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Prävalenz sedentärer Verhaltensweisen

1 Hintergrund

1.2 Prävalenz sedentärer Verhaltensweisen

Sedentäre Verhaltensweisen sind global alltäglich und das nicht nur bei Erwachsenen.

Weltweit verbringen Kinder und Jugendliche täglich bis zu neun Stunden sedentär mit steigender Tendenz (Saunders et al., 2018, Verloigne et al., 2016, Arundell et al., 2016a, Katzmarzyk et al., 2015, Bucksch u. Dreger, 2014, Lou, 2014, Griffith et al., 2013, Nilsson et al., 2009, Matthews et al., 2008). Kanadische Kinder im Alter von acht bis 13 Jahren sitzen im Durchschnitt etwas mehr als vier Stunden jeden Tag (Saunders et al., 2018). In Amerika wurde bei sechs- bis elfjährigen Kindern mit sechs Stunden eine etwas längere durchschnittliche Sitzdauer berichtet (Matthews et al., 2008). Laut einer im Jahr 2009 publizierten Studie summieren europäische Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre ebenfalls eine tägliche Sitzdauer zwischen vier und sechs Stunden (Nilsson et al., 2009).

Beispielsweise wurde bei sieben- bis achtjährigen Kindern aus Großbritannien eine Dauer sedentärer Verhaltensweisen von durchschnittlich 6,4 Stunden pro Tag gemessen (Griffith et al., 2013). Jugendliche aus Großbritannien im Alter von zwölf Jahren sind täglich etwa sieben Stunden sedentär und mit 16 Jahren liegt die Sitzdauer schon fast bei neun Stunden pro Tag (Mitchell et al., 2012). Eine jüngere Studie von 2016 berichtet, dass europäische Kinder unter 13 Jahren sogar bis zu 9,2 Stunden sedentär verbringen, während Jugendliche (14 bis 18 Jahre) nur bis zu 8,4 Stunden sedentäre Verhaltensweisen pro Tag aufweisen (Verloigne et al., 2016). Bei Kindern und Jugendlichen aus der ganzen Welt im Alter von sechs bis 19 Jahren berichten Bucksch und Dreger (2014) in einer Übersichtsarbeit ähnliche Prävalenzen. Je nach Studie und Alter variiert die Sitzdauer zwischen knapp fünf und über neun Stunden pro Tag. Bei neun Stunden verbringen Kinder laut der Ergebnisse der Helena-Studie über 70 Prozent der Wachzeit sedentär (Bucksch u. Dreger, 2014).

Die hohen Prävalenzen können sich durch diverse sedentäre Tätigkeiten über den Tag hinweg kumulieren. Bei Kindern und Jugendlichen nimmt schon frühzeitig die Schule einen besonders großen Teil der Wochentage ein. Dabei werden je nach Klassenstufe und Schulfach zwischen 76 bis 87 Prozent pro Unterrichtsstunde (á 45 Minuten) sedentär verbracht (Mooses et al., 2017). Laut einer Übersichtsarbeit kann die Freizeit von Kindern im Alter von fünf bis 18 Jahren bis zur Hälfte mit sitzenden Tätigkeiten gefüllt sein (Arundell et al., 2016a). Betrachtet man sedentäre Verhaltensweisen über den Tag hinweg ohne Bildschirmmedien (60 Prozent der gesamten Sitzdauer/Tag), dann tragen bei Neun- bis 16-Jährigen die schulbezogenen Tätigkeiten wie Lesen oder Schreiben mit 42 Prozent am meisten zur gesamten Sitzdauer bei (Bucksch u. Dreger, 2014). Eine etwas jüngere Arbeit berichtet bei Schulkindern zwischen fünf und 18 Jahren einen Anteil von 13 Prozent der täglichen Sitzdauer für Hausaufgaben und Lernen (Arundell et al., 2016a). Bei Grundschulkindern in Japan nehmen die täglichen Hausaufgaben knapp eine Stunde ein (Ishii et al., 2017). Für soziale Aktivitäten, wie zum Beispiel Freunde treffen, werden zwischen neun und 19 Prozent der freien Zeit beansprucht (Arundell et al., 2016a, Bucksch u. Dreger, 2014). Der Anteil für passiven Transport umfasst zwölf bis 15 Prozent (Arundell et al., 2016a, Bucksch u. Dreger, 2014). Allein das Auto nimmt bei japanischen Grundschulkindern unter der Woche etwa 30 Minuten und am Wochenende sogar über 70

4 Minuten pro Tag ein (Ishii et al., 2017). Für die Selbstfürsorge, wie z.B. Essen liegt der Anteil an der Sitzdauer ohne Bildschirmmedien bei 16 Prozent (Bucksch u. Dreger, 2014).

