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Heilpädagogische Tätigkeit im Spannungsfeld zwischen Staat, Gesellschaft und Individuum

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Academic year: 2022

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Heilpädagogische Tätigkeit im Spannungsfeld zwischen Staat,

Gesellschaft und Individuum

Eine empirische Studie zur Wahrnehmung Heilpädagogischer ambulanter Familienhilfe aus der Perspektive von Erziehungsberechtigten, am Beispiel der „Heilpädagogischen

Familien gGmbH“

Johannes Simmer, BA

Matrikel-Nummer: 01518362 Erziehungs- und Bildungswissenschaft

Masterarbeit zur Erreichung des Grades

“Master of Arts”

eingereicht im Rahmen des Masterstudium, 2018 WS (UC 066 848)

Erziehungs- und Bildungswissenschaft an der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck

Betreuer

Univ.-Prof. Dr. phil. Wilfried Smidt Innsbruck, am 15.03.2021

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Symbolverzeichnis

1

s = Standardabweichung X¯= arithmetisches Mittel G = Grundgesamtheit n = Stichprobenumfang

n1= Gesamtzahl der jeweils abgegebenen (gültigen) Antworten zum jeweils spezifischen Item2 rs = Korrelationskoeffizient

⍺ = Cronbachs ⍺3

1 Siehe: R. Spiegel, Murray; (1990): Statistik. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. Hamburg: McGraw-Hill Book Company GmbH.

Sowie: Bamberg, Günter; Baur, Franz; Krapp, Michael; (2011): Statistik. 16., überarbeitete Auflage. München:

Verlag Oldenbourg.

2 Siehe Fußnote Nr. 33, S.71

3Siehe: Schecker, Horst (2014): Überprüfung der Konsistenz von Itemgruppen mit Cronbachs ⍺. In: Krüger, Dirk; Parchmann, Ilka; Schecker, Horst (Hrsg.); (2014): Methoden in der naturwissenschaftlichen Forschungs.

Springer Verlag

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Tabellenverzeichnis

TABELLE 1:HÄUFIGKEITSTABELLE: ÜBERWIEGEND GESPROCHENE SPRACHE IN KERNFAMILIE ... 76

TABELLE 2:HÄUFIGKEITSVERTEILUNG:VERLÄSSLICHKEIT VON BEKANNTEN UND VERWANDTEN ... 82

TABELLE 3:MITTELWERTTABELLE:BEHINDERUNG ALS BELASTUNG BZW.BEREICHERUNG ... 83

TABELLE 4:KREUZTABELLE: HOHER BEEINTRÄCHTIGUNGSGRAD VS. SUBJEKTIVES BELASTUNGSGEFÜHL .. 84

TABELLE 5:KREUZTABELLE: GERINGER BEEINTRÄCHTIGUNGSGRAD VS. SUBJEKTIVES BELASTUNGSGEFÜHL ... 84

TABELLE 6:KREUZTABELLE: HOHER VERLEGENHEITSGRAD VS. STÄRKE DES NORMVERSTÄNDNISSES ... 87

TABELLE 7:KREUZTABELLE: HOHER VERLEGENHEITSGRAD VS.WUNSCH NACH FÖRDERFORTSCHRITTE UND BEENDIGUNG DER ZUSAMMENARBEIT ... 87

TABELLE 8:HÄUFIGKEITSTABELLE:NORM-ITEM:HEIRATEN,BERUF ALS ERSTREBENSWERTER WUNSCH FÜR DAS KIND ... 88

TABELLE 9:HÄUFIGKEITSTABELLE:MANCHMAL MACHEN MITARBEITER_INNEN D.HPF KONKRETE VORSCHLÄGE ... 92

TABELLE 10:HÄUFIGKEITSTABELLE:MITARBEITER_INNEN MACHEN VIELE GUTE VORSCHLÄGE ... 92

TABELLE 11:HÄUFIGKEITSTABELLE:MITARBEITER IST IMMER PÜNKTLICH ... 93

TABELLE 12:HÄUFIGKEITSTABELLE:EINER FREMDEN PERSON ZU VERTRAUEN FÄLLT SCHWER ... 95

TABELLE 13:HÄUFIGKEITSTABELLE:FREMDE HILFE ANZUNEHMEN FÄLLT SCHWER ... 96

TABELLE 14:KORRELATIONSTABELLE:FACHKOMPETENZEN 1 ... 98

TABELLE 15:KORRELATIONSTABELLE:FACHKOMPETENZ 2 ... 99

TABELLE 16:KORRELATIONSTABELLE:FACHKOMPETENZ GESAMT VS.KOOPERATIONSBEREITSCHAFT ... 100

TABELLE 17:CRONBACHS ALLER KOMPETENZEN ... 103

TABELLE 18:CRONBACHS DER FACHKOMPETENZEN, WENN ITEM WEGGELASSEN ... 103

TABELLE 19:CRONBACHS DER METHODENKOMPETENZEN, WENN ITEM WEGGELASSEN ... 104

TABELLE 20:CRONBACHS DER PERSONAL-, BZW.SOZIALKOMPETENZ, WENN ITEM WEGGELASSEN ... 105

TABELLE 21:KREUZTABELLE:FILTERVARIABLE:INTIMSPHÄRE,FORTSCHRITT,WICHTIGKEIT FAMILIENZEIT VS.KOOPERATIONSBEREITSCHAFT ... 107

TABELLE 22:MITTELWERTTABELLE:BEZIEHUNG ZW.KIND UND MITARBEITER_IN IST GEPRÄGT VON FREUNDLICHKEIT ... 114

TABELLE 23:HÄUFIGKEITSTABELLE:ZEIT D. D.MITARBEITER_IN IN FAMILIE VERBRINGT, IST AUSREICHEND ... 115

TABELLE 24:HÄUFIGKEITSTABELLE:WIE GUT SIND SIE INSGESAMT MIT DER ARBEIT DER HPF ZUFRIEDEN? ... 115

TABELLE 25:HÄUFIGKEITSTABELLE:ICH ARBEITE GERNE MIT DER HPF ZUSAMMEN ... 116

TABELLE 26:HÄUFIGKEITSTABELLE:FREMDE HILFE ANZUNEHMEN FÄLLT MIR SCHWER ... 119

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Inhaltsverzeichnis

I. THEORETISCHER TEIL: ZENTRALE BEGRIFFE, GESCHICHTE DER HEILPÄDAGOGIK, PROBLEMSTELLUNGEN DES SPANNUNGSFELDES, BEFUNDE UND FORSCHUNGSANLIEGEN 1

1 EINLEITUNG ... 1

2 HEILPÄDAGOGIK – EIN HISTORISCH, RECHTLICH UND NORMATIV AMORPHER PROBLEMBEGRIFF ... 5

2.1 DISZIPLINÄRE VERANKERUNG DER HEILPÄDAGOGISCHEN FAMILIENHILFE ... 5

2.2 RECHTLICHE VERANKERUNG HEILPÄDAGOGISCHER FAMILIENHILFEN UND DIE AUSWIRKUNG AUF DIE NUTZER_INNEN UND SOZIALPÄDAGOGISCHEN ANGEBOTE ... 7

