität zu Berlin, Institut für Sport- wissenschaft, Abt. Sportpädagogik/Sportphilosophie, Philippstraße 13, Haus 11, 10115 Berlin; E-Mail: elk.franke@rz.hu-berlin.de

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Gruschka, Andreas, Prof. Dr. em., Goethe-Universität Frankfurt, Fachbereich Erziehungswissenschaften, Institut für Pädagogik der Sekundarstufe, Theodor- W.-Adorno-Platz 6, D-60323 Frankfurt am Main; E-Mail: A.Gruschka@em.uni- frankfurt.de

Klinge, Antje, Prof. Dr., Ruhr-Universität Bochum, Fakultät für Sportwissenschaft, LFB Sportpädagogik u. Sportdidaktik, Gesundheitscampus-Nord 10, 44801 Bo- chum; E-Mail: antje.klinge@rub.de

Krieger, Claus, Prof. Dr., Universität Hamburg, Fakultät für Erziehungswissen- schaft, Didaktik der sprachlichen und ästhetischen Fächer (EW 4), Von-Melle- Park 8, 20146 Hamburg; E-Mail: claus.krieger@uni-hamburg.de

Kuhn, Peter, Prof. Dr., Universität Bayreuth, Institut für Sportwissenschaft, Uni- versitätsstraße 30, 95447 Bayreuth; E-Mail: peter.kuhn@uni-bayreuth.de

Laging, Ralf, Prof. Dr., Philipps-Universität Marburg, Fachbereich Erziehungs- wissenschaften, Institut für Sportwissenschaft und Motologie, Barfüßerstraße 1, 35032 Marburg; E-Mail: laging@staff.uni-marburg.de

Leffl er, Thomas, Dr., Universität Würzburg, Institut für Sportwissenschaft, Juden- bühlweg 11, 97082 Würzburg; E-Mail: thomas.leffl er@uni-wuerzburg.de Liebl, Sebastian, Dr., Universität Regensburg, Sportzentrum, Universitätsstraße 31, 93053; E-Mail: sebastian.liebl@ur.de

Lin-Klitzing, Susanne, Prof. Dr., Philipps-Universität Marburg, Fachbereich Er- ziehungswissenschaften, Institut für Schulpädagogik, Pilgrimstein 2, 35032 Mar- burg; E-Mail: susanne.linklitzing@staff.uni-marburg.de

Miethling, Wolf-Dietrich, Prof. Dr., Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, In- stitut für Sportwissenschaft, Olshausenstraße 74, 24098 Kiel; E-Mail: wolfmieth- ling@email.uni-kiel.de

Prohl, Robert, Prof. Dr.; Goethe-Universität Frankfurt, Institut für Sportwissen- schaften, Ginnheimer Landstraße 39, 60487 Frankfurt am Main; E-Mail: prohl@

sport.uni-frankfurt.de

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Ratzmann, Alexander; Philipps-Universität Marburg, Fachbereich Erziehungs- wissenschaften, Institut für Sportwissenschaft und Motologie, Barfüßerstraße 1, 35032 Marburg; E-Mail: alexander.ratzmann@staff.uni-marburg.de

Regenbrecht, Tobias, Universität Hamburg, Fakultät für Erziehungswissenschaft, Didaktik der sprachlichen und ästhetischen Fächer (EW 4), Von-Melle-Park 8, 20146 Hamburg; E-Mail: tobias.regenbrecht@uni-hamburg.de

Schierz, Matthias, Prof. Dr., Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Institut für Sportwissenschaft, Uhlhornsweg 49-55, 26129 Oldenburg; E-Mail: matthias.

schierz@uol.de

Schürmann, Volker, Prof. Dr., Deutsche Sporthochschule Köln, Am Sportpark Müngersdorf 6, 50933 Köln; E-Mail: v.schuermann@dshs-koeln.de

Stübig, Heinz, Prof. Dr. i.R., Philipps-Universität Marburg, Fachbereich Erzie- hungswissenschaften, Institut für Schulpädagogik, Pilgrimstein 2, 35032 Mar- burg; E-Mail: stuebig@staff.uni-marburg.de

Stübig, Frauke, Prof. Dr. i.R., Universität Kassel, Institut für Erziehungswissen- schaft, Nora Platiel-Str. 1, 34127 Kassel; E-Mail: stuebig@uni-kassel.de

Thiele, Jörg, Prof. Dr., Technischen Universität Dortmund, Institut für Sport und Sportwissenschaft, Otto-Hahn-Str. 3, 44227 Dortmund; E-Mail: joerg.thiele@tu- dortmund.de

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1

1

Eine Einführung

Ralf Laging und Peter Kuhn

I

Schule und Unterricht sind mehr denn je auf bildungstheoretische Refl exion ver- wiesen. Die gesellschaftlichen Herausforderungen durch Globalisierung, Interkul- turalität und Verlagerung des Lebens in virtuelle Räume machen die Identitäts- suche zur Herausforderung. Schule und Unterricht sind Orte, an denen Prozesse der Selbstsuche, des Verstehens und der Refl exion über und von Themen, Sach- verhalten und Inhalten der Gesellschaft, Wirtschaft, Kultur, Wissenschaft und des Lebensalltags in einem geschützten Rahmen möglich sind. Wie sollten sich also Schule und Unterricht legitimieren, wenn sie nicht einen Beitrag zur Klärung dieser grundlegenden Verhältnisse im Mensch-Welt-Bezug leisten würden? Das, was hier als Leistung von Schule und Unterricht erwartet wird, lässt sich kaum besser als mit dem Begriff „Bildung“ fassen. So selbstverständlich dies klingt, so steckt darin eine Reihe von Implikationen, die es aufzudecken gilt. Was also kann unter Bildung verstanden werden? Wie gestalten sich Bildungsprozesse in Schule und Unterricht und was sind die Gelegenheiten und Gegenstände, an denen sich Bildung dort ereignen kann? Wie verhalten sich Didaktik und Bildungstheorie zu- einander und welche didaktischen Zugänge schaffen überhaupt die Bedingung der Möglichkeit von Bildung? Diese unabgeschlossene Liste grundsätzlicher Fragen verweist auf eine lange Tradition bildungstheoretischer Diskurse, die in diesem Buch aus allgemeiner und sportfachlicher Perspektive aufgegriffen werden und – in didaktischer Absicht – Ansätze für Schule, Unterricht, Lehren und Lernen auf-

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018

R. Laging und P. Kuhn (Hrsg.), Bildungstheorie und Sportdidaktik, Bildung und Sport 9, https://doi.org/10.1007/978-3-658-17096-7_1

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zeigen. Das Buch versammelt Beiträge aus Bildungstheorie und (Sport-)Didaktik, die als relationale Bildungskonzepte einen Bogen zwischen kategorialer und trans- formatorischer Bildung spannen. Dabei ist die kategoriale Bildung von Wolfgang Klafki recht breit und prominent vertreten. Sie hat nach seinem Tod im August 2016 in den Beiträgen eine gründliche Aufarbeitung und Renaissance erfahren.

Auf der anderen Seite hat die kritische Auseinandersetzung mit der klassischen Humboldtschen Bildungstheorie zu einer Neufassung des Bildungsbegriffs ge- führt, die als transformatorische Bildungstheorie Eingang in den Diskurs über Bildung gefunden hat. Darüber hinaus und durchaus übergreifend und verbindend folgt eine Reihe von Beiträgen der relationalen Grundfi gur von Bildung als Wech- selwirkung zwischen Mensch und Welt, die vor allem Fragen zum Gegenstand und Inhalt im Bildungsprozess diskutieren. Die Bezugnahme auf die Sache ist aber nicht nur ein Thema der grundlegenden Relationalität von Bildung, sondern Kern- stück aller Bildungstheorien. Sie hat ihren Ausgangpunkt in der „bildungstheo- retischen Figur der subjektiven und objektiven Seite des Unterrichts“ (Helsper, 2011, S. 157). Damit ist ein Fokus benannt, der in allen Beiträgen sichtbar wird.

Woran sollen sich Bildungsprozesse ereignen, wie begegnen Lernende der Sache in Schule und Unterricht und wie strukturieren Lehrende die Sache im Horizont von Bildung. Welchen Beitrag leisten die Bildungstheorien für die Didaktik zur Refl exion der kanonischen Weltbegegung in Schule und Unterricht?

