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H EILPÄDAGOGISCHE F AMILIENHILFE ALS AUFSUCHENDE UND SOMIT ZUGLEICH INVASIVE

Auch wenn die Wirkung Heilpädagogischer Familienhilfe als eine durch eine positive pädagogische Absicht gerahmte Tätigkeit beschrieben werden kann, die den Familien in Form einer unterstützenden Entlastung ihres Alltages mit einem behinderten Kind ermöglicht, ist diese Hilfe dennoch zugleich durch ihren aufsuchenden Charakter eine invasive Dienstleistung, die in die tägliche Lebenswelt Betroffener eingreift. Daraus ergibt sich die Frage, inwiefern Familien, die HPFH in Anspruch nehmen, diese Tätigkeit als Eingriff in ihre Privatsphäre empfinden und ob sich daraus ein Schluss ziehen lässt, der darauf hinweist, dass eine bereitwillige Kooperation seitens der Familien nicht zuletzt dadurch begründet ist, dass sich diese durch eine enge Zusammenarbeit mit Angeboten dieser Art eine schnellstmögliche Beendigung dieser Zusammenarbeit erhoffen, um so die Intimität ihrer Familie wiederherzustellen. Janice McLaughlin hat sich ebenfalls mit dieser Frage auseinandergesetzt und ist dabei zu dem Schluss gekommen, dass sich Eingriffe durch medizinisches oder pädagogisches Personal in die Lebenswelt von Familien auch immer als Eingriffe in deren Intimität begreifen lassen. Dadurch stehen diverse Angebote auch immer in der Gefahr, eine solche Intimität übermäßig zu strapazieren. Dies kann McLaughlin zufolge dazu führen, dass Eltern ein ablehnendes Verhalten gegen die Hilfsangebote entwickeln oder gegenteilig eng mit diesen zusammenarbeiten, um diesen Störfaktor schnellstmöglich wieder loszuwerden. So kann es sein, dass Familien über die Zeit zunehmend zusammenhelfen, um diese Interventionen durch familienfremde Personen zu minimieren und dahingehend letztlich den Raum und die Intimität wieder zu gewinnen. (Vgl. McLaughlin, 2012: 406) So stellt sich die Frage, inwiefern Familien sich durch die Zusammenarbeit mit Heilpädagogischer Familienhilfe in ihrer Privatsphäre beeinträchtigt fühlen und ob sich potenzielle Motive zeigen lassen, die

dafürsprechen, dass sich Familien durch eine gute Zusammenarbeit mit dem Personal, einen schnellstmöglichen Zurückgewinn ihrer Intimsphäre erhoffen.

6 Operationalisierung der Fragen, Erstellen der Items

Wie bereits eingangs erwähnt, sollen die hier diskutierten Forschungsfragen nicht nur theoretisch, sondern letztlich mit Hilfe einer empirischen Befragung der Nutzer_innen Heilpädagogischer ambulanter Familienhilfe Beantwortung finden. Einen Fragebogen zu erstellen, der die relevanten Aspekte der Theorie festhält, stellt dabei eine wichtige Aufgabe und zugleich große Herausforderungen dar. Um belastbare Daten zu erhalten und in diesem Sinne letztlich Aussagen über die Wahrnehmung HPFH tätigen zu können, ist es damit nicht nur notwendig, die Fragestellungen theoretisch zu begründen, wie im Verlauf des ersten Abschnitts geschehen, sondern darüber hinaus müssen die (impliziten) qualitativen Merkmale, die aus diesen Theorien hervorgehen wie „Einstellungen, Orientierungsmuster, Handlungen und Strukturen auf standardisierte Weise“ (Schirmer, 2009: 67) so umgewandelt werden, dass sie objektiv messbar sind bzw. werden. Dieser Prozess wird Quantifizierung genannt und

„bedeutet, qualitative Merkmale in Zahlen und damit in messbare Größen umzuwandeln“

(ebd.). In der hier vorliegenden Arbeit erfolgt dies anhand der beschriebenen theoretischen bzw.

