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Sedentäre Verhaltensweisen als Gesundheitsrisiko

1 Hintergrund

1.3 Sedentäre Verhaltensweisen als Gesundheitsrisiko

Es existiert belegende Evidenz, dass sich sedentäre Verhaltensweisen bereits im Kindesalter negativ auf die Gesundheit auswirken können, da sie mit diversen Gesundheitsrisiken assoziiert sind (Carson et al., 2016, Tremblay et al., 2011, Salmon et al., 2011).

1.3.1 Übergewicht und Adipositas

Sedentäre Verhaltensweisen werden, unabhängig von körperlicher Aktivität (Mitchell u.

Byun, 2014, Salmon et al., 2011), für Übergewicht und Adipositas mitverantwortlich

7 gemacht (Krug et al., 2018, Leech et al., 2014). Übergewicht und Adipositas sind die am häufigsten untersuchten Faktoren, für die ein Zusammenhang mit sedentären Verhaltensweisen (primär Fernsehen und Bildschirmzeit) in zahlreichen Studien nachgewiesen wurde (Traub et al., 2018, Schwarzfischer et al., 2018, Saunders u. Vallace, 2017, Collings et al. 2017, Griffiths et al., 2016, Lee et al., 2014, LeBlanc et al., 2012, Veldhuis et al., 2012, Tremblay et al., 2011, Mikolajczyk u. Richter, 2008). Eine Assoziation von sedentären Verhaltensweisen mit Übergewicht konnte schon vor knapp 20 Jahren (Datensätze aus 2001/2002) bei elf- bis siebenjährigen Kindern gefunden werden (Mikolajczyk u. Richter, 2008). Bereits für Kleinkinder im Alter von unter vier Jahren wurde der Zusammenhang einer längeren Fernsehdauer mit Adipositas nachgewiesen (LeBlanc et al., 2012). Die Autoren der systematischen Übersichtsarbeit betonten auch, dass bisher keine Vorteile durch das Fernsehen gezeigt werden konnten (LeBlanc et al., 2012). Der Fernsehkonsum von mehr als zwei Stunden am Tag erhöht das Risiko für Übergewicht und Adipositas bereits bei fünfjährigen Kindern (n = 7.505) um 25 Prozent (Veldhuis et al., 2012). Eine Verbindung zwischen der täglichen Fernsehdauer von über zwei Stunden und ungünstiger Körperzusammensetzung besteht auch bei Schulkindern im Alter von fünf bis 17 Jahren (Tremblay et al., 2011). Des Weiteren ist eine lange Sitzdauer im späteren Leben wahrscheinlicher, wenn der Hüftumfang als Kind schon größer ist (Erkelund et al., 2012).

Neben der Verteilung auf alle Altersklassen findet sich das erhöhte Risiko für Übergewicht durch sedentäre Verhaltensweisen auch weltweit. In einer Studienpopulation aus zwölf verschiedenen Ländern wurde ein um 19 Prozent höheres Risiko für Adipositas bei Kindern mit sedentären Verhaltensweisen gezeigt. Zwar wurde der Zusammenhang hierbei nur im Querschnitt untersucht, jedoch wurden von 6.539 Kinder im Alter von neun bis elf Jahren Daten erhoben, was eine breite Population repräsentiert (Katzmarzyk et al., 2015).

Die Forschung für Übergewicht und Adipositas bei Kindern zeigt, dass die Prävalenzen in Deutschland im Vergleich zu zehn Prozent aus den 90er Jahren zumindest stagnierende Zahlen aufweisen (Schienkiewitz et al., 2018). Trotzdem sind in Deutschland immer noch 15,4 Prozent der Kinder und Jugendlichen zwischen drei und 17 Jahren übergewichtig und 5,9 Prozent adipös (Schienkiewitz et al., 2018). Demnach ist die Prävalenz für Übergewicht und Adipositas nach wie vor hoch. Dabei sind Jungen und Mädchen gleichermaßen betroffen und es zeichnet sich ein ansteigender Trend mit zunehmendem Alter ab (Schienkiewitz et al., 2018). Zwischen drei und sechs Jahren sind bereits 10,8 Prozent der Mädchen und 7,3 Prozent der Jungen übergewichtig. Dieser Anteil erhöht sich bei den 14- bis 17-jährigen Jungen sogar auf mehr als das Doppelte (18,5 Prozent), wohingegen der Anteil der übergewichtigen Mädchen dieser Altersklasse auf 16,2 Prozent ansteigt. Dieser altersbezogene Anstieg setzt sich im Erwachsenenalter fort. Nach Angaben des Robert-Koch Instituts sind 47 Prozent der Frauen in Deutschland übergewichtig oder adipös. Bei den Männern sind es sogar 62 Prozent (Schienkiewitz et al., 2017).