Im Kern des Buches geht es um die bildungstheoretischen Diskurse zur Klä- rung sportdidaktischer Fragen im Hinblick auf den Sportunterricht, wenngleich eine Reihe von Beiträgen aus der allgemeinen Bildungstheorie und Didaktik ihr Potenzial erst dadurch entfalten können, dass sie in der Sportdidaktik als kritische und konstruktive Refl exionsfolie wahrgenommen werden. Aber auch umgekehrt erlangen die Argumentationsfi guren der allgemeinen Bildungstheorie und Didak- tik erst in der fachlichen Klärung ihre Konkretion und empirische Klärung mög- licher Bildungsprozesse. Das Fach Sport ist hier ein Exempel für einen fachlichen Gegenstand, um den es immer als Kernauftrag des Unterrichts geht. Daher sind diese Studien zur Bildungstheorie und Didaktik direkt oder indirekt Studien im Interesse der Sportdidaktik als wissenschaftliche Disziplin zur Professionalisie- rung von Lehrerinnen und Lehrern mit dem Fach Sport.

Die Fachdidaktik Sport argumentiert im Horizont sportpädagogischer Theo- riebildung seit Mitte der 1990er Jahre mit bildungstheoretischen Konzepten und legitimiert das Fach Sportunterricht mit einem Bildungsanspruch, den junge Men- schen haben und zu dem der Sportunterricht einen Beitrag leisten kann und will (vgl. dazu Prohl, 2001; Bietz, Laging & Roscher, 2005; Prohl, 2010; Krüger &

Neuber, 2011; Aschebrock & Stibbe, 2013). Das Verständnis von Bildung geht jedoch weit auseinander; es reicht von plakativen, eher bildungspolitischen Be-

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kenntnissen über die Zementierung von formaler und materialer Bildung bis hin zu Konzepten der kategorialen, relationalen und transformatorischen Bildung. Mit diesen letztgenannten Konzepten befassen sich die Beiträge dieses Buches im Sin- ne einer Aufklärung und Weiterführung des Diskurses in der Sportpädagogik als eine Bildungstheorie und Didaktik des Sportunterrichts.

Der Bildungsdiskurs der Sportpädagogik hat sich seit nunmehr über 30 Jahren weitgehend auf die Realisierung so genannter „Pädagogischer Perspektiven“ re- duziert, die die Sache des Sports für Ziele wie „Gesundheit“, „Soziales“, „Leis- ten“, „Wettkämpen“, „Wagen“ und neuerdings „Inklusion“ dienend auslegen sollen.

Dabei steht nicht das „sportliche“ Bewegungshandeln als „eine Möglichkeit, uns die freiwillige Selbsterschwernis des Lebens zuzumuten, aus der Kultur entsteht“

(Grupe, 1982, S. 107), im Mittelpunkt der Klärung des Mensch-Welt-Verhältnisses, sondern die Pädagogisierung des Zwecks, zu dem der Sport einen Beitrag leisten soll. Diese Auslegung erweist sich dann als problematisch, wenn es – in Anleh- nung an Prohl und Scheid (2012, S. 25-27) – zu einer Verkehrung der Zweck-Mit- tel-Relation kommt: Im sportlichen Handeln ist die Bewegung selbst der Zweck und nicht Mittel für ein pädagogisches Ziel. Mittel im Sport sind die Hindernisse, Aufgaben oder Anlässe, die auffordern, eine Bewegung auszuführen (z.B. Hürden, die übersprungen werden können, ein Ball, der in den Korb geworfen werden kann, die Reckstange, die Rotationen ermöglicht, die Spielidee, die Spielzüge fordert, um die „Lücken des Gegners“ zu nutzen, die Musik, zu der tänzerische Choreo- graphien entstehen können). Die Mittel veranlassen den Handlungsvollzug im Bewegen, Spielen, Tanzen, Gestalten, Wagen usw., sie ermöglichen ästhetische Er- fahrungen, denen Refl exivität inhärent ist und aus denen sich die bildungsrelevante Spezifi k des Bewegungshandels im Sportunterricht erst ergibt (Franke, 2003). Im Bewegungsvollzug entsteht Sinn im sinnlichen Erleben, der die subjektive Per- spektive in der Auseinandersetzung mit der Sache leitet. Gleichzeitig sind Be- wegungsformen immer auch schon gesellschaftlich mit Sinn belegt. Daher muss es um die Sinnerörterung gehen, die Distanz zur Sache schafft und Refl exivität fordert (vgl. Ehni, 2004, S. 43ff.; auch 2000; aus anderer Perspektive Franke, 2003;

2008 und in diesem Bd.). Insofern kann es zur Klärung des Bildungsbeitrags von Bewegung, Spiel und Sport nicht um festgelegte Sinnperspektiven gehen, sondern um die refl ektierte Auseinandersetzung mit der „originalen Sache“ (Wagenschein, 1982, S. 60f.) im Kontext kultureller Entwicklungen. In bildungstheoretischer Per- spektive stellen sich dann grundlegende Fragen: Welche Perspektiven eröffnet die Sache selbst auf die Welt, wenn Lernende sich auf sie einlassen? Was erschließt sich ihnen an oder in der Sache? Wie werden die Lernenden für die Sache er- schlossen (Klafki, 1957/1964)? Wie kommt es zu einem „ergriffenen Ergreifen“

(Wagenschein, 1982, S. 15f.; siehe Gruschka, 2014 und in diesem Bd.)? Inwiefern

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bilden sich Lernende dabei im Sinne eines Anders-Werdens (vgl. Kokemohr, 2007, S. 21; Koller, 2012, S. 16)? Als Sache ist die gesellschaftlich bedeutsame Sport- und Bewegungskultur gemeint, die Formen, Stilisierungen und Ästhetisierungen enthält und als Phänomen Staunen, Irritationen und Aufforderungen zum Bewe- gungshandeln auslöst. Zugleich begeben sich Lernende mit ihren subjektiven Per- spektiven auf den Weg, um sich ihre Sache in der Sport- und Bewegungskultur zu erschließen. Darin ist die Klärung der von Lernenden selbst getragenen wechsel- seitigen Durchdringung von Mensch und Sache angesprochen, die die Refl exion von Selbst- und Weltverhältnissen fordert. Mit diesem Gedanken sind relationale, kategoriale und transformatorische Bildungskonzeptionen im Umfeld von Klafki (1957/1964, 1985, 1951/2013), Marotzki (1990), Koller (2012) oder Benner (2012) angesprochen.

Die Beiträge dieses Buches thematisieren und refl ektieren diese Bildungskon- zeptionen allgemein und in Bezug auf das Gegenstandsfeld der Bewegungs- und Sportkultur. Zur Einführung in die Beiträge dieses Buches soll im Folgenden auf drei grundlegende Konzepte von Bildung als kategoriale, transformatorische oder grundsätzlich relationale Bildung kurz erläuternd eingegangen werden, um die einzelnen Beiträge in das Spektrum von Bildungstheorie und Sportdidaktik ein- ordnen zu können.

II

Zunächst wollen wir auf die Kategoriale Bildung von Klafki eingehen, die seit den 1960er Jahren die deutsche Bildungstheorie maßgeblich beeinfl usst hat. Wolfgang Klafki hat die Grundzüge seine Kategorialen Bildung bereits 1951 als Volksschul- lehrer im Rahmen seiner Hausarbeit zum Zweiten Staatsexamen entwickelt (vgl.

Ritzi & Stübig, 2013, S. 16).

Das Kernstück der Kategorialen Bildung besteht darin, dass sie die bis dahin als eigenständige und voneinander geschiedene, ja: einander gegenüberstehende geltende Vorstellungen „materialer“ und „formaler“ Bildung überwindet und in eine – nicht ganz neue1, aber – neu interpretierte Figur „kategorialer“ Bildung auf- hebt, und dass diese Figur bis heute als grundlegend für die Bildungstheorie und Didaktik wahrgenommen wird. Klafki begründet die Notwendigkeit der Über-

1 „Auch dieser Begriff ist in der Pädagogik kein völlig neuer, wenn er auch sehr sel- ten auftritt. Erich Lehmensick hat die ‚kategoriale Bildung‘ in seiner Schrift ‚Theo- rie der formalen Bildung‘ als eine Form der formalen Bildung dargestellt“ (Klafki, 1951/2013, S. 75; Hervorhebung im Original).

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windung damit, dass die Theorie der materialen Bildung einseitig den Anspruch des objektiven Poles der Bildung durch die Inhalte vertrete und die Theorie der formalen Bildung versuche, einseitig Bildung durch den subjektiven Pol herauszu- stellen: „Beide haben ein relatives Recht und enthalten beide relative Wahrheiten.