empirischen Erkenntnisse, wie sie im vorigen Abschnitt beschrieben wurden. Erst durch die objektivierte Erhebung eines eigentlich subjektiven Sachverhalts kann in der quantitativen Forschung, eben durch den Einsatz von messbaren Zahlenwerten überhaupt irgendeine Information generiert werden, die sich in einem weiteren Schritt dann auswerten und beurteilen lässt. Es ist also notwendig, die theoretischen Elemente der Hypothesen so zu modulieren, dass sie in Zahlenwerten zum Ausdruck gebracht werden können. Im Umkehrschluss müssen sich diese Zahlen nach der vorgenommenen Messung bzw. Testung wieder in qualitativ interpretierbare Merkmale zurück wandeln lassen, was in der hier vorliegenden Arbeit maßgeblich mit Hilfe der deskriptiven Statistik sowie Korrelationsrechnungen nach Spearman-Rho im Programm SPSS von IBM, sowie einer darauffolgenden Beschreibung und Interpretation der erhobenen Daten erfolgt. Damit sollten sich schließlich aus dem Vergleich und dem Gegenüberstellen (korrelieren bzw. erheben von Mittelwerten) standardisierte Aussagen über den untersuchten Forschungsgegenstand treffen und letztlich die Thesen bzw.

leitenden Fragen beantworten lassen.

6.1 Unter welchen Bedingungen lässt sich die Frage nach der Behinderung als Stigma, Belastung, Bereicherung operationalisieren?

Möchte man der Frage nachgehen, ob Eltern sich durch die Behinderung bzw. Beeinträchtigung ihres Kindes einer besonderen Belastung ausgesetzt sehen und sich in diesem Sinne durch die Beeinträchtigung ihres Kindes belastet fühlen, ist es dafür notwendig, diese Frage so aufzubereiten, dass sie mittels einzelner Items beantwortet werden kann. In Bezug auf die Frage, inwiefern Eltern die Behinderung ihres Kindes als Belastung empfinden, haben sich, wie beschrieben mit Bezug auf McLaughlin, sowie Schröer und Struck, einige Teilaspekte ergeben, die als ein Hinweis auf eine Belastung, jedoch auch als potenzielle Bereicherung durch die Behinderung erachtet werden können. Dabei lassen sich für diese Teilaspekte mit Bezug auf die beschriebenen Befunde von McLaughlin bzw. Schröer und Struck folgende Kategorien formulieren, die es zu beantworten gilt, um letztlich einen Rückschluss auf den Faktor Belastung zu erhalten, der sich maßgeblich aus der subjektiven Bewertung der Kinder und deren Beeinträchtigung, seitens der Eltern bzw. Befragten, ergibt. Die entsprechenden Kategorien lauten wie folgt:

1.) Negative Betrachtung bzw. Konnotation der Behinderung als Belastungsfaktor (6.1.1) 2.) Veränderung des sozialen Nahfeldes als Belastungsfaktor (6.1.2)

3.) Behinderung als positive Erfahrung (6.1.3)

4.) Normvorstellungen als Ankerpunkt der Wahrnehmung von Behinderung (6.1.4) 5.) Behinderung als subjektives Gefühl von Scham bzw. Schande (6.1.5)

6.) Behinderungsgrad als Belastungsfaktor (6.1.6)

Die Beantwortung der Frage, ob Eltern von Kindern mit einer Behinderung diese als belastend empfinden, soll durch die Beantwortung der einzelnen Kategorien erfolgen. Dabei werden die entsprechenden Items auf einer fünfstufigen Ordinal-Skala codiert und mit Merkmalsausprägungen von R=1 (Stimme gar nicht zu) bis R=5 (Stimme völlig zu) erhoben.

Von einer Behinderung als Belastung kann in diesem Sinne dann gesprochen werden, wenn sich für die Kategorien Negative Betrachtung bzw. Konnotation der Behinderung als Belastungsfaktor, Veränderung des sozialen Nahfeldes als Belastungsfaktor und Behinderung als positive Erfahrung entsprechend hohe Merkmalsausprägungen vorfinden lassen, die eine

Belastung, bzw. Bereicherung im Sinne dieser Kategorien bestätigt. Die genannten Kategorien in Bezug auf den Faktor Belastung/Bereicherung sollen hierbei mit folgenden Items erhoben werden:

6.1.1 Negative Betrachtung als Belastungsfaktor

Folgt man McLaughlins Annahme, dass Behinderung häufig mit einer negativen Konnotation einhergeht, muss davon ausgegangen werden, dass diese Behinderung von den betroffenen Eltern als eine Belastung empfunden wird. Diese Kategorie soll dabei mit den folgenden Items erhoben werden:

1. Die Beeinträchtigung meines Kindes stellt eine große Belastung für meinen Lebensalltag dar.

2. Die Beeinträchtigung meines Kindes hat meine Lebensplanung komplett verändert.

6.1.2 Veränderung des sozialen Nahfeldes als Belastungsfaktor

Diese Kategorie beschäftigt sich mit der Frage nach der Veränderung des sozialen Nahfeldes durch die Diagnose Behinderung. Da dieses wie im Verlauf der Arbeit ebenfalls diskutiert, Schröer und Struck zufolge eine zentrale Rolle spielt und sich nötige Bildungs- und Entwicklungsfortschritte explizit von den sozialen Nahräumen ableiten lassen, soll hier darauf eingegangen werden, ob es Hinweise darauf gibt, dass sich dieses soziale Nahfeld verändert hat. Diese Kategorie lässt sich dabei mit folgenden Items erheben:

3. Die Beeinträchtigung meines Kindes hat dazu geführt, dass Freunde ihr Verhalten gegenüber uns verändert haben.

4. Verwandte oder andere familiennahe Menschen haben im Zusammenhang mit der Beeinträchtigung meines Kindes ihr Verhalten gegenüber uns geändert.