1.3.2 Kardiometabolisches Risiko

Studien zeigten auch Zusammenhänge von sedentären Verhaltensweisen mit diversen kardiometabolischen Risikofaktoren (Carson et al., 2016, Mitchell u. Byun, 2014, Saunders et al., 2014, Ekelund et al., 2012). Vergleicht man zwischen adipösen und normalgewichtigen Kindern kardiometabolische Werte, so gehen mit einer signifikant längeren Bildschirmzeit auch signifikant höhere Werte der Triglyceride und des HbA1C Wertes, sowie ein geringerer Wert des Cholesterins hoher Dichte (HDL) einher (Danielsen

8 et al., 2011). Aber auch unabhängig von Adipositas und Übergewicht können sedentäre Verhaltensweisen, vor allem die Bildschirmzeit, negative Auswirkungen auf den Stoffwechsel und das Herz-Kreislauf-System haben (Mitchell u. Byun, 2014, Saunders et al., 2014). Der Forschungsstand bei Kindern von sechs bis 18 Jahren zu kardiometabolischen Risikofaktoren zeigt bisher anhand von Querschnittstudien, dass sedentäres Verhalten mit einer geringeren Insulinsensitivität und mit gebündeltem metabolischem Risiko einhergehen kann (Mitchell u. Byun, 2014). Es existieren auch Hinweise darauf, dass die Sitzdauer mit Diabetes assoziiert ist (Saunders et al., 2014).

Kinder ohne Diabetes sind etwa eine Stunde am Tag weniger sedentär im Vergleich zu Kindern, bei denen erst kürzlich Diabetes diagnostiziert wurde (Kriska et al., 2013). Auch das Metabolische Syndrom ist im Kindesalter bereits mit der Bildschirmzeit assoziiert, ebenfalls unabhängig von Adipositas (Mitchell u. Byun, 2014). Bei Jungen konnte ein höheres metabolisches Risiko mit Videospielen in Verbindung gebracht werden (Mitchell u.

Byun, 2014). Eine Längsschnittuntersuchung zeigte, dass Fernsehen im Jugendalter (16 Jahre) ein Prädiktor für die Entwicklung eines Metabolischen Syndroms im Erwachsenenalter sein kann (Wennberg et al., 2013). Mehrfaches Fernsehen pro Woche verdoppelte das Risiko ein Metabolisches Syndrom bis zum 43. Lebensjahr zu entwickeln im Vergleich zu einmaligem wöchentlichem Fernsehen oder seltener. In dieser Studie mit fast 900 Schweden war der Fernsehkonsum auch mit zentraler Adipositas, niedrigerem Cholesterin hoher Dichte (HDL) und mit Bluthochdruck assoziiert (Wennberg et al., 2013).

Zum negativen Einfluss sedentären Verhaltens auf den Blutdruck und die Blutfette liegen für Kinder jedoch nur wenige Studien vor. In einer Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2014 wurden acht Studien zum Blutdruck gefunden, wovon drei Untersuchungen einen höheren systolischen Blutdruck bei längerer Bildschirmzeit gemessen haben. Für die objektiv erfasste Sitzdauer konnte zumindest eine Studie einen höheren systolischen Blutdruck finden. Dem entgegen gestellt ist Lesen mit einem niedrigeren Blutdruck (gemessen systolisch, diastolisch, an der Hauptarterie) assoziiert (Mitchell u. Byun, 2014). Insgesamt ist die Evidenzbasis der Auswirkungen auf den Blutdruck und die Blutfette im Kindesalter noch dünn und inkonsistent. Dagegen liegen Ergebnisse bei Erwachsenen zum Blutdruck und zu Blutfettwerten vor, die eine negative Assoziation mit sedentären Verhaltensweisen belegen (Mitchell u. Byun, 2014).