Beide Anschauungen drängen schon aus sich selbst heraus immer wieder hinüber zum Gegenpol“ (1951/2013, S. 66). Seinen darauf aufbauenden ersten Defi nitions- versuch formuliert er – noch als Fragestellung – so:

„Müssen wir nicht vielmehr annehmen, daß die bestimmenden Prinzipien dieser Bildungsgestalt sowohl in der objektiven Welt der Inhalte wie in der subjektiven Seele wirken, daß die Struktur des objektiven Momentes und die des subjektiven Momentes in der Bildungsgestalt einander im Grunde gleich sind, daß, wo ‚Bildung‘

ist, die Gliederung der objektiven Welt in die subjektive Seele Eingang gefunden hat und zur Gliederung dieser Seele als eines ‚Aktzentrums‘ (im weitesten Sinne) ge- worden ist, wobei wiederum diese Gliederung der objektiven Welt schon in der Seele potentiell vorhanden, gleichsam ‚vorgezeichnet‘ gedacht werden muß?“ (1951/2013, S. 67).

In seiner Dissertation wird daraus die paradigmatische Aussage:

„Bildung ist Erschlossensein einer dinglichen und geistigen Wirklichkeit für ei- nen Menschen …, aber das heißt zugleich: Erschlossensein dieses Menschen für diese seine Wirklichkeit. – Entsprechendes gilt für Bildung als Vorgang“ (Klafki, 1957/1964, S. 297).

Was in diesem Zusammenhang „Kategorie“ bedeutet, arbeitet Klafki ebenfalls bereits 1951 aus, und zwar mit einer erstaunlich versierten Abgrenzung zum Ka- tegorienbegriff Kants:

„Unsere Kategorien stehen gleichsam in der Mitte zwischen der erdrückenden, unausschöpfbaren, unmittelbaren Fülle der Erlebnisse, Erkenntnisse, Gefühle, Tä- tigkeiten des Menschen und jenen abstrakten rationalen Gliederungsprinzipien der Kantischen Kategorien. Wollte man die grundlegenden Wesenseigenschaften der un- terschiedlichen Kategorienbegriffe auf eine Formel bringen, so dürfte man vielleicht sagen: Hier apriorische Abstraktheit von Prinzipien, die alleine der Vernunft ent- springen – da geschichtliche Konkretheit von Gesichtspunkten, die aus dem Erlebnis (als Konvergenzpunkt von Seele und Welt) herausgehoben werden. […] […], Ursache im Physikalischen, im Botanischen, im Zoologischen usw., Motiv im Ästhetischen, im Sozialen, im Religiösen usw. (Diese letzten unmittelbaren und konkreten Formen des Welterlebens, Welterkennens, Weltgestaltens meinen wir mit unserem Kategori- enbegriff.)“ (Klafki, 1951/2013, S. 93f.).

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Der Bildungsprozess, in dem der Mensch Kategorien erwirbt, „ist für Klafki ein konkret identifi zierbares Erlebnis, in dem sich das Ganze (die Welt) erschließt“

(Meyer & Meyer, 2007, S. 40). Dies gelingt unter der Voraussetzung, dass das sich bildende Subjekt „Fundamentales, Elementares und Exemplarisches entdeckt, er- lebt und erfährt und wenn es dabei zugleich entdeckt, erlebt und erfährt, dass dies für es selbst Bedeutung hat“ (ebd.).

Im Zuge der Entwicklung einer „kritischen Erziehungswissenschaft“, an der Klafki mit seiner Bestimmung der Didaktik als „kritisch-konstruktive Didaktik“

maßgeblichen Anteil hatte, vollzieht er im Rahmen eines neuen Allgemeinbildungs- konzepts eine Transformation der kategorialen Bildung. Angesichts multidiszipli- närer Angriffe, die mit Konservativismus, Lebens- und Praxisferne argumentieren, wird die bildungstheoretische Didaktik politisch, ohne ihre Grundfi gur zu verlieren.

„Die kritisch-konstruktive Didaktik versteht sich als ein Programm zur Demokra- tisierung von Bildung, Schule und Gesellschaft“ (Meyer & Meyer, 2007, S. 95). In diesem Rahmen defi niert Klafki „Bildung… als Selbstbestimmungs-, Mitbestim- mungs- und Solidaritätsfähigkeit“ (Klafki, 1985, S. 17) und insofern als „Allgemein- bildung“ (ebd.). Das Elementare, Fundamentale und Exemplarische ersetzt Klafki durch „Schlüsselprobleme unserer Zeit“ (ebd., S. 21), in deren Konkretheit der sich bildende Mensch das Allgemeine erschließen und sich selbst dabei entwickeln, sprich: die o.g. Fähigkeiten erwerben kann (vgl. Meyer & Meyer, 2007, S. 120).

Klafkis Studien (1957/1964) beziehen die Situationen der Fächer und die Mög- lichkeiten der fachdidaktischen Konzeptualisierungen für eine kategoriale Bildung mit ein. In diesem Kontext seiner grundlegenden Arbeit rekurriert er in knapper Form auch auf Paschens Fundamentum der Leibeserziehung:

„das Spielhafte, das Sportliche und das Tänzerische, ggf. noch das ‚Erholsame‘“, die sich in „objektivierten Formen des Sports und der Leibesübungen“, in „Bewe- gungsspielen, Wettkämpfen und Tänzen“ realisieren, „die jeweils eine bestimmte Geschichte, einen spezifi schen Bewegungssinn, eine bestimmte Stellung im zeitge- nössischen Sportleben haben und damit einen möglichen Bildungsgehalt bergen“

(ebd., S. 382).

Eine Übertragung der kategorialen Bildung in bildungstheoretischer und kritisch- konstruktiver Ausformung auf die Sportdidaktik ist er zwar schuldig geblieben, er hat aber dennoch fortgesetzt Bezug auf die Bedeutung von Sport und Bewegung im Bildungsprozess genommen, zuletzt, als er seine schon etwas zurückliegenden Überlegungen zum Aspekt von „Freiwilligkeit“ (Klafki, 1975, S. 52) 2001 bzw.

2007 in der Denkfi gur von „Bewegungskompetenz als Bildungsdimension“ (Klaf- ki, 2001; Klafki & Braun, 2007) wieder aufnimmt. Er versteht

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„Bewegungsbildung bzw. sportliche Bildung … als Vermittlungsprozesse, als ein Beziehungsgeschehen […], […] als eine spezifi sche Weise des In-Beziehung-Tretens, der Auseinandersetzung von Mensch und Welt; als aktive Vorgänge der selbstgesteu- erten Bewegung einer Person oder mehrerer Personen in der Auseinandersetzung mit spezifi schen Erfahrungsfeldern der naturhaften und der kulturellen Wirklich- keit“ (Klafki & Braun, 2007, S. 186).

Auch hier argumentiert er letztlich „kategorial“, insofern er die Perspektiven der Sachlichkeit und der Menschlichkeit konsequent integriert. Und immer argumen- tiert er sozialkritisch und emanzipatorisch, indem er die vordergründigen gesell- schaftlichen Ansprüche an die Schule relativiert und das Selbstbestimmungsrecht und die Selbstbildungsfähigkeit des jungen Menschen auf den Schild hebt.

III

Solche grundlegenden Überlegungen zur Bildung werden in den Beiträgen im ers- ten Abschnitt des Buches thematisch unter der Überschrift „Beiträge im Hori- zont kategorialer Bildung“ diskutiert, weitergedacht, kritisch kommentiert und refl ektiert. Die einzelnen Beiträge befassen sich mit Klafkis kategorialer Bildung aus je eigener bildungstheoretischer, allgemein- oder fachdidaktischer Perspektive.

Frauke und Heinz Stübig – „Kategoriale Bildung und Kompetenzorientie- rung. Ist Wolfgang Klafkis Theorie noch zeitgemäß?“ – zeichnen in sieben Kapi- teln die Entwicklung der Klafkischen Bildungstheorie nach. Hierbei gehen sie auf seine frühen Arbeiten ein, nicht ohne auf seine Hausarbeit zum Zweiten Staats- examen hinzuweisen, sie referieren seine Kritik an materialen und formalen Bil- dungstheorien und erläutern seine Theorie der kategorialen Bildung. Von hier aus erörtern sie das Problem der Auswahl der Inhalte des Lehrens und Lernens und beschreiben die Grundformen des Elementaren und Fundamentalen. Dies mündet in eine Skizze der Weiterentwicklung von Klafkis Bildungskonzeption unter dem Leitsatz „Bildungsfragen sind Gesellschaftsfragen“, mit dem Klafki der

„Bildungstheorie und der Bildungspraxis die Möglichkeit und die Aufgabe […]

[zuspricht], auf gesellschaftliche Verhältnisse und Entwicklungen nicht nur zu re- agieren, sondern sie unter dem Gesichtspunkt der pädagogischen Verantwortung für gegenwärtige und zukünftige Lebens- und Entwicklungsmöglichkeiten jedes jungen Menschen […] zu beurteilen und mitzugestalten“ (Klafki, 2007, S. 49-51).