5. Auf meine Freunde und Bekannten ist immer Verlass.

6.1.3 Behinderung als positive Erfahrung

Folgt man McLaughlins Befunden des Behindertenbegriffs, dass ein beeinträchtigtes Familienmitglied nicht nur als Belastung empfunden werden kann, sondern auf Grund der besonderen, veränderten Bedingungen eine Beziehung zu betroffenen Menschen auch positive Aspekte, wie die Erfahrung mit jemandem in einem Verhältnis zu stehen, der anders ist als man selbst, aufweisen kann, gilt es in diesem Sinne mit einer Reihe von Items zu erheben, die danach fragen, inwiefern die Befragten die Beeinträchtigung ihres Kindes als Bereicherung wahrnehmen. Die Items dazu lauten wie folgt:

1. Die Beeinträchtigung meine Kindes ist eine große Bereicherung für mein Leben.

2. Durch die Beeinträchtigung meines Kindes habe ich viele schöne Dinge über die Welt gelernt, die mir sonst verborgen geblieben wären.

3. Mein Kind ist das Beste was mir je passiert ist.

6.1.4 Normvorstellungen als Ankerpunkt der Wahrnehmung von Behinderung

Folgt man des Weiteren McLaughlins Befunden, dass die Behinderung eines Kindes nicht nur häufig negativ konnotiert ist, sondern die gesunden Familienmitglieder als eine Art normierender Ausgleich dienen, durch dessen Verschiedenheit des eigenen Kindes ein Unterschied sichtbar wird, der als belastend bezeichnet werden kann, stellt sich die Frage, inwiefern Eltern überhaupt ein gängiges Verständnis der Norm aufweisen. Blickt man auf die Frage der Normvorstellungen und inwiefern Eltern von Kindern mit einer Beeinträchtigung diese Vorstellung haben, die vor allem defizitorientiert ist, ergeben sich hierfür zunächst folgende Items:

1. Ich bin bereit alles in Kauf zu nehmen, um meinem Kind ein normales Leben zu ermöglichen.

2. Wenn mein Kind irgendwann einen Beruf ergreifen, heiraten und eine Familie gründen könnte, das wäre das Größte!

3. Ich hoffe, dass wir schnell Fortschritte machen, damit wir bald nicht mehr auf fremde Hilfe (wie z.B.: die HPF) angewiesen sind.

4. Normalität ist für mich, wenn man ohne fremde Hilfe sein Leben bestreiten kann.

6.1.5 Behinderung als subjektives Gefühl von Scham bzw. Schande

Konterkarierend zur Frage der Normvorstellung stellt sich in diesem Sinne die Frage, ob Eltern von Kindern mit Behinderung nicht nur ein gängiges Normverständnis aufweisen, sondern ob sich diese sogar für die Behinderung schämen, bzw. diese als Schande empfinden. Die Parameter, um diese Frage zu erheben lassen sich wie folgt zusammenfassen:

1. Die Beeinträchtigung meines Kindes bringt mich oft in Verlegenheit.

2. Manchmal habe ich Mitleid mit meinem Kind.

3. Wenn mir jemand Fragen zur Beeinträchtigung meines Kindes stellt, bin ich peinlich berührt.

6.1.6 Behinderungsgrad als Belastungsfaktor

Blickt man im Zusammenhang mit der Frage nach der Beeinträchtigung des Kindes als Belastung zusätzlich auf den Parameter der subjektiven Wahrnehmung der Beeinträchtigung, so muss angenommen werden, dass Eltern, die subjektiv der Ansicht sind, dass ihr Kind stark bzw. sehr stark beeinträchtigt ist, sich durch diese Beeinträchtigung auch stärker belastet fühlen als Eltern, die die Beeinträchtigung als subjektiv kaum bzw. gar nicht vorhanden empfinden.