Auch Bildschirmmedien spielen eine bedeutende Rolle bei der täglichen Sitzdauer. Aus der systematischen Übersichtsarbeit von Arundell und Kollegen (2016a) geht hervor, dass das Fernsehen in der freien Zeit mit 20 Prozent sogar den größten Teil einnimmt. Ähnlich berichtet eine andere aktuelle Studie mit 625 japanischen Grundschulkindern, dass Fernsehen und Videoschauens mit 1,8 Stunden pro Tag den größten Anteil an Wochentagen einnehmen (Ishii et al., 2017). Am Wochenende ist der Anteil des Fernsehens und Videoschauens pro Tag um etwa eine Stunde erhöht (2,7h) und eine weitere Stunde wird für das Spielen von Videospielen genutzt. Damit führt die Bildschirmzeit bei japanischen Grundschulkindern die Liste sedentärer Verhaltensweisen am Wochenende an (Ishii et al., 2017). Dagegen ist bei der japanischen Stichprobe die Internetnutzung ohne Schulbezug mit etwa fünf Minuten täglich vergleichsweise gering (Ishii et al., 2017).

In Europa liegt die tägliche Bildschirmzeit laut einer Übersichtsarbeit bei Kindern bis zwölf Jahren zwischen einer und 2,7 Stunden und bei 13- bis 18-Jährigen zwischen 1,3 und 4,4 Stunden (Verloigne et al., 2016). Insgesamt ist der Medienkonsum im Zeitraum von 2004 bis 2009 um etwa 20 Prozent angestiegen, womit eine drastische Zunahme zu verzeichnen ist. Außerdem hat insbesondere die übermäßig lange Sitzdauer im Kindes- und Jugendalter in den letzten Jahren deutlich zugenommen (Lou, 2014). Für die Anstiege der Sitzdauer und der Mediennutzung werden vor allem neue Konsumwege des Fernsehens, das Internet sowie die Nutzung von Smartphones und Tablets mitverantwortlich gemacht (Lou, 2014).

Laut der Studie der Kaiser Family Stiftung verdoppelte sich bereits von 2004 bis 2009 die Dauer der Videospiele bei acht- bis 18-jährigen Kindern (Lou, 2014). Auch die tägliche Nutzung von Computern stieg in diesem Zeitraum um knapp 30 Minuten an. Das entspricht einem Anstieg von fast 44 Prozent in nur fünf Jahren (Lou, 2014). Zwar sind diese Daten zur Entwicklung der Computernutzung schon etwas älter, jedoch stammen sie aus einer der wenigen Längsschnittstudien. Darüber hinaus liegt der Erhebungszeitunkt der Längsschnittdaten sehr nah an dem Erhebungszeitunkt der in dieser Arbeit verwendeten Daten (aus 2010), weshalb diese Zahlen in diesem Zusammenhang erwähnt wurden.

1.2.1 Prävalenz in Deutschland

Auch in Deutschland findet man bei Kindern und Jugendlichen täglich eine beträchtliche Dauer von sedentären Verhaltensweisen. Laut einer Befragung von 4.385 Kindern und Jugendlichen verbringen vier- bis 20-Jährige in Deutschland 10,6 Stunden an Wochentagen und 7,5 Stunden an Wochenendtagen sedentär (Huber u. Köppel, 2017).

Das entspricht 71 Prozent der Wachzeit unter der Woche und 54 Prozent der Wachzeit am Wochenende (Huber u. Köppel, 2017). Ein sehr ähnliches Ergebnis zeigte eine etwas ältere Studie mit einer täglichen Dauer von etwa neun Stunden bei zwölf bis 18-Jährigen. Das entspricht etwa 71 Prozent der gemessenen Wachzeit (Ruiz et al., 2011). Die tägliche Sitzdauer von 2.200 Jugendlichen wurde mit einem Aktivitätssensor für eine Woche im Zeitraum von 2006 bis 2008 erhoben. Allerdings inkludiert diese Studie neben Jugendlichen aus Deutschland auch Datensätze von Jugendlichen aus acht anderen europäischen Ländern, weshalb die berichtete durchschnittliche Sitzdauer nicht ausschließlich für den deutschen Raum repräsentativ ist (Ruiz et al., 2011). Ähnlich zeigte eine aktuellere Studie, ebenfalls mit kombinierter Stichprobe aus Europäischen Ländern, mit Kindern im Alter von