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In die anschließende Überlagerung von Klafkis Bildungskonzept und der aktu- ellen Debatte um die Kompetenzorientierung steigen Stübig und Stübig mit der Feststellung ein, „dass die Aufgabe der ‚Mitgestaltung‘, also die in der kategori- alen Bildung angelegte Handlungsfähigkeit und Handlungsbereitschaft des Indi- viduums, ein zentraler Bestandteil der Kompetenzorientierung ist“. Es folgt eine kritische Auseinandersetzung mit dem Kompetenzbegriff und den diesen Begriff umkreisenden Entwicklungen in der Bildungslandschaft. Berührungspunkte zwi- schen der Theorie der kategorialen Bildung und einer Bildungssteuerung durch Standards und Kompetenzorientierung sehen die Autoren zum einen bei den Kompetenzen, die die Lernenden erwerben sollen, zum anderen bei den Inhalten, an denen sie diese Kompetenzen erwerben.

Andreas Gruschka – „Über die unerledigte ‚Kategoriale Bildung‘ – In memo- riam Wolfgang Klafki“ – steigt mit einer funktionalen Begründung von Bildungs- theorie ein und schildert seinen Eindruck, dass diese gegenwärtig vernachlässigt wird. Die „gegenwärtige Reformidee“ charakterisiert er als „methodische Bil- dung“, deren Einseitigkeit u.a. Klafki zu seiner „kategorialen Bildung provoziert habe. Dieser jedoch sei eine Wirkung auf Lehrpläne und schulische Didaktik bis- lang versagt geblieben. Stattdessen diagnostiziert Gruschka „Selbstbezüglichkeit“

und „Stratosphärendenken“ in der von Klafki inspirierten Literatur. Das Problem der praktischen Wirkungslosigkeit hat sich Klafki, folgt man Gruschka, selbst ein- gebrockt, insofern er das Kategoriale als eigenständiges Drittes „zwischen dem Subjekt der Erkenntnistätigkeit und den Objekten seines Erkenntnisstrebens pos- tuliert“ habe, ohne hinreichend zu klären, inwiefern etwas für etwas anderes als exemplarisch gelten kann. Außerdem habe Klafki „die methodischen Grundlagen der Erkenntnistätigkeit“, die doch v.a. Sache der Fachdidaktiken seien, nicht ge- klärt. Von daher sei die kategoriale Bildung „unerledigt“, was Gruschka, nach ei- gener Aussage, auch empirisch bestätigt fi ndet. Seiner Argumentation der fachdi- daktischen Verantwortlichkeit konsequent folgend, schließt der Beitrag mit einem exemplarischen und zugleich aufschlussreichen Ausfl ug in die Sportdidaktik, der das spezifi sche und zusätzlich erschwerende Problem aufwirft, dass man Schüler im Sportunterricht nicht einfach, wie etwa in Physik, unterrichten kann – weil sie nämlich „Experten aus Betroffenheit“ seien.

Peter Elfl ein – „Kategoriale Bildung – Grundidee, Differenzierungen und Ak- tualisierungen im Hinblick auf eine Didaktik innovativen Sportunterrichts“ – ord- net Klafkis kategoriale Bildung zunächst in den Kontext geisteswissenschaftlicher Pädagogik und Didaktik ‚Göttinger Provenienz‘ ein. Einleitend weist er darauf hin, dass seine Darstellungen aus dem Blickwinkel einer bewegungs-, spiel- und sport- pädagogisch ansetzenden Verzweigung derselben historischen Grundrichtung Göt- tinger Pädagogik und Didaktik erfolgen, der auch Wolfgang Klafki und mit diesem

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die „Theorie der kategorialen Bildung“ entstammen. Darin erläutert er aufschluss- reich Klafkis bildungstheoretischen Horizont und Werdegang im Dunstkreis von Litt, Nohl und Weniger und bestimmt dabei Klafkis originäre Leistung als „die Grundidee bzw. bedeutsame grundstrukturelle Zusammenhänge des von Nohl und Weniger bereits verwendeten, aber nicht hinreichend systematisch entfalteten Bildungsverständnisses klarer herausgearbeitet und einer breit gefächerten Fach- öffentlichkeit zugänglich gemacht“ zu haben. Anschließend analysiert Elfl ein diese Grundidee sowie Entwicklungen und Differenzierungen der kategorialen Bildung und elementaren Didaktik in sportdidaktischer Hinsicht. Dabei erörtert er Klafkis Bezugnahmen auf Pestalozzi, Gaulhofer und Streicher sowie Paschen, wobei er ihm ein „Erkenntnissinteresse in praktischer Hinsicht“ unterstellt und dieses im Rückgriff auf historische Grundpositionen Göttinger Didaktik kritisch refl ektiert.

Auf der Basis einer Analyse des Zusammenhangs von kategorialer Bildung und elementarer Didaktik skizziert er ein mehrdimensionales Zielkonzept mit sport- didaktischer Relevanz, dessen integrative Leitidee in der Förderung von Selbst- bestimmungs-, Mitbestimmungs- und Solidaritätsfähigkeit sowie „handfester“

Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten besteht. Im dritten Schritt unternimmt Elfl ein fachdidaktische Integrations- und Transformationsversuche im konzeptio- nellen Zusammenhang einer Didaktik innovativen Sportunterrichts. Grundlegend erläutert er seinen „praxeologischen Ansatz“, der durch „Problemstellungen der sportunterrichtlichen ‚Praxis‘“, durch den „Komplex sportpädagogischer Bildungs- ziele“ und durch „sportdidaktische Konstruktionen“ gekennzeichnet ist. Anschlie- ßend klärt er den Innovationsbegriff und konkretisiert die Ansatzelemente unter Bezugnahme auf Denkfi guren Klafkis und der Göttinger Schule.

Jörg Bietz – „Kategoriale Bildung als Formbildung in bewegungskulturellen Feldern“ – charakterisiert zunächst kategoriale Bildung als relationale Bildung, die „von einer wechselseitigen Konstituierung von Subjekt und Welt im Prozess einer tätigen Auseinandersetzung ausgeht und so formale und materiale Aspek- te von Bildung im Prozess dialektisch aufl öst.” Als Basis dieser Bildung iden- tifi ziert er induktive Erfahrungsprozesse und als inhaltlichen Bezugspunkt das Elementare. Von hier aus bestimmt er kategoriale Bildung als dynamischen For- mungsprozess. Formungsprozesse geschehen danach in dynamischen Relations- verhältnissen und Formbildung ereignet sich im praktischen Tun. Insofern kann kategoriale Bildung als Formbildung verstanden werden. In bewegungskulturel- len Feldern sind es „gerade nicht sprachlich-begriffl iche Kategorien“, nach denen sich Bewegungswelten gestalten und die es zu erschließen gilt, so Bietz; vielmehr sind es die „Formungsweisen der leiblichen Dimension des Bewegens, die Klafki in Körpergefühlen gegeben sieht“. Diese bieten erst die bildungsrelevanten Poten- ziale der „fruchtbaren Momente“ im Feld der Bewegungskultur an.

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Susanne Lin-Klitzing – „Prinzipien schülerorientierten und schüleraktivieren- den Unterrichts in der kategorialen, kritisch-konstruktiven Bildung von Wolfgang Klafki“ – arbeitet mit ihrem Beitrag das Thema „Schülerorientierung“ heraus und ordnet ihre Ergebnisse in das aktuelle, mit Karl-Heinz Braun weitergedachte Klafkische kategoriale Bildungsverständnis nach dessen Tod ein. Der Erläuterung des Prinzips der Selbsttätigkeit legt die Autorin eine ausführliche Analyse der von Klafki 1951 angefertigten und 2013 publizierten Hausarbeit zum Zweiten Staats- examen zugrunde. Dabei identifi ziert sie das Prinzip der Selbsttätigkeit als kon- stitutiv für das Klafkische Verständnis von Bildungserwerb: „Kategoriale Bildung ist Bildung zur Selbsttätigkeit und durch Selbsttätigkeit, und Selbsttätigkeit ist die Form, in der sich Bildung offenbart“ (Klafki 1951/2013, S. 176). Es folgt eine Auseinandersetzung mit dem Prinzip der Schüleraktivierung durch Bewegungs- bildung, das sie in Klafkis Sinn-Dimensionen allgemeiner Bildung in der Schule einordnet. Dabei macht sie deutlich, dass „die Bedeutung der Bewegungsbildung über die bildungstheoretische Konzeption nur eines Schulfaches oder einzelner

