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Zusammenhänge zwischen weiblicher Genitalverstümmelung, psychischer Gesundheit und endokrinen Veränderungen bei Frauen in Äthiopien

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Academic year: 2022

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endokrinen Veränderungen bei Frauen in Äthiopien

Wissenschaftliche Arbeit

zur Erlangung des Grades einer Diplom-Psychologin im Fachbereich Psychologie

der Universität Konstanz

vorgelegt von

Anke Köbach

Cherisystraße 6, 78467 Konstanz

Oktober 2012

Erstgutachter: Dr. Martina Ruf Zweitgutachter: Prof. Dr. Thomas Elbert

Konstanzer Online-Publikations-System (KOPS) URL: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:352-0-289446

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An dieser Stelle möchte ich mich bei all denen bedanken, die mich bei der Datenerhebung in Jijiga und bei der Anfertigung meiner Diplomarbeit unterstützt haben.

Ganz besonderen Dank gilt meiner Betreuerin Dr. Martina Ruf und auch Prof. Dr. Thomas Elbert für das Vertrauen mir eine solche Arbeit an die Hand gegeben zu haben und für die hilfreiche Unterstützung von der Datenerhebung in Äthiopien und bis heute.

Vielen Danke auch für die Vorbereitung der Studie und Mithilfe bei der Datenerhebung an Dr.

Martina Ruf, Julia Morath und Annalea Schmid.

Ein großes Dankeschön möchte ich auch an unsere Kooperationspartner und Übersetzerinnen in Äthiopien schicken. Vielen Dank an Kidist Belayneh (NCR) und Abate Gudunffa (EGLDAM) in Addis Ababa und Zahara Samatar (EGLDAM) sowie dem ganzen Women’s Affairs Office in Jijiga. Ganz besonderen Dank möchte ich auch an meine lieben Übersetzerinnen Fozia, Hamda, Hinda und Bethelhem richten.

Außerdem möchte ich mich auch ganz herzlich bei Christine Günther, Franziska Fischer und Tobias Hecker für die hilfreichen Kommentare und Anregungen bei der Ausarbeitung des Schriftlichen bedanken sowie bei Johannes Schult für die statistische Unterstützung. Eure Mithilfe hat diese Arbeit sehr bereichert. Ganz lieben Dank gilt auch Erin Gerber, Eric Spring, Emma Proud, Familie Munro, Adam Scharpf und Jeannette Lemmes für euer Dasein und die moralische Stärkung.

Zu guter Letzt möchte ich mich an dieser Stelle auch bei meinen Eltern bedanken, die mir stets den Rücken gestärkt haben und ohne die ich heute nicht hier wäre.

Anke Köbach

(3)

Inhaltsverzeichnis

Zusammenfassung 1

1 Einleitung 6

2 Theoretischer Hintergrund 9

2.1 Regionaler Hintergrund . . . 10

2.2 Weibliche Genitalverstümmelung . . . 14

2.2.1 Komplikationen und körperliche Risiken . . . 16

2.2.2 Psychopathologische Risiken . . . 21

2.3 Die endokrine Stressantwort . . . 25

2.3.1 Das endokrine System und die Bewältigung von Stress . . . 25

2.3.2 Von der Theorie zur Praxis . . . 28

2.4 Fragestellung und Hypothesen . . . 34

2.4.1 FGM und psychische Gesundheit . . . 35

2.4.2 Haarkortisol, FGM, Trauma und PTBS . . . 36

2.5 Zusammenfassung . . . 37

3 Methoden 39 3.1 Rahmenbedingungen . . . 39

3.2 Das Studiendesign . . . 40

3.3 Ablauf des Interviews . . . 40

3.4 Instrumente . . . 42

(4)

3.4.1 Demographischer Fragebogen . . . 42

3.4.2 Körperliche Gesundheit . . . 42

3.4.3 Female Genital Mutilation Checklist . . . 43

3.4.4 Erfassung traumatischer Lebensereignisse . . . 44

3.4.4.1 Checklist of Domestic Violence . . . 45

3.4.4.2 Liste traumatischer Lebensereignistypen (PDS) . . . 45

3.4.5 Posttraumatic Stress Disease Symptom Scale-Interview (PSS-I) . . . . 46

3.4.6 Hopkins Symptom Checklist-25 (HSCL-25) . . . 47

3.4.7 Shutdown Dissociation Scale (ShuDis) . . . 48

3.4.8 Erfassung sexueller Erfahrungen . . . 48

3.4.9 Mini International Neuropsychiatric Interview . . . 49

3.4.10 Kortisolextraktion der Haarproben . . . 49

3.5 Stichprobe . . . 50

3.5.1 Soziodemographische Merkmale . . . 51

3.5.2 Körperliches Befinden . . . 54

3.5.3 Deskriptive Ergebnisse traumatischer Lebensereignisse . . . 55

3.5.3.1 Female Genital Mutilation . . . 55

3.5.3.2 Familiäre Gewalt . . . 60

3.5.3.3 Traumatische Lebensereignisse (gesamt) . . . 61

3.6 Statistische Auswertung . . . 62

3.6.1 Fehlende Werte . . . 63

3.6.2 Mittelwertsvergleiche . . . 63

3.6.3 Korrelationen . . . 64

3.6.4 Regressionsanalyse . . . 65

3.6.5 Operationalisierte Hypothesen . . . 66

3.6.5.1 FGM und psychische Gesundheit . . . 66

3.6.5.2 Haarkortisol, FGM, Trauma und PTBS . . . 68

3.7 Zusammenfassung . . . 69

(5)

4 Ergebnisse 70

4.1 FGM und psychische Gesundheit . . . 70

4.1.1 Hypothese 1 . . . 71

4.1.2 Hypothese 2 . . . 73

4.1.3 Hypothese 3 . . . 74

4.1.4 Graphische Darstellung . . . 76

4.1.5 Hypothese 4 . . . 78

4.2 Haarkortisol, FGM, Trauma und PTBS . . . 82

4.2.1 Hypothese 5a und 5b . . . 82

4.2.2 Hypothese 6 . . . 82

4.2.3 Hypothese 7 . . . 83

4.2.4 Explorative Untersuchung von Haarkortisol und Dissoziation . . . 83

4.3 Zusammenfassung . . . 86

5 Diskussion 88 5.1 FGM und psychische Gesundheit . . . 89

5.1.1 FGM als traumatisches Lebensereignis . . . 89

5.1.2 FGM und psychische Gesundheit . . . 91

5.1.2.1 FGM und psychopathologische Symptome im klinisch relevan- ten Bereich . . . 91

5.1.2.2 FGM und Symptomschwere . . . 94

5.1.2.3 FGM, die Anzahl traumatischer Lebensereignistypen und psy- chische Gesundheit . . . 95

5.1.2.4 FGM-Schweregrad, Anzahl traumatischer Lebensereignisty- pen, familiäre Gewalt und psychische Gesundheit . . . 97

5.1.3 Einschränkungen und Generalisierbarkeit . . . 98

5.1.4 Abschließendes Fazit zum Zusammenhang von FGM und der psychischen Gesundheit . . . 101

5.2 Haarkortisol . . . 102

(6)

5.2.1 FGM und Haarkortisol . . . 102

5.2.2 Anzahl traumatischer Lebensereignistypen und Haarkortisol . . . 104

5.2.3 PTBS und Haarkortisol . . . 105

5.2.4 Explorative Analyse: Dissoziation und Haarkortisol . . . 107

5.2.5 Einschränkungen der Analysen zum Haarkortisol . . . 109

5.2.6 Abschließendes Fazit zum Zusammenhang von FGM, die Anzahl trau- matischer Lebensereignistypen, PTBS, Dissoziation und Haarkortisol . . 110

5.3 Abschließendes Fazit . . . 111

Literaturverzeichnis 113

Anhang 128

(7)

Tabellenverzeichnis

1.1 Klassifikation der WHO (2009) . . . 7

2.1 Die adaptive Stressreaktion (Charmandari et al., 2005) . . . 26

2.2 Kortisolmarker im Vergleich (Russell et al., 2012) . . . 29

3.1 Untersuchungsset: Ablauf und Instrumente . . . 41

3.2 Alter und Ethnie . . . 51

3.3 Religion . . . 52

3.4 Heiratsstatus, Heiratsmotiv, Kinderanzahl . . . 53

3.5 Beschneidungsalter . . . 56

3.6 Komplikationen nach der Beschneidung . . . 57

4.1 Gefühle während der Beschneidung . . . 72

4.2 Anzahl retrospektiv bejahter Gefühle während der Beschneidung . . . 72

4.3 FGM und DSM-IV-Diagnosen beziehungsweise psychische Störungen im klinisch relevanten Bereich . . . 74

4.4 FGM und Symptomschwere . . . 76

4.5 Hierarchische Regression auf PTBS, Ängstlichkeit, Depressivität und Gesamt- psychopatholgie . . . 81

4.6 FGM-Gruppen und Haarkortisol . . . 82

5.1 FGM und psychische Gesundheit: Diagnosen und Symptome im klinisch rele- vanten Bereich . . . 92

(8)

T.1 Einwaageratio der Haarproben . . . 129

T.2 FGM Gruppen und Haarkortisol . . . 130

T.3 Haarkortisolwerte von Frauen mit und ohne psychotischer Störung, Substanz- missbrauch, -abhängigkeit und Khatkonsum . . . 131

T.4 Haarkortisol, Psychotraumata und -pathologie . . . 131

T.5 Gruppenunterschiede der Gesamtstichprobe . . . 132

T.6 Gruppenunterschiede der Haarkortisolstichprobe (Hypothese 5) . . . 133

T.7 Stichprobenbeschreibung mit Gruppenunterschiede für PTBS-Gruppen (Hypo- these 6) . . . 134

