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Raschi zu bSanh 4a

Im Dokument Kay Joe Petzold Masora und Exegese (Seite 150-155)

IV.1 bSanh 4a: Die Orthographie der Qarnot

IV.1.1  Raschi zu bSanh 4a

Raschi kommentiert den talmudischen Diskurs in bSan 4a folgendermaßen: תונרק דיחיד382השבכבורסחתנרקביתכאישנדריעשבביתכ ןוציחהחבזמלשתאטחבתנרקתנרק רסחתנרקםשביתכדיחיד ’ריעשבואלמתונרקםשביתכ – „beim Ḥaṭat des Fürsten mit Bock am äußeren Brandopfer-Altar ist תנרק defektiv, beim Ḥaṭat des Laien mit Lamm ist תונרק plene und beim Ḥaṭat des Laien mit Ziege ist תנרק wieder defektiv geschrieben“.

Raschi legt also die eine Plene-Schreibung des Lemmas תונרק eindeutig inhaltlich auf Lev 4,34 fest (Ḥaṭat des Laien mit Lamm). Die Gemara der Ausgabe Wilna 1866, die Standardausgabe des Talmud, dokumentiert jedoch mit der Reihung der Lesarten 382 Man beachte den Gebrauch von שׂ ֶב ֶכּ (MT), ה ָשׂ ְב ִכּ (Raschi) und ה ָבּ ְשׂ ִכּ (Sam.) ad loc. gegen das sonst übliche ב ֶשׂ ֶכּ (in MT 117-mal) für ‚Schaf‘ in der Opferterminologie. Milgrom behauptet in seinem Leviticus-Kommentar, dass Samaritanus ad loc. השבכ lese und dass die häufigere Form ב ֶשׂ ֶכּ eine Me-tathesis von שׂ ֶב ֶכּ (in MT 13-mal) sei; Samaritanus liest in allen wichtigen Mss הבשכ, mit Ausnahme:

Ms Kennicott 299; Während im Akk. das Fem. mit kabsatu bezeichnet wird, hat sich die Form ה ָשׂ ְב ַכ Lev 14,10 bzw. ה ָשׂ ְב ִכּ in 2Sam 12,3 als Femininum für שׂ ֶב ֶכּ nicht durchgesetzt. Vgl. Jastrow 1903, 77.

Open Access. © 2019 Kay Joe Petzold, published by De Gruyter. This work is licensed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivatives 4.0 License.

https://doi.org/10.1515/9783110627121-004

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תנרק-תנרק-תונרק des Beit Hillel nicht nur einen Widerspruch zu Raschi, sondern auch zu den Lesarten des masoretischen Texts in den tiberiensischen Handschriften.

Demnach lasen die Anhänger des Beit Hillel תונרק in Lev 4,25 gegen den tiberiensi-schen MT plene, wohingegen Raschi die Plene-Schreibung in Lev 4,34 voraussetzt.

Raschi und die Gemara in bSanh 4a bezeugen mit einer Plene-Form תונרק im Abschnitt Leviticus 4,25–34 (bSan 4a) bzw. genau in Lev 4,34 (Raschi) indirekt eine alte Lesart des aschkenasischen Bibeltextes.

Talmud-Ausgabe Gemara bSanh 4a

Bomberg

Venedig 1520 רסחתנרקבתכאישנדריעשבו׳יתכןוציחהחבזמלשתאטחב .תונרקתונרקתונרק רסחתנרק׳יתכדיחידריעשבותונרקאלמ׳תכדיחידהשבכבו Romm Wilna

1880–1886 רסחתנרקביתכאישנדריעשבביתכןוציחהחבזמלשתאטחב .תנרקתנרקתונרק רסחתנרקםשביתכדיחיד׳ריעשבואלמתונרקםשביתכדיחידהשבכבו A. Steinsaltz

1967–1991 רסחתנרקביתכאישנדריעשבביתכןוציחהחבזמלשתאטחב .תנרקתנרקתונרק רסחתנרק )םש( ביתכדיחידריעשבואלמתונרק )םש( ביתכדיחידהשבכבו

