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I. Einkommen, Vermögen und Überschuldung 1 Die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen

I.2.2 Relative Einkommensarmut 36

Bereits im 1. Armuts- und Reichtumsbericht wurde ein kontinuierlicher Anstieg der Armutsrisi-koquoten von 1983 bis 1998 festgestellt. Dieser Trend hat sich fortgesetzt (s. Tabelle I.2). Die Armutsrisikoquote nach öffentlichen Transferzahlungen (60% des äquivalenzgewichteten Me-dian-Nettoeinkommens) ist von 12,1% in 1998 auf 13,5% in 2003 gestiegen (Basis: Einkom-mens- und Verbrauchsstichprobe, EVS). Gleichwohl gehört Deutschland - trotz höherer Ar-beitslosigkeit - im europäischen Vergleich nach Dänemark und Schweden zu den Ländern mit der niedrigsten Armutsrisikoquote und relativ geringer Armut und sozialer Ausgrenzung (letzte vergleichbare EUROSTAT-Zahlen aus dem Jahr 2001 - Schweden: 9%, Dänemark: 10%, Deutschland: 11%, EU-15: 15%). Bei Betrachtung des Armutsrisikos in einer engeren Abgren-zung mit der Schwelle von 40% des Medianeinkommens ergibt sich ein konstanter Anteil von unter 2%.

Der Beitrag des Transfersystems zur Vermeidung des Risikos der Einkommensarmut lässt sich darstellen, indem man eine fiktive Armutsrisikoquote vor allen öffentlichen Transfers der Sozial-versicherungen und Gebietskörperschaften ausweist. Werden diese Leistungen aus dem Haus-haltseinkommen herausgerechnet, ergibt sich als fiktive Armutsrisikoquote des Jahres 2003 ein Wert von 41,3%. Durch die Transfers wurde der Anteil der Bevölkerung, der dem Risiko der Einkommensarmut ausgesetzt ist, um zwei Drittel auf 13,5% reduziert.

35 Vgl. hierzu auch Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung:

Erfolge im Ausland - Herausforderungen im Inland. Jahresgutachten 2004/05, Wiesbaden 2004.

36 Dieser Abschnitt stützt sich auf das Gutachten von Hauser/Becker 2005. Ein allgemeingültiges In-strument zur Messung von Einkommensarmut gibt es nicht. Zur Analyse ihrer Entwicklung wird im Folgenden das Konzept der relativen Einkommensarmut verwendet. Dabei wird Einkommensarmut als Rückstand zum mittleren Einkommen der Bevölkerung definiert. Das verwendete Konzept des relativen und auf Einkommen bezogenen Armutsrisikos orientiert sich an der Definition der Euro-päischen Union. Detaillierte Ausführungen dazu finden sich im Glossar.

- 20 - Tabelle I.2:

Armutsrisikoquoten und Armutslücke1)

Deutschland Alte Länder Neue Länder Statistische Maßzahl

1998 2003 1998 2003 1998 2003

40% des Medianeinkommens 1,9 1,9 1,9 1,9 1,9 (2,0)

60% des Medianeinkommens 12,1 13,5 11,0 12,2 17,1 19,3

Fiktive Quote vor öffentlichen Transfers2) 38,5 41,3 34,9 38,2 54,1 55,1

Armutslücke3) 15,5 16,0 16,2 16,4 14,6 14,6

1) Werte beziehen sich auf Berechnungen mit der neuen OECD-Skala und für die Gebietsteile jeweils auf den ge-samtdeutschen Mittelwert.

2) Alle öffentlichen Transfers einschließlich gesetzlicher Renten und Pensionen.

3) Die ausgewiesenen Werte beziehen sich auf die 60%-Mediangrenze.

Quelle: EVS, jeweils Halbjahresergebnisse, Berechnungen von Hauser/Becker 2005

Neben der Entwicklung der Bevölkerungsanteile unterhalb der Grenze zum Risiko der Einkom-mensarmut ist auch das Ausmaß des Einkommensrückstandes der Betroffenen zur Beurteilung der Gesamtsituation von Bedeutung. Denn bei gegebener Armutsrisikoquote ist der Problem-druck umso größer, je weiter die Einkommen der Armutspopulation unter dem Grenzwert lie-gen. Die Armutslücke37 hat sich von 15,5% auf 16,0% leicht erhöht. Dabei bleibt das Ausmaß der Lücke in den neuen Ländern konstant, in den alten zeigt sich eine leichte Zunahme. Ergän-zende Analysen auf der Grundlage des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) für die einzelnen Jahre im Zeitraum zwischen 1998 und 2003 zeigen, dass sich die Quoten für das Einkommens-armutsrisiko analog zu den gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen entwickelten.38

Hinter dem für die Gesamtbevölkerung ermittelten Risiko der Einkommensarmut verbergen sich unterschiedliche gruppenspezifische Betroffenheiten. Unter anderem aus den Analysen für den 1. Armuts- und Reichtumsbericht ist bekannt, dass die Struktur gruppenspezifischer Betroffen-heiten von relativer Einkommensarmut erheblich von der Wahl der Äquivalenzskala abhängt.