T.8 Anforderungen an die Verteilung der Variablen . . . 137

T.9 Unabhängigkeit der Residuen . . . 141

T.10 Korrelationsmatrix . . . 142

T.11 Cook’s Distanz . . . 142

(9)

Abbildungsverzeichnis

2.1 Äthiopien aufgeteilt in neun ethnisch-basierte Regionen (vgl. Devereux, 2006) . 11 2.2 Relatives Risiko negativer Effekte von FGM in Abhängigkeit der Parität (Banks

et al., 2006) . . . 18 2.3 Schematische Darstellung der Aufnahme von Drogen in das Haar (Gow et al.,

2010) . . . 30 2.4 Inkonsistente Ergebnisse: Der Zusammenhang von PTBS und Kortisol, gemessen

über die Kortisolmarker 24-h-Urin, Speichel und Plasma (Meewisse et al., 2007) 34 3.1 Körperliche Gesundheit . . . 54 3.2 Der FGM-Schweregrad in Relation zu den konventionellen FGM-Typen . . . . 60 3.3 Traumatische Lebensereignisse . . . 62 4.1 Gesamtpsychopathologie, Anzahl traumatischer Lebensereignistypen und FGM 78 4.2 Häufigkeitsverteilung der Dissoziationssymptomatik . . . 84 4.3 Haarkortisol und die Anzahl traumatischer Lebensereignistypen bei Frauen mit

und ohne Dissoziation . . . 85 F.1 Meinungen zu FGM . . . 136 F.2 Häufigkeitsverteilungen der Summenwerte des PSS-I für PTBS; HSCL für

Ängstlichkeit; HSCL für Depressivität; PSS-I, ShuDis und HSCL für die Ge- samtpsychopathologie . . . 138 F.3 P-P Diagramme der kumulierten Wahrscheinlichkeiten . . . 140

(10)

F.4 Streudiagramm standardisierter Residuen . . . 141

F.5 PTBS, Anzahl traumatischer Lebensereignistypen und FGM . . . 144

F.6 Ängstlichkeit, Anzahl traumatischer Lebensereignistypen und FGM . . . 145

F.7 Depressivität, Anzahl traumatischer Lebensereignistypen und FGM . . . 146

(11)

Zusammenfassung

In der vorliegenden Arbeit werden die Zusammenhänge verschiedener Formen weiblicher Geni- talverstümmelung, psychischer Gesundheit und endokriner Veränderungen anhand einer Studie mit Frauen in Jijiga (Somali Region, Äthiopien) untersucht.

Bisherige Forschungsarbeiten aus dem Bereich weibliche Genitalverstümmelung (engl.: Female Genital Mutilation, FGM) betrachten vor allem die physischen und gynäkologischen Folgen des Eingriffs. Der Zusammenhang von psychischer Gesundheit und weiblicher Genitalverstüm- melung hingegen wird nur in wenigen Studien aus den Ländern Senegal (Behrendt & Moritz, 2005), Ägypten (Chibber et al., 2011) und Irak (Kizilhan, 2011) untersucht. Insgesamt ist dieses Forschungsgebiet bisher wenig erschlossen, weshalb das Hauptanliegen dieser Arbeit die Untersuchung des Zusammenhangs der psychischen Gesundheit und verschiedenen Formen von FGM darstellt. Der Schwerpunkt liegt hierbei auf posttraumatischer Belastungsstörung, Dissoziation, Ängstlichkeit und Depression sowie endokrinen Veränderungen in Zusammenhang mit FGM.

Darüber hinaus wird in dieser Arbeit durch die Untersuchung weiterer endokriner Zusammen- hänge ergänzt. Unsichere Lebensumstände, traumatisches Erleben und Stress steigern die Anforderungen des menschlichen Organismus an seine Umwelt, was langfristig unter ande- rem zu Veränderungen des Glukokortikoidspiegels, wie beispielsweise dem des Kortisols, führt (Charmandari et al., 2005). Das Haarkortisol ist ein biologischer Marker für Stress, der sich in den letzten Jahren als retrospektiver Kalender für die Segregation von Kortisol herausgestellt hat (Kirschbaum et al., 2009; Russell et al., 2012). Über die Veränderung des Kortisolgehalts

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beschnittener Frauen hinaus, ist es ein weiteres Anliegen dieser Arbeit Zusammenhänge der Anzahl traumatischer Lebensereignistypen und der posttraumatischen Belastungsstörung mit den Haarkortisolwerten zu untersuchen.

An der Studie nahmen 167 Frauen (FGM I: n = 60, FGM II/III: n = 87) im Alter von 13 bis 80 Jahren teil. Zur Erfassung von Einzelheiten während des Eingriffs der Beschneidung wurde ein ausführlicher Fragenkatalog entworfen. Darüber hinaus wurde familiäre Gewalt über die Checklist of Domestic Violence (Catani et al., 2008) und die Anzahl traumatischer Lebensereig- nistypen anhand der Ereignisliste derPosttraumatic Diagnostic Scale (Foa et al., 1993) erfasst.

Die psychische Gesundheit wurde über Symptome der posttraumatischen Belastungsstörung (Posttraumatic Stress Disease Symptom Scale - Interview, Foa et al., 1993), der Dissoziation (Shutdown Dissociation Scale, Schauer & Elbert, 2011), der Depression, der Ängstlichkeit (Hopkins Symptom Checklist 25, Derogatis et al., 1974), der Major Depression, des Sub- stanzmissbrauchs und der -abhängigkeit sowie psychotischen Störungen (Mini International Neuropsychiatric Interview,Sheehan et al., 1998) untersucht.

Die Befunde zeigen, dass Frauen, die am schwersten beschnitten (FGM II und FGM III) sind, wie erwartet auch die stärkste Beeinträchtigung der psychischen Gesundheit (PTBS, Ängstlichkeit, Major Depression und Depressivität) aufweisen im Vergleich zu nicht beschnittenen und nach Typ I beschnittenen Frauen. Hinsichtlich dieser Störungen ergeben sich keine Unterschiede zwischen den beiden letztgenannten Gruppen. Dieser Befund spiegelt sich auch unter Einbezug des Effekts der Anzahl traumatischer Lebensereignistypen wider, wobei hier eine Sonderstellung nicht beschnittener Frauen deutlich hervortritt. Bezüglich der Dissoziationssymptomatik unterscheiden sich hingegen beschnittene (FGM I jedoch nur tendenziell) von nicht beschnittenen Frauen, die Beschneidungstypen jedoch nicht untereinander. Die erwarteten Zusammenhänge mit dem Haarkortisol können lediglich für die Anzahl traumatischer Lebensereignistypen bestätigt werden.

So zeigt sich kein Zusammenhang verschiedener Formen weiblicher Genitalverstümmelung (No FGM, FGM I und FGM II/III) oder der posttraumatischen Belastungsstörung mit den Haarkortisolwerten. Es wird allerdings ein negativer Zusammenhang von Dissoziation und

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Haarkortisol unter Kontrolle des Effekts der Anzahl traumatischer Lebensereignistypen entdeckt.

Abschließend wird in dieser Arbeit ein pathologisch bedingter Zusammenbruch der adaptiven Steigerung der HHNA-Aktivität in Abhängigkeit traumatischer Erfahrungen diskutiert.

Die vorliegende Arbeit kann als Pilotstudie betrachtet werden, die als Grundlage für größere epidemiologische Untersuchungen oder Interventionsplanungen im Bereich FGM herangezogen werden kann. Zum Nachweis kausaler Beziehungen und einer besseren Generalisierbarkeit bedarf es jedoch weiterer Forschung. Darüber hinaus beleuchtet diese Arbeit neue Aspekte der endokrinologischen Forschung anhand einer Stichprobe, die größtenteils frühem Lebensstress ausgesetzt war.

(14)

Abstract

Whereas the physical and gynecological consequences of Female Genital Mutilation (FGM) are researched a lot, the relationship between mental health and FGM has received less attention – only a small number of studies address this issue empirically until today. In order to take further steps to close this gap, the present study sets out to investigate the relationship between different FGM types, mental health and endocrine changes on the basis of diagnostic interviews with female subjects in Jijiga (Somali Region, Ethiopia).

The activation of the Hypothalamus-Pituitary-Adrenal (HPA) axis as one effector of the endocrine system is modified by the demand on the human organism to adapt to its environment.

The latter induces changes in glucocorticoid concentrations, such as cortisol (Charmandari et al., 2005). In this study, the cortisol level is determined with hair samples – a relatively new method considered as biomarker for a retrospective calendar of cortisol production (Kirschbaum et al., 2009).

The main object of this investigation is to identify the connections of FGM with posttraumatic stress disorder, dissociation, anxiety, depression and with the activation of the HPA axis.

Furthermore the study examines the relation between lifetime traumatic events, posttraumatic stress disorder and the cortisol level.

167 female subjects (FGM I: n = 60, FGM II/III: n = 87) aged 13 to 80 years were asked about different aspects of the FGM procedure they had undergone. This was carried out in the form of a structured interview that had been designed for the study. Additionally, lifetime traumatic events were assessed by theChecklist of Domestic Violence (Catani et al., 2008)

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and the Event List of the Posttraumatic Diagnostic Scale (Foa et al., 1993). Diagnostics were conducted for posttraumatic stress disorder (Post Traumatic Stress Disease Symptom Scale - Interview, Foa et al., 1993), dissociation (Shutdown Dissociation Scale, Schauer et al., 2011), depression, anxiety (Hopkins Symptom Checklist-25 , Derogatis et al., 1974), major depression, substance abuse and dependence, as well as psychotic disorders (Mini International Neuropsychiatric Interview,Sheehan et al., 1998).

