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Daher gilt es zunächst HPFH rechtlich zu verankern, um auf diese Weise die objektivierbaren Grenzlinien dieser Disziplin aufzuzeigen und in diesem Sinne den Rahmen abzustecken, innerhalb dessen sich Bedürfnisse seitens der Nutzer_innen, als auch Möglichkeiten seitens der Dienstleister konstituieren können. Mit anderen Worten, unter welchen Bedingungen treffen Nutzer_innen und Dienstleister überhaupt aufeinander?

Rechtlich zählt die HPFH zu den Hilfen zur Erziehung und ist im Bundes Kinder- und Jugendhilfegesetz geregelt. Dabei ist es Ziel, das Wohl des Kindes zu schützen, dieses zu fördern, die Familien bei Erziehungsfragen zu unterstützen, sowie Erziehungshilfen zur Verfügung zu stellen. (vgl. B-KJHG, 2013: §3) Während die Auftragsstellung Aufgabe des Bundes ist, ist die Umsetzung Landesangelegenheit. Das Land kann diese Aufgaben jedoch an qualifizierte private Träger delegieren, insofern diese Träger in der Lage sind, die „Leistungen […] nach fachlich anerkannten Standards […] zu erbringen“ (ebd. §12, Abs. 1) Dies bedeutet, dass diese Träger im Sinne des Bundesgesetzes agieren und ihre Fachkräfte dementsprechend ausbilden müssen. Das maßgebende Ziel dieser Gesetze ist vorrangig, allen Schutzbefohlenen in der Gesellschaft eine bestmögliche Versorgung und Teilhabe zu ermöglichen und Betroffene in der alltäglichen Bewältigung von Problemen zu helfen. Somit sind diese Angebote „sehr stark verrechtlicht“ (Seithe, 2007: 568) bzw. durch den Staat reglementiert. Zudem wird HPFH dem Handlungsfeld der Kinder- und Jugendhilfe zugerechnet, das sich historisch aus zwei Ebenen konstituiert hat. Zum Ersten, die Kinder- und Jugendfürsorge, welche mit der Organisation und Koordination von Interventionen zur Vermeidung einer Kindeswohlgefährdung (vgl. Schröer u. Struck, 2018: 116) auch heute noch als klar definiertes Ziel im B-KJHG verankert ist. Zum anderen die Kinder- und Jugendhilfe, die sich Aspekten der Infrastruktur zuwendet und sich Gedanken zu allgemeinen Angeboten „zur Erziehung, Bildung, sozialen Unterstützung und zum Schutz von Kindern, Jugendlichen und jungen Volljährigen“

(ebd.) macht. Damit steht sie konstitutionell im Spannungsfeld zwischen dem staatlichen Auftrag der Fürsorge und institutionellen Anforderungen an Entwicklungsbedingungen von Heranwachsenden und ist auf diese Weise mit einem grundlegenden Problem konfrontiert.

Denn zum einen ist die Tätigkeit rechtlich klar geregelt und in diesem Sinne mit stoischem Blick objektivierbar, zum anderen agiert HPFH im individuellen Einzelfall für den sich starre rechtliche, aber vor allem normative Ansprüche nicht realisieren lassen. Jedoch richten sich die rechtlichen Ansprüche nicht nur an die Einrichtungen selbst, sondern auch an die vorrangig mit der Versorgung ihrer Kinder beauftragten Eltern bzw. Erziehungsberechtigten9. Im §1 des

B-9Der Begriff Erziehungsberechtigte bezeichnet in diesem Sinne jene Person, die mit der rechtlichen Obsorge des jeweiligen Kindes beauftragt ist. Alternativ werden in der hier vorliegenden Arbeit jedoch auch andere Begriffe wie Eltern oder Fürsorgeperson verwendet. Auch wenn sich zwischen diesen Begriffen durchaus definitorische Unterschiede festmachen lassen, wie zum Beispiel jener, dass es zwar möglich ist, dass jemand im rechtlichen Sinne die Obsorge für das Kind hat, aber in Wahrheit ein anderes Familienmitglied die (emotionale) Fürsorge für dieses Kind übernimmt. Zur einfacheren Verständlichkeit werden diese Begriffe synonym verwendet und sind hier im Sinne jener Person(en) zu verstehen, die in der hier vorliegenden Arbeit den zentralen Bezugspunkt auf die Beantwortung der Forschungsfragen bilden.