Um die Frage in Bezug auf die subjektive Wahrnehmung des Behinderungsgrades als Einflussfaktor auf die Belastung zu erheben, ist es notwendig, die Variablen so zu Filtern, dass jene Bögen, die in Bezug auf das Item Wie stark schätzen Sie den Beeinträchtigungsgrad Ihres Kindes subjektiv ein? entsprechend hohe Werte (R>=4; stark beeinträchtigt bzw. sehr stark beeinträchtigt)25 aufweisen, von den restlichen Bögen getrennt werden.26 Die so gefilterten Bögen sollen dann mit Items zur Belastung in einer Kreuztabelle gegenübergestellt werden.

Selbiges wird sodann für jene Bögen vorgenommen, die im Item subjektive Beeinträchtigung niedrige Werte aufweisen. Daraus sollte sich zeigen lassen, dass jene Eltern die die Beeinträchtigung ihres Kindes subjektiv als Belastung wahrnehmen, stärker belastet sind als

25Dieser „Schwellenwerte“ R<=4 wurde deshalb gewählt, da davon ausgegangen wird, dass nur ein Zustimmungswert zu einem Item von mindestens (R=4 Stimme überwiegend zu bzw., R=5 stimme völlig zu) als eindeutige Ausprägung in Bezug auf das jeweilige Item gewertet werden kann. Die Merkmalsausprägung R=3 Teils / Teils, weist nicht auf eine eindeutige Ausprägungsrichtung hin, weshalb dieser Wert nur für bestimmte Forschungsergebnisse herangezogen wird, die im Sinne einer Verteilung um den Mittelwert zwingend notwendig sind oder wo zu wenige Daten vorliegen, um mit den definierten Merkmalswerten R>=

4 arbeiten zu können.

26Diese Variablen können in SPSS mittels eines Filters den Ausprägungen entsprechend separiert werden, sodass nur noch jene Fälle in die Berechnung einfließen, die in den entsprechenden Variablen einen Wert von R>=4 aufweisen.

Eltern mit einem Kind, das subjektiv kaum bzw. gar nicht beeinträchtigt ist. Dabei wird die Belastung direkt erfragt, anhand der Variable:

Die Beeinträchtigung meines Kindes stellt eine große Belastung für meinen Lebensalltag dar27

6.1.7 Reduktion von Schamgefühlen und Annäherung an Normvorstellung als Motiv einer guten Zusammenarbeit

Abschließend soll noch der Frage nachgegangen werden, ob Eltern, die sich für die Beeinträchtigung ihres Kindes schämen, dennoch gerne mit der HPF zusammenarbeiten und ob jene Eltern zugleich ein gängiges Normverständnis aufweisen. Dadurch soll der Versuch unternommen werden, einen Einblick auf die persönlichen Motive einer bereitwilligen Zusammenarbeit mit solchen Angeboten zu erklären. Möchte man Aussagen über die beschriebene Vermutung treffen, dass Familien mit einem beeinträchtigten Kind sich durch eine Zusammenarbeit eine Schande reduzierende Wirkung und in diesem Sinne eine Annäherung an einen Normalzustand erhoffen, gilt es einzelne Merkmale, die danach fragen, ob sich Eltern für ihre Kinder schämen und ob diese eine gängige Normvorstellung aufweisen, in eine Verbindung zu bringen, die so ausgelegt ist, dass jene Antworten, die in Bezug auf die Merkmalsausprägung

„Scham“ einen Wert von mindestens R>= 4 aufweisen mit der Hilfe von Kreuztabellen der Frage nach dem Normverständnis gegenübergestellt werden können. In diesem Sinne sollten Familien, die die Behinderung als Scham empfinden, auch hohe Werte bei der Frage nach der Normvorstellung aufweisen. Zudem werden jene Fragebögen, die in dieser Frage von Belangen sind, auch der Frage nach der Bereitschaft zur Zusammenarbeit gegenübergestellt. Zeigen sich auch hier hohe Werte (R<=4), kann die Annahme, dass Eltern, die sich für die Behinderung ihres Kindes schämen, gerne mit HPFH zusammenarbeiten, um so dieses Stigma zu minimieren, als wahr beurteilt werden.

27Diese Variable kann als Kulminationspunkt und zugleich als >>Reduktiv<< der Komplexität für die Variable

„Belastung“ gewertet werden. Auch wenn diese Variable die damit einhergehenden theoretischen Präliminarien von Belastung sehr stark vereinfacht darstellt, kann dennoch angenommen werden, dass sich in Bezug auf die Frage nach der Stärke des Behinderungsgrades und dem subjektiven Belastungsgefühl hinreichende Aussagen ergeben.

6.2 Hypothesen und Item Bildung zur Frage inwiefern Heilpädagogische