The analysis revealed that all types of FGM can be considered as traumatic events. Yet, the mental conditions differ: As anticipated, women reporting the most severe types of FGM also showed the worst mental health conditions, which was corroborated when lifetime traumatic events where taken into account. Regarding dissociation, the FGM groups differed (significantly and by trend) when compared to the uncircumcised control group. A further observation was an extraordinary low prevalence that was observed for mental diseases, especially within the FGM I group. However, this does not imply that FGM I is a harmless procedure. With respect to hair cortisol, the expected positive relationship can only be confirmed for the number of lifetime traumatic events. The cortisol analysis revealed no systematic alterations of different FGM types or posttraumatic stress disorder. However, a negative relationship between dissociation and hair cortisol was discovered by explorative methods under the control of the effect of lifetime traumatic events. Finally, this work discussed a pathologically induced collapse of the adaptive increase of HPA axis activity as a function of lifetime traumatic events.

Even though the present work suffers from a small sample size and the lack of an appropriate control group, it can be regarded as a pilot study offering a basis for further investigations and interventions against the harm FGM causes. There is an urgent need for epidemiological studies to obtain more precise prevalence rates and to enable more accurate generalization. With regard to neuroendocrinological research, the present study is the first investigating mainly circumcised females, which can be seen as sample suffering from early life stress.

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1 Einleitung

„The next thing I felt was my flesh being cut away. I heard the blade sawing back and forth through my skin. The feeling was indescribable. I didn’t move, telling myself the more I did, the longer the torture would take. Unfortunately, my legs began to quiver and shake uncontrollably of their own accord, and I prayed, Please, God, let it be over quickly. Soon it was, because I passed out.” (Dirie, 1999)

Dieses Zitat stammt von Waris Dirie, die erste somalische Frau, die mit ihrem Schmerz an die Weltöffentlichkeit ging. Sie ist eine der wenigen Frauen, die dieses Ereignis frei und offen aufarbeiten konnte.

Weltweit sind bis zu die 140 000 Frauen von weiblicher Genitalverstümmelung betroffen (World Health Organisation, WHO, 2012). Die Prävalenz des Rituals liegt in 29 Ländern über 1%

(UNICEF, 2009) und reicht bis zu 97.5% in Somalia (WHO, 2008).

Female Genital Mutilation (FGM), zu deutsch „weibliche Genitalverstümmelung”, bezeichnet sämtliche kulturell oder nicht-medizinisch induzierten Veränderungen der äußeren weiblichen Genitalien (WHO, 2008). Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert vier FGM-Typen, die in Tabelle 1.1 dargestellt sind. Seit 1994 zählt weibliche Genitalverstümmelung zu den Menschenrechtsverletzungen.

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Tab. 1.1: Klassifikation der WHO (2009)

Typ Beschreibung

FGM I Sunna/ sunnitische Beschneidung, Klitoridektomie:

Entfernung der Klitorisvorhaut und (einen Teil) der Klitoris FGM II Exzision:

Entfernung der Klitorisvorhaut, der Klitoris sowie (einem Teil) der äußeren Schamlippen FGM III Pharaonische Beschneidung, Infibulation:

Entfernung der Klitorisvorhaut, der Klitoris, der inneren Schamlippen und (einem Teil) der äußerern Schamlippen und anschließende Verengung der vaginalen Öffnung durch verschiedene Techniken (z.B. Nähen)

FGM IV Andere Formen von FGM (z.B. Verlängerung der Schamlippen)

Die empirische Forschung im Bereich FGM beschäftigte sich bisher hauptsächlich mit physischen und gynäkologischen Folgen (s. Abschnitt 2.2.1). Auf der Basis von Einzelfallberichten (z.B.

Dirie, 1999), bisherigen Untersuchungen (Behrendt & Moritz, 2005; Chibber, El-Saleh &

El Harmi, 2011; Kizilhan, 2011) und dem Ausmaß der physischen Verletzung ist anzunehmen, dass der Eingriff als traumatisches Lebensereignis einzustufen ist und über die körperlichen Risiken hinaus auch psychische Implikationen mit sich führt. Empirisch wurde dies bisher in einzelnen Studien untersucht. Diese Studien zeigten, dass beschnittene Frauen vor allem häufiger unter posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) und affektiven Störungen litten, als nicht beschnittene Frauen. Insgesamt liegen jedoch keine hinreichenden empirischen Untersuchungen in diesem Bereich vor. Aus diesem Grund soll in dieser Arbeit der Zusammenhang der psychischen Gesundheit mit den verschiedenen Formen weiblicher Genitalverstümmelung näher betrachtet werden.

Ergänzt wird dieser Teil durch eine Untersuchung psychophysiologischer Veränderungen. Der menschliche Organismus passt sich durch endokrine Veränderungen, wie beispielsweise der Erhöhung des Glukokortikoidspiegels (z.B. Kortisol), stressreichen Lebensphasen an. Die Analyse des Kortisolgehalts im Haar ermöglicht eine retrospektive Erfassung der Kortisolsegregation (Kirschbaum, Tietze, Skoluda & Dettenborn, 2009). Bisher konnte unter anderem bei Personen nach schwerwiegenden Lebensereignissen (Karlen, Ludvidsson, Frostell, Theodorsson & Faresjo, 2011) oder mit PTBS (Luo et al., 2012; Steudte, Kolassa, Stalder, Pfeiffer, Kirschbaum

& Elbert, 2011) Veränderungen nachgewiesen werden. In dieser Arbeit wird daher über die

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Zusammenhäbge von FGM und der psychischen Gesundheit hinaus, der Zusammenhang von FGM, der Anzahl traumatischer Lebensereignistypen und PTBS mit Haarkortisol untersucht.

Die vorliegenden Daten wurden in der Somali Region Äthiopiens speziell für diese Diplomarbeit erhoben. Die Studie an sich stellt ein Pilotprojekt für weitere Forschungsvorhaben im Bereich FGM und psychische Gesundheit dar. Zudem beleuchtet sie spezifische Aspekte der Haarkorti- solforschung, anhand einer Stichprobe, die größtenteils frühem Lebensstress (FGM) ausgesetzt war.

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2 Theoretischer Hintergrund

Der folgende Theorieteil gliedert sich in drei Abschnitte. Zunächst wird ein regionsspezifischer Hintergrund des Untersuchungssettings gegeben, anschließend wird die Tradition FGM näher betrachtet. Zuletzt wird die endokrine Stressreaktion erläutert und der bisherige Forschungsstand zu Haarkortisol und Stress präsentiert.

Verschiedene Implikationen weiblicher Genitalverstümmelung sind auf gesellschaftlicher und individueller Ebene zu finden. In dieser Arbeit liegt der Fokus auf der individuellen Ebene. Trotz- dem sollten gesellschaftliche Bedingungen nicht ganz außer Acht gelassen werden, weswegen zunächst kurz auf den regionalen Hintergrund der Somali Region in Äthiopien eingegangen wird. Dadurch soll einerseits ein globaler Blickwinkel auf das Ritual ermöglicht und andererseits die Rahmenbedingungen dieser Studie in einen politischen und zeitlichen Kontext eingeordnet werden.

Hinsichtlich psychopathologischer Risiken liegt der Schwerpunkt dieser Arbeit auf Traumafolge- störungen und damit assoziierte psychische Störungen. Diese umfassen vor allem die PTBS nach dem Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders-IV (DSM-IV, American Psychological Association, APA, 1994) und Dissoziation im Sinne von Schauer, Neuner &

Elbert (2011) und Schauer & Elbert (2011). Des Weiteren werden Depressivität, Ängstlichkeit, Substanzmissbrauch- und abhängigkeit untersucht. Sämtliche Diagnosen richten sich auch diesbezüglich nach dem DSM-IV (APA, 1994). Die ätiologischen Grundlagen werden im Rahmen dieser Arbeit vorausgesetzt und im Weiteren nicht näher erläutert.

(20)

2.1 Regionaler Hintergrund

Dieser Abschnitt schildert zunächst die Entwicklung Äthiopiens von einem feudalen System zu einer demokratischen Struktur. Dabei wird insbesondere auf die Somali Region eingegan- gen. Darüber hinaus werden demographische Daten zur Somali Region präsentiert und die Vulnerabilitäten der Lebensbedingungen dieser Region dargestellt.

Äthiopien – Somali Region. Äthiopien war lange der Feudalherrschaft verschiedener äthiopischer Kaiser und Könige unterworfen und ist heute der einzige afrikanische Staat ohne europäische Kolonialherrschaft. 1974 putschte sich das Militär an die Macht, der Kaiser Haile Selassi wurde abgelöst. Bis 1987 herrschte das sozialistisch geprägte Derg Regime unter der Führung von Major/Lieutnant Mengistu Haile Mariam. Mengistu wurde zwar anschließend unter einer neuen Verfassung erneut zum Präsidenten gewählt, mit dem Wegfall kommunistischer Unterstützung nach dem Kalten Krieg konnte sich das Regime jedoch nicht lange halten. Die entscheidende Wende hin zu einem demokratischen Mehrparteiensystem erfolgte 1991. Die Ethiopian People’s Revolutionary Democratic Front (EPRDF) nahm Addis Ababa ein und strukturierte den Staat neu. Die neue Verfassung sah ein föderales System vor, in dem das Land in neun ethnisch-basierte Teile aufgeteilt werden sollte: Tigray, Affar, Amhara, Oromiya, Somali (früher auch Ogaden oder Region 5), Benishangul-Gumuz, Southern Nations Nationalities and Peoples (SNNP), Gambela und Harari sowie zwei Stadtverwaltungen, Addis Ababa und Dire Dawa (CSA, 2005).

Die EPRDF konnte sich bis heute an der Regierungsspitze halten. Korruption und Armut sowie Konflikte an der eritreischen Grenze und auch in der Somali Region stellen jedoch große Herausforderungen dar.

