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Dieser Abschnitt schildert zunächst die Entwicklung Äthiopiens von einem feudalen System zu einer demokratischen Struktur. Dabei wird insbesondere auf die Somali Region eingegan-gen. Darüber hinaus werden demographische Daten zur Somali Region präsentiert und die Vulnerabilitäten der Lebensbedingungen dieser Region dargestellt.

Äthiopien – Somali Region. Äthiopien war lange der Feudalherrschaft verschiedener äthiopischer Kaiser und Könige unterworfen und ist heute der einzige afrikanische Staat ohne europäische Kolonialherrschaft. 1974 putschte sich das Militär an die Macht, der Kaiser Haile Selassi wurde abgelöst. Bis 1987 herrschte das sozialistisch geprägte Derg Regime unter der Führung von Major/Lieutnant Mengistu Haile Mariam. Mengistu wurde zwar anschließend unter einer neuen Verfassung erneut zum Präsidenten gewählt, mit dem Wegfall kommunistischer Unterstützung nach dem Kalten Krieg konnte sich das Regime jedoch nicht lange halten. Die entscheidende Wende hin zu einem demokratischen Mehrparteiensystem erfolgte 1991. Die Ethiopian People’s Revolutionary Democratic Front (EPRDF) nahm Addis Ababa ein und strukturierte den Staat neu. Die neue Verfassung sah ein föderales System vor, in dem das Land in neun ethnisch-basierte Teile aufgeteilt werden sollte: Tigray, Affar, Amhara, Oromiya, Somali (früher auch Ogaden oder Region 5), Benishangul-Gumuz, Southern Nations Nationalities and Peoples (SNNP), Gambela und Harari sowie zwei Stadtverwaltungen, Addis Ababa und Dire Dawa (CSA, 2005).

Die EPRDF konnte sich bis heute an der Regierungsspitze halten. Korruption und Armut sowie Konflikte an der eritreischen Grenze und auch in der Somali Region stellen jedoch große Herausforderungen dar.

Somali Region: zehn Jahre Autonomie? Der hauptsächlich somalisch bevölkerte Teil Äthiopiens versuchte sich bereits nach der kolonialen Unabhängigkeit Somalias 1960 von Äthio-pien abzuspalten. 1977-78 gipfelte dieser Konflikt in einer bewaffneten Auseinandersetzung

Abb. 2.1: Äthiopien aufgeteilt in neun ethnisch-basierte Regionen (vgl. Devereux, 2006)

zwischen dem von kommunistischer Seite (Sowjetunion, Kuba, Yemen) unterstützten Derg Regime und derWestern Somali Liberation Front (WSLF), die von Mogadishu aus finanziert, ausgebildet und ausgerüstet wurde. Auch nach 1978 blieb die Ogaden Region, benannt nach ei-nem der einflussreichsten Clans der Region (Ogaden-Darod), ein riesiges Militärgebiet (Samatar, 2004).

Das Jahr 1991 brachte eine bedeutende Wende für die Somali Region: Der Staat Somalia zerfiel, Mengistu wurde gestürzt, und die neue äthiopische Regierung, geführt von derEthiopian People’s Revolutionary Democratic Front (EPRDF) unter dem neuen Präsident Meles Zenawi, führte ein auf Ethnien basierendes föderales System ein. Dadurch sollten ethnische Konflikte regionsintern minimiert, Ineffizienz und Rechtswidrigkeit aufgrund ethnischer Streitpunkte vorgebeugt und stringente politische Agenden ermöglicht werden (Samatar, 2004).

In der ersten Phase nach 1991 entstanden dutzende Parteien. Die Ogaden National Liberation Front (ONLF) stellte die erste Regierung der Region. Unter starkem Einfluss der zentralen Regierung wurden Regionalvertreter der ONLF und der WSLF für das Parlament in Addis Ababa ernannt. In der Region selbst herrschte Chaos: Spill-over Effekte aus dem benachbarten Somalia (Staatszerfall, Hungersnöte und zivile Konflikte waren die Ursache von Flüchtlingsströmen

in die Region), desorganisierte, wechselnde Eliten und föderale Interventionen prägten diese Übergangsphase (Samatar, 2004).

1994 schlossen sich zehn nicht-ogadeni Parteien zu einer neuen Partei, derEthiopian Somali Democtratic League (ESDL), zusammen, die 1995 die Neuwahlen gewann. Die ESDL erschien zunächst kohärent und sympathisierte mit der Zentralregierung in Addis Ababa. In dieser Phase verbesserte sich die Regierungsführung merklich und die Partei konnte ihre Macht relativ lange aufrecht erhalten, bis sie sich nach zwei Jahren aufgrund einer innerparteilichen Krise, auflöste. 1997 verwaltete dann die pro-EPRD ParteiSomali People’s Democratic Party (SPDP), bestehend aus ehemaligen ESDL- und moderaten ONLF-Mitgliedern, die Region (Samatar, 2004).