2.2.1 Die Heilpädagogische Familienhilfe als „Prellbock“ zwischen Staat und Individuum ... 11

2.3 HEILPÄDAGOGIK REKONSTRUKTION EINES HISTORISCHEN PROBLEMBEGRIFFS ... 12

2.3.1 Heilpädagogik – ein historisch amorpher Begriff ... 13

2.3.2 Heilpädagogik als planmäßiges Handeln ... 15

2.3.3 Heilpädagogische Bemühungen hinsichtlich geistig behinderter und auffälliger Kinder ... 17

2.3.4 Gegenwärtige Betrachtung der Heilpädagogik im Spiegel der Menschenrechte ... 19

3 BEHINDERUNG – EIN PROBLEMBEGRIFF IM SPIEGEL RECHTLICHER UND GESELLSCHAFTLICHER NORMZWÄNGE ... 22

3.1 DAS PROBLEM MIT DEM BEHINDERTENBEGRIFF ... 22

4 KINDER ALS ADRESSATEN HEILPÄDAGOGISCHER FAMILIENHILFE UND ZIELE GESELLSCHAFTLICHER NORMIERUNGSPROZESSE ... 26

4.1 DIE BESONDERHEITEN UND PROBLEMLAGEN DER LEBENSPHASE KINDHEIT ... 27

4.2 DER ADRESSATENBEGRIFF IM SPIEGEL PÄDAGOGISCHER PROFESSIONALITÄT ... 30

4.3 FAZIT UND PROBLEMSTELLUNG ... 33

5 BEFUNDANALYSE, THEORETISCHE UNTERMAUERUNG DER FRAGESTELLUNGEN ... 35

5.1 DIE FRAGE NACH DER BEHINDERUNG ALS BELASTUNG UND STIGMA ABSEITS DER NORM ... 36

5.2 HEILPÄDAGOGISCHE FAMILIENHILFE ALS DAS ERLEBNIS EINES ZUVERLÄSSIGEN UND POSITIVEN UNTERSTÜTZUNGSSYSTEMS ... 38

5.3 VERTRAUEN ALS GRUNDLAGE GELINGENDER ZUSAMMENARBEIT ... 40

5.3.1 Vertrauen als durch den Vertrauensgeber subjektiv wahrgenommene Kompetenz des Vertrauensnehmers ... 41

5.3.2 Kompetenz als Maßwerkzeug von Vertrauen ... 44

5.4 HEILPÄDAGOGISCHE FAMILIENHILFE ALS AUFSUCHENDE UND SOMIT ZUGLEICH INVASIVE DIENSTLEISTUNG ... 46

6 OPERATIONALISIERUNG DER FRAGEN, ERSTELLEN DER ITEMS ... 47 6.1 UNTER WELCHEN BEDINGUNGEN LÄSST SICH DIE FRAGE NACH DER BEHINDERUNG ALS STIGMA,

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6.1.1 Negative Betrachtung als Belastungsfaktor ... 49

6.1.2 Veränderung des sozialen Nahfeldes als Belastungsfaktor ... 49

6.1.3 Behinderung als positive Erfahrung ... 49

6.1.4 Normvorstellungen als Ankerpunkt der Wahrnehmung von Behinderung ... 50

6.1.5 Behinderung als subjektives Gefühl von Scham bzw. Schande ... 50

6.1.6 Behinderungsgrad als Belastungsfaktor ... 51

6.1.7 Reduktion von Schamgefühlen und Annäherung an Normvorstellung als Motiv einer guten Zusammenarbeit ... 52

6.2 HYPOTHESEN UND ITEM BILDUNG ZUR FRAGE INWIEFERN HEILPÄDAGOGISCHE FAMILIENHILFE ALS EIN ZUVERLÄSSIGES UND POSITIVES UNTERSTÜTZUNGSSYSTEM ERFAHREN BZW. WAHRGENOMMEN WIRD ... 53

6.2.1 Ziele und Flexibiltät als Marker einer Zuverlässigkeit ... 53

6.2.2 Kreativität und Mitspracherecht als gelungene Koproduktion ... 54

6.2.3 Verlässlichkeit und Verfügbarkeit als Zeichen einer zuverlässigen Unterstützung ... 55

6.3 HYPOTHESEN UND ITEM BILDUNG ZUR FRAGE DES VERTRAUENS UND DEM EINFLUSS AUF DIE ZUSAMMENARBEIT MIT HEILPÄDAGOGISCHER FAMILIENHILFE ... 56

6.3.1 Vertrauen als latente Variable, sichtbar gemacht durch die Kompetenzen ... 56

6.3.2 Vertrauen als latente Variable, gestützt durch eine interne Korrelation im Sinne des Domain- sampling Modells ... 59

6.3.3 Hypothesen und Item Bildung zum Invasiven Charakter Heilpädagogischer Familienhilfe als Motiv für eine gute Zusammenarbeit ... 61

II. EMPIRISCHER TEIL: BEGRÜNDUNG DER FORSCHUNGSMETHODE, AUSWAHL DER STICHPROBE, ERSTELLUNG DES FRAGEBOGENS, SOWIE AUSWERTUNG UND INTERPRETATION DER FORSCHUNGSERGEBNISSE ... 63

7 BESCHREIBUNG UND BEGRÜNDUNG DES FORSCHUNGSDESIGNS ... 63

7.1 AUSWAHL UND BEGRÜNDUNG DER UNTERSUCHUNGSEINHEITEN (STICHPROBE) ... 65

7.1.1 Begründung und Beschreibung der Stichprobenart ... 65

7.1.2 Die Art der Stichprobe ... 65

7.1.3 Begründung der Stichprobe ... 67

7.1.4 Größe der Stichprobe sowie Durchführung der Befragung ... 67

7.1.5 Beschreibung der statistischen Werkzeuge ... 68

8 PRÄSENTATION DER ERGEBNISSE ... 71

8.1 HÄUFIGKEITSVERTEILUNGEN IN BEZUG AUF DIE DEMOGRAPHISCHEN DATEN, SOWIE PRÄSENTATION DER HÄUFIGKEITEN GRUNDLEGENDER ANGABEN ... 71

8.1.1 Demographische Daten und deren Häufigkeit ... 72

8.1.1.1 Frage A1-A2: Alter und Geschlechterverteilung der Kinder ... 72

8.1.1.2 Frage F1: Alter der Proband_innen ... 72

8.1.1.3 Frage A3-F9: Familienform in der das Kind aufwächst und Familienstand der Befragten ... 72

8.1.1.4 Frage A4: Die Art der Beeinträchtigung des Kindes ... 73

8.1.1.5 Frage A5: Subjektive Einschätzung des Grades der Beeinträchtigung des Kindes ... 74

8.1.1.6 Frage F2: Wer füllte den Fragebogen aus und wurde dabei von jemandem geholfen? ... 74

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8.1.1.7 Frage F4-F5: Herkunft der Proband_innen erhoben auf Grund der Verteilung gesprochener bzw. in der

Kindheit gelernter Sprache ... 75

8.1.1.8 Häufigkeit doppelter Sprache in Familien ... 77

8.1.1.9 Frage F6: Beurteilung der eigenen Deutschkenntnisse ... 77

8.1.1.10 Frage F7: Was ist der höchste Bildungsabschluss, den die Befragten erreicht haben? ... 77

8.1.1.11 Frage F8: Derzeitiger beruflicher Status der Befragten ... 78

8.1.1.12 Frage F10: Begründung der Kontaktaufnahme zur HPF ... 78

8.1.1.13 Frage F11: Wie haben die Befragten von der HPF erfahren? ... 79

8.1.1.14 Frage G2: Wie gut waren die Fragen des Fragebogens für die Proband_innen insgesamt verständlich 79 8.1.1.15 Frage G1: Allgemeine Zufriedenheit mit der Arbeit der HPF ... 80

8.2 ERGEBNISSE FÜR DIE FRAGE NACH DER BEEINTRÄCHTIGUNG ALS BELASTUNG BZW.BEREICHERUNG UND DAMIT EINHERGEHENDEN MOTIVEN DER KOOPERATION ... 80