Dies lässt sich auch Tabelle I.3 entnehmen. Bei der Gruppe der Älteren zeigt sich der Einfluss der Äquivalenzgewichtung am deutlichsten. Bei Bezugnahme auf die alte OECD-Skala ergibt sich 1998 für über 65-Jährige noch ein unterdurchschnittlicher Anteil, bei Verwendung der neuen dagegen ein überdurchschnittlicher. Der Trend für 2003 ist dagegen unabhängig von der verwendeten Skala eindeutig: Das Risiko für Einkommensarmut unter den Älteren ist seit 1998 merklich zurückgegangen. Es beträgt nach der neuen OECD-Skala 11,4% und nach der alten OECD-Skala 7,5% und ist damit geringer als für die Gesamtbevölkerung. Das verhältnismäßig

37 Eine genaue Definition der Armutslücke findet sich im Glossar.

38 Mit dem jährlich durchgeführten SOEP lassen sich kurzfristige Schwankungen der Armutsrisiko-quoten von längerfristigen Trends unterscheiden. Demgegenüber wird die EVS nur in fünfjährigem Turnus durchgeführt.

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niedrige Armutsrisiko für deutsche Senioren bestätigt auch der EU-Vergleich. Den letzten ver-gleichbaren Zahlen aus dem Jahr 2001 zufolge waren die über 65-Jährigen nur in Luxemburg und in den Niederlanden in geringerem Ausmaß mit Altersarmut konfrontiert.

Tabelle I.3:

Gruppenspezifische Armutsrisikoquoten1) in % in Deutschland nach Geschlecht, Alter, Erwerbsstatus und Haushaltstypen

Bevölkerungsgruppe Neue OECD-Skala Alte OECD-Skala

1998 2003 1998 2003

Differenzierung nach Geschlecht

Männer 10,7 12,6 11,6 12,9

Frauen 13,3 14,4 12,6 13,3

Differenzierung nach Alter

bis 15 Jahre 13,8 15,0 18,6 18,6 16 bis 24 Jahre 14,9 19,1 14,6 19,0 25 bis 49 Jahre 11,5 13,5 12,3 13,5 50 bis 64 Jahre 9,7 11,5 7,7 9,8 65 und mehr Jahre 13,3 11,4 9,3 7,5

Differenzierung nach Erwerbsstatus2)

Selbstständige(r) 11,2 9,3 11,2 9,6 Arbeitnehmer(in) 5,7 7,1 5,9 6,8 Arbeitslose(r) 33,1 40,9 31,2 37,4 Rentner(in)/Pensionär(in) 12,2 11,8 8,4 7,8

Personen in Einpersonenhaushalten

Insgesamt 22,4 22,8 13,7 14,1 Männer 20,3 22,5 13,8 15,0 Frauen 23,5 23,0 13,7 13,6

Personen in Haushalten mit Kind(ern)3)

Allein Erziehende 35,4 35,4 37,0 36,4 2 Erwachsene mit Kind(ern) 10,8 11,6 14,6 14,6 Armutsrisikoquote insgesamt 12,1 13,5 12,1 13,1 1) Armutsrisikogrenze 60% des Medians der laufend verfügbaren Äquivalenzeinkommen.

2) Nur Personen im Alter ab 16 Jahren.

3) Kinder: Personen unter 16 Jahren sowie Personen von 16 bis 24 Jahren, sofern sie nichter-werbstätig sind und mindestens ein Elternteil im Haushalt lebt.

Quelle: EVS, jeweils Halbjahresergebnisse, nach Berechnungen von Hauser/Becker 2005

Während sich beim Vergleich zwischen 1998 und 2003 eine Zunahme in der relativen Betrof-fenheit der meisten Gruppen zeigt, bilden Selbstständige und in geringem Ausmaß Frauen in Einpersonenhaushalten neben den Senioren weitere Ausnahmen. Folgt man der Auswertung mit der neuen OECD-Skala, ist die relative Einkommensarmut in Paarhaushalten mit Kindern weniger gestiegen als in der Gesamtbevölkerung. Unter Zugrundelegung der alten OECD-Skala ergibt sich für diese Gruppe ein gleichbleibender Wert. Bei den allein Erziehenden ist der Trend

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auch nicht eindeutig: Konstantes Armutsrisiko bei der neuen und sinkendes bei der alten OECD-Skala. Je nach Betrachtungsweise haben die Erhöhungen von Kindergeld und Kinder-freibeträgen an dieser Stelle also eine relative Verschlechterung der Situation verhindert oder eine Verbesserung herbeigeführt.

Besonders ins Auge fällt das unverändert hohe Niveau der Quoten bei Arbeitslosen und allein Erziehenden. Offensichtlich sind ihre Einkommensprobleme nicht mit Transferleistungen allein zu lösen, sondern haben ihre Ursachen in den fehlenden Erwerbsmöglichkeiten. Im Fall der al-lein Erziehenden hängt dies auch mit dem in vielen Teilen Deutschlands noch unzureichenden Angebot außerhäuslicher Kinderbetreuung zusammen.

I.2.3 Wirkung von Kindergelderhöhungen und Steuerreform auf die

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