Der masoretische Text in L (BHS) und die tiberiensische Masora hingegen tragen die ser Tradition keinerlei Rechnung, sondern lesen mit L (BHS), A (Keter) und in sämtlichen Druckausgaben des textus receptus nach Bomberg 1525 (Letteris, Gins-burg, Snaith, Koren) die Form תנרק in Lev 4,25–34 drei-mal defektiv. Mit dem komple-xen Befund zu den Lesarten von תנרק in Leviticus und in bSanh 4a haben sich in neuerer Zeit Penkower383 und Levy384 befasst, allerdings ohne den handschriftlichen Lesarten der Gemara und des Raschi-Kommentars ausreichend Rechnung zu tragen.

Der Text des Raschi-Kommentars zu bSanh 4a soll hier Ausgangspunkt der Untersu-chung sein, weil nur Raschi die interne Reihung der Formen תנרק im Abschnitt Lev 4,25–34 תונרק-תנרק-תנרק (Lev 4,34 plene) eindeutig tradiert und voraussetzt, obwohl diese Reihung weder mit der Gemara in der Edition Wilna תנרק-תנרק-תונרק noch mit dem modernen tiberiensichen MT übereinstimmt. Darüber hinaus ist in der Formulierung des Raschi-Kommentars die Reihung durch die intendierte Vertau-schung des Ḥaṭat mit Schaf (Aue) תונרק in Lev 4,34 und des Ḥaṭat mit Ziege תנרק in Lev 34,30 so angelegt, dass es zur Verwechslungen zwischen beiden Stellen kommen kann. So interpretiert kein Geringerer als Yoel Florsheim die interne Reihung der Ḥaṭat-Opfer im Raschi-Kommentar offensichtlich falsch und schließt aus dem Kom-mentar tatsächlich auf die Reihung תנרק-תונרק-תנרק. Florsheim verwechselt die syn-taktische Reihe im Raschi-Kommentar zu bSan 4a mit der kultischen Reihung im

383 Vgl. Penkower 2008, 99–122.

384 Vgl. Levy 2001.

Bibeltext zu Lev 4,25–34.385 Der Raschi-Kommentar zu Sanh 4a liest jedoch in sämtli-chen Drucken übereinstimmend אלמתונרקםשביתכדיחידהשבכבו und weist die Plene-Schreibung תונרק dem dritten Vorkommen in Lev 4,34 zu. Die Talmud-Ausgabe Romm Wilna 1880–86 sieht sich wegen des offensichtlichen Widerspruchs zwischen Raschi-Kommentar zur Gemara und den Lesarten des gedruckten MT genötigt, die Stelle Lev 4,34 zu kommentieren, und stellt ad loc. in ס״שהתרוסמ fest: םינוקיתו׳ישמוחהלכב ביתכרסחתנרקהרוסמבםג „in allen Pentateuch-Ausgaben, in den Tikkunim und in der Masora ist תנרק defektiv“. Die Redaktion der Wilna-Ausgabe verändert jedoch weder die Plene-Lesart noch ihre Reihung in der Phrase תנרק-תנרק-תונרק in der Gemara. So stellt sich die Situation zur Reihung des Lemmas תנרק im Abschnitt Lev 4,25–34 im masoretischen Text, in bSanh 4a und im Raschi-Kommentar folgendermaßen dar:

Tradition Lev 4,34 Lev 4,30 Lev 4,25

bSanh 4a, Ed. Wilna תנרק תנרק תונרק

Raschi ad loc., Ed. Wilna תונרק תנרק תנרק

MT ad loc., Bomberg, BHS תנרק תנרק תנרק

Die Gemara in bSanh 4a liest für den Ritus der Hilleliten die Phrase תנרק-תנרק-תונרק einmal plene und zweimal defektiv und deutet in der Reihung die Plene-Lesart gegen MT und Raschi auf Lev 4,25. Zusätzlich verweist die Wilna-Ausgabe auf die defektive Schreibung in MT. Perusch Raschi bestätigt jedoch gegen den MT תונרק einmal plene und zweimal defektiv und legt die Plene-Schreibung mit אלמתונרקביתכדיחידהשבכבו auf Lev 4,34 fest. Der Perusch Raschi zur Torah hingegen berücksichtigt die תונרק Lesart ad loc. nicht, weil der Autor des Perusch Raschi genau diese Plene-Lesart in seinen Handschriften vorfand und sie voraussetzte. Doch auch die Druckausgaben des MT lesen die drei Formen von תנרק in Lev 4-25–34 seit Bomberg 1525 defektiv.