5 zehn bis zwölf Jahren, eine tägliche Sitzdauer von etwa 8,5 Stunden (Vik et al., 2015). Eine weitere, aktuelle Studie berichtet eine tägliche Sitzdauer von 7,7 Stunden (via Fragebogen) bis 9,1 Stunden (via Aktivitätssensor) bei einer Stichprobe von 298 Kindern und Jugendlichen im Alter von sechs bis 17 Jahren in Deutschland (Sprengeler et al., 2017).

Ein relevantes Pensum des Tages nimmt, auf den deutschen Raum begrenzt, die sedentär verbrachte Zeit in der Schule ein. Beispielsweise erhalten Kinder in Baden-Württemberg in der Grundschule täglich etwa 3,75 Stunden Unterricht (MKJS, 2004). In weiterführenden Schulen steigt die Unterrichtszeit auf etwa sieben Stunden pro Tag (MKJS, 2016). Wenn man den durchschnittlichen Anteil sedentärer Verhaltensweisen der Schulzeit von 55 Prozent auf Basis der angegebenen Unterrichtsstunden berechnet (Sprengeler et al., 2017), ergibt sich eine Dauer von mehr als zwei Stunden in der Grundschule und von fast vier Stunden in weiterführenden Schulen, die Kinder grundsätzlich an fünf Tagen pro Woche sedentär verbringen. In ganzen Zahlen berichten Sprengeler und Kollegen (2017) sogar von vier bis 4,5 Stunden tägliche Schulzeit, wobei der Sportunterricht exkludiert wurde. Laut der Befragung von Huber und Köppel (2017) nimmt die Schulzeit an Werktagen täglich mit durchschnittlich fast fünf Stunden sogar den größten Anteil ein. Durch Lernen wird die schulbezogene Sitzdauer um eine Stunde erweitert und beläuft sich an einem durchschnittlichen Wochentag auf insgesamt 40 Prozent der Wachzeit (Huber u. Köppel, 2017). Darüber hinaus stehen bei 68 Prozent der sechs- bis 13-jährigen Kinder Hausaufgaben und Lernen bereits täglich auf der Agenda (Feierabend et al., 2019).

In der Freizeit kumulieren sich dagegen bei Kindern und Jugendlichen aus Deutschland nur etwa drei Stunden aus sedentären Verhaltensweisen pro Woche (Sprengeler et al., 2017).

Getrennt nach Wochentagen verbringen unter 18-Jährige an Werktagen sogar nur knapp zwei Stunden sedentär, während es am Wochenende etwa drei Stunden sind (Huber u.

Köppel, 2017). Auch nimmt passiver Transport in Deutschland keinen sehr großen Anteil in Anspruch. Nur drei bis 13 Minuten pro Tag werden dieser Tätigkeit zugeordnet (Sprengeler et al., 2017). Für die Mediennutzung zeigt sich in Deutschland ähnlich wie in den zuvor erwähnten Studien eine steigende Relevanz (Feierabend et al., 2019). Obwohl bei der Befragung von Huber und Köppel keine Dauer angegeben ist, wird die Bildschirmzeit als erheblicher Anteil der Sitzdauer in der Freizeit von Kindern erwähnt (Huber u. Köppel, 2017).