‚aktivierender‘ Methoden hinaus[weist] und … ‚Bildungshorizonte‘ für Kinder, Jugendliche, Erwachsene, ältere und alte Menschen, u.a. unter dem Gesichtspunkt von Körperlichkeit und Selbstrefl exivität“ eröffnet. Anschließend erörtert Lin- Klitzing die Rolle der Schülerinnen und Schüler in der kategorialen Bildung und kritisch-konstruktiven Didaktik vor dem Hintergrund des Vorwurfs, dass Klafki Lernende „als Objekte der didaktischen Bemühungen und nicht als Subjekte di- daktischer Prozesse“ (Meyer & Meyer, 2007, S. 112) betrachte. Diesen Vorwurf kann sie nicht gänzlich entkräften, auch wenn sie mit Meyer und Meyer (2007) feststellt, dass Klafki mit den sich verändernden epochaltypischen Schlüsselpro- blemen keinen Inhaltskanon mehr festgelegt, sondern „die Entscheidungen über die Inhalte, Gegenstände und Verfahren in die Hände der am Unterricht Beteilig- ten, also der Lehrerinnen und Lehrer und der Schülerinnen und Schüler“ (Meyer

& Meyer, 2007, S. 125) legt. Abschließend zeigt die Autorin „in Anlehnung an die Ausführungen von Karl-Heinz Braun“, was „es aus dem reichhaltigen bildungs- theoretischen und kritisch-konstruktiven Erbe Wolfgang Klafkis zu bewahren und weiterzuentwickeln“ gilt.

Robert Prohl und Alexander Ratzmann – „Bewegungsbildung im Horizont allgemeiner Bildung“ – führen mit ihrem Beitrag den bildungstheoretischen Dis- kurs in der Sportpädagogik bezüglich seiner allgemeinbildenden Komponente im Bewegungslernprozess anhand der Denkfi gur von Klafkis kategorialer Bildung weiter und fokussieren dabei auf sein demokratiebildendes Potenzial im Rahmen des Sportunterrichts. Zunächst refl ektiert der Beitrag Klafkis Konzeption der kategorialen Bildung. Dieser Grundlegung folgt eine „symbiotische Zusammen- führung des kategorialen Bildungskonzeptes nach Klafki mit dem Phänomen des

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Bewegungslernens im Sportunterricht“. Hier wird der so genannte „Doppelauf- trag des Erziehenden Sportunterrichts“ auf die Grundlage der Herbartschen In- tegration von Erziehung und Unterricht gestellt und mit Klafkis Schlüsselqualifi - kationen Selbstbestimmungs-, Mitbestimmungs- und Solidaritätsfähigkeit sowie mit seiner Identifi kation der „Bewegungskompetenz als Bildungsdimension“ in Beziehung gesetzt. Als Zielstellung wird dem Erziehenden Sportunterricht die Entfaltung einer über den schulischen Kontext hinausgehenden Bildungswirksam- keit im Sinne eines demokratischen Habitus zugeschrieben, in der der individuelle Wert der erworbenen Demokratiekompetenz für das Bildungssubjekt im Mittel- punkt steht. Auf der Basis der „Fremdaufforderung zur Selbsttätigkeit“ (Benner)

„werden drei aufeinander bezogene Unterrichtsprinzipien formuliert, welche die paradoxe Grundstruktur erzieherischen Handelns weder leugnen noch der Belie- bigkeit preisgeben, sondern ausdrücklich als nicht-hintergehbar anerkennen und explizit thematisieren“: „absichtliche Unabsichtlichkeit“, „Einheit von Lehren und Erziehen“ sowie „Gleichrangigkeit von Weg und Ziel“. Die Erörterung mündet in die „Darlegung, dass besonders dem Sportunterricht ein demokratiebildendes Potenzial innewohnt, welches als Ergebnis einer ästhetisch-expressiven Bildungs- spirale in den Erfahrungshorizont der Schülerinnen und Schüler gerückt werden kann“. Dies wird an „bewegter Demokratiebildung im Zeitalter der Inklusion“, am „Demokratie-Verstehen im leiblichen Bewegungsvollzug“ und am „Demokra- tisch-Handeln im Sozialraum Sportunterricht“ konkretisiert. Abschließend wird betont, dass die Lebenswelt der Lernenden im Sozialraum Sportunterricht nur dann demokratische Züge annimmt, wenn den Schülerinnen und Schülern – als autonome Subjekte und aktive Akteure und Akteurinnen des Sportunterrichts – eine „Mitgestaltungsmacht“ bezüglich ihrer Bildungsprozesse eingeräumt wird.

Volker Schürmann – „Bewegung in der Unverfügbarkeit der Bildung. Ein praxistheoretischer Blick“ – provoziert zum Einstieg in seinen Beitrag mit der Infragestellung des Sportunterrichts als Bildungsprozess. Von hier aus erörtert er zunächst „Bildung als logisches Problem“, das darin besteht, dass Menschen in Bildungsprozessen „Persönlichkeiten werden“, die sie noch nicht sind, wobei an- gesichts der Vorstellung von „Selbst-Bildung“ fragwürdig ist, ob man schon vorher eine Persönlichkeit sei oder wann man zu einer solchen werde. Er nimmt dabei auf weitere Sowohl-als-auch-Konzepte, wie etwa die kategoriale Bildung und das pädagogische Paradoxon Bezug. Im zweiten Schritt referiert Schürmann „Media- lität“ als potenzielle Lösung für Syntheseprobleme, da diese eine „explizite Drei- er-Struktur“ aufweise. Vor diesem Hintergrund wirft er Klafki implizit vor, dass er die Dreier-Struktur der kategorialen Bildung nicht explizit gemacht habe. Dem- gegenüber stellt er klar, dass „Bildungsprozesse […] Prozesse [sind], in denen Sub- jekte in einer Situation auf Objektivationen bezogen sind, und diese Situationen

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sind als kleinere oder größere Welten nicht einfach die Summe der in ihnen sich befi ndenden Subjekte und Objekte, sondern eben das Medium, in denen subjektive Bezugnahmen auf Objektivationen geschehen“.

Situationen seien die Färbung, die alle Subjekte und Objekte in dieser Situation je schon hätten. Konkret könne man ein Fahrrad nicht nur als Fortbewegungs- mittel, sondern auch als Kunstgegenstand, als Statussymbol oder als Sportgerät gebrauchen. Hiermit schlägt Schürmann unausgesprochen eine Brücke zu Koke- mohr (2007), dessen „Figuren meines je gegebenen Selbst- und Weltentwurfs“

eine subjektive und veränderliche Wirklichkeit abbilden – im Unterschied zu einer quasi-objektiven Wahrheit, die Klafkis „kategorialer Bildung“ anhängt. Nun kann Schürmann das Logikproblem seines Einstiegs in die Personalität als „Kandida- tenstatus“ aufl ösen und zur Thematisierung der Unverfügbarkeit von Bildungs- prozessen übergehen, die er defi niert als „Postulat zum Entwicklungsvollzug un- ergründlicher Personen, nicht darauf reduzierbar zu sein, was in diesen Vollzug als Voraussetzungen eingeht, sondern als eigenbedeutsam anzusehen, wie sich Personen in ihrer Entwicklung zu diesen Voraussetzungen verhalten“.

Von hier aus setzt der Autor zur fi nalen Argumentation gegen den so genann- ten Doppelauftrag des Erziehenden Sportunterrichts an, den er als „Synthese“

und „Verdoppelung“ des Auftrags entlarvt, „weil er kein Drittes kennt – z.B. das Medium konkreter Bewegungsvollzüge –, innerhalb dessen jene beiden Anliegen vermittelt sind“. Stattdessen müsse Lehren im Sportunterricht „Assistieren von Bildungsprozessen […] im Medium der Erkenntnisse […], im Medium der Körper- lichkeit … [und] im Medium der Bewegungsvollzüge“ sein.

IV

Nun widmet sich das Buch – quasi gegenüberliegend zur kategorialen Bildung von Klafki – einem weiteren Bildungsverständnis, wie es in den letzten Jahren in der Erziehungswissenschaft als Auseinandersetzung mit poststrukturalen Gesell- schaften Verbreitung gefunden hat: der so genannten transformatorischen Bildung, einer Bildungskonzeption, die das Subjekt aus der Perspektive des Veränderns des gesamten Verhältnisses zu sich selbst und zur Welt begreift. Es geht um das

„Bildungsgeschehen selbst als ein Andersdenken oder Anderswerden“ (Koller, 2012, S. 9). Bildung wird hier als ein „Prozess der Transformation grundlegender Figuren des Welt- und Selbstverhältnisses angesichts der Konfrontation mit neu- en Problemlagen“ (ebd., S. 17) verstanden. Kokemohrs „Figuren des Selbst- und Weltverhältnisses“ im Kontext transformatorischer Bildung werden als potenzielle Veränderungen von Menschen immer dann erfahren, wenn sie

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„mit neuen Problemlagen konfrontiert werden, für deren Bewältigung die Figuren ihres bisherigen Selbst- und Weltverhältnisses nicht mehr ausreichen […] Bildungs- prozesse bestehen demzufolge also darin, dass Menschen in der Auseinandersetzung mit neuen Problemlagen neue Dispositionen der Wahrnehmung, Deutung und Be- arbeitung von Problemen hervorbringen, die es ihnen erlauben, diesen Problemen besser als bisher gerecht zu werden“ (ebd., S. 15f.).