Darüber hinaus gibt es vereinzelt Hinweise auf eine Verbindung von sedentärem Verhalten mit der Knochengesundheit bei Kindern. Es konnte gezeigt werden, dass der Gehalt an Knochenmineralien negativ mit der Internetnutzung bei Jungen im jugendlichen Alter assoziiert ist (Gracia-Marco et al., 2012). Bei gleichaltrigen Mädchen hängt die Zeit, die mit Lernen und Studieren verbracht wurde mit dem Knochenmineralstoffgehalt des Oberschenkelhalses negativ zusammen (Gracia-Marco et al., 2012). Unterstützend konnte eine Untersuchung mit 1.348 Kindern und Jugendlichen (acht bis 22 Jahre) ebenfalls einen negativen Zusammenhang der Bildschirmzeit mit dem Gehalt der Knochenmineralien im Oberschenkelhals bei Jungen und Mädchen messen (Chastin et al., 2014). Eine zusätzliche Stunde Bildschirmzeit am Tag verringert den Gehalt der Knochenmineralien am Oberschenkelhals bei Mädchen um 0,77g und bei Jungen um 0,45g, unabhängig von der körperlichen Aktivität (Chastin et al., 2014). Allerdings konnte in dieser Untersuchung keine Verbindung von der gesamten Sitzdauer oder von sedentären Verhaltensweisen ohne Bildschirm mit der Knochengesundheit gefunden werden (Chastin et al., 2014).

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1.3.3 Körperliche Fitness

Neben den Auswirkungen sedentärer Tätigkeiten auf den Metabolismus und die Körperzusammensetzung fanden Untersuchungen bei Kindern auch Werte verringerter körperlicher Fitness (Saunders u. Vallace, 2017, Sandercock et al., 2016, Carson et al., 2016, Tremblay et al., 2011, Chinapaw et al., 2011). Die motorische Entwicklung kann bereits bei 15 bis 35 Monate alten Kleinkindern durch exzessives Fernsehen verlangsamt werden (Ling-Yi et al., 2015). Eine längere Sitzdauer am Wochenende ist mit geringerer Ausdauerleitungsfähigkeit (20 Meter Shuttle-Run Test) bei zehn bis 15-jährigen Jugendlichen aus England verknüpft, unabhängig von körperlicher Aktivität (Sandercock et al., 2016). Jungen haben häufiger eine schlechtere kardiorespiratorische Fitness, wenn sie einen Receiver oder digitales Fernsehen besitzen, während bei Mädchen die Nutzung sozialer Medien mit geringerer Ausdauerleitungsfähigkeit in Verbindung steht (Sandercock et al., 2016). Auch die Kraftleistungsfähigkeit ist bei sechs- bis 15-jährigen Kindern und Jugendlichen invers mit dem Fernsehen assoziiert, jedoch nicht mit der Computernutzung (Edelson et al., 2016). Zwei Übersichtsarbeiten berichteten schon 2011 von moderater Evidenz zu der Verbindung von aerober Fitness und sedentärem Verhalten, primär mit dem Fernsehkonsum (Chinapaw et al., 2011, Tremblay et al., 2011).

1.3.4 Psychische Gesundheit

Auch die mentale bzw. psychische Gesundheit kann durch sedentäre Verhaltensweisen negativ beeinflusst werden (Stanczykiewicz et al., 2019, Saunders u. Vallace, 2017, Carson et al., 2015, Suchert et al., 2015, Liu et al., 2015, Herman et al., 2015). Bereits bei Kindern von unter fünf Jahren gibt es geringe bis moderate Evidenz, dass die kognitive Entwicklung (z.B. Sprache, exekutive Funktionen) negativ mit der Bildschirmzeit, zumeist mit dem Fernsehkonsum, assoziiert ist (Carson et al., 2015, Ling-Yi et al., 2015). Überschreitet der tägliche Fernsehkonsum zwei Stunden, so besteht anhand der Selbstbewertung von zwölf- bis 17-Jährigen ein 30 bis 50 Prozent höheres Risiko für eine suboptimale mentale Gesundheit (Herman et al., 2015). Es gibt starke Evidenz dafür, dass eine lange Bildschirmzeit mit mehr Hyperaktivität und Aufmerksamkeitsproblemen zusammenhängt, dass das psychologische Wohlbefinden geschmälert werden kann und dass die wahrgenommene Lebensqualität der Kinder reduziert ist (Saunders u. Vallace, 2017, Suchert et al., 2015, Tremblay et al., 2011). Auch das Selbstwertgefühl sowie pro-soziales Verhalten kann durch sedentäre Verhaltensweisen, meistens durch eine Fernsehdauer von über zwei Stunden pro Tag, negativ beeinflusst bzw. verringert werden (Saunders u.