Somali Region: zehn Jahre Autonomie? Der hauptsächlich somalisch bevölkerte Teil Äthiopiens versuchte sich bereits nach der kolonialen Unabhängigkeit Somalias 1960 von Äthio- pien abzuspalten. 1977-78 gipfelte dieser Konflikt in einer bewaffneten Auseinandersetzung

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Abb. 2.1: Äthiopien aufgeteilt in neun ethnisch-basierte Regionen (vgl. Devereux, 2006)

zwischen dem von kommunistischer Seite (Sowjetunion, Kuba, Yemen) unterstützten Derg Regime und derWestern Somali Liberation Front (WSLF), die von Mogadishu aus finanziert, ausgebildet und ausgerüstet wurde. Auch nach 1978 blieb die Ogaden Region, benannt nach ei- nem der einflussreichsten Clans der Region (Ogaden-Darod), ein riesiges Militärgebiet (Samatar, 2004).

Das Jahr 1991 brachte eine bedeutende Wende für die Somali Region: Der Staat Somalia zerfiel, Mengistu wurde gestürzt, und die neue äthiopische Regierung, geführt von derEthiopian People’s Revolutionary Democratic Front (EPRDF) unter dem neuen Präsident Meles Zenawi, führte ein auf Ethnien basierendes föderales System ein. Dadurch sollten ethnische Konflikte regionsintern minimiert, Ineffizienz und Rechtswidrigkeit aufgrund ethnischer Streitpunkte vorgebeugt und stringente politische Agenden ermöglicht werden (Samatar, 2004).

In der ersten Phase nach 1991 entstanden dutzende Parteien. Die Ogaden National Liberation Front (ONLF) stellte die erste Regierung der Region. Unter starkem Einfluss der zentralen Regierung wurden Regionalvertreter der ONLF und der WSLF für das Parlament in Addis Ababa ernannt. In der Region selbst herrschte Chaos: Spill-over Effekte aus dem benachbarten Somalia (Staatszerfall, Hungersnöte und zivile Konflikte waren die Ursache von Flüchtlingsströmen

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in die Region), desorganisierte, wechselnde Eliten und föderale Interventionen prägten diese Übergangsphase (Samatar, 2004).

1994 schlossen sich zehn nicht-ogadeni Parteien zu einer neuen Partei, derEthiopian Somali Democtratic League (ESDL), zusammen, die 1995 die Neuwahlen gewann. Die ESDL erschien zunächst kohärent und sympathisierte mit der Zentralregierung in Addis Ababa. In dieser Phase verbesserte sich die Regierungsführung merklich und die Partei konnte ihre Macht relativ lange aufrecht erhalten, bis sie sich nach zwei Jahren aufgrund einer innerparteilichen Krise, auflöste. 1997 verwaltete dann die pro-EPRD ParteiSomali People’s Democratic Party (SPDP), bestehend aus ehemaligen ESDL- und moderaten ONLF-Mitgliedern, die Region (Samatar, 2004).

In den darauf folgenden Wahlen veränderte sich in der Politiklandschaft nur wenig. De facto hat sich die politische Landschaft zu einem Einparteiensystem zurückentwickelt, was in starkem Kontrast zu dem anfänglichen politischen Pluralismus steht. Die schwache Wirkung staatlicher Institutionen, direkte und indirekte Kontrolle der zentralen Regierung durch das Militär und die Förderung von EPRF-nahen Parteien sowie die Unsicherheit durch Angriffe extremer ONLF- Aktivisten haben bis heute Einfluss auf die Politik der Region (Hagmann & Khalif, 2006).

„I am Ethiopian-Somali” antwortete ein Parlamentsmitglied auf die Frage, ob er nun Äthiopier oder Somali sei. Doch das spiegelt weniger die persönliche Identifikation eines somalischen Mannes mit dem Land Äthiopien wider, sondern eher die Tatsache, dass die Somali Region auf einer ganz anderen Ebene an zwei Identitäten festhält: Einerseits ist sie ein peripheres Mitglied des äthiopischen Nationalstaates und andererseits ist die Region als Teil der größeren somalischen politischen Wirtschaft bestehend aus der früheren Somalischen Demokratischen Republik, Djibouti, Nordost Kenia und der äthiopischen Somali Region (Hagmann, 2005).

Somali Region heute. Die Somali Region setzt sich derzeit aus neun Verwaltungszonen, 44 Woredas (Verwaltungsbezirk, Distrikt) und 66 urbanen Siedlungen zusammen. In der Region leben knapp 5 Millionen Menschen. Jijiga ist die wachsende Hauptstadt der Region mit derzeit über 142 000 Einwohnern somalischer sowie auch amharischer und anderer Ethnien (2007

(23)

noch 125 876 Einwohner und 1994 noch 56 269 Einwohner; CSA, 1994, 2007, 2011 in http:

www.citypopulation.de/Ethiopia.html, 12.10.12).

Je nach Woreda leben die Menschen hauptsächlich von Pastoralismus, Agro-Pastoralismus und Ackerbau. In den urbanen Zentren, Jijiga und Gode, sind die Einkunftsmöglichkeiten flexibler. Vor allem in Jijiga arbeiten immer mehr Menschen im privaten Sektor und bei nicht- Regierungsorganisationen sowie im informellen Sektor. Insbesondere in Jijiga stellt die Regierung einen wichtigen Arbeitgeber dar (Devereux, 2006).

Die Bewohner der Somali Region haben mit verschiedenen Schwierigkeiten zu kämpfen: Die bereits dargestellte unsichere politische Situation ist nur ein Aspekt. Dürreperioden stellen das größte Existenzrisiko dar, wovon insbesondere ländliche Gegenden, in denen vor allem Somalis wohnen, betroffen sind (Devereux, 2006).

Insgesamt leiden vor allem Frauen unter diesen Entwicklungen. Sie müssen niedere Tätigkeiten übernehmen, wenn der Mann aufgrund von Dürre oder Krieg in seiner Aufgabe als Ernährer versagt. Darüber hinaus haben Frauen auch in anderen Aspekten einen schwereren Stand.

Jungen werden im Allgemeinen bevorzugt. So haben Mädchen im Vergleich zu Jungen ein höheres Risiko, jung zu sterben. Insgesamt leben Frauen in der Somali Region weniger lang als Männer (Devereux, 2006). Interessanterweise werden die bestehenden patriarchalischen Strukturen von Frauen akzeptiert und unterstützt. 82.2% der Frauen finden es unter bestimmten Umständen (Essen anbrennen, mit ihm diskutieren/streiten, ohne Bescheid zu geben das Haus verlassen, Kinder vernachlässigen, Geschlechtsverkehr verweigern) gerechtfertigt, dass der Ehemann seine Frau schlägt (CSA, 2011). Nur 27.2% wissen, dass häusliche Gewalt gesetzlich verboten ist (CSA, 2011).

Prävalenz psychischer Störungen. Die Studie von Sharan, Levav, Olifson, de Francisco

& Saxena (2007) findet die höchsten Prävalenzen psychischer Erkrankungen in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen für Depression/Angst, Substanzgebrauch und Psychosen.

In Nachkriegskontexten sind vor allem die Prävalenzen für PTBS und andere Angststörungen erhöht (de Jong, Komproe & Van Ommeren, 2003).

(24)

Epidemiologische Daten zu verschiedenen psychischen Störungen in der Somali Region und/oder Äthiopien, die für diese Erhebung Anhaltspunkte bieten könnten, sind leider bisher nicht verfügbar.

Zusammenfassung. Die Somali Region ist eine vulnerable Region, in der Dürreperioden, Hungersnöte, politische Unsicherheit und kriegerische Auseinandersetzungen vorherrschen.

Patriarchale Gesellschaftsstrukturen stellen insbesondere für Frauen eine zusätzliche Belastung dar (Devereux, 2006).

Über diese Umstände hinaus werden Frauen nach ihrer Geburt oder im Mädchenalter je nach Kul- turzugehörigkeit mehr und weniger gravierend an ihren Genitalien beschnitten beziehungsweise verstümmelt. Näheres zu dieser Tradition findet sich im folgenden Abschnitt.

2.2 Weibliche Genitalverstümmelung

Die Somali Region zählt zu den äthiopischen Regionen, in der Frauen am häufigsten und stärksten von FGM betroffen sind (Central Statistical Agency, CSA, 2005;The Former National Commitee for Traditional Practices in Ethiopia, EGLDAM, 2008). Der Ethiopian Demographic and Health Survey 2005 (EDHS, CSA, 2005) schätzt die Prävalenz beschnittener Frauen auf 97.3%, wovon 83.8% einer Typ III Beschneidung unterzogen wurden. Im Gegensatz zu einigen anderen Ethnien oder Regionen Afrikas im Allgemeinen (Ng, 2000; Snow, Slanger, Okonofua, Oronsaye & Wacker, 2002) und Äthiopiens im Besonderen (Rahlenbeck & Mekonnen, 2009; Rahlenbeck, Mekonnen & Melkamu, 2010) kann für die Somali Region nicht von einem rückläufigen Trend ausgegangen werden (EGLDAM, 2008; UNICEF, 2005).

Beschneidungstyp und -alter werden maßgeblich von der Ethnie bestimmt. Insgesamt ist FGM- Typ I in Äthiopien dominierend. In den Regionen Affar und Somali wird jedoch typischerweise eine Beschneidung nach FGM-Typ III durchgeführt (CSA, 2005; EGLDAM, 2008). Das Be- schneidungsalter liegt bei einigen Ethnien (z.B. den Amhara) innerhalb der ersten 8 Tage nach

(25)

der Geburt, Mädchen anderer Ethnien (z.B. Somali oder Oromo) werden erst später beschnitten (EGLDAM, 2008; Mitike & Deressa, 2009).