Die transformatorische Bildungstheorie knüpft zunächst an die traditionelle Bil- dungstheorie von Wilhelm von Humboldt an, entwirft aber in zweifacher Hinsicht eine Neufassung des Bildungsbegriffs. Zum einen geht es um die Frage, was ei- gentlich den Bildungsprozess auslöst und zum anderen, inwiefern Bildungspro- zesse an die empirische Forschung anschlussfähig werden können. Im Gegensatz zur traditionellen Bildungstheorie mit der Annahme einer quasi natürlichen und fortwährenden Entfaltung aller menschlichen Kräfte geht die transformatorische Bildungstheorie von einem „krisenhaften Ereignis aus, das den Anstoß für Bil- dungsprozesse gibt“ (ebd., S. 16). Damit können beispielsweise im Rahmen von qualitativen empirischen Studien konkrete biographische Ereignisse als Anstoß zum „Anderswerden“ rekonstruiert werden. Eine transformatorische Bildungs- theorie muss dazu Klärungen in den folgenden Dimensionen vornehmen (ebd., 17ff.): Erstens geht es um die Frage, wie die Struktur der Welt- und Selbstver- hältnisse aus unterschiedlichen sozialwissenschaftlichen Theorien überhaupt begriffl ich-theoretisch gefasst werden kann, zweitens bedarf es einer Theorie der Krisenerfahrung, um zu klären, welche typischen Problemkonstellationen Bildungsprozesse hervorrufen oder erforderlich machen können, das Selbst- und Weltverhältnis zu verändern. Dies setzt drittens voraus, dass die Verlaufsstruk- turen der Veränderungen theoretisch gefasst werden und schließlich viertens, empirische Zugänge diese Prozesse auch sichtbar machen können. Bildungstheo- retisch bedeutsam an diesem Ansatz ist die Fokussierung auf das Fremde oder die Krise als widerständiges Ereignis, das nicht in Unterwerfung oder Dominanz über andere mündet, sondern von der Möglichkeit ausgeht, „die Konfrontation mit neu- artigen Erfahrungen tatsächlich zur Entstehung neuer statt zur Verfestigung etab- lierter Figuren des Welt- und Selbstbezugs führt“ (Kleiner & Koller, 2013, S. 16).

Hier tritt der Wert der transformatorischen Bildungstheorie für die Sport- didaktik programmatisch hervor. Betrachten wir hierfür die Sache Sport aus der Perspektive zweier renommierter Fachvertreter. Sport, so defi niert Meinhart Vol- kamer, „ist die willkürliche Schaffung von Aufgaben, Problemen oder Konfl ikten, die vorwiegend mit körperlichen Mitteln gelöst werden“ (1984, S. 196). Für Ommo Grupe – das hörten wir bereits – sind sportliche Situationen „eine Möglichkeit, uns die freiwillige Selbsterschwernis unseres Lebens zuzumuten“ (1982, S. 107).

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Koller spricht nun davon, dass „eine Art von Krisenerfahrung“ (2012, S. 16) zum Anlass für Bildungsprozesse werden kann. Sportdidaktisch gewendet zeigt sich, dass Menschen im Sport genau solche Erfahrungen freiwillig, absichtlich und mehr oder weniger willkürlich inszenieren: Krisen in Form von Aufgaben, Problemen oder Konfl ikten, Herausforderungen, die vorwiegend mit körperlichen Mitteln bewältigt werden. Haben sie sie bewältigt, konstruieren sie neue, noch an- spruchsvollere Herausforderungen. In Kokemohrs (2007) Worten wäre dies der

„Anspruch des Fremden“ (S. 13), dessen Zugänglichkeit durch eine „Schwelle“

(S. 30) erschwert ist und von denen sich Menschen im Sport „aufstören“ (S. 32) lassen, um „Figuren […] [ihres] je eigenen Selbst- und Weltentwurfs“ (S. 21) zu erwerben und zu verändern.

Sportlichen Erfahrungsinszenierungen wohnt potenzielles Scheitern inne. Und tatsächlich scheitern Menschen im Sport regelmäßig. Gerade das macht seinen Reiz aus – und damit seine Bedeutung für transformatorische Bildungsprozesse. Koller arbeitet dies – das potenzielle Scheitern – an Bucks Konzept „negativer Erfah- rung“ heraus (Koller, 2012, S. 71-78; 183f.). Buck (1981), so Koller, stellt seine Frage nach der Kontinuität oder Diskontinuität von Bildungsprozessen in den Kontext von Husserls These der Horizontstruktur aller Erfahrung. Jede Erfahrung stelle eine Antizipation dar; Horizont im Sinne Husserls meine demnach vor allem einen Erwartungshorizont. „Entscheidend“, so Koller, sei „die These Bucks, dass solche Horizonte überhaupt erst Erfahrung möglich machen und sich zugleich im Zuge von Erfahrung wandeln können“ (Koller, 2012, S. 76). Erfahrungen könnten erfüll- te oder enttäuschte Erwartungen sein, wobei, so Koller, der „kompliziertere, aber zugleich interessantere Fall […] die Enttäuschung der Erwartung“ (ebd.) sei. Diesen Vorgang bezeichne Buck als „negative Erfahrung“, deren Bedeutung darin bestehe,

„dass ‚hinter‘ dem bisherigen, nun negierten Horizont ein neuer Horizont auftaucht, der einen adäquateren Rahmen für das Verständnis des Gegenstandes bietet. Die negative Erfahrung der Erwartungsenttäuschung wird im Zuge des Horizontwandels demnach integriert in einen neuen, weiteren Horizont“ (ebd.).

Koller spitzt dies zu auf die These, dass Bildung

„vielleicht … nicht mehr zu begreifen [wäre] als der Prozess einer produktiven Ver- arbeitung, die das Scheitern bzw. die Negativität überwinden oder ‚aufheben‘ könn- te, sondern als eine Art schwer zu beschreibender Doppelbewegung. Diese doppelte Bewegung bestünde darin, einerseits Fremdheitserfahrungen, Scheitern und Nega- tivität als unhintergehbare conditio humana anzuerkennen, sie aber andererseits dennoch als Herausforderung ernst zu nehmen, die uns nötigt, nach einer Antwort zu suchen, die sich nicht auf eine resignierte Hinnahme beschränkt“ (S. 183f.).

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Der Gegenstand der Sportdidaktik erscheint vor diesem Hintergrund als prototy- pisches Erfahrungsfeld. Im Unterschied zur kategorialen Bildung wird aber eines sichtbar: Die Refl exion der Gegenstandsfrage im Bedeutungshorizont subjekti- ver Aneignungsprozesse tritt im Konzept der transformatorischen Bildung eher zurück. Es geht weit mehr um Subjektivationsprozesse in der Verwiesenheit auf soziale Situationen mit anderen Subjekten in Macht- und Ausgrenzungskontexten sowie Differenzordnungen als um die Frage unterrichtlicher Inhalte als subjek- tive Aufschließungspotenziale im Subjekt-/Objektbezug. Die transformatorische Bildungstheorie rekonstruiert die praxistheoretische Subjektposition im Prozess der Auseinandersetzung im Kontext antinomischer Strukturen von Schule und Unterricht. Die Frage nach dem potenziell subjekiv bedeutsamen Gehalt der Sa- che des Unterrichts bleibt unaufgeklärt; dies ist zumindest so lange problematisch wie Lehrerinnen und Lehrer als Professionelle Gegenstände für die unterrichtli- che Auseinandersetzung didaktisch modellieren und inszenieren. Daher bleiben in den sportpädagogischen Ansätzen im Horizont transformatorischer Bildung Fragen zur fachlichen Problemstruktur unterrichtlicher Inhalt theorieimmanent im Hintergrund und scheinen eher in den Verwerfungen krisenhafter Aushand- lungsprozesse auf, die dann im Kontext der Subjektivation von Schülerinnen und Schüler z.B. machttheoretisch interpretiert werden.