Dass die Plene-Lesart תונרק in Lev 4,34, die bSanh 4a und Raschi voraussetzen, nicht ungewöhnlich war, bestätigt jedoch bereits R. Meir Ben Todros Halevi Abulafia in seinem Kommentar zu bSanh 4a in Sefer Ḥidushei al Massekhet Sanhedrin386, in dem er notiert: ביתכאישנריעשבʹוכתונרקתונרקתונרקש״בדאמעטיאמאנוהבררמאו תאטחבוהלוכואלמתונרקביתכדיחיתבשכבורסחתנרקבימנביתכדיחיתריעשבורסחתנרק ןציחהחבזמלש. Indem Abulafia die Mischna zitiert, sich die Interpretation Raschis zu eigen macht und diese auch noch in die richtige Reihenfolge bringt: Lev 4,25 ריעשב רסחתנרקביתכאישנ + Lev 4,25 רסחתנרקביתכאישנריעשב + Lev 4,34 ביתכדיחיתבשכבו אלמ תונרק, bestätigt er nicht nur die Lesart, die Raschi in der hebräischen Bibel

385 Vgl. Florsheim 1981.

386 Vgl. Rav Meir Ben Todros Halevi Abulafia, ןירדהנס תכסמ לע ה׳׳מרה ישודח רפס, Saloniki 1798 (Nachdruck New York 1953).

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vorfand, sondern auch, dass die gegen den Raschi-Kommentar lesende Reihung:

תנרק-תנרק-תונרק in der Gemara sekundär ist.387 Die modernen Ausgaben des Talmud Bavli geben (mit Ausnahme von A. Steinsaltz) den Text der Romm-Ausgabe (Wilna 1880–86) wieder, die einen aus Drucken und Handschriften kollationierten Kompo-sittext in der Redaktion des Wilnaer Gaon, R. Elijahu Ben Shlomo Zalman Kremer, abbildet.388 Die frühen Handschriften des Talmud dagegen lesen die Phrase in bSanh 4a regelmäßig תונרק-תנרק-תנרק – also mit Raschi das Lemma תונרק in Lev 4,34 plene (vgl. Liste unten). Auch die Druckausgaben und die Handschriften der Parallelstelle in bZev 37b lesen regelmäßig תונרק-תנרק-תנרק und bestätigen die frühe Tradition.

Somit stellen der Raschi-Kommentar und die handschriftliche Gemara zu bSanh 4a einen status quo ante MT dar, der nun wiederum die tiberiensische Masora in den aschkenasischen Handschriften zu den insgesamt acht תונרק-Lesarten in Leviticus als spätes Sondergut erscheinen lässt.

Das alles bestätigt die Annahme, dass den Autoren der Gemara und des Raschi-Kom mentars Lesarten zu Lev 4 vorlagen, die eine Plene-Schreibung von תונרק in Lev 4,34 aufwiesen. Ein Blick in Ginsburg bzw. in Kennicotts Variis lectionibus belehrt über die Varianten in der Reihung תונרק-תנרק-תנרק in Lev 4,25–34 und zeigt, dass es neben den Handschriften mit Plene-Schreibung in Lev 4,25 (BM Ar.Or. 2; BM Add.