Vallace, 2017, Carson et al., 2015, Suchert et al., 2015, Tremblay et al., 2011). Vor diesem Hintergrund ist nachvollziehbar, dass auch die Ängstlichkeit von Kindern erhöht und die Entwicklung einer Depression verstärkt werden kann (Stanczykiewicz et al., 2018, Saunders u. Vallace, 2017, Liu et al., 2015). Eine aktuelle Übersichtsarbeit und Meta-Analyse berichtet einen signifikanten Zusammenhang von Angst mit einer längeren Sitzdauer (Stanczykiewicz et al., 2018). Obwohl diese Effekte im Durchschnitt klein waren, zeigte sich ein Trend von stärkeren Effekten bei Erwachsenen im Vergleich zu Kindern und Jugendlichen (Stanczykiewicz et al., 2018). Zur Assoziation von Bildschirmzeit und Depression bei Kindern und Jugendlichen liegen eindeutigere Ergebnisse vor (Liu et al., 2015). Laut dieser Meta-Analyse erhöht die Bildschirmzeit bei Kindern und Jugendlichen das Risiko für eine Depression um zwölf Prozent (OR = 1,12). Darüber hinaus gibt es sogar Hinweise, dass der akademische Erfolg von unter 18-Jährigen durch eine Bildschirmdauer

10 von mehr als zwei Stunden pro Tag Schaden nehmen könnte (Saunders u. Vallace, 2017, Tremblay et al., 2011).

1.3.5 Bestehendes Gesundheitsrisiko

Es ist festzuhalten, dass sedentäre Verhaltensweisen bei Kindern aller Altersklassen (bis 18 Jahre) ein Gesundheitsrisiko darstellen können, welches unabhängig von körperlicher Aktivität besteht (Saunders u. Vallace, 2017, Mitchell u. Byun, 2014, Salmon et al., 2011).

Die bestehende Literatur zeigt deutlich, dass sich sedentäre Verhaltensweisen negativ auf zahlreiche Gesundheitsindikatoren auswirken können. Auch wenn die Erkenntnisse weniger aus Längsschnittstudien stammen, beeinflusst insbesondere die Bildschirmzeit die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen mehrdimensional (Saunders u. Vallace, 2017).

Zusammengefasst können sedentäre Verhaltensweisen diverse Krankheitsbilder wie Adipositas, das Metabolische Syndrom, Depression, tendenziell auch Diabetes und Bluthochdruck schon im Kindesalter begünstigen. Die Entwicklung der Kinder kann sozial, emotional, kognitiv und auch motorisch primär durch eine zu lange Bildschirmzeit gestört und negativ beeinflusst werden, was den allgemeinen Gesundheitszustand verschlechtern kann. Neben der bestehenden Gefährdung der Gesundheit werden sedentäre Verhaltensweisen aus dem Kindesalter meist in das Erwachsenenalter übertragen und beibehalten (Hirvensalo u. Lintunen, 2011, Singh et al., 2008). Diese Fortführung kann später zu (weiteren) Gesundheitsproblemen führen (Owen et al., 2011, Owen et al., 2010).

Darüber hinaus steigert die tägliche Sitzdauer und besonders das Fernsehen bei Erwachsenen das Mortalitätsrisiko insgesamt, das Sterberisiko kardiovaskulärer Erkrankungen sowie das von Diabetes Typ zwei, jeweils ebenfalls unabhängig von körperlicher Aktivität (Patterson et al., 2018, Owen et al., 2010). Bei unter acht Stunden täglicher Sitzdauer erhöht jede einzelne Stunde das gesamte Sterberisiko um ein Prozent (RR=1,01) und bei über acht Stunden um vier Prozent (RR=1,04). Dabei ist das Mortalitätsrisiko durch Fernsehen jeweils schneller angestiegen (Patterson et al., 2018).

Aufgrund der eindeutigen Gefährdung der Gesundheit durch sedentäre Verhaltensweisen unabhängig von körperlicher Aktivität (Saunders u. Vallace, 2017, Mitchell u. Byun, 2014, Salmon et al., 2011) sollte ein sitzender Lebensstil neben dem Bewegungsmangel als eigenständiger Risikofaktor für die Gesundheit bereits im Kindesalter betrachtet und adressiert werden (Bucksch u. Dreger, 2014).

1.3.6 Physiologie sedentärer Verhaltensweisen

Obwohl zahlreiche Gesundheitsindikatoren durch sedentäres Verhalten negativ beeinflusst werden können, ist zu der Ätiologie sehr wenig Wissen vorhanden. Die Forschung zu den biologischen Mechanismen, die sogenannte „sedentary physiology“ befasst sich vorwiegend mit dem überaus geringen Energieverbrauch von sedentären Verhaltensweisen, welcher laut Definition zwischen dem Grundumsatz (1 MET) und bis zu 50 Prozent darüber (1,5 MET) liegt (SBRN, 2012).