V

Die drei Beiträge dieses Buches, die der transformatorischen Bildungstheorie fol- gen, sind ausschließlich im Kontext empirischer Forschungsarbeiten der Sport- pädagogik und -didaktik entstanden, bzw. rekurrieren auf einen empirischen Er- fahrungshorizont, der unter der Perspektive des Anderswerdens rekonstruiert und theoretisiert wird.

Ingrid Bähr, Claus Krieger und Tobias Regebrecht – „Bildung durch Ir- ritation im Sportunterricht?“ – bearbeiten auf der Grundlage der Kernaussage der transformatorischen Bildungstheorie die Frage, ob durch Irritation des unter- richtlichen Lerngegenstands krisenhafte Situationen geschaffen werden können, die Anstöße für Bildungsprozesse sein können. Um genau diese Wirkungen der Irritationen geht es in dem Beitrag: „Um die Verlockung des Fremden, Unklaren und dessen Aufforderungscharakter, sich ihm zuzuwenden und es zu erkunden, zu verstehen, zu lösen.“ In dem Beitrag wird davon ausgegangen, dass der Sport- unterricht ein „besonderes Potential bereithält, Schüler/innen ‚aus der Reserve zu locken‘“ und zum vertieften Sich-Einlassen auf Irritierendes, Ungewisses zu be- wegen. Sportunterricht wird als ästhetischer Gegenstand verstanden, der vor allem

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in der leiblichen Dimension seinen Ausdruck fi ndet. Die Autoren stellen dazu eine qualitativ-empirische Studie vor, in der Daten mit Hilfe der Videographie und leit- fadenorientierten Interviews erhoben und ausgewertet worden sind. Es geht um die Frage, ob Schülerinnen und Schüler das „irritierende Bildungsangebot“ annehmen und wie sich dies in ihren Aufgabenbewältigungen zeigt: „Durch die Rekonstruk- tion der Art und Weise des Erlebens und des Umgangs der Schüler/innen mit den (Irritations-) Situationen erhoffen wir uns – wiederum vor dem Hintergrund eines transformatorischen Bildungsverständnisses – Rückschlüsse auf die Frage nach dem möglichen Bildungsgehalt der angebotenen Settings.“ Dazu werden zwei un- terrichtliche Settings untersucht, die unterschiedliche Irritationsmomente nutzen.

Zum einen geht es um die Konfrontation mit Unbekanntem – hier mit den Balan- ciergerät Rola-Bola – und zum anderen um die Verfremdung eines Spiels, hier des Tchoukballspiels. In der Auswertung werden am Material drei zentrale Kategorien rekonstruiert („Vorerfahrungen einbringen“, „Sich Einlassen“ und „körperlich Emotionalität“), an denen mögliche „Irritationen“ sichtbar werden.

Christian Ernst und Wolf-Dietrich Miethling – „Eine berufsbiographische Entwicklungstypologie von Sportlehrenden vor bildungstheoretischem Hinter- grund“ – stellen eine berufsbiographische Perspektive im Horizont transformato- rischer Bildungstheorie an den Anfang ihrer Überlegungen. Sie fragen, „inwiefern die Professionalisierung von Sportlehrerinnen und Sportlehrern als Bildungspro- zess konzipiert bzw. verstanden werden kann und welche Bedeutung biographisch herausgebildete, habituelle Dispositionen in diesem Entwicklungsprozess ein- nehmen“. Vor diesem Hintergrund entwerfen die Autoren auf der Grundlage vor- liegender Befunde verschiedener qualitativer Sportlehrerstudien eine Typologie abgrenzbarer berufsbiographischer Entwicklungsmuster. Von den sechs auf ihren jeweiligen substanziellen Kern verdichteten Typen (kontrastiver, integrativer, komplementärer, evasiver, kompensatorischer und sportbiographisch-fi xierter Ty- pus) wird der „sportbiographisch fi xierte Typus“ ausführlich in seinem berufsbio- grahischen Entwicklungsverlauf vorgestellt, „dessen leitende Orientierungsfi gur als eines ‚Arrangeurs des echten Sports mittels modellhafter Selbst-Inszenierung sportlichen Engagements‘ aufgezeigt und bestimmte Legitimations- und (Ab-)Si- cherungsstrategien im Alltagsbewusstsein des Typus identifi ziert werden“ konn- te. Eine Typologie stellt demnach einen „empirisch gestützten Möglichkeitsraum von „Orientierungen und Handlungsmustern von Sportlehrenden dar, in denen sich auch schon frühe positive wie negative biographische Sport- und Erziehungs- erfahrungen jeweils niederschlagen“. Sportlehrkräfte suchen offenbar im Verlauf ihrer berufl ichen Tätigkeit nach Stabilität, Veränderung von bekannten Hand- lungsmustern setzt allerdings auch und möglicherweise zuallererst ein stabiles

„Professionelles Selbst“ voraus.

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Matthias Schierz und Jörg Thiele – „Transformatorische Bildungsprozesse in universitären Berufsbiographien“ – fokussieren in ihrem Beitrag auf die Fra- ge, inwiefern Hochschullehrende ihre Profession in sperrigen und irritierenden Widerfahrnissen der Berufsbiographie refl ektieren und die Krisenerfahrung als Fremdheit bearbeiten können, um ein „Anderswerden“ im transformatischen Ver- ständnis von Bildung zu ermöglichen. Die Grundannahme besteht darin, dass eine Handlungsbefähigung im Sportunterricht in „Formen des Verstehen-Lernen“

durch Irritieren in der Sache „Sport“ sichtbar wird. Die Autoren fokussieren in ihrem Beitrag auf die berufsbiographische Perspektive des/der Wissenschaftler/s/

in im Rahmen universitärer (Sportlehrer-)Bildung. Die grundlegende Annahme des Beitrags besteht darin, „dass Menschen nicht nur fähig sind, die ihren Lern- prozessen zugrunde liegenden Orientierungsfi guren ihres Selbst-Weltverhältnisses durch Zugewinne an Wissen und Können zu erweitern und zu stabilisieren, son- dern dass sie sich darüber hinaus in der Konfrontation mit neuen Problemlagen als kompetent erweisen, die nicht mehr ausreichenden Orientierungsfi guren ihres Selbst- und Weltverhältnisses zumindest graduell zu objektivieren und refl exiv als Elemente des Lernens zu versachlichen, infrage zu stellen und zu verändern“.

In diesem Sinne haben die Autoren sich selbst als „an der Universität Forschen- de und Lehrende“ befragt. Dabei wird zunächst refl ektiert, inwiefern die Universi- tät selbst der richtige Ort der Lehrerbildung ist und wie sich ihr wissenschaftlicher Anspruch und der der schulischen Praxis zu- oder gegeneinander verhalten sowie überhaupt als „Grenzfall“ einer schwierigen Beziehung in Erscheinung treten.

An zwei autobiographischen Beispielen werden Irritationen in Berufsbiographien nachgezeichnet und im Horizont transformatorischer Bildung refl ektiert.

VI

Im dritten Abschnitt des Buches sind Beiträge versammelt, die sich weder allein der kategorialen noch der transformatorischen Bildungstheorie zuordnen lassen.

Sie verbindet der Gedanke einer relationalen Bildung als Mensch-Welt-Beziehung, die sich vor allem um die Frage rankt, wie pädagogische Institutionen nicht-hie- rarchische und nicht-affi rmative Bildungsprozesse als Umgangserfahrung mit den Inhalten des schulischen Unterrichts ermöglichen können (vgl. Benner, 2012). Im Kern geht es darum, wie in der Schule Bildungsprozesse angeregt werden können.

Wenn das „Kerngeschäft“ (vgl. Giesecke, 2001) des schulischen Unterrichts darin besteht, das Fachliche eines Faches in bildender Absicht in den Problemhorizont der Lernenden zu rücken, dann muss geklärt werden, was das Fachliche im Sport- unterricht ist und was unter Bildung verstanden wird, wenn die Schule vorgibt,

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Bildungsprozesse anregen zu wollen. Als Bildungseinrichtung schafft der schu- lische Unterricht

„künstlich arrangierte Denk- und Urteilsprozesse, die auf Differenzerfahrungen und Übergänge zwischen außerschulischen Erfahrungen und Lernprozessen in inner- schulische und umgekehrt bezogen sind“ (Benner, 2008, S. 237).