9404) auch noch existierende Handschriften mit Plene-Schreibung in Lev 4,34 gibt (Bodl. Huntington 11,12; Bodl. Ar. A95; Oxford Bibl. Radcliffe Kenn. 84, BM Harley 5710).389 Diese frühe Tradition der Plene-Schreibung von תונרק in Lev 4,34, die in bSanh 4a vorausgesetzt wurde, hat den Autoren des Raschi-Kommentars zu Lev 4,34 und bSanh 4a noch vorgelegen, ist jedoch durch die Kontamination der aschkenasi-schen Bibelhandschriften mit der tiberiensiaschkenasi-schen Masora marginalisiert worden.

Einen Zugang zur Lösung des Problems der Phrase תונרק-תנרק-תנרק in bSanh 4a und in Lev 4,25–34 bietet die tiberiensische Masora selbst. In ihren Mp-Notizen zu den Lemmata תנרק in Lev 4 notiert sie: ׄותבאלמ ׄד = „die Form תונרק vier Mal plene im Pentateuch“. Dazu notiert die tiberiensische Masora in der Masora magna mindestens einmal die korrespondierenden Simanim. So liest der MT in L die masoretische Notiz

ׄותבאלמ׳ד zu תונרק in Lev 4,7; 8,15; 9,9 und 16,18 (nicht jedoch in Lev 4,25–34). Diese Stellen werden auch als Simanim der Mm zitiert: Lev 4,7 תונרקלעםדהןמןהכהןתנו, Lev 8,15 םדהתאהשמחקיוטחשיו, Lev 9,9 תאןרהאינבוברקיו, Lev 16,18 חבזמהלאאציו. Doch die tiberiensische Masora wurde dem Konsonantenbestand der aschkenasichen Handschriften oft sekundär aufgezwungen. So tradiert der Sofer nicht selten einen aschkenasischen Konsonantentext und der Naqdan notiert eine tiberiensische

387 Vgl. auch die numerischen Querverweise im Text des Talmud Bavli zum Register הרות רוא םלשה, das die drei תונרק des Beit Shammai und danach in Analogie die תונרק des Beit Hillel einzelnen Bibel-stellen eindeutig zuweist.

388 Rav Elijahu Ben Shlomo Zalman Kremer (1720–1797), Gaon von Wilna (Vilnius), א׳׳רגה. Rav Elija-hu korrigierte und autorisierte die letzte Fassung der Romm-Ausgabe des Talmud selbst.

389 Vgl. Kennicott 1776.

Masora dazu, was man z. B. in der Hs Bodl. Procock. 347 (Kenn. 3) sehr gut beobachten kann. Diese Handschrift notiert zur Plene-Schreibung von תונרק in Lev 4,7 die Mp-Notiz ׄלמ ׄד und weist auf fol. 102v in der Mm die Simanim aus: ןתנוןוהנמיסול ׄמ ׄדתונרק ינפלרשאחבזמלאאציוןרהאינבוברקיוהאמדקהשמחקיוטחשיוםדהןמןהכה für Lev 4,7;

8,15; 9,9; 16,18. Der Konsonantentext liest jedoch anders als die sekundäre Masora, stattdessen in Lev 4,18 und 4,25 תונרק plene und in Lev 9,9 defektiv, obwohl תנרק ad loc. mit der masoretischen Notiz ׄלמ ׄד markiert ist. Die Konstellation eines mit tiberi-ensischer Masora kontaminierten aschkenasischen Bibeltextes lässt sich durch Beob-achtungen an den Handschriften vielfach belegen (vgl. Liste unten). So lassen sich für die תונרק in Lev 4 noch mindestens zwei weitere Traditionen feststellen, die die tibe-riensische Masora zwar abbilden, aber in den Lesarten des Obertextes gerade nicht bezeugen. Bereits die Masora zum ersten Vorkommen der Form תונרק in Lev 4,7 in der Leithandschrift der tiberiensischen Masora (L) ist fehlerhaft und wenig systematisch.