KJHG steht: „Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf Förderung ihrer Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit“ (B-KJHG, 2013: §1, Abs. 1). Dies impliziert, dass Minderjährige „unter dem besonderen Schutz der Gesetze“ (ABGB, 2017: §21, Abs. 1)10 stehen und einer besonderen Fürsorge bedürfen.

Dies ist zwar allgemein Aufgabe des Staates, jedoch kann dieser diese Aufgabe an seine Bürger und Bürgerinnen delegieren, was dieser auch tut. Es sind hier insbesondere die Erziehungsberechtigten, die mit dieser Aufgabe betraut werden, gemeint. Und zwar in der Hinsicht, dass die „Pflege und Erziehung von Kindern und Jugendlichen […] in erster Linie die Pflicht und das Recht ihrer Eltern“ (B-KJHG: §1, Abs. 2) ist. „Eltern haben das Wohl ihrer minderjährigen Kinder zu fördern, ihnen Fürsorge, Geborgenheit und eine sorgfältige Erziehung zu gewähren“ (ABGB, 2017: §137, Abs. 2)11, darüber hinaus „ist das Wohl des Kindes […] als leitender Gesichtspunkt zu berücksichtigen“ (ebd. §138).

Damit stehen die rechtlichen Rahmenbedingungen für die mit der Obsorge beauftragten Personen fest, die zugleich deren Handlungsspielraum definieren. Es ist Aufgabe des Staates, seine minderjährigen Bürger_innen auf besondere Weise zu schützen. Damit einher gehen das Recht und die Pflicht der Fürsorgeberechtigten, für diese Aufgabe in entsprechendem Maße aufzukommen. Minderjährig sind in diesem Sinne alle Personen, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und dahingehend auch nicht voll geschäftsfähig sind. Diese

>>verordnete<< Fürsorge ist in diesem Sinne jedoch nicht nur ein Mittel, um den besonderen Schutz von Minderjährigen zu gewährleisten, sondern darüber hinaus eine Maßnahme mit staatlich-regulativem Charakter. Denn, so kann angenommen werden, hat der Staat als Institution ein großes Interesse daran, spezifische Ordnungen aufrecht zu erhalten und über die Definitionsmacht innerhalb dieses Territoriums zu bestimmen. So auch über die Rahmenbedingungen für die besondere Schutzbedürftigkeit seiner besonders verletzlichen Bürger_innen. Aus diesem staatlichen Fürsorgeauftrag ergeben sich jedoch nicht nur Rechte und Pflichten für die Erziehungsberechtigten, sondern diese Präliminarien definieren auf diese Weise zugleich, das Verhältnis zwischen Eltern und ihren Kindern, bzw. Erwachsenen und Kindern im Allgemeinen, sowie auch das Verhältnis zwischen HPFH und ihren Nutzer_innen.

Auch wenn Kinder einem besonderen rechtlichen Schutz unterliegen, werden diese jedoch in den entsprechenden Gesetzestexten nicht explizit genannt, sondern gehen deren Rechte aus den Pflichten der mit der Fürsorge beauftragten Personen hervor. Auf diese Weise wird nicht nur ein hierarchisches Gefälle zwischen Erwachsenen und Kindern sichtbar, sondern auch die