In den darauf folgenden Wahlen veränderte sich in der Politiklandschaft nur wenig. De facto hat sich die politische Landschaft zu einem Einparteiensystem zurückentwickelt, was in starkem Kontrast zu dem anfänglichen politischen Pluralismus steht. Die schwache Wirkung staatlicher Institutionen, direkte und indirekte Kontrolle der zentralen Regierung durch das Militär und die Förderung von EPRF-nahen Parteien sowie die Unsicherheit durch Angriffe extremer ONLF-Aktivisten haben bis heute Einfluss auf die Politik der Region (Hagmann & Khalif, 2006).

„I am Ethiopian-Somali” antwortete ein Parlamentsmitglied auf die Frage, ob er nun Äthiopier oder Somali sei. Doch das spiegelt weniger die persönliche Identifikation eines somalischen Mannes mit dem Land Äthiopien wider, sondern eher die Tatsache, dass die Somali Region auf einer ganz anderen Ebene an zwei Identitäten festhält: Einerseits ist sie ein peripheres Mitglied des äthiopischen Nationalstaates und andererseits ist die Region als Teil der größeren somalischen politischen Wirtschaft bestehend aus der früheren Somalischen Demokratischen Republik, Djibouti, Nordost Kenia und der äthiopischen Somali Region (Hagmann, 2005).

Somali Region heute. Die Somali Region setzt sich derzeit aus neun Verwaltungszonen, 44 Woredas (Verwaltungsbezirk, Distrikt) und 66 urbanen Siedlungen zusammen. In der Region leben knapp 5 Millionen Menschen. Jijiga ist die wachsende Hauptstadt der Region mit derzeit über 142 000 Einwohnern somalischer sowie auch amharischer und anderer Ethnien (2007

noch 125 876 Einwohner und 1994 noch 56 269 Einwohner; CSA, 1994, 2007, 2011 in http:

www.citypopulation.de/Ethiopia.html, 12.10.12).

Je nach Woreda leben die Menschen hauptsächlich von Pastoralismus, Agro-Pastoralismus und Ackerbau. In den urbanen Zentren, Jijiga und Gode, sind die Einkunftsmöglichkeiten flexibler. Vor allem in Jijiga arbeiten immer mehr Menschen im privaten Sektor und bei nicht-Regierungsorganisationen sowie im informellen Sektor. Insbesondere in Jijiga stellt die Regierung einen wichtigen Arbeitgeber dar (Devereux, 2006).

Die Bewohner der Somali Region haben mit verschiedenen Schwierigkeiten zu kämpfen: Die bereits dargestellte unsichere politische Situation ist nur ein Aspekt. Dürreperioden stellen das größte Existenzrisiko dar, wovon insbesondere ländliche Gegenden, in denen vor allem Somalis wohnen, betroffen sind (Devereux, 2006).

Insgesamt leiden vor allem Frauen unter diesen Entwicklungen. Sie müssen niedere Tätigkeiten übernehmen, wenn der Mann aufgrund von Dürre oder Krieg in seiner Aufgabe als Ernährer versagt. Darüber hinaus haben Frauen auch in anderen Aspekten einen schwereren Stand.

Jungen werden im Allgemeinen bevorzugt. So haben Mädchen im Vergleich zu Jungen ein höheres Risiko, jung zu sterben. Insgesamt leben Frauen in der Somali Region weniger lang als Männer (Devereux, 2006). Interessanterweise werden die bestehenden patriarchalischen Strukturen von Frauen akzeptiert und unterstützt. 82.2% der Frauen finden es unter bestimmten Umständen (Essen anbrennen, mit ihm diskutieren/streiten, ohne Bescheid zu geben das Haus verlassen, Kinder vernachlässigen, Geschlechtsverkehr verweigern) gerechtfertigt, dass der Ehemann seine Frau schlägt (CSA, 2011). Nur 27.2% wissen, dass häusliche Gewalt gesetzlich verboten ist (CSA, 2011).

Prävalenz psychischer Störungen. Die Studie von Sharan, Levav, Olifson, de Francisco

& Saxena (2007) findet die höchsten Prävalenzen psychischer Erkrankungen in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen für Depression/Angst, Substanzgebrauch und Psychosen.

In Nachkriegskontexten sind vor allem die Prävalenzen für PTBS und andere Angststörungen erhöht (de Jong, Komproe & Van Ommeren, 2003).

Epidemiologische Daten zu verschiedenen psychischen Störungen in der Somali Region und/oder Äthiopien, die für diese Erhebung Anhaltspunkte bieten könnten, sind leider bisher nicht verfügbar.

Zusammenfassung. Die Somali Region ist eine vulnerable Region, in der Dürreperioden, Hungersnöte, politische Unsicherheit und kriegerische Auseinandersetzungen vorherrschen.

Patriarchale Gesellschaftsstrukturen stellen insbesondere für Frauen eine zusätzliche Belastung dar (Devereux, 2006).

Über diese Umstände hinaus werden Frauen nach ihrer Geburt oder im Mädchenalter je nach Kul-turzugehörigkeit mehr und weniger gravierend an ihren Genitalien beschnitten beziehungsweise verstümmelt. Näheres zu dieser Tradition findet sich im folgenden Abschnitt.