8.2.1 Belastung als subjektiv negative Wahrnehmung der Behinderung ... 80

8.2.2 Verhalten des sozialen Nahfeldes ... 81

8.2.3 Behinderung als Bereicherung ... 82

8.2.4 Behinderungsgrad als Belastungsfaktor ... 83

8.2.5 Normvorstellungen trotz der Tatsache eines behinderten Kindes ... 85

8.2.6 Behinderung als Scham ... 86

8.2.7 Reduktion des Schamgefühls als Motiv der Kooperation ... 86

8.2.8 Herkunft als Ursache für Norm- bzw. Schamgefühle ... 88

8.3 ERGEBNISSE FÜR DIE FRAGE NACH HEILPÄDAGOGISCHER FAMILIEN GGMBH ALS POSITIVES UND ZUVERLÄSSIGES UNTERSTÜTZUNGSSYSTEM ... 89

8.3.1 Erwartungen und Belastbarkeit der Ziele, so wie die Frage nach der Koproduktion ... 89

8.3.2 Kreativität der Fördermaßnahmen ... 91

8.3.3 Allgemeine Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit ... 93

8.4 ERGEBNISSE FÜR DIE FRAGE NACH DER BEDEUTUNG VON VERTRAUEN UND DESSEN WIRKUNG AUF DIE BEREITSCHAFT ZUR ZUSAMMENARBEIT ... 94

8.4.1 Direkt gemessenes Vertrauen ... 94

8.4.2 Die Frage nach dem grundlegenden Vertrauen zur HPF, seitens der Befragten ... 96

8.4.3 Zusammenhang zwischen der latenten Variable Vertrauen und der Kooperationsbereitschaft ... 97

8.4.4 Zusammenhang zwischen der Fachkompetenz und der Kooperationsbereitschaft ... 97

8.4.5 Zusammenhang zwischen Methodenkompetenz und Bereitschaft zur Zusammenarbeit ... 100

8.4.6 Zusammenhang zwischen der Sozialkompetenz und der Kooperationsbereitschaft ... 101

8.4.7 Reliabilität der Korrelate ... 102

8.4.7.1 Cronbachs ⍺ Kompetenzen Gesamt ... 102

8.4.7.2 Cronbachs ⍺ der Fachkompetenzen ... 103

8.4.7.3 Cronbachs ⍺ der Methodenkompetenzen ... 104

8.4.7.4 Cronbachs ⍺ der Sozial- bzw. Personalkompetenzen ... 104

8.5 ERGEBNISSE FÜR DIE FRAGE NACH DEM EMPFINDEN HEILPÄDAGOGISCHER FAMILIENHILFE ALS EINGRIFF IN DIE PRIVATSPHÄRE ALS MOTIV DER KOOPERATION ... 105

9 DISKUSSION DER ERGEBNISSE ... 107

(8)

9.1 DISKUSSION DER ERGEBNISSE ZUR FRAGE BEHINDERUNG ALS LAST UND STIGMA IM SPIEGEL

GESELLSCHAFTLICHER NORMVORSTELLUNGEN ... 110

9.2 DISKUSSION DER ERGEBNISSE ZUR FRAGE HEILPÄDAGOGISCHER FAMILIENHILFE ALS ZUVERLÄSSIGES, POSITIVES UNTERSTÜTZUNGSSYSTEM ... 112

9.3 DISKUSSION DER ERGEBNISSE ZUR FRAGE VERTRAUEN ALS GRUNDLAGE GELINGENDER ZUSAMMENARBEIT ... 117

9.4 DISKUSSION DER ERGEBNISSE ZUR FRAGE HEILPÄDAGOGISCHE FAMILIENHILFE ALS EINGRIFF IN DIE PRIVATSPHÄRE ALS MOTIV DER KOOPERATION ... 121

10 RESÜMEE ... 122

11 LITERATURVERZEICHNIS ... 123

12 ANHANG ... 128

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___________

Mein besonderer Dank gilt Herrn Univ.-Prof. Dr. phil. Wilfried Smidt, der die hier vorliegende Arbeit unterstützend betreut hat.

Weiterer Dank gilt insbesondere Frau Schletterer Ursula und der Heilpädagogischen Familien gGmbH, ohne deren Hilfe die hier vorliegende Arbeit nicht möglich gewesen wäre.

Ebenso bedanken möchte ich mich bei meinen Freunden und meiner Familie, die mich während dieser Zeit bestärkt und insbesondere in schwierigen Phasen unterstützt haben.

____________

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I. Theoretischer Teil: Zentrale Begriffe, Geschichte der Heilpädagogik, Problemstellungen des Spannungsfeldes, Befunde und Forschungsanliegen

1 Einleitung

Der Inklusionsgedanke und damit verbunden eine Reihe von Ansätzen und Leitgedanken wie Teilhabe, Selbstbestimmung und Selbstermächtigung (Empowerment), treten im Zuge der sich historisch ausdifferenzierenden Menschenrechtskonventionen – die zuletzt mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention 2008 in Österreich ihren vorübergehenden Höhepunkt in Sachen Rechte für Menschen mit einer Behinderung erreicht hat – seit der Jahrtausendwende vermehrt in den Fokus sozialpädagogischen Handelns. Dies brachte eine grundsätzliche Veränderung im Umgang mit Menschen mit Behinderung, in Richtung Wertschätzung und der Abkehr von Defizitorientierungen mit sich. Durch diese Leitlinien ergeben sich nicht nur Veränderungen für von Behinderung betroffene Menschen, sondern damit auch implizit veränderte Professionalisierungsansprüche für alle Formen sozialpädagogischer Hilfsangebote, die sich im Wesentlichen dadurch auszeichnen, dass Klient_innen, von nun an, als konstruktive Erschaffer_innen ihrer eigenen Lebensbedingungen angesehen werden müssen und nicht mehr als bloße Empfänger direktiver Instruktionen und Fördermaßnahmen unter Fremdbestimmung, wie es sich durch die Jahrhunderte lange Tradition der Verwahrung Behinderter4 in diversen Anstalten oder Heimen zugetragen hat. (vgl. Osbahr, 2003 zit.n. Jaewoo 2012: 19) So kann in diesem Sinne Selbstbestimmung definiert werden „als ein Grundwert […] der sich auf Einstellungen und Fähigkeiten bezieht“ (Westling et al., 2006:

111) „die für ein Individuum nötig sind, um als erster Experte […] das eigene Leben zu gestalten und eine Auswahl von Dingen sowie Entscheidungen frei von ungebetenen, externen Einflüssen“ (Wehmeyer zit. n. Westling et al. ebd.) zu treffen. Dabei besteht ein „wichtiges Ziel

4 Der Behindertenbegriff hat sich historisch gewandelt und auf eine Weise moduliert, sodass nicht mehr die Behinderung selbst, sondern das gemeinsam geteilte Merkmal „Mensch“ im Vordergrund steht. Deshalb wird in der hier vorliegenden Arbeit im Sinne der Inklusionsbestrebungen von Menschen mit Behinderung gesprochen. Auch wenn in der hier vorliegenden Arbeit an mancher Stelle, auf Grund historischer Argumentation oder grammatikalischer Notwendigkeiten der Begriff Behinderte verwendet wird, ist damit immer der Mensch im Vordergrund zu denken und in diesem Sinne Menschen mit Behinderung gemeint. (siehe z.B.: Holzer, Sonja; (2019): Behinderte, Menschen mit besonderen Bedürfnissen oder eher Menschen mit einer Behinderung. Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.)

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[…] in der Herstellung von Kontrolle über die eigenen Lebensumstände“ (Biewer, 2017: 155).

Durch diesen veränderten Blick auf Behinderung gelang es zwar theoretisch Menschen mit einer Behinderung mehr Mitspracherecht und ein Recht auf ihre eigene Person zu gewähren, jedoch können diese Ansprüche nicht für alle Menschen mit einer Behinderung geltend gemacht werden, da sich vor allem Menschen mit schweren Behinderungen oder aber auch Kinder unabhängig ihrer individuellen Konstitution durch ihr lebensphasentypisches Entwicklungsdefizit und ihre rechtliche Unmündigkeit häufig den Anforderungen der gesellschaftlichen Erwartungen und Normen ausgesetzt sehen.