Interessant ist die Beobachtung eines leichten Rückgangs der Fernsehdauer bei Jugendlichen von 2002 bis 2010. Mädchen sahen 2010 an Wochentagen etwa zwölf Minuten und Jungen etwa 18 Minuten weniger fern, während die Dauer am Wochenende nahezu unverändert ist (Bucksch et al., 2014). Trotz der signifikanten Abnahme der Fernsehzeit an Werktagen hat sich die gesamte Bildschirmzeit in diesem Zeitraum nicht reduziert (Bucksch et al., 2014). Die Prävalenz der Fernsehdauer war im Jahr 2010 bei Jungen etwas höher als bei Mädchen und lag zwischen zwei (Wochentag) und drei Stunden (Wochenendtag) (Bucksch et al., 2014). Heutzutage sehen nur noch knapp die Hälfte (45 Prozent) der Jugendlichen (13 bis 19 Jahre) in Deutschland täglich fern, jedoch hat jeder zweite Jugendliche einen eigenen Fernseher im Jugendzimmer (Feierabend et al., 2020). Dabei erhöht der Fernseher im privaten Raum das Risiko einer exzessiv langen Sitzdauer (Santaliestra-Pasías et al., 2013). Die tägliche Nutzungsdauer im Jahr 2018 beläuft sich bei dieser Altersgruppe auf 1,8 Stunden, wobei die Mädchen etwas mehr ferngesehen haben als Jungen (Feierabend et al., 2020). Zum heutigen Medienkonsum bei jüngeren Kindern (sechs bis 13 Jahre) in Deutschland berichtet die jüngste

Kinder-Internet-6 Medien-Studie (KIM, 2018), dass das Fernsehen in der Freizeit von 74 Prozent der Befragten täglich genutzt wird (Feierabend et al., 2019). Die durchschnittliche Dauer des Fernsehens beläuft sich dabei auf 82 Minuten pro Tag und 34 Prozent der Kinder haben einen eigenen Fernseher im Kinderzimmer. Trotz der Existenz vieler anderer Medien nimmt das Fernsehen in der Favoritenliste diverser Freizeitbeschäftigungen bei Mädchen den dritten und bei Jungen noch den vierten Rang ein (Feierabend et al., 2019).

Ähnlich wie von Lou (2014) berichtet, ist bei Jugendlichen in Deutschland zwischen elf und 15 Jahren laut Bucksch und Kollegen (2014) besonders die Computernutzung für Hausaufgaben, Emails, Internet, Chatten etc. angestiegen, wobei jegliche Computerspiele ausgenommen wurden. Von 2002 bis 2010 verlängerte sich die Dauer bei Mädchen signifikant um etwa eine Stunde (Bucksch et al., 2014). Erklärt wird der Zuwachs von den Autoren mit (vermehrter) schulbedingter Nutzung wie Hausaufgaben, aber auch durch mehr Chatten und Mailen (Bucksch et al., 2014). Insgesamt verbrachten deutsche Jugendliche im Jahr 2010 etwas mehr als zwei Stunden am Wochenende und etwa 1,5 Stunden an Werktagen mit einem Computer, wobei sich die Dauer zwischen den Geschlechtern kaum unterscheidet (Bucksch et al., 2014). In der heutigen Zeit werden Computer von Jugendlichen, besonders von den Jungen meistens für Spiele genutzt. Dennoch kommt das Smartphone bei 41 Prozent der Befragten für Spiele am häufigsten zum Einsatz und ist heutzutage das am weitesten verbreitete Mediengerät unter den Jugendlichen (Feierabend et al., 2020). 93 Prozent der Jugendlichen besitzen ein eigenes Smartphone und zwei Drittel der Jugendlichen haben einen eigenen Laptop oder Computer. Die durchschnittliche Prävalenz der Spieldauer allein beläuft sich pro Tag auf 81 Minuten unabhängig vom Gerät und Geschlecht (Feierabend et al., 2020). Bereits knapp ein Drittel (27 Prozent) der Kinder im Alter von sechs bis 13 Jahren nutzen täglich das Internet und 42 Prozent dieser Altersgruppe nutzen Smartphones jeden Tag. In diesen jungen Jahren besitzen bereits 39 Prozent der Kinder ein eigenes Smartphone (Feierabend et al., 2019). Die Internetnutzung der sechs bis 13-Jähringen via Handy, Smartphone und Tablet hat sich im Vergleich zur Befragung 2016 zwischen acht und 13 Prozentpunkten erhöht, wohingegen der Computer für die Internetnutzung an Relevanz leicht verloren hat (Feierabend et al., 2019).

All diese Publikationen aus den letzten zwei Jahrzehnten zeigen weltweit nicht nur eine Zunahme des Medienkonsums und der Bildschirmzeit, sondern auch eine steigende Tendenz der (übermäßig) langen Sitzdauer von Kindern und Jugendlichen. Anzunehmen ist, dass Kinder und Jugendliche seit Beginn der Covid-19 Pandemie durch Homeschooling und Kontaktbeschränkungen noch mehr Zeit mit diversen Medien und somit auch mehr Zeit sedentär verbringen.