10 ABGB, BGBl I Nr. 59/2017

11 ABGB, BGBl. Nr. 15/2013

Macht des Staates, der diese Verhältnisse durch seine Gesetze und Sanktionen vorherbestimmt und fortlaufend stützt. Dies bedeutet, dass die Erziehungs- und Fürsorgearbeit der Eltern nicht nur deren Privileg ist, sondern auch deren Pflicht, welcher sie sich, unter Androhung von Strafe, nicht entziehen können. Es ist also dem Staat vorbehalten zu intervenieren und gegebenenfalls entgegen dem Willen der Eltern Maßnahmen zu ergreifen, die den Schutz des Kindes fortlaufend gewährleisten. Durch diese besondere Schutzbedürftigkeit der Kinder und den damit verbundenen Pflichten und Rechten stehen viele Familien aber auch Dienstleistungsangebote wie HPFH vor einer Reihe von Herausforderungen, denn die Gesetze können aus diesem Blickwinkel als Spiegel des gesellschaftlich notwendigen und über die Zeit manifestierten betrachtet werden. In diesem Sinne kann der Staat, also Ordnungsmacht, auch nur bedingt auf die individuellen Ansprüche des Einzelfalls Rücksicht nehmen. Auch für die Kinder bedeutet dies eine große Problematik, da sie in ihrer Person auf einen gesellschaftlichen und nicht zuletzt gesetzlich definierten Akteur reduziert werden, der sich insbesondere durch die gesellschaftlich zugeteilten Rollen der Institutionen (Familie, Kirche, Schule) ausdrückt.

So steht sozialpädagogische Arbeit vor dem Problem, dass sie innerhalb eines rechtlich geregelten Rahmens von statten geht, welcher die Individualität der Person nicht in vollem Umfang berücksichtigen kann. Insbesondere Institutionen wie die Schule lassen wenig Freiraum für eine Neuinterpretation hinsichtlich Art und Richtung ihrer Bedeutung. Sie sind in diesem Sinne ein klassisches Beispiel für eine Institution. Dieser Konflikt wird auch bei Johanna Mierendorff und Thomas Olk festgehalten.

„Die freigemeinnützige Wohlfahrtspflege beanspruchte von Beginn an eine größere Nähe zur Familie und den privaten Lebensgemeinschaften und begründete dies mit dem Wertbezug von Erziehungsvorstellungen und Erziehungsleitbildern und dem daraus abgeleiteten Recht der Eltern, eine außerfamiliale Erziehung und Bildung ihrer Kinder nach eigenen Wertorientierungen und religiösen Bindungen auswählen zu dürfen. Die Schule ist die einzige Institution, die sich zu einem historisch frühen Zeitpunkt als unangefochtene, zentrale und staatliche Sozialisationsinstanz neben der Institution Familie etablieren konnte“ (Mierendorff und Olk, 2002: 542).

Damit ist gemeint, dass Eltern das Recht haben, ihre Kinder nach ihren individuellen Wertvorstellungen zu erziehen und zu sozialisieren, jedoch zugleich einer gesamtgesellschaftlichen Sozialisationsstruktur unterworfen sind. Die Schulpflicht zwingt gewissermaßen alle Menschen dazu, einen staatlich, rechtlich und somit auch gesellschaftlich

>>vorbestimmten<< Weg zu beschreiten, dem sie sich nicht entziehen können und dessen erfolgreiches Absolvieren und Meistern mit gesellschaftlicher Kreditwürdigkeit belohnt wird.

Schröer und Struck verweisen in diesem Zusammenhang, mit Bezug auf Johannes Münder und Britta Tammen, auf eine Problematik des gesamten Tätigkeitsfeldes. Nämlich, dass sozialpädagogische Interventionen immer vonstattengehen, innerhalb einer gegenseitigen Bezüglichkeit dreier Domänen (vgl. Schröer und Struck, 2018: 119): Zum einen ist es der Staat als Instanz der Rechtsprechung, welcher über die Jugendämter die Leistungen gewährt und dafür auch die Bedingungen definiert. Auf der anderen Seite stehen die freien und privaten Träger (hier die konkreten Einrichtungen), die die Leistungen im Rahmen des Gesetzgebers erbringen und demnach auch nur innerhalb des normavit-rechtlichen Diskurses agieren können.

Und schließlich befinden sich am dritten Ende des Dreiecks die Nutzer_innen bzw.