Daher wird in der hier vorliegenden Arbeit davon ausgegangen, dass diese Gedanken und Leitlinien, so erfreulich sie auch sind, noch nicht letztgültig in der Gesellschaft angekommen sind und Menschen mit Behinderung nach wie vor einer Belastung ausgesetzt sind, die sich durch einen defizitären Blick sowie rechtliche als auch gesellschaftliche Norm- und Bevormundungsvorstellungen auszeichnet.

Im Spiegel dieser Problemlagen und Spannungsfelder zwischen Inklusionsbestrebungen, normativen und rechtlichen Ansprüchen als auch den Bedürfnissen der Individuen, stellt sich daher vor allem für sozialpädagogische Hilfsangebote ein großes Problem dar. Denn diese Angebote, die sich der Förderung von Menschen mit Behinderung widmen, müssen ihre Tätigkeit unweigerlich innerhalb dieses Spannungsfeldes strukturieren und ausführen und dabei die Bedürfnisse und Belange sowohl der Individuen als auch des Staates (als Institution) aber auch der gesellschaftlichen Normvorstellungen gerecht werden. Daher ist es Anliegen der hier vorliegenden Arbeit, zu erheben, wie Eltern von Kindern mit Behinderung, die solche Angebote in Anspruch nehmen, diesen Service tatsächlich wahrnehmen und ob Heilpädagogische (ambulante) Familienhilfe (HPFH)5 gerade wegen dieses besonderen Spannungsfeldes von den Familien als positive und zuverlässige Unterstützung empfunden wird. Zusätzlich stellt sich die Frage, wie Eltern die Behinderung ihres Kindes einschätzen. Geht man von der Annahme aus, dass Kinder mit einer Behinderung auf Grund ihrer Einschränkung häufig nicht dazu in der Lage sind, den für diese Gruppe gesellschaftlich vorgesehenen Entwicklungsprozessen Stand zu halten, müssten Eltern demnach die Behinderung ihres Kindes als eine Belastung empfinden.

Darüber hinaus gilt es in Bezug auf heilpädagogische ambulante Tätigkeit zu erwähnen, dass diese Angebote auf Grund der sich immer weiter ausdifferenzierenden Menschenrechte, die

5 Die Abkürzung HPFH weist auf das Allgemeine Tätigkeitsfeld Heilpädagogische (ambulante) Familienhilfe hin, wohingegen die später im Text vorkommende Heilpädagogische Familien gGmbH (HPF), das spezifische Unternehmen darstellt, welches die Daten (in Form der zu befragenden Klient_innen) zur Verfügung stellt.

Und auf dessen Grundlage die konkrete Forschung der hier vorliegenden Arbeit basiert.

(12)

Förderung von Menschen mit Behinderung nicht mehr unter defizitären Aspekten strukturieren können, sondern die Belange der individuellen Familien in ihrer Tätigkeit stark berücksichtigen müssen und daher eine gelingende Förderung nur auf der Grundlage einer vertrauensvollen Beziehung vonstattengehen kann.

Zu guter Letzt gilt es zudem zu erwähnen, dass ambulante Angebote wie HPFH durch ihren aufsuchenden Charakter eine invasive Form der Unterstützung darstellen und durch das Eindringen in den privaten Raum der Familie, diese Privatsphäre potenziell übermäßig strapazieren. Im Sinne dieses ambivalenten Komplexes sind deshalb beide Parteien, sowohl Familien mit behindertem Kind als auch HPFH von einer Reihe von Problemstellungen betroffen, die sich in Bezug auf die Wahrnehmung von Behinderung aber auch in Bezug auf die Professionalisierungsansprüche und damit letztlich die Wahrnehmung solcher Angebote seitens der Nutzer_innen bemerkbar machen. Daher ist es Ziel der hier vorliegenden Arbeit nicht nur mit theoretischen, sondern letztlich auch anhand empirischer Mittel die folgenden Fragen zu beantworten:

- Wenn die Lebensphase der Kindheit im Sinne gesellschaftlicher Normvorstellung insbesondere für Kinder mit Behinderung ein problematisches Spannungsfeld darstellt, das die Unzulänglichkeiten dieser Gruppe verstärkt sichtbar macht und dessen Bedingungen sich auch durch gute pädagogische Absichten nicht beseitigen lassen, inwiefern empfinden Eltern von Kindern mit Behinderung diese Beeinträchtigung als eine Belastung bzw. eine Bereicherung?

- Da die Heilpädagogische Familienhilfe zwar durch eine positive pädagogische Absicht gerahmt ist, diese Tätigkeit jedoch zugleich in ein ambivalentes Spannungsfeld zwischen Staat, Gesellschaft und Individuum eingebettet ist, das in diesem Sinne die Bedürfnisse der einzelnen nur bedingt berücksichtigen kann, inwiefern wird diese Hilfestellung von den Eltern dennoch als ein zuverlässiges Unterstützungssystem empfunden.

- Wenn gängige Defizitmodelle der Betrachtung von Behinderung in der gegenwärtigen Zeit des Inklusionsdenkens als veraltet gelten und eine gelingende Förderung nur auf Grundlage einer wertschätzenden und vertrauensvollen Interaktion geschehen kann, inwiefern bringen Eltern diesen Angeboten ein solches Vertrauen entgegen und welchen Einfluss hat dieses Vertrauen auf eine gelingende Zusammenarbeit?

- Auch wenn die Heilpädagogische Familienhilfe als ambulante Form potenziell als zuverlässiges und positives Unterstützungssystem wahrgenommen werden sollte, stellt sie vor allem durch ihre aufsuchende Tätigkeit eine invasive Form der Unterstützung

(13)

dar. In diesem Sinne stellt sich die Frage, inwiefern Eltern, die solche Dienste in Anspruch nehmen, Heilpädagogische Familienhilfe als einen Eingriff in ihre Privatsphäre empfinden und ob sie sich in diesem Sinne eine schnellstmögliche Beendigung der Zusammenarbeit wünschen.

Um diese Fragen beantworten zu können, bedarf es demnach einer strukturierten Vorgehensweise die sich wie folgt erklären lässt:

Im ersten Abschnitt soll zunächst erläutert werden, was Heilpädagogische Familienhilfe ist, wie sie disziplinär, rechtlich und konzeptuell verankert ist, wodurch sie sich auszeichnet und mit welchen daraus resultierenden Ansprüchen und Problemen sie sich hinsichtlich einer Professionalisierung des Personals, vor allem in Bezug auf rechtliche aber auch häufig implizite gesellschaftliche Ansprüche, konfrontiert sieht, innerhalb derer die Träger ihre Tätigkeit strukturieren und nicht zuletzt professionalisieren müssen. Um diese normativen Ansprüche zu verfestigen, ist es notwendig, der Frage nachzugehen, wie sich diese Form der Hilfe historisch entwickelt hat und welche Probleme sich in Bezug auf diese Entwicklung, nicht nur für eine eindeutige Definition des Begriffs ergeben haben, sondern auch was diese Präliminarien für die praktische Tätigkeit im Sinne von Professionalisierungsansprüchen bedeuten.

Danach folgt ein Abschnitt in dem der Behindertenbegriff als Problembegriff näher durchleuchtet werden soll. Ziel ist es, die Ambivalenz dieses Begriffs hervorzuheben und für die Professionalisierung pädagogischen Personals zu reflektieren.

Im darauffolgenden Abschnitt soll der Adressatenbegriff näher durchleuchtet werden.