Der Ablauf des Eingriffs ist in Äthiopien ebenfalls kulturell bestimmt. Die Beschneidungsformen FGM I und FGM III kommen am häufigsten vor. Bei der Klitoridektomie (FGM I) wird die Klitoris mit einem (Rasier-)Messer oder einer anderen scharfen Klinge entfernt. Der Eingriffkann in Form eines Schnittes in das Hautgewebe erfolgen, aber auch eine vollständige Entfernung der Nevenendigung sein. In der amharischen Tradition findet der Eingriffdirekt nach der Geburt statt. Bei der Infibulation (FGM III) wird das Gewebe ebenfalls mit einem (Rasier-)Messer oder einem ähnlichen Gegenstand entfernt, anschließend aber mit Garn und Dornen oder traditionellen Kräutern „zusammengenäht”. Danach werden die Beine zusammengebunden und das Mädchen für einige Tage bis Wochen separat von den anderen Familienmitgliedern versorgt (typisch für das somalische Beschneidungsritual). Diese Beschneidung findet zuhause, bei Nachbarn oder - wenn auch sehr selten - in Krankenhäusern statt und wird meist von traditionellen Beschneiderinnen durchgeführt. Anwesend sind Verwandte und/oder Nachbarn, die das Mädchen während der Beschneidung zurückhalten und für Unterstützung verfügbar sind (z.B. EGLDAM, 2008; Utz-Billing & Kentenich, 2008).

Frauen, die bei ihrer Beschneidung infibuliert wurden (FGM III), werden meist vor ihrer Hoch- zeitsnacht von einer traditionellen Beschneiderin „geöffnet” (defibuliert). Traditionellerweise und auch heute noch in ländlichen Regionen vorzufinden ist die Defibulation in der Hochzeits- nacht durch den Ehemann. Nach der Geburt eines Kindes oder bei längerer Abwesenheit des Ehemannes werden die Frauen re-infibuliert (v.a. Affar und Somali) und damit der Zustand der Typ III Beschneidung wieder hergestellt (EGLDAM, 2008).

Als Gründe für FGM werden in dem Bericht von EGLDAM (2008) folgende genannt: Vermeidung von „Sexiness”, Vermeidung von Ärger mit dem Ehemann, Respekt vor der Tradition, Kontrolle weiblicher Emotionen und Reaktionen, Vermeidung von Scham und Stigmatisierung, hygienische und ästhetische Gründe, zum „Besten” der Frau, Vermeidung von Geburtskomplikationen, aus religiösen Gründen, Harmlosigkeit des Eingriffs und das Ziel, einen Ehemann zu finden.

(26)

Bildung ist einer der wichtigsten Prädiktoren für die Abschaffung von FGM. Je niedriger der Bildungstand, desto wahrscheinlicher ist die Absicht, FGM weiterzuführen (z.B. Masho &

Matthews, 2009:OR 2.73 99%CI 2.38-3.12). Die Überzeugung von der Wichtigkeit des Rituals persistiert in Äthiopien vor allem bei Muslimen, verheirateten und beschnittenen Frauen, die keinen Zugang zu Massenmedien haben (Masho & Matthews, 2009).

Die rechtliche Perspektive. Weibliche Genitalverstümmelung ist international als Men- schenrechtsverletzung anerkannt (UNICEF, 2005). Letzten Endes obliegt es jedoch dem Staat, die Rechte seiner Bürger zu schützen. Dafür bedarf es entsprechender legislativer, judikativer und administrativer sowie weiterer Maßnahmen, die Aufklärung und Bildung fördern (Odeku, Rembe & Anwo, 2009).

Die Regierung Äthiopiens ist Mitglied verschiedener internationaler Verträge und Konventionen zum Schutz von Menschenrechten. Des Weiteren ist weibliche Genitalverstümmelung auf nationaler Ebene gesetzlich verboten (National Constitution, Article 35, Section 4). Seit über einem Jahrzehnt sind Aufklärungsprogramme an die Lehrpläne in öffentlichen Schulen gekoppelt und es besteht eine Zusammenarbeit mit verschiedenen Nicht-Regierungsorganisationen. In diesem Bereich nimmt EGLDAM eine elementare Position ein. EGLDAM existiert bereits seit 1987, ist Teil des Inter-African Committee on Traditional Practices Affecting the Health of Women and Children (IAC) und arbeitet phasenweise mit der Regierung zusammen (USDS, 2001). Wie aus den Prävalenzangaben ersichtlich ist, stellt die Bekämpfung von FGM jedoch eine anhaltende Herausforderung dar.

2.2.1 Komplikationen und körperliche Risiken

Die Verletztung der physischen Integrität durch FGM während des Eingriffs steht außer Frage und entsprechend wurden kurzfristige und langfristige Risiken in Zusammenhang mit FGM untersucht. Laut der Zusammenfassung der Weltgesundheitsorganisation (WHO, 2008) kann es unmittelbar nach dem Eingriff zu intensiven Schmerzen, Schock, exzessiven Blutungen,

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Infektionen, HIV und Tod sowie Monate bis Jahre nach der Beschneidung zu Schmerzen, Infektionen, Keloiden, sexuell übertragbaren Krankheiten, HIV, Verschlechterung der Qualität des Sexuallebens, Geburtskomplikationen, Gefahren für das Neugeborene und psychischen Konsequenzen kommen. Für FGM III besteht zudem ein höheres Risiko für spätere Operationen, Probleme beim Wasserlassen und bei der Menstruation, Schmerzen beim Geschlechtsverkehr und Unfruchtbarkeit.

Im Folgenden wird eine Auswahl von Untersuchungen zu den Konsequenzen von FGM auf physischer Ebene dargestellt, die sich über Kontrollgruppendesigns, Stichprobengröße oder über besondere Relevanz für diese Arbeit (z.B. hinsichtlich Population, FGM-Typ) auszeichnen. Für eine ausführliche Literaturdiskussion sei jedoch auf Obermeyer (1999, 2003, 2005) verwiesen.

Akute Komplikationen nach dem Eingriff. In einer Studie von Dirie & Lindmark (1992) mit 290 somalischen Frauen in Mogadishu (v.a. FGM II/III) berichteten 38.7% von kurzfristigen Komplikationen wie Hämorrhagie, lokalen Infektionen, Insuffizienz des Blasenschließmuskels und Sepsis. Eine in Gambia durchgeführte Studie mit medizinischen Untersuchungen und (retrospek- tiven) Selbstberichten von 871 Frauen ergab, dass insgesamt 36.8% der Frauen innerhalb der folgenden zehn Tage nach der Beschneidung an Infektionen, Hämorrhagie oder akuter Anämie litten. Je schwerer die Beschneidung, desto häufiger ergaben sich diese Komplikationen (FGM I 26.3%, FGM II 43.7%, FGM III 52.8%; Kaplan, Hechavarría, Martín & Bonhoure, 2011).

Langfristige Risiken und Geburtskomplikationen. Die Untersuchungen langfristiger Risi- ken durch weibliche Genitalverstümmelung stellten in der Vergangenheit große Herausforderun- gen dar (z.B. Obermeyer, 2003). Einzelne empirische Studien der letzen Jahre konnten jedoch die vermuteten negativen Zusammenhänge mit FGM (teilweise) statistisch nachweisen. Allen voran ist hier die Studie der WHO (Banks, Meirik, Farley, Akande, Bathija & Ali, 2006) zu nennen, die 2001-2003 in sechs afrikanischen Ländern (Burkina Faso, Ghana, Kenia, Nigeria, Senegal und Sudan) 28 393 Frauen prospektiv hinsichtlich ihrer Geburtsverläufe medizinisch un- tersuchten. Die Ergebnisse sind in Abbildung 2.2 dargestellt. Das Risiko für Notfallkaiserschnitte

(28)

(Caesarean section), Blutverlust postpartum≥250 mL (Postpartum blood loss≥250 mL), einen verlängerten Krankenhausaufenthalt (Extended maternal hospital stay), Geburtsgewicht <2500g (Birthweight <2500g), Wiederbelebungen des Neugeborenen (Infant resuscitated) und Kindstod (Stillbirth; während des Krankenhausaufenthalts) stiegen mit dem Beschneidungsschweregrad.

Zwischen erstgebärenden Frauen und Frauen, die bereits eine oder mehrere Geburten hinter sich hatten, zeigten sich für diese Variablen keine signifikanten Unterschiede.

Abb. 2.2: Relatives Risiko negativer Effekte von FGM in Abhängigkeit der Parität (Banks et al., 2006)

5 Overall, the effect of FGM on the obstetric outcomes shown in figure 3

did not differ significantly between primiparous and multiparous women.

Of the 18 tests for heterogeneity comparing the effect of type of FGM for every outcome in primiparous versus multiparous women, 17 were not significant, and for the remaining comparison (the effect of FGM II on postpartum haemorrhage in primiparous versus multiparous women), the p value was 0.045. In view of the absence of any clear pattern of difference between the groups and the number of comparisons made, this finding might be due to chance.

The summary RR of stillbirth or death of the infant while the mother was an inpatient was 1.28 (1.12–1.46) for women with any type of FGM compared with none. Table 3 shows the estimated effect of FGM on the

absolute rate of perinatal death, for perinatal mortality rates typical of the region where the study was done. The excess deaths attributable to FGM ranged from 11 to 17 per 1000 deliveries, in relation to background perinatal mortality rates of 40–60 per 1000 deliveries. On the basis of the summary RR, about 22% (11–32) of perinatal deaths in infants born to women with FGM can be attributed to the FGM.