Schulischer Unterricht ist also auf allen Stufen des Lernens erfahrungs- und um- gangserweiternd konzipiert. Unser Fach beispielsweise initiiert „Prozesse der Er- weiterung der alltäglich praktizierten Bewegungen zu leiblich entworfenen und refl ektierten Körperbewegungen“ (Benner, 2008, S. 237). Insofern geht es im Un- terricht immer um Sachen, die die Lernenden betreffen und die sie auffordern, sich mit den Sachen zu befassen. Im ursprünglichen Sinne ist die Sache, um die es in einer Verhandlung in der Welt von Versammelten zu streiten gilt, etwas, das die Gemeinschaft angeht. Das Strittige in der Sache ist etwas Widerständiges, das uns in der Verhandlung entgegentritt und bewältigt werden will. Es handelt sich um eine „gemeinsam zu bewältigende Sache, die als gegen-ständige zur Aufgabe“

wird (Heipcke, 1985, S. 131). Entscheidend dabei ist, dass der Gegenstand nicht an sich bedeutsam ist, sondern erst in der Beziehung zum Lernenden. Die in der Beziehung aufscheinende Widerständigkeit enthält dann ein Potenzial zur Bewäl- tigung der Herausforderung.

Bezieht man das Gegenstandsverständnis auf Erziehungs- und Bildungspro- zesse, dann erweist sich der Auseinandersetzungsprozess als ungeteilter Vorgang einer entwicklungsfördernden Sacherschließung, die erzieherischen Vorstellungen folgt, aber grundlegend als Vorgang der Bildung zu verstehen ist. Den Kern bil- dungstheoretischen Denkens bilden – in Anlehnung an Benner (2008, S. 221) –

„alle Wechselwirkungen zwischen Mensch und Welt, in denen Welterfahrungen bildend auf ein Selbst zurückwirken und dieses sich verändert, indem es lernt, Welt- verhältnisse differenziert zu erfassen. Solche Wechselwirkungen bestimmen die Bil- dung der Sinne im frühen Kindesalter und das Erlernen der Muttersprache ebenso wie die Entwicklung mathematischer Maßverhältnisse oder den Schriftsprachen- erwerb bei Grundschülern, das Erfassen geschichtlicher Zusammenhänge und ge- sellschaftlicher Strukturen oder die Erweiterung muttersprachlicher Welthorizonte durch das Erlernen einer oder mehrerer Fremdsprachen“.

Diese bildende Wechselwirkung ist immer unmittelbar an Erfahrungen im Um- gang mit den Sachen oder in der Gestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen gebunden. Der sich dabei zwischen Wissen und Nicht-Wissen, Können und Nicht- Können zeigende Spalt oder Bruch schafft erst die Voraussetzung für das, was

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wir unter Erfahrung verstehen (vgl. Bollnow, 1968; Meyer-Drawe, 2008). In allen Bereichen des Lernens ist die bildende Wechselwirkung an die Negativität der Erfahrung gebunden. Dazu noch einmal Benner:

„Ohne die irritierende Erfahrung, dass Hörer etwas so oder auch anders verstehen und deuten, als es von einem Sprecher gemeint war, und ohne die horizonterweitern- de Erfahrung, dass Weltstrukturen zuweilen andere sind, als zunächst angenommen, sind bildende Wechselwirkungen nicht möglich“ (Benner, 2008, S. 221).

Bildungsprozesse verlaufen insofern nie linear und kumulativ, sie sind an die Brü- che und Erfahrungen im Umgang mit den Sachen zurückgebunden. Auch wenn sich in diesem bildungstheoretischen Zugang durchaus Bezüge zur kategorialen oder auch transformatorischen Bildungstheorie herstellen ließen, orientieren sich die hier versammelten Beiträge eher auf Bildungsdiskurse, wie sie bei Dietrich Benner anzutreffen oder aus dem Umfeld der von Baumert (2002) in der Konst- ruktion der PISA-Studien entstandenen „Modi der Weltbegegnung“ hervorgegan- gen sind. Gleichwohl fi nden sich in mehreren der hier zugeordneten Beiträge auch Argumentationen und grundlegende Bezüge in Anlehnung an die transformatori- sche und kategoriale Bildungstheorie. Sie fragen alle nach dem inhaltlichen Kern von Bildung im Horizont relationaler Weltbegegnung.

VII

Die Beiträge sind insgesamt in ihren theoretischen Bezügen und konzeptionel- len und empirischen Aussagen weit heterogener als die Beiträge der beiden ersten Abschnitte des Buches. Sie sind aber alle eng an der Frage orientiert, wie Bil- dungsprozesse im schulischen (Sport-)Unterricht arrangiert und ermöglicht wer- den können.

Elk Franke – „Eine Allgemeine Pädagogik für die Sportpädagogik“ – geht mit Bezug auf Tenorth (2008) und Baumert (2002) davon aus, dass ästhetisch- expressive Fächer einer Analyse ihrer besonderen bildungstheoretischen Voraus- setzungen bedürfen, wenn sie sich in der aktuellen Diskussion behaupten wollen.

Das Ziel solcher Analyse sei es, so Franke, „das Fach ‚Sport‘ in der Schule nicht nur als eine spezifi sche Domäne innerhalb der ‚ästhetisch expressiven Mensch- Weltbeziehungen‘ zu verorten, sondern auch dessen eigene, ‚irreduzible Sprache‘

zu bestimmen“. In diesem Kontext defi niert Franke drei Herausforderungen der Sportpädagogik: Nachweis eines genuinen Gegenstandsfelds, Klärung der spe- zifi schen Erfahrungsmodi in diesem Feld und Darstellung einer Fachdidaktik,

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die die Einmaligkeit körperlicher Erfahrungen und deren Unverzichtbarkeit aus- weist. Franke unternimmt den Versuch, Vorschläge für die beiden ersten Heraus- forderungen zu entwickeln. Dies tut er auf der Grundlage einer Skizze von Ben- ners „Allgemeiner Pädagogik“. Von hier aus erörtert er die Relevanz konstitutiver Prinzipien Allgemeiner Pädagogik für die Sportpädagogik, wobei er Bildsamkeit und Selbsttätigkeit als konstitutive Prinzipen körperlicher Bewegungspraxen her- vorhebt. Dies mündet in Ausführungen über leibliche/körperliche Mensch-Welt- Bezüge im Spiegel sozialer Praxis. Franke resümiert, dass Bildsamkeit und Selbst- tätigkeit sich nicht erst aus den speziellen Zielen, die mittels der körperlichen Bewegung (als Mittel) erreicht werden, ergäben, sondern schon als Potenziale im Bewegungsprozess des Menschen als ein „sich bewegendes“ Wesen angelegt seien.

Dies nimmt er als Ausgangsbasis für die Bestimmung sportdidaktischer Voraus- setzungen, die er in nicht-verbalen Bewegungsformen als „irreduzible Sprache“

sportiver Praxis und in der Besonderheit der „Modi der Weltbegegnung“ sportiver körperlicher Bewegungen gegeben sieht. Abschließend stellt Franke fest, dass körperliche Bewegungen „an sich“, durch die der Mensch im Sinne einer „Mittel- funktion“ seine Praxis bewältigt, nicht existieren. Vielmehr gelte „die umgekehrte Er- kenntnis, nach der mit und durch körperliche Bewegungen sich eine sozial-kulturelle Praxis konstituiert, die den körperlichen Bewegungen ihre Sinnhaftigkeit verleiht“.

Bernhard Dressler – „Bildungsprozesse im Wechsel der Perspektiven von Teilnahme und Beobachtung. Vorschlag eines Theorierahmens“ – unternimmt vier Schritte zur Explikation seines programmatischen Beitragstitels. Im ersten Schritt schlägt er vor – statt, wie Klafki, von „Schlüsselproblemen“ – von „Modi der Welterschließung“ zu sprechen, da die Formulierung von Schlüsselproblemen deren Faktizität suggeriere und deren Konstruiertheit wie deren Strittigkeit ver- berge. Die Rede von „Modi der Welterschließung“ hingegen lenke den Blick auf das Subjekt und dessen Entwicklung von Handlungsfähigkeit jenseits von ein Zweck-Mittel-Verhältnissen. Im zweiten Schritt geht es um die Erörterung er- kenntnis- und wissenschaftstheoretischer Anschlussperspektiven an das Tableau unterschiedlicher „Modi der Welterschließung“. Hier betont der Autor, dass die moderne Bildungstheorie eine Perspektivenpluralität gegen eine einheitswissen- schaftliche Fiktion vertrete. Der dritte Schritt befasst sich mit der pragmatischen Vernunft in Bildungsprozessen. Hier arbeitet der Autor heraus, „dass Bildungs- prozesse nicht aus szientistischer bzw. naturalistischer Perspektive angemes- sen verstanden werden können“. Vielmehr gelte es, die Welt zur Darstellung zu bringen, sie dadurch für Lernende lesbar zu machen und den Umgang mit der Mehrdeutigkeit der Welt und ihren Phänomenen zu fördern. Von hier aus plädiert Dressler im vierten Schritt für eine Didaktik des Perspektivenwechsels. Damit ist gemeint, „den Perspektivenwechsel zwischen den Fächern jeweils in den Fächern

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