Dabei soll vor allem der Frage nachgegangen werden, wer die Nutzer heilpädagogischer Hilfsangebote sind und wodurch sich diese auszeichnen. Da die Lebensphase der Kindheit nicht nur für Kinder mit Behinderung eine große Schwierigkeit darstellt, sondern als Lebensphase im Allgemeinen eine stark von gesellschaftlichen Normvorstellungen durchdrungene Hürde der Entwicklung ist, die es in einer Diskussion um den Themenkomplex zwingend zu berücksichtigen gilt, sollen die Problemstellungen und die damit verbundenen Professionalisierungsansprüche heilpädagogischen Handelns reflektiert werden.

Danach sollen auf der Grundlage von empirischen Befunden die vier leitenden Fragestellungen unterfüttert und letztlich auch begründet und in einem nächsten Schritt operationalisiert bzw. für die Forschung entsprechend aufbereitet werden.

Im zweiten empirischen Teil dieser Arbeit folgt dann die Erläuterung der verwendeten Methode. Dazu zählt vor allem die Erläuterung des empirischen Untersuchungswerkzeuges, sowie die Begründung der Stichprobe und der Stichprobenelemente. Anschließen folgt die

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Auswertung und Präsentation der Daten, wodurch die gestellten Fragen statistisch erläutert und letztlich beantwortet werden sollen. Abschließend folgt ein Diskussionsteil, in dem die Ergebnisse besprochen, Probleme der vorliegenden Arbeit erläutert und letztlich ein Resümee gezogen werden soll.

Das sich diese Arbeit im weitesten Sinne mit dem Abbau von Vorurteilen marginalisierter Gruppen beschäftigt, gilt es zu erwähnen, dass in diesem Zuge durchgehend eine geschlechtergerechte Sprache verwendet wird. Ausnahmen bilden jene Aspekte, die vor allem auf Grund ihrer historischen Gegebenheiten nur eines der beiden Geschlechter berücksichtigen können; zum Beispiel dort, wo heilpädagogische Tätigkeit in einer spezifischen Epoche nur Männern vorbehalten wurde.

2 Heilpädagogik – Ein historisch, rechtlich und normativ amorpher Problembegriff

2.1 Disziplinäre Verankerung der Heilpädagogischen Familienhilfe

Die Geschichte der Heilpädagogik ist mindestens so alt, wie dessen Problemgeschichte.

Deshalb soll im nun folgenden Abschnitt näher auf dieses Tätigkeitsfeld eingegangen werden, um so das allgemeine Spannungsfeld näher zu durchleuchten.

Disziplinär ist die HPFH ein Teilbereich der Sozialen Arbeit (SA) und damit nur eines von vielen Feldern, die sich durch ein Sammelsurium theoretischer und praktischer Ansätze auszeichnet, die es näher zu benennen und zu bestimmen gilt. Zunächst kann konstatiert werden, dass die HPFH eine Form der sozialpädagogischen Hilfeleistung ist, die sich schwer zu bewältigenden Lebenssituationen von Menschen annimmt. Der Fokus dieser speziellen Hilfeform liegt auf der Unterstützung von Familien mit behinderten Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Dabei „werden meist kinderreiche Familien in gravierenden Unterversorgungslagen (Bildung, Arbeit, Wohnung, Finanzen usw.) unterstützt, die Schwierigkeiten in vielen Lebensbereichen haben“ (Helming et al., 1997: 1), wodurch es in erster Linie zu einer „Stärkung der Erziehungskraft der Familien und Förderung des Bewusstseins der Eltern für ihre Aufgaben“ (B-KJHG, 2013: §2, Abs. 2)6 kommen soll.

Insbesondere gekennzeichnet ist diese Hilfeform dadurch, dass das Fachpersonal vor Ort in den

6 B-KJHG 2013 BGBl. I Nr. 69/2013.

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Lebenswelten der Betroffenen agiert und diese dort unterstützt (vgl. Schröer u. Struck, 2018:

123); daher auch das Beiwort ambulant. Sozialpädagogik als „erziehungswissenschaftliche Disziplin beschäftigt sich […] mit jenen sozialstrukturell und institutionell bedingten Konflikten, welche im Verlauf der Sozialisation von Kindern und Jugendlichen auftreten“

(Böhnisch zit. n. Mennemann u. Dummann, 2020: 31). Dabei sind Böhnisch zufolge insbesondere die Spannungen zwischen dem „Vermögen der Kinder und Jugendlichen und gesellschaftlichen und institutionellen Anforderungen, wie sie in Familie, Schule, Arbeitswelt und Gemeinwesen vermittelt sind“ (Böhnisch zit. n. Mennemann u. Dummann, 2016: 35f.) zu nennen. Die Sozialpädagogik „versucht diese Konflikte aufzuklären, ihre Folgeprobleme vorherzusagen“ und in diesem Kontext die Grundlagen „für erzieherische Hilfen zu entwickeln“ (ebd.) Aus dieser Perspektive hat diese Form der Sozialpädagogik also die Aufgabe, Menschen in verschiedenen Lebenslagen dabei zu helfen, ihre Defizite zu mildern und die Eingliederungsprozesse in die jeweilige Gesellschaft zu unterstützen. Doch genau an dieser Stelle kann vor allem für Menschen und insbesondere für Kinder mit einer Behinderung7 ein zentrales Problem ausgemacht werden, denn der Mensch als soziales Subjekt ist ein Wesen, das in (s)einem sozialen Kontext zu dem wird, was dieser Kontext im Sinne gesellschaftlich anerkannter und dadurch in weiterer Folge institutionalisierter Normvorstellungen vorgesehen hat.8 Daraus ergibt sich die Kritik, dass es die gesellschaftlichen Strukturen sind, denen insbesondere Menschen mit Behinderung nur kaum entsprechen können und gerade durch ihr Anderssein, diese normativen Ansprüche beständig bestätigen, was zu einer beständigen Reproduktion dieser Normative führt.

Auch wenn sich das Leben zwar in verschiedene Lebensabschnitte einteilen lässt, reichen die damit verbundenen Lern- und Bildungsziele nicht aus, um die Komplexität von

7 In der hier vorliegenden Arbeit werden die beiden Begriffe >>Behinderung<< und >>Beeinträchtigung<< immer wieder genannt. Daher ist es notwendig den grundlegenden Unterschied dieser beiden Begriffe herauszustellen, um die allgemeine Verständlichkeit und Bezüglichkeit des hier geschriebenen in entsprechenden Kontext zu setzen. Der wesentliche Unterschied zwischen diesen beiden Begriffen liegt darin, dass unter einer Beeinträchtigung die tatsächliche physische oder psychische Einschränkung einer Person gemeint ist, wohingegen Behinderung eine gesellschaftliche Dimension darstellt. Kerstin Ziemen schreibt hierzu folgendes: „Behinderung als soziale Konstruktion ist das Produkt der kollektiven, unaufhörlichen in den Individualgeschichten reproduzierten Geschichte, die in den Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsschemata der Menschen eingeschrieben ist und dem Anschein nach natürliche Selbstverständlichkeit hat (vgl. Ziemen, 2003: 6). Ist in der hier vorliegenden Arbeit also die Rede von einem dieser Begriffe, sind diese immer in einem wechselseitigen Verständnis zwischen tatsächlicher Einschränkung und gesellschaftlich konstruierten Zuschreibungs- und damit auch Stigmatisierungsvorgängen zu verstehen.

8Der Subjektivbegriff, sowie Die Subjekt-Objekt-Verhältnisse werden unter anderem näher diskutiert bei:

Reckwitz, Andreas; (2010): Subjekt. 2., unveränderte Auflage 2010. Bielefeld: transcript Verlag. Grundlegend gilt es jedoch zu erwähnen, dass Subjekte einer Gesellschaft zugleich auch immer Objekte von gesellschaftsspezifischen Adressierungs- (Prozessen) sein können. Damit sind Menschen innerhalb einer Gesellschaft immer zugleich Subjekte aber auch Objekte.