No FGM FGM I FGM II FGM III Caesarean section Obstetric outcome and FGM status

No FGM FGM I FGM II FGM III

Postpartum blood loss ≥500 mL

No FGM FGM I FGM II FGM III

308/202 246/217 251/242 157/137 Cases

primiparous/multiparous Primiparous women

relative risk (95% CI)* Multiparous women

relative risk (95% CI)*

245/180 310/273 229/301 195/237

258/194 234/216 349/380 192/181

1·00†

0·94 (0·76–1·17) 1·12 (0·90–1·39) 1·40 (0·95–2·04)

1·00†

0·94 (0·78–1·21) 1·02 (0·80–1·29) 1·54 (1·08–2·18)

1·00†

1·21 (0·94–1·50) 1·48 (1·20–1·82) 1·97 (1·37–2·82) Extended maternal hospital stay

No FGM FGM I FGM II FGM III

450/263 392/322 472/435 268/259

325/197 312/269 337/353 262/184

144/152 194/228 180/306 89/104

1·00†

1·00 (0·84–1·20) 1·14 (0·95–1·36) 0·87 (0·65–1·14)

1·00†

1·12 (0·92–1·36) 1·18 (0·96–1·44) 1·79 (1·31–2·45)

1·00†

1·36 (1·01–1·82) 1·56 (1·13–2·13) 1·74 (1·01–3·01)

1·00†

1·09 (0·86–1·40) 1·50 (1·17–1·94) 1·21 (0·84–1·76)

1·00†

1·08 (0·85–1·39) 1·45 (1·11–1·89) 1·82 (1·32–2·50)

1·00†

1·03 (0·80–1·31) 1·44 (1·16–1·81) 1·90 (1·34–2·71)

1·00†

0·88 (0·71–1·08) 0·88 (0·71–1·08) 0·96 (0·71–1·30)

1·00†

1·06 (0·84–1·34) 1·37 (1·09–1·73) 1·43 (1·00–2·06)

1·00†

0·99 (0·75–1·31) 1·13 (0·86–1·49) 1·45 (0·95–2·23) Birthweight <2500 g

No FGM FGM I FGM II FGM III Infant resuscitated

No FGM FGM I FGM II FGM III

Inpatient perinatal death‡

0 1·0 2·0 3·0 0 1·0 2·0 3·0

Figure 3: Relative risk of adverse obstetric outcomes in women with FGM I, II, or III compared with women without FGM, according to parity

*Adjusted for study centre, maternal age, number of children (in multiparous women), education, socioeconomic status, urban/rural residence, time taken to get to hospital, height, and antenatal care. †Reference group; separate models were used for no FGM versus FGM I, no FGM versus FGM II, and no FGM versus FGM III. ‡Infants who were stillborn or died while the mother was an inpatient.

Rate in women without FGM

Estimated rate in women with FGM

Excess

40 51 11

50 64 14

60 77 17

Table 3 : Estimated rates of perinatal death per 1000 births in infants born to women with and without FGM

Im Zusammenhang mit Geburtskomplikationen und gynäkologischen Folgeerkrankungen sind auch die folgenden Studien interessant: Small et al. (2008) ermittelten anhand administrativer Datensets aus den Ländern Belgien, Australien, Kanada, Finnland, Norwegen und Schweden ein erhöhtes Risiko für Kaiserschnitte, Apgar Scores ≤7 nach fünf Minuten und Totgeburten bei Frauen, die in Somalia geboren sind und traditionell einer Beschneidung nach Typ III unterzogen wurden1 und Hakim (2001) fand in ihrer Untersuchung in Äthiopien eine erhöhte Dauer der

1Kein erhöhtes Risiko zeigte sich in der Studie von Small et al. (2008) für Frühgeburten, ein geringes

(29)

Wehen im 2. Stadium bei beschnittenen Frauen (v.a. FGM II).

Über Geburtskomplikationen hinaus fanden Morison et al. (2001) in ihrer Untersuchung in Gambia heraus, dass das Risiko anämischer Zustände bei beschnittenen Frauen (v.a. FGM II) erhöht ist. Darüber hinaus geht Beschneidung auch mit einer höheren Wahrscheinlichkeit, an Infektionen zu leiden einher (Bakterielle Vaginosis2, Herpes Simplex Virus 2, HPV2, Morison et al., 2001; Infektionen des Blasentraktes, Almroth et al., 2005).

Ein größeres Risiko für Episiotomien und Dammrisse bei beschnittenen Frauen (v.a. FGM III) ist naheliegend, jedoch sehr stark von den Praktiken in den Kliniken konfundiert, da eine routinemäßige Durchführung von Episiotomien zur Vermeidung von Dammrissen bei FGM III in einigen Kliniken vorgenommen werden (vgl. Banks et al., 2006 und Slanger, Snow & Okonofua, 2002).

Für andere mögliche Folgen konnte bisher keine Veränderung des Morbiditätsrisikos in Abhän- gigkeit von FGM nachgewiesen werden (Tumor (vulvar), beschädigtes Perinuem, Insuffizienz des analen Schließmuskels, vesiko-vaginale Fistula, Insuffizienz des Blasenschließmuskels, Totge- burten, Schmerzen beim Geschlechtsverkehr, Unfruchtbarkeit, Menstruationsbeschwerden, BMI

< 18, Candida, Trichomoniasis, abnormer vaginaler Ausfluss, Jucken, Irritationen, schlechter Geruch, Läsion des Plattenepithels, Morison et al., 2001; Inkontinenz, Peterman & Johnson, 2009; sexuell übertragbare Krankheiten, Elmusharaf, Elkhidir, Hoffmann & Almroth, 2006;

Klouman, Manongi & Klepp, 2005; Obstetric Fistulae, Browning, Allsworth & Wall, 2010;

späteres Menarchealter, Elnashar & Abdelhady, 2007; HIV, z.B. Klouman, Manongi & Klepp, 2005; Maslovskaya, Brown & Padmadas, 2009; Yount & Abraham, 2007; Trichominiasis und Candida, Klouman et al., 2005).

Obwohl in den letzten Jahren einige Studien hinzugekommen sind, die allgemeine langfristige physische Risiken von FGM betrachten, mangelt es nach wie vor an gemeindebasierten, rando-

Geburtsgewicht (<2500g), keine Einnahme von Schmerzmitteln, Epiduralanästhesien, operative Geburten (vaginal, Zange, Vakuum), Geburtseinleitung, Spontangeburt (vaginal) und neonataler Tod (bis 7 und 28 Tage). Diese Ergebnisse werden durch die Studien von Jones, Diop, Askew & Kaboré (1999); Klouman, Manongi & Klepp (2005); Larsen & Okonofua (2002); Slanger, Snow & Okonofua (2002) gestützt.

2Das Risiko für Bakterielle Vaginosis erwies sich jedoch nicht signifikant in der Studie von Klouman et al.

(2005).

(30)

misierten Studien mit angemessener Stichprobe, Kontrollgruppe und Variation der FGM-Typen – oder Meta-Analysen.

Sexuelle Funktion. Sexuelle Dysfunktionen als Folge von FGM sind naheliegend und werden in einer Studie in Florenz (Italien) anhand des Female Sexual Functioning Index (FSFI) bei somalischen (infibulierten) Migrantinnen untersucht. Letztere berichten von einem geringeren Wunsch nach Geschlechtsverkehr, weniger Erregung, weniger Orgasmen und von einer allgemein geringeren sexuellen Zufriedenheit als nicht beschnittene Italienerinnen (Catania, Abdulcadir, Puppo, Verde, Abdulcadir & Abdulcadir, 2007). Alsibiani & Rouzi (2010) fanden in einer Untersuchung in Jeddah (Saudi Arabien), die ebenfalls den FSFI anwandte, eine signifikante Verminderung sexueller Erregung, Lubrikation, Orgasmus und Zufriedenheit bei Frauen nach Typ I und Typ II Beschneidungen. Thabet & Thabet (2003) entdeckten bei nach Typ I beschnittenen Frauen keine sexuelle Minderfunktion. In der Schweizer Interventionsstudie von Krause, Brandner, Mueller & Kuhn (2011) berichteten Frauen nach Defibulation mittels CO2-Laser von einer Verstärkung des Wunsches nach Sexualität, mehr sexueller Erregung, mehr Zufriedenheit und weniger Schmerzen. Lubrikation und die Häufigkeit von Orgasmen blieben insignifikant. Auch hier wurde die sexuelle Funktion über den FSFI erhoben. Raouf, Ball, Hughes, Holder & Papaioannou (2011) zeigten in ihrer Untersuchung, dass durch FGM III entstandene Geburtsrisiken über eine entsprechende Behandlungen reversibel sind.

Selten untersucht, aber insbesondere im Rahmen sexueller Dysfunktion, Beziehungsqualität und Psychopathologie wichtig, ist die Frage, ob die Ehemänner unter der an ihren Frauen vorgenommenen Beschneidung leiden. In der Studie von Almroth et al. (2001, N = 23) bilden sich Evidenzen ab. Es werden Schwierigkeiten während der Penetration, Wunden/Infektionen am Penis und andere Probleme beschrieben. Darüber hinaus lässt der Befund, dass jüngere Männer (im Gegensatz zu den älteren) unbeschnittene Frauen bevorzugen, auf einen Wandel hoffen.

(31)

2.2.2 Psychopathologische Risiken

Bisher sind nur wenige empirische Studien veröffentlicht, die psychische Störungen in Zu- sammenhang mit weiblicher Genitalverstümmelung betrachten. Diese werden im Folgenden chronologisch vorgestellt und kurz diskutiert.