In der Bearbeitung von L durch Weil (BHS) fällt das zunächst nicht auf, denn Weil korrigiert die in L falsch ausgezeich nete Mp-Notiz zu Lev 4,7 (ׄותב ׄלמ ׄב) mit der ver-meintlich korrekten Note ׄותב ׄלמ ׄד und listet die Simanim, die in der Mm zu Lev 8,15 erscheinen, ordentlich in Mm Weil §704 auf. Diese tiberiensische Masora findet sich in einer ganzen Reihe von Handschriften. So bietet die Handschrift Vat. ebr. 448 die tiberiensische Masora und stimmt in den Lesarten und in der Mp in Lev 4,7 und 8,15 mit L überein. Die beiden Mm-Notizen der Handschrift Vat. ebr. 448 zu Lev 4,7 und 8,15 sind jedoch weder identisch noch zitieren sie die Simanim einheitlich. Zudem bietet in Mm Lev 4,7 einen Fehler im Siman zu Lev 16,18 und erweitern in Lev 8,15 die Mm um die Information der Defektiv-Lesarten mit der Formulierung אתירואדראשו ןיריסחןוהלוכ, während Mp zwei der vier defektiven Lesarten mit Circelli und der Note

ׄלמ ׄד ׄמ ׄב ׄסחׄירואלוכ indiziert. Gleichwohl teilt sich die Handschrift Vat. ebr. 448 mit L die merkwürdige Tradition der Mm-Notiz in Lev 8,15. Auch einige frühe aschkenasi-sche Handschriften bezeugen einen hohen Grad an Durchdringung mit Material der tiberiensischen Masora. So bieten auch die Handschriften Sassoon 282, Vat. ebr. 482 und Wroclaw 1106 allesamt die tiberiensi sche Lesart der Formen תנרק in Lev 4, jeweils mit Varianten in der Masora. Viel interessanter sind jedoch die abweichenden Typen.

So übernimmt die Handschrift Vat. ebr. 14 die tiberiensische Masora zu den acht תנרק in Leviticus, ohne jedoch die älteren aschkenasischen Lesarten im Obertext zu ändern und liest gegen die eigene Masora תונרק in Lev 4,18 und 4,25 plene! und in Lev 4,7 und 9,9 defektiv. Nur das defektive תנרק in Lev 4,7 und das plene תונרק in Lev 16,18 sind mit Mp-Noten versehen. Die Mp- und die Mm-Note zu den Plene-Lesarten ist zudem an der defektiven Form in Lev 4,7 ausgezeichnet und widerspricht mit ׄלמ ׄד dem Ober-text. Damit bildet Ms Vat. ebr. 14 mit anderen Handschriften wie z. B. Ms Kennicott 3 (Bodl. Procock 347), Ms BM Add. 9401, Ms Parma 1849 und Ms BM Add. 15252 eine Rezensionslinie, die (bei verschiedenen Anordnungen der vier Plene-Lesarten von תונרק in den Obertexten und unterschiedlichen Positionen der Masora magna Notizen) eine Plene-Schreibung in Lev 4,25 tradiert. Die kollationierten Handschrif-ten bieHandschrif-ten beispielhaft (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) neben dem Beleg für das

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späte und schrittweise Eindringen der tiberiensischen Masora in die westeuropäische Handschriftentradition auch ein Zeugnis für die ältere aschkenasische Tradition einer Plene-Lesart in der Reihe תנרק-תנרק-תונרק in Lev 4,25–34. Der Konsonantentext der aschkenasischen Kodizes tradiert oft eine ältere talmudische Tradition, die sekun-däre tiberiensische Masora eine jüngere Tradition. Das lässt die komplizierte Bezie-hung der tiberiensischen Masora zum hebräischen Konsonantentext und zur rabbini-sche Kommentarliteratur (Responsa & Parshanut) für den Raum Aschkenas im 12.

und 13. Jh. in einem völlig neuen Licht erscheinen. Die Masora der tiberiensischen Kodizes dringt mit autoritativen Anspruch und mit orthografischen Sondergut über den Maghreb und die Iberische Halbinsel zunächst in den islamischen Kulturraum Südeuropas ein und diffundiert über die Binnenmigration innerhalb der jüdischen Bevölkerung Westeuropas in den aschkenasischen Kulturraum Nordfrankreichs und des Rheinlandes. Dort wird sie offenkundig als fremdartig empfunden und abgelehnt.

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