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Entwicklungsprozessen anhand eines gesamtgesellschaftlichen Bauplans zu erklären. Wolfgang Schröer und Norbert Struck verweisen hier auf eine diese Betrachtungsweise zunehmend auflösende Entwicklung in der Kinder- und Jugendfürsorge. Kinder bilden sich ihnen zufolge nicht nur anhand der institutionellen Bildungsmarker, sondern vor allem eingebunden in den sozialen Kontext ihres nahen Umfelds. Sie sprechen davon, „dass Kinder sich vor allem in den lokalen Nahräumen bilden und sich ihre sozialen Räume aneignen“ (Schröer u. Struck, 2018:

121f.) Daher sollten sich die „Bildungsangebote für Kinder von ihren Aktivitäten in den lokalen Nahräumen“ (ebd.) und nicht auf Grund von gesellschaftlich etablierten Vorstellungen einer bestimmten Lebensphase ableiten. Die heilpädagogische Sozialpädagogik setzt hier an und versucht eben genaue die Lebensbedingungen der Betroffenen, sowie deren Umfeld in ihrer Arbeit, elementar einzubeziehen. Für die diversen Dienstleistungsangebote steht also immer auch die real existierende soziale Situation der Betroffenen im Mittelpunkt. Insbesondere ambulante Angebote wie HPFH, die in den privaten Raum der Familie eindringen, sehen sich mit diesen Prämissen des staatlichen Auftrages und der gesellschaftlichen Norm konfrontiert und müssen daher auch ihr Handeln im Sinne eines reflexiven Prozesses immer wieder der jeweiligen Situation anpassen. Daher können sozialpädagogische Angebote wie HPFH, vor allem in der gegenwärtigen Zeit der fortschreitenden Inklusionsbestrebungen, nicht mehr bloß aus einer technisch-medizinischen Perspektive betrachtet werden, sondern müssen die individuellen Lebenswelten und die damit verbundenen Problemstellungen beständig in ihre Reflexion und letztlich Tätigkeit miteinbeziehen. Um dieses Problemfeld, vor allem in Bezug auf heilpädagogische Tätigkeit, besser zu verstehen, ist es also notwendig, auf jene Ebenen (Recht, Staat, Individuum) einzugehen, die bei der Professionalisierung und Strukturierung solcher Angebote zwingend berücksichtigt werden müssen, bzw. nicht einfach durch ein Bezugnehmen auf einen progressiven Inklusionsgedanken außer Acht gelassen werden können.

2.2 Rechtliche Verankerung Heilpädagogischer Familienhilfen und die Auswirkung auf die Nutzer_innen und sozialpädagogischen Angebote

Daher gilt es zunächst HPFH rechtlich zu verankern, um auf diese Weise die objektivierbaren Grenzlinien dieser Disziplin aufzuzeigen und in diesem Sinne den Rahmen abzustecken, innerhalb dessen sich Bedürfnisse seitens der Nutzer_innen, als auch Möglichkeiten seitens der Dienstleister konstituieren können. Mit anderen Worten, unter welchen Bedingungen treffen Nutzer_innen und Dienstleister überhaupt aufeinander?

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Rechtlich zählt die HPFH zu den Hilfen zur Erziehung und ist im Bundes Kinder- und Jugendhilfegesetz geregelt. Dabei ist es Ziel, das Wohl des Kindes zu schützen, dieses zu fördern, die Familien bei Erziehungsfragen zu unterstützen, sowie Erziehungshilfen zur Verfügung zu stellen. (vgl. B-KJHG, 2013: §3) Während die Auftragsstellung Aufgabe des Bundes ist, ist die Umsetzung Landesangelegenheit. Das Land kann diese Aufgaben jedoch an qualifizierte private Träger delegieren, insofern diese Träger in der Lage sind, die „Leistungen […] nach fachlich anerkannten Standards […] zu erbringen“ (ebd. §12, Abs. 1) Dies bedeutet, dass diese Träger im Sinne des Bundesgesetzes agieren und ihre Fachkräfte dementsprechend ausbilden müssen. Das maßgebende Ziel dieser Gesetze ist vorrangig, allen Schutzbefohlenen in der Gesellschaft eine bestmögliche Versorgung und Teilhabe zu ermöglichen und Betroffene in der alltäglichen Bewältigung von Problemen zu helfen. Somit sind diese Angebote „sehr stark verrechtlicht“ (Seithe, 2007: 568) bzw. durch den Staat reglementiert. Zudem wird HPFH dem Handlungsfeld der Kinder- und Jugendhilfe zugerechnet, das sich historisch aus zwei Ebenen konstituiert hat. Zum Ersten, die Kinder- und Jugendfürsorge, welche mit der Organisation und Koordination von Interventionen zur Vermeidung einer Kindeswohlgefährdung (vgl. Schröer u. Struck, 2018: 116) auch heute noch als klar definiertes Ziel im B-KJHG verankert ist. Zum anderen die Kinder- und Jugendhilfe, die sich Aspekten der Infrastruktur zuwendet und sich Gedanken zu allgemeinen Angeboten „zur Erziehung, Bildung, sozialen Unterstützung und zum Schutz von Kindern, Jugendlichen und jungen Volljährigen“

(ebd.) macht. Damit steht sie konstitutionell im Spannungsfeld zwischen dem staatlichen Auftrag der Fürsorge und institutionellen Anforderungen an Entwicklungsbedingungen von Heranwachsenden und ist auf diese Weise mit einem grundlegenden Problem konfrontiert.

Denn zum einen ist die Tätigkeit rechtlich klar geregelt und in diesem Sinne mit stoischem Blick objektivierbar, zum anderen agiert HPFH im individuellen Einzelfall für den sich starre rechtliche, aber vor allem normative Ansprüche nicht realisieren lassen. Jedoch richten sich die rechtlichen Ansprüche nicht nur an die Einrichtungen selbst, sondern auch an die vorrangig mit der Versorgung ihrer Kinder beauftragten Eltern bzw. Erziehungsberechtigten9. Im §1 des B-

9Der Begriff Erziehungsberechtigte bezeichnet in diesem Sinne jene Person, die mit der rechtlichen Obsorge des jeweiligen Kindes beauftragt ist. Alternativ werden in der hier vorliegenden Arbeit jedoch auch andere Begriffe wie Eltern oder Fürsorgeperson verwendet. Auch wenn sich zwischen diesen Begriffen durchaus definitorische Unterschiede festmachen lassen, wie zum Beispiel jener, dass es zwar möglich ist, dass jemand im rechtlichen Sinne die Obsorge für das Kind hat, aber in Wahrheit ein anderes Familienmitglied die (emotionale) Fürsorge für dieses Kind übernimmt. Zur einfacheren Verständlichkeit werden diese Begriffe synonym verwendet und sind hier im Sinne jener Person(en) zu verstehen, die in der hier vorliegenden Arbeit den zentralen Bezugspunkt auf die Beantwortung der Forschungsfragen bilden.

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KJHG steht: „Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf Förderung ihrer Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit“ (B- KJHG, 2013: §1, Abs. 1). Dies impliziert, dass Minderjährige „unter dem besonderen Schutz der Gesetze“ (ABGB, 2017: §21, Abs. 1)10 stehen und einer besonderen Fürsorge bedürfen.

Dies ist zwar allgemein Aufgabe des Staates, jedoch kann dieser diese Aufgabe an seine Bürger und Bürgerinnen delegieren, was dieser auch tut. Es sind hier insbesondere die Erziehungsberechtigten, die mit dieser Aufgabe betraut werden, gemeint. Und zwar in der Hinsicht, dass die „Pflege und Erziehung von Kindern und Jugendlichen […] in erster Linie die Pflicht und das Recht ihrer Eltern“ (B-KJHG: §1, Abs. 2) ist. „Eltern haben das Wohl ihrer minderjährigen Kinder zu fördern, ihnen Fürsorge, Geborgenheit und eine sorgfältige Erziehung zu gewähren“ (ABGB, 2017: §137, Abs. 2)11, darüber hinaus „ist das Wohl des Kindes […] als leitender Gesichtspunkt zu berücksichtigen“ (ebd. §138).