Die erste Studie, die sich dem Zusammenhang der psychischen Gesundheit und FGM nähert, ist die von Behrendt & Moritz (2005). PTBS, Gedächtnisfunktionen und FGM werden an einer Stichprobe von N = 47 beschnittenen und unbeschnittenen Frauen in Dakar (Senegal) über das Mini International Neuropsychiatric Interview (M.I.N.I.) und den Rey-Figure-Test untersucht. Beschnittene Frauen (n = 23) scheinen stärker belastet zu sein: 30.4% der Frauen leiden unter einer PTBS, 26.2% unter einer anderen Angststörung und 21.7% unter einer affektiven Störung, wobei für keine der nicht beschnittenen Frauen (n = 24) eine PTBS oder Angststörung diagnostiziert wurde und nur 4.2% eine affektive Störung aufwiesen. Im Gedächtnistest erzielten beschnittene Frauen mit PTBS signifikant schlechtere Ergebnisse. Die Verteilung der FGM-Typen wurde nicht aufgeführt. In der Region Dakar sind 17% der Frauen beschnitten, davon 66% FGM I, 1% FGM II, 22% FGM III und 7% FGM IV (Centre de Recherche pour le Dévelopment Humain (Sénegal), 2005). Die Stichprobe ist nicht ranodomisiert und klein, daher sind erhebliche Verzerrungen, sowohl bei der Rekrutierung der beschnittenen Frauen, als auch bei der Rekrutierung unbeschnittener Kontrollpersonen hinsichtlich körperlicher und psychischer Gesundheit, nicht auszuschließen. Mögliche Effekte wie Stigmatisierung, weitere traumatische Erlebnisse, familiäre Gewalt und andere psychosoziale Stressoren wurden nicht thematisiert.

Elnashar & Abdelhady (2007) untersuchten die psychische Gesundheit (und andere Risiken) ägyptischer Frauen (FGM I), die frisch verheiratet waren (< 5 Jahre), über die Symptom Checklist 90 (SCL 90; Einschluss von Somatisierung, Depression, Angst, Feindseelichkeit und Phobie). Signifikante Unterschiede ergaben sich für Somatisierung, Ängstlichkeit und Phobie.

Auf konfundierende Variablen wurde in dieser Studie nicht eingegangen. Des Weiteren wurden nur 64 von 200 beschnittenen Frauen in die genannten Vergleiche eingeschlossen. Auch diese

(32)

Selektion wird in der Studie nicht erläutert, weshalb diese Studie im Verlauf dieser Arbeit außer Acht gelassen wird.

Nach dem Design von Behrendt & Moritz (2005) versuchten Chibber, El-Saleh & El Harmi (2011) den psychopathologischen Teil ihrer Studie zu FGM und psychischen Risikofaktoren auszurichten. Sie befragten N = 4800 schwangere Frauen im letzten Trimester an Universitäts- kliniken in Kuwait hinsichtlich affektiver Störungen, PTBS und Angststörung (M.I.N.I.) sowie kognitiver Funktionen (Rey-Figure-Test). Bei 38% dieser Frauen wurde eine Beschneidung nach – hauptsächlich – Typ II oder Typ III festgestellt. Es konnte gezeigt werden, dass 85% den Eingriff der Beschneidung als traumatisch (intensive Angst, Hilflosigkeit, Horror) wahrnahmen.

Den Ergebnissen konnte eine erhöhtes Risiko für Affektstörungen entnommen werden (OD 24.6 95%CI 1.9, 22.8), jedoch litt keine der unbeschnittenen Frauen (n = 2958) unter PTBS oder

„other anxiety and affective disorders”. Stichprobencharakteristika und Diagnostikerausbildung werden in der Studie nicht erläutert. Die Befunde der kognitiven Aufgaben sind im Ergebnis- und Diskussionsteil des Artikels nicht erwähnt. Diese Untersuchung ist allerdings die erste, in der psychische Implikationen von FGM anhand einer repräsentativen Stichprobe analysiert werden.

Eine neuere Studie aus dem Jahr 2011 von Kizilhan (2011) befragte beschnittene (n = 79) und unbeschnittene (n = 61) irakische Mädchen zwischen 8 und 14 Jahren zu Angststörung, somatoformer Störung, Persönlichkeitsstörung und somatischen Störungen (Diagnostic Interview for Psychiatric Disorders, DIPS; arabische Version, unvalidiert) sowie PTBS (Child PTSD Reaction Index, CPTSD-RI; arabische Version), Depression (Child Depression Index, CDI;

arabische Version) und den Selbstwert (The Cooper Smith Self-Esteem Inventory; arabische Version und Normierung). Signifikante Unterschiede ergaben sich für PTBS, Depression und den Selbstwert. Einige Einschränkungen wie die kleine Stichprobe, Konfundierung mit einer landesinternen Minoritätsgruppe und Vernachlässigung konfundierender Variablen sind auch hier nicht ganz außer Acht zu lassen. Die methodische Durchführung entspricht jedoch den empirischen Standards. Auskünften auf Anfragen zufolge waren 70% der Befragten nach Typ I beschnitten und 30% nach Typ II.

(33)

Die Befunde zu FGM werden häufig durch die Kontrollguppenproblematik untergraben. Der Vergleich der FGM-Typen ist meist verzerrt, da diese regionsabhängig auftreten und auch das Finden einer nicht beschnittenen Kontrollgruppe ist oft schwierig. Stigmatisierungen können je nach Region für beschnittene und unbeschnittene Frauen auftreten. Inwiefern diese Punkte in der vorliegenden Stichprobe eine Rolle spielen, wird in Abschnitt 5.1.2.1 in Anbetracht der Ergebnisse diskutiert.

Anhand der veröffentlichten Studien wird deutlich, dass bisher bei beschnittenen Frauen konsistent mehr psychische Störungen gefunden wurden als bei nicht beschnittenen Frauen.

Dabei stammt eine Studie aus dem westafrikanischen und zwei aus dem arabischen Raum.

Die vorliegende Untersuchung wurde in Äthiopien (Jijiga, Somali Region) durchgeführt und beleuchtet damit einen neuen geographischen Teil hinsichtlich der im Folgenden hergeleiteten Fragen.

In den Studien von Behrendt & Moritz (2005), Chibber et al. (2011) und Kizilhan (2011) wird berichtet, dass die Mehrzahl der Frauen das Ereignis in Angst und Hilflosigkeit erleben.

Die vorliegende Arbeit untersucht darüber hinaus inwiefern die verschiedenen FGM-Typen als traumatisches Lebensereignis im Sinne des subjektiven A-Kriteriums des DSM-IV (APA, 1994) betrachtet werden können um die bisherigen Befunde zu untermauern und in eine klinische Definition zu integrieren.

Im Anschluss soll die Anzahl psychischer Störungen innerhalb der verschiedenen FGM-Gruppen verglichen werden. Es stellt sich die Frage, ob beschnittene Frauen häufiger unter psychischen Störungen leiden und ob sich die FGM-Typen unterscheiden. Diese Fragestellung wird ergänzt durch den Vergleich der Häufigkeit und der Schwere, in der die Symptome auch im subklinischen Bereich auftreten.

In einer Vielzahl von Arbeiten wurde gezeigt, dass die Anzahl traumatischer Lebensereignisse einen negativen Zusammenhang mit der psychischen Gesundheit aufweist (z.B. Briggs-Gowan et al., 2010; Neuner et al., 2004 ). Aufgrund dessen soll in dieser Arbeit die Gesamtzahl der psy- chopathologischen Symptome der verschiedenen Beschneidungsformen unter Berücksichtigung

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der Anzahl traumatischer Lebensereignisse verglichen und graphisch dargestellt werden.

Immer wieder zeigt sich in Studien, dass die FGM-Typisierung der WHO nicht besonders diffe- renziert ist (z.B. Morison et al., 2001). Insbesondere bei der Betrachtung von Zusammenhängen mit der psychischen Gesundheit ist anzunehmen, dass nicht nur der FGM-Typ für die subjektive Wahrnehmung des Eingriffs ausschlaggebend ist. Aufgrund dessen wird hier alternativ zu der konventionellen FGM-Typisierung der WHO ein FGM-Schweregrad eingeführt, der subjektive und objektive Faktoren betrachtet. Anschließend soll dann der Zusammenhang der psychischen Gesundheit mit dem FGM-Schweregrad und der Anzahl traumatischer Lebensereignistypen sowie der familiären Gewalt untersucht werden. Für beide letzteren Faktoren wurde in anderen Studien bereits ein positiver Zusammenhang mit psychopathologischen Symptomen nachgewiesen (z.B.

Briggs-Gowan et al., 2010; Catani, Schauer & Neuner, 2008; Crusto et al., 2010). Es stellt sich die Frage, ob die FGM-Schwere über die Anzahl traumatischer Lebensereignisse und die familiäre Gewalt hinaus einen negativen Effekt auf die psychische Gesundheit hat.

Zusammenfassend stellen sich folgende Fragen:

• Ist FGM als traumatisches Ereignis im Sinne des subjektiven A-Kriteriums der PTBS nach DSM-IV zu betrachten? Unterscheiden sich die FGM-Typen diesbezüglich?

• Leiden beschnittene Frauen häufiger unter psychischen Störungen wie PTBS, Ängstlichkeit oder Depressivität? Unterscheiden sich die FGM-Typen diesbezüglich?

• Unterscheiden sich die verschiedenen Beschneidungstypen hinsichtlich ihrer Symptom- schwere in den Bereichen PTBS, Dissoziation, Ängstlichkeit und Depressivität?

• Unterscheidet sich die psychische Gesundheit der FGM-Typen unter Berücksichtigung des Effektes der Anzahl traumatischer Lebensereignistypen?

• Hat der FGM-Schweregrad neben anderen psychischen Belastungen (Anzahl traumati- scher Lebensereignistypen, familiäre Gewalt) einen negativen Effekt auf die psychische Gesundheit?

Darüber hinaus werden in dieser Arbeit die Zusammenhänge weiblicher Genitalverstümmelung und der psychischen Gesundheit mit endokrinen Veränderungen untersucht. Auf die empirische

(35)

Evidenz für diese Zusammenhänge wird im folgenden Abschnitt eingegangen.

2.3 Die endokrine Stressantwort

Stressreiche und traumatische Lebensereignisse wie weibliche Genitalverstümmelung aber auch Dürreperioden oder Krieg setzen den Organismus im Alltag unter erhöhte Anforderungen, um die überlebensnotwendige Leistung zu bringen. Der folgende Abschnitt beschreibt die endokrine Reaktion des Körpers in solchen Stresssituationen und stellt anschließend den aktuellen Stand der endokrinologischen Stressforschung dar.