Wenige Studien mit Erwachsenen zeigen, dass schon eine kürzere Zeit ununterbrochenes Sitzen direkte Auswirkungen auf die metabolische Gesundheit haben kann, unabhängig von Veränderungen des Körpergewichts oder anderem Gesundheitsverhalten (Saunders et al., 2014). Sobald keine körperliche Aktivität stattfindet, sinkt der Energieumsatz in bestimmten Skelettmuskelgruppen rapide ab. Dieser Mechanismus basiert auf dem Wissen, dass der muskuläre Energiebedarf, der Bedarf an Adenosintriphosphat (ATP), von

11 der kontraktilen Aktivität der Muskulatur abhängig ist. Um sich anzupassen haben Skelettmuskeln einen deutlich variableren Energiebedarf als andere Organe oder Gewebe (Hamilton u. Owen, 2012). Bei verringerter bis hin zu keiner Muskelaktivität nimmt auch der Energiebedarf im gesamten Körper im Verlauf des Tages ab, was bei längeren Sitzzeiten der Fall ist (Hamilton u. Owen, 2012). Dem zugrunde liegt die Aktivierung von motorischen Einheiten, welche aus den Muskelfasern bestehen, die von einer einzigen Nervenzelle aktiviert werden können (motorische Einheit = von einer Nervenzelle aktiviertes Muskelfaserbündel). Manche motorische Einheiten werden im Stehen oder im alltäglichen Leben kaum genutzt (teilweise weniger als eine Minute pro Tag), während andere selbst ohne körperliches Training fast ununterbrochen arbeiten (Hamilton u. Owen, 2012). Die jeweiligen Muskelgruppen haben durch die Ansteuerung in motorischen Einheiten einen unterschiedlich großen Anteil an dem gesamten Energieumsatz, weshalb je nach Aktivierung der Muskelgruppe der Energiebedarf wesentlich oder unwesentlich ansteigen kann. Durch eine Aktivierung von etwa drei Prozent oder etwa einem Kilogramm Muskelmasse kann sich aufgrund der Größe von motorischen Einheiten (z.B.

Beinmuskulatur) der gesamte Energieumsatz schlagartig verdoppeln (Hamilton u. Owen, 2012).

Die motorischen Einheiten innerhalb von Skelettmuskeln bestehen zudem aus zwei verschiedenen Fasertypen. Es existieren ermüdungssensitive, glykämische Muskelfasern, zu deren Aktivierung eine hohe Intensität benötigt wird. Dagegen arbeiten oxidative Fasern primär unter der Verarbeitung von Sauerstoff, weshalb sie eher länger ermüdungsresistent sind und bereits bei geringster Intensität kontrahieren. Diese Fasern verfügen über eine zehnfach höhere Konzentration des Enzyms Lipoproteinlipase als die glykämischen Muskelfasern. Die Lipoproteinlipase ist für die Regulation des Fettstoffwechsels sowie der Fetteinlagerung relevant und dient dem Abbau von Triglyceriden. Bereits leichte körperliche Aktivität signalisiert den oxidativen Muskelfasern die Lipoproteinlipase zu aktivieren und Triglyceride aus dem Plasma aufzunehmen, womit auch die Konzentration des HDL-Spiegels im Blut auf hohem Level bleibt. Es konnte gezeigt werden, dass die Aktivität der Lipoproteinlipase innerhalb von Stunden körperlicher Inaktivität lokal um das Zehnfache verringert wird. Folglich steigt im Blutplasma die Konzentration der Triglyceride, während das Niveau des Cholesterins hoher Dichte (HDL) nicht aufrechterhalten werden kann (Hamilton u. Owen, 2012). Darüber hinaus steht die Beeinträchtigung des Fettstoffwechsels in Verbindung mit einer Beeinträchtigung des Glukose-Stoffwechsels. Es wird vermutet, dass die Aufspaltung der Blutglukose ebenfalls reduziert wird, was zu parallel zu einem Anstieg des Blutzuckerspiegels führt (Hamilton u. Owen, 2012, Bucksch u. Dreger, 2014).

Dieser Effekt entsteht nur durch die oxidativen Muskelfasern und ist eine lokal begrenzte Erklärung in der Physiologie sedentärer Verhaltensweisen, da die glykämischen Fasern nicht auf leichte körperliche Aktivität ansprechen (Hamilton u. Owen, 2012). Jedoch sind einige oxidative Fasern in der großen Muskelmasse von Beinen und Rumpf enthalten, die beim Stehen zwar nur mit sehr geringer Intensität belastet werden, jedoch aufgrund der Masse einen bedeutend höheren, etwa doppelt so hohen, Energieverbrauch generieren (Hamilton u. Owen, 2012). Sowohl der Fett- als auch der Glukose-Stoffwechsel sind mit kardiovaskulären und metabolischen Erkrankungen assoziiert, weshalb sie eine wichtige Rolle in der Prävention von diversen Erkrankungen einnehmen.

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