Damit stehen die rechtlichen Rahmenbedingungen für die mit der Obsorge beauftragten Personen fest, die zugleich deren Handlungsspielraum definieren. Es ist Aufgabe des Staates, seine minderjährigen Bürger_innen auf besondere Weise zu schützen. Damit einher gehen das Recht und die Pflicht der Fürsorgeberechtigten, für diese Aufgabe in entsprechendem Maße aufzukommen. Minderjährig sind in diesem Sinne alle Personen, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und dahingehend auch nicht voll geschäftsfähig sind. Diese

>>verordnete<< Fürsorge ist in diesem Sinne jedoch nicht nur ein Mittel, um den besonderen Schutz von Minderjährigen zu gewährleisten, sondern darüber hinaus eine Maßnahme mit staatlich-regulativem Charakter. Denn, so kann angenommen werden, hat der Staat als Institution ein großes Interesse daran, spezifische Ordnungen aufrecht zu erhalten und über die Definitionsmacht innerhalb dieses Territoriums zu bestimmen. So auch über die Rahmenbedingungen für die besondere Schutzbedürftigkeit seiner besonders verletzlichen Bürger_innen. Aus diesem staatlichen Fürsorgeauftrag ergeben sich jedoch nicht nur Rechte und Pflichten für die Erziehungsberechtigten, sondern diese Präliminarien definieren auf diese Weise zugleich, das Verhältnis zwischen Eltern und ihren Kindern, bzw. Erwachsenen und Kindern im Allgemeinen, sowie auch das Verhältnis zwischen HPFH und ihren Nutzer_innen.

Auch wenn Kinder einem besonderen rechtlichen Schutz unterliegen, werden diese jedoch in den entsprechenden Gesetzestexten nicht explizit genannt, sondern gehen deren Rechte aus den Pflichten der mit der Fürsorge beauftragten Personen hervor. Auf diese Weise wird nicht nur ein hierarchisches Gefälle zwischen Erwachsenen und Kindern sichtbar, sondern auch die

10 ABGB, BGBl I Nr. 59/2017

11 ABGB, BGBl. Nr. 15/2013

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Macht des Staates, der diese Verhältnisse durch seine Gesetze und Sanktionen vorherbestimmt und fortlaufend stützt. Dies bedeutet, dass die Erziehungs- und Fürsorgearbeit der Eltern nicht nur deren Privileg ist, sondern auch deren Pflicht, welcher sie sich, unter Androhung von Strafe, nicht entziehen können. Es ist also dem Staat vorbehalten zu intervenieren und gegebenenfalls entgegen dem Willen der Eltern Maßnahmen zu ergreifen, die den Schutz des Kindes fortlaufend gewährleisten. Durch diese besondere Schutzbedürftigkeit der Kinder und den damit verbundenen Pflichten und Rechten stehen viele Familien aber auch Dienstleistungsangebote wie HPFH vor einer Reihe von Herausforderungen, denn die Gesetze können aus diesem Blickwinkel als Spiegel des gesellschaftlich notwendigen und über die Zeit manifestierten betrachtet werden. In diesem Sinne kann der Staat, also Ordnungsmacht, auch nur bedingt auf die individuellen Ansprüche des Einzelfalls Rücksicht nehmen. Auch für die Kinder bedeutet dies eine große Problematik, da sie in ihrer Person auf einen gesellschaftlichen und nicht zuletzt gesetzlich definierten Akteur reduziert werden, der sich insbesondere durch die gesellschaftlich zugeteilten Rollen der Institutionen (Familie, Kirche, Schule) ausdrückt.

So steht sozialpädagogische Arbeit vor dem Problem, dass sie innerhalb eines rechtlich geregelten Rahmens von statten geht, welcher die Individualität der Person nicht in vollem Umfang berücksichtigen kann. Insbesondere Institutionen wie die Schule lassen wenig Freiraum für eine Neuinterpretation hinsichtlich Art und Richtung ihrer Bedeutung. Sie sind in diesem Sinne ein klassisches Beispiel für eine Institution. Dieser Konflikt wird auch bei Johanna Mierendorff und Thomas Olk festgehalten.

„Die freigemeinnützige Wohlfahrtspflege beanspruchte von Beginn an eine größere Nähe zur Familie und den privaten Lebensgemeinschaften und begründete dies mit dem Wertbezug von Erziehungsvorstellungen und Erziehungsleitbildern und dem daraus abgeleiteten Recht der Eltern, eine außerfamiliale Erziehung und Bildung ihrer Kinder nach eigenen Wertorientierungen und religiösen Bindungen auswählen zu dürfen. Die Schule ist die einzige Institution, die sich zu einem historisch frühen Zeitpunkt als unangefochtene, zentrale und staatliche Sozialisationsinstanz neben der Institution Familie etablieren konnte“ (Mierendorff und Olk, 2002: 542).

Damit ist gemeint, dass Eltern das Recht haben, ihre Kinder nach ihren individuellen Wertvorstellungen zu erziehen und zu sozialisieren, jedoch zugleich einer gesamtgesellschaftlichen Sozialisationsstruktur unterworfen sind. Die Schulpflicht zwingt gewissermaßen alle Menschen dazu, einen staatlich, rechtlich und somit auch gesellschaftlich

>>vorbestimmten<< Weg zu beschreiten, dem sie sich nicht entziehen können und dessen erfolgreiches Absolvieren und Meistern mit gesellschaftlicher Kreditwürdigkeit belohnt wird.

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Schröer und Struck verweisen in diesem Zusammenhang, mit Bezug auf Johannes Münder und Britta Tammen, auf eine Problematik des gesamten Tätigkeitsfeldes. Nämlich, dass sozialpädagogische Interventionen immer vonstattengehen, innerhalb einer gegenseitigen Bezüglichkeit dreier Domänen (vgl. Schröer und Struck, 2018: 119): Zum einen ist es der Staat als Instanz der Rechtsprechung, welcher über die Jugendämter die Leistungen gewährt und dafür auch die Bedingungen definiert. Auf der anderen Seite stehen die freien und privaten Träger (hier die konkreten Einrichtungen), die die Leistungen im Rahmen des Gesetzgebers erbringen und demnach auch nur innerhalb des normavit-rechtlichen Diskurses agieren können.

Und schließlich befinden sich am dritten Ende des Dreiecks die Nutzer_innen bzw.

Klient_innen, deren Wünsche und Sorgen zwar von individuellen Motiven und Bedürfnissen geleitet sind, sich jedoch zugleich im Spiegel des gesellschaftlichen Diskurses, wenn auch häufig latent, manifestieren. Alle drei Interessensparteien zeichnen sich demnach durch unterschiedliche Bestrebungszwänge aus, die jedoch erst durch ihren gegenseitigen Bezug eine sinnstiftende Interaktion und Legitimation gewährleisten können. Ist es der Staat als Institution, der sozialpädagogische Tätigkeit rechtlich regelt, sind es die Individuen, die sich gerade nicht im Sinne rechtlicher, aber auch normativer Bestrebungen einheitlich fassen lassen. HPFH als von individuellen Bedürfnissen geleitetes aber durch rechtliche Rahmenbedingungen reglementiertes Tätigkeitsfeld, befindet sich demnach als Bindeglied zwischen diesen beiden Domänen und muss ihre Tätigkeit innerhalb dieses Spannungsfeldes strukturieren und dabei stets die rechtlichen aber auch die individuellen sowie die normativen Bestrebungen im (reflexiven) Blick behalten.

2.2.1 Die Heilpädagogische Familienhilfe als „Prellbock“ zwischen Staat und Individuum

Wo die Familie also mit ihrer individuellen Lebenswelt konfrontiert ist, und auch in diesem Sinne Bedürfnisse befriedigen möchte, hat der Staat die Aufgabe, eine Gesellschaft als Ganzes zu >>ordnen<<. HPFH befindet sich in dieser Triade als >>Prellbock<< zwischen Staat (und dessen Institutionen) und Individuum und sieht sich damit konfrontiert, diese Spannungen auszuhalten und innerhalb dieser zugleich handlungsfähig zu bleiben. Das Problem: Das Handeln dieser Einrichtungen basiert zum einen auf planmäßigem, reglementiertem und organisiertem Handeln, zum anderen können diverse Konzepte nicht nach einem

>>Schablonenprinzip<< (wie es der Staat aus ökonomischer Sicht forciert) abgehandelt werden, da die betroffenen Familien sich in ihrer Individualität voneinander stark

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unterscheiden. Dem BMFSFJ zufolge zeichnen sich sozialpädagogische Hilfsangebote hierbei besonders „durch ihre Alltagsorientierung, den ganzheitlichen und systemischen Handlungsansatz sowie durch eine Verpflichtung auf die Handlungsmaxime der Integration und Partizipation“ (BMFSFJ, zit. n. Seither, 2007: 568) aus. Dies stellt eines der größten Schwierigkeiten aufsuchender sozialpädagogischer Hilfsangebote dar, da diese im Rahmen des rechtlich möglichen und damit auch im gesellschaftlich gewünschten ihr Handeln vollziehen müssen und dabei das Individuum nur insofern berücksichtigen können, als dass sie dieses in Bezug auf die aus dieser Ordnung hervorgehenden Normen adressieren. Mit anderen Worten greift HPFH aus dieser Perspektive betrachtet da, wo aus der Sicht des Staates das Individuum zu weit von der vorgegebenen Ordnung abweicht. Auch wenn das grundlegende Interesse des Staates eine positive Ausrichtung hat, kann dieser das Individuum und dessen konkrete Bedürfnisse nur bedingt berücksichtigen, was es Sozialpädagogischen Einrichtungen besonders schwer macht, da die zentralen Prozesse ihres Angebotes übergeordnet auf der Grundlage einer indivduumsbezogenen Haltung fußen sollten, jedoch das Gesamte dieser Tätigkeit im Spannungsfeld pragmatisch-normativer Belange von Staat und Gesellschaft geschieht. Für die tägliche Praxis der Professionellen stellt sich in diesem Sinne die Herausforderung, dass sie einen klar definierten Auftrag haben, dessen spezifische Handlungs-ausprägungen jedoch im Einzelfall der Familie im Sinne individueller Konzepte durchgeführt werden müssen. Für die Professionalisierung des Personals bedeutet dies, dass sie ihr Handeln beständig reflektieren und auf eine Weise strukturieren müssen, die die rechtlichen Rahmenbedingungen berücksichtigt, die gesellschaftlichen Normen wo es notwendig ist kritisiert, und die individuellen Bedürfnisse nach Möglichkeit fördert.

2.3 Heilpädagogik – Rekonstruktion eines historischen Problembegriffs

Im soeben behandelten Abschnitt wurde Heilpädagogische Familienhilfe als Tätigkeit rechtlich und konstitutionell verankert. Daraus haben sich jedoch auch implizit gesellschaftliche Normansprüche ergeben, die es in den nun folgenden Abschnitten zu berücksichtigen bzw.

immer mitzudenken gilt und die insbesondere in Kapitel 4 explizit beschrieben werden.

Möchte man das sozial- und gesellschaftspolitische Spannungsfeld der HPFH im Kontext der praktischen Tätigkeit besser verstehen, ist es dazu notwendig, einen Blick auf die historische Entwicklung dieser Hilfeform zu werfen. Eine besondere Schwierigkeit der Konstitution eines einheitlichen Heilpädagogikbegriffs liegt dabei in der Tatsache, dass diese

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Hilfeform keine monokausale Entwicklungsgeschichte hat, die es einfach nachzuzeichnen gilt.

So hat sich die HPFH im Laufe der Zeit aus verschiedenen sozialen, gesellschaftlichen, politischen Kontexten sowie aus institutionellen, professionellen Verfasstheiten, Methoden und Disziplinen heraus konstituiert, die sich aus einer „bildungswissenschaftliche[n] Betrachtung […] zwischen praktisch-pädagogischen Tätigkeiten und nachfolgenden pädagogischen Theorien und Systematisierungen“ (Biewer, 2017: 13) fortlaufend entwickelt hat. Kann die Entstehung der Heilpädagogik durch die Geschichte der Armenfürsorge erzählt werden, so ist sie auch eine Geschichte der Heilung im medizinischen Sinne, sowie eine Disziplin, die sich mit Menschen mit Behinderung beschäftigt hat und auch daraus erwachsen ist. Zugleich ist sie aber auch eine Geschichte der sozialen Kontrolle und institutionellen und damit auch diskursiven Systematisierung von Behinderung und Normalität im weitesten Sinne. Auch dies ist ein großes Problem beim Versuch einer einheitlichen, begrifflichen Fassung des Terminus.

Um die begrifflichen Ambivalenzen zu erfassen, soll in diesem Abschnitt auf den Begriff der Heilpädagogik eingegangen und dessen Besonderheiten in Auszügen historisch rekonstruiert werden.

2.3.1 Heilpädagogik – ein historisch amorpher Begriff

Die historischen Wurzeln der Heilpädagogischen Familienhilfe liegen in den Gründungsmotivationen der Sozialen Arbeit und waren vor allem in ihrer Anfangszeit stark medizinisch geprägt, und zwar auf eine Weise, in der medizinische Fehler bei Kindern durch entsprechende Interventionen verbessert werden sollten. Prägend ist hierfür vor allem die Medico-Pädagogik, die zur Mitte des 19. Jahrhunderts Verbreitung fand. Hier fanden zwar medizinische Konzepte des Heilens eine Verbindung mit pädagogischen Ansätzen, jedoch war der medizinische Fokus hierbei stark dominierend, wodurch hier, aus heutiger Sicht, eher von einer Kinderpsychopathologie gesprochen werden kann als von pädagogischem Handeln. (Vgl.

Werning et al. 2002: 3) Drastische Weiterentwicklungen, vor allem zu Beginn des 20.

Jahrhunderts, richteten den Blick der Heilpädagogik auf ein neues Verständnis. Insbesondere Heinrich Hanselmann war für eine Abgrenzung der Heilpädagogik von der Medizin verantwortlich. Paul Moor schreibt hierzu „Heilpädagogik ist die Lehre von der Erziehung derjenigen Kinder, deren Entwicklung durch individuale oder soziale Faktoren dauernd gehemmt sind“ (Moor zit n. ebd.: 4) und verweist damit auf den Umstand, dass Heilpädagogik ebenfalls Pädagogik sei, nur „unter erschwerten Bedingungen“ (Werning et al., 2002: 4), jedoch

(23)

nicht vorrangig im Sinne einer medizinischen Heilung betrachtet werden sollte. Zur Mitte des 20. Jahrhunderts wurde dann in den 1960er Jahren in Deutschland der Begriff der Heilpädagogik auf Grund seines stigmatisierenden Charakters durch den Begriff der Sonderpädagogik abgelöst, welcher von jeher „auf die schulische Förderung ausgerichtet“

(ebd.:5) war und dabei half, eine eigenständige Lehrergruppe im Sinne eines „differenzierten Versorgungssystems“ (ebd.) für verschiedene Arten von Behinderung zu etablieren.

Naheliegend führte auch