Klient_innen, deren Wünsche und Sorgen zwar von individuellen Motiven und Bedürfnissen geleitet sind, sich jedoch zugleich im Spiegel des gesellschaftlichen Diskurses, wenn auch häufig latent, manifestieren. Alle drei Interessensparteien zeichnen sich demnach durch unterschiedliche Bestrebungszwänge aus, die jedoch erst durch ihren gegenseitigen Bezug eine sinnstiftende Interaktion und Legitimation gewährleisten können. Ist es der Staat als Institution, der sozialpädagogische Tätigkeit rechtlich regelt, sind es die Individuen, die sich gerade nicht im Sinne rechtlicher, aber auch normativer Bestrebungen einheitlich fassen lassen. HPFH als von individuellen Bedürfnissen geleitetes aber durch rechtliche Rahmenbedingungen reglementiertes Tätigkeitsfeld, befindet sich demnach als Bindeglied zwischen diesen beiden Domänen und muss ihre Tätigkeit innerhalb dieses Spannungsfeldes strukturieren und dabei stets die rechtlichen aber auch die individuellen sowie die normativen Bestrebungen im (reflexiven) Blick behalten.

2.2.1 Die Heilpädagogische Familienhilfe als „Prellbock“ zwischen Staat und Individuum

Wo die Familie also mit ihrer individuellen Lebenswelt konfrontiert ist, und auch in diesem Sinne Bedürfnisse befriedigen möchte, hat der Staat die Aufgabe, eine Gesellschaft als Ganzes zu >>ordnen<<. HPFH befindet sich in dieser Triade als >>Prellbock<< zwischen Staat (und dessen Institutionen) und Individuum und sieht sich damit konfrontiert, diese Spannungen auszuhalten und innerhalb dieser zugleich handlungsfähig zu bleiben. Das Problem: Das Handeln dieser Einrichtungen basiert zum einen auf planmäßigem, reglementiertem und organisiertem Handeln, zum anderen können diverse Konzepte nicht nach einem

>>Schablonenprinzip<< (wie es der Staat aus ökonomischer Sicht forciert) abgehandelt werden, da die betroffenen Familien sich in ihrer Individualität voneinander stark

unterscheiden. Dem BMFSFJ zufolge zeichnen sich sozialpädagogische Hilfsangebote hierbei besonders „durch ihre Alltagsorientierung, den ganzheitlichen und systemischen Handlungsansatz sowie durch eine Verpflichtung auf die Handlungsmaxime der Integration und Partizipation“ (BMFSFJ, zit. n. Seither, 2007: 568) aus. Dies stellt eines der größten Schwierigkeiten aufsuchender sozialpädagogischer Hilfsangebote dar, da diese im Rahmen des rechtlich möglichen und damit auch im gesellschaftlich gewünschten ihr Handeln vollziehen müssen und dabei das Individuum nur insofern berücksichtigen können, als dass sie dieses in Bezug auf die aus dieser Ordnung hervorgehenden Normen adressieren. Mit anderen Worten greift HPFH aus dieser Perspektive betrachtet da, wo aus der Sicht des Staates das Individuum zu weit von der vorgegebenen Ordnung abweicht. Auch wenn das grundlegende Interesse des Staates eine positive Ausrichtung hat, kann dieser das Individuum und dessen konkrete Bedürfnisse nur bedingt berücksichtigen, was es Sozialpädagogischen Einrichtungen besonders schwer macht, da die zentralen Prozesse ihres Angebotes übergeordnet auf der Grundlage einer indivduumsbezogenen Haltung fußen sollten, jedoch das Gesamte dieser Tätigkeit im Spannungsfeld pragmatisch-normativer Belange von Staat und Gesellschaft geschieht. Für die tägliche Praxis der Professionellen stellt sich in diesem Sinne die Herausforderung, dass sie einen klar definierten Auftrag haben, dessen spezifische Handlungs-ausprägungen jedoch im Einzelfall der Familie im Sinne individueller Konzepte durchgeführt werden müssen. Für die Professionalisierung des Personals bedeutet dies, dass sie ihr Handeln beständig reflektieren und auf eine Weise strukturieren müssen, die die rechtlichen Rahmenbedingungen berücksichtigt, die gesellschaftlichen Normen wo es notwendig ist kritisiert, und die individuellen Bedürfnisse nach Möglichkeit fördert.