2.3.1 Das endokrine System und die Bewältigung von Stress

Für die Bewältigung von Stress besitzt der menschliche Organismus zwei entscheidende Systeme:

den Locus coerculus beziehungsweise das norepinephrine-sympathische Nervensystem (LC/NE- SNS) für die kurzfristige Stressantwort und die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse (HHNA) für die langfristige Stressantwort (Charmandari, Tsigos & Chrousos, 2005). Die kurzfristige Stressantwort dient vor allem einer schnellen Mobilisierung von Energie aus dem Körper. Dies geschieht über die Aktivierung des Sympathikus, infolgedessen das Nebennieren- mark Adrenalin und Noradrenalin ausschüttet. Diese Botenstoffe führen zu einer gesteigerten Glukoseverfügbarkeit, einem höheren Blutdruck sowie zu einer Verbesserung der kognitiven Funktionen wie Aufmerksamkeit und Reaktionsgeschwindigkeit. Hält der Stressor an, werden längerfristige Bewältigungsmechanismen aktiv, die auf der Segregation von Glukokortikoiden beruhen. Die Freisetzung von Kortisol, dem wichtigsten der Glukokortikoide, wird durch das adrenokortikotrope Hormon (ACTH) des Hypophysenvorderlappens (HVL) reguliert. Dieses unterliegt wiederum der Kontrolle des Kortikotropin-Releasing-Hormons (CRH), welches im paraventrikulären Nukleus (PVN) des Hypothalamus ausgeschüttet wird. Über negative Rück- kopplungsmechanismen hemmt Kortisol die Ausschüttung von ACTH und CRH, wodurch der Regelkreis wieder geschlossen wird (Charmandari et al., 2005).

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Dieser Mechanismus ist Teil der (adaptiven) Stressantwort. Der entscheidende endokrine Bo- tenstoff ist das Kortisol, was je nach Zielgewebe seine Wirkung entfaltet. Dabei wird die Widerstandsfähigkeit des Individuums durch eine Reihe von Prozessen erhöht. Dazu zählen die Bereitstellung von Sauerstoff, Glukose und anderen Nährstoffen, die Steigerung des kar- diovaskulären Tonus und des Blutdrucks, die Erhöhung der Herzrate, die Beschleunigung der Atmung, die Steigerung der Neubildung von Glukose, die Lipolyse, die Entgiftung von toxischen Produkten sowie die Hemmung des Wachstums, der reproduktiven Funktionen und der Verdauung sowie der Eindämmung der Entzündungs- und Immunantwort (siehe Tabelle 2.1).

Auf kortikaler Ebene sind vor allem drei Systeme aktiv: (a) das dopaminerge mesolimbische und mesokortikale System, das antizipatorische und kognitive Funktionen des präfrontalen Kortex sowie Motivations-, Verstärkungs- und Belohnungsmechanismen regelt und (b) der Amygdala- Hippocampus-Komplex, der für die Reaktion auf Furchtreize, Lernen und Gedächtnis zuständig ist sowie (c) das für Empfindungen wie Analgesie und Temperatur zuständige POMC-System (Charmandari et al., 2005).

Tab. 2.1: Die adaptive Stressreaktion (Charmandari et al., 2005)

Adaption auf Verhaltensebene Adaption auf physiologischer Ebene gesteigerte Erregung, Wachsamkeit und

Vigilanz

Bereitstellung von Sauerstoff, Glukose und anderen Nährstoffen

verbesserte Kognition und selektive Aufmerksamkeit

gesteigerter kardiovaskulärer Tonus und Blutdruck, erhöhte Herzrate

Euphorie (oder Dysphorie) beschleunigte Atmung

gesteigerte Analgesie gesteigerte Glukoneogenese und Lipolyse Temperatursteigerung Entfernung von toxischen Produkten Hemmung von Appetit und Essverhalten Wachstums- und Reproduktionshemmung Unterdrückung der reproduktiven Achse Hemmung der Verdauungsstimulation der

Dickdarmmotilität

Eindämmung der Stressantwort Eindämmung der Entzündungs- und Immunantwort

Die Aktivierung der HHNA ist nicht als Dauerzustand vorgesehen: Hält der Stress an, kommt es zu einer Dysregulation der HHNA. Für den Organismus fordert sowohl der Hyper- als auch der Hypokortisolismus „Kosten”. Ein Kortisolüberschuss hat negative Auswirkungen auf Wachstum und Entwicklung (Zwergwuchs), die Schilddrüsenfunktion (Hyperthyreoidismus),

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die Reproduktion, den Stoffwechsel (Fettsucht, Diabetis mellitus), die gastrointestinale Funkti- on, die Immunfunktion (z.B. Wundheilung) und geht mit psychiatrischen Syndromen einher (melancholische Depression, Bindungsstörung, Panikstörung; Charmandari et al., 2005). Auch das Gehirn organisiert sich unter einer erhöhten Kortisolexposition neu: Der Hippocampus (Langzeitgedächtnis) und der präfrontale Kortex (Planung) nehmen an Volumen und Dendri- tensprossung ab, während die Amygdala (Emotionen, Furcht) stärker innerviert wird, wodurch die Dendritensprossung und das Volumen in diesem Bereich zunehmen (Kolassa & Elbert, 2007). Hypokortisolismus manifestiert sich hingegen in einer erhöhten Stressempfindlichkeit, Fatigue-Symptomen und Schmerzen (vgl. Fries, Hesse, Hellhammer & Hellhammer, 2005; Miller, Chen & Zhou, 2007) sowie atypischer Depression und Autoimmunerkrankungen (Charmandari et al., 2005; Korte, Koolhaas, Wingfield & McEwen, 2005).

Die exogenen und endogenen Umstände, die eine Auf- und Abregulierung der HHNA bei Dauerstress oder psychischen Erkrankungen bedingen, ist bisher nicht vollständig geklärt. Miller et al. (2007) identifizieren in ihrer Meta-Analyse Effekte für die Zeit seit dem Trauma, für die Kontrollierbarkeit des Stressors, für die mit dem Stress assoziierten Gefühle (z.B. Scham und Verlust) und für den psychopathologischen Zustand (Depression und PTBS). Außerdem wird der Einfluss entwicklungsbedingter Veränderungen (Stressexposition in kritischen Lebensphasen und physiologische Veränderungen im Alter) in Betracht gezogen. Fries et al. (2005) betrachten Hypokortisolismus als kompensatorischen Mechanismus der infolge chronischer Stressperioden und erhöhter HHNA Aktivität einsetzt und den Körper mit den Kosten einer erhöhten Stress- empfindlichkeit, Fatigue-Symptomen und Schmerzen vor den negativen Auswirkungen dauerhaft erhöhter Glukokortikoidkonzentrationen schützt.

Allostsis und allostatischer Load. Diese Langzeiteffekte von Stress werden auch in dem von McEwen (1993; 1998) postulierten Konzept von Allostasis und allostatischem Load „ver- packt”. Allostasis ist die Fähigkeit durch endogene Veränderungen die Stabilität des Organismus unter gesteigerter (exogener) Belastung zu erhöhen. Das autonome Nervensystem, die HHNA, das kardiovaskuläre und metabolische System sowie das Immunsystem erhöhen die Widerstands-

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fähigkeit des Körpers. Gleichzeitig kommt es zu einem erhöhten „Verschleiß” durch die Hyper- und Hypoaktivität dieser allostatischen Systeme, die als allostatischer Load bezeichnet werden (McEwen & Stellar, 1993; McEwen, 1998).

In der vorliegenden Arbeit liegt der Schwerpunkt auf Veränderungen der HHNA als Teil des allostatischen Systems. Als Endprodukt der HHNA ist das Kortisol zu verstehen (Stalder et al., 2010). Wie dieses erfasst wird und letzten Endes ein Indikator für die Aktivität des endokrinen Systems darstellt wird im folgenden Abschnitt erläutert.

2.3.2 Von der Theorie zur Praxis

Kortisol ist das wichtigste der Glukokortikoide und wird in der neuroendokrinologischen For- schung als biologischer Marker für Stress eingesetzt. Der Kortisolgehalt kann über Speichel, Urin und Serum sowie auch über Haare gemessen werden (Gow, Thomson, Rieder, Van Uum &

Koren, 2010). Jede dieser Messmethoden hat Vor- und Nachteile: Speichel und Serum obliegen natürlichen Schwankungen des Kortisolgehaltes (zirkadianer Rhythmus, Stress, Essen) und wie auch bei 24-h-Urin müssen die Proben kühl bzw. im Gefrierschrank gelagert werden. Kortisol im Serum ist zudem anfällig für kortisolbindendes Globulin (Anti-Baby-Pille, Schwangerschaft). Ei- ne stressbedingte Veränderung des Kortisolgehalts aufgrund der Entnahme von Serum, Speichel oder Urin kann ebenfalls nicht ausgeschlossen werden (vgl. Tabelle 2.2).

Die Studie von Raul, Cirimele, Ludes & Kintz (2004) erbrachte erstmals den Nachweis, dass endogene Kortisolkonzentrationen auch im Haar messbar sind. Im Gegensatz zu Serum-, Speichel- und Urinproben hat dieser Marker einige Vorteile. Zunächst erfordert die Lagerung der Haarprobe keine speziellen Bedingungen. Zudem kann die Probe nicht-invasiv auf Höhe der posterioren Vertexregion entnommen werden. Darüber hinaus können Haarproben als retrospektives Maß für die kumulative Segregation von Kortisol über eine längere Zeitspanne hinweg betrachtet werden (Kirschbaum et al., 2009). Ein Zentimeter entspricht dabei in etwa dem Wachstum von einem Monat (Wennig, 2000). Bei Afrikanern liegt die Wachstumsrate etwas unterhalb dieses Wertes (0.74 cm/Monat; Loussouarn, 2001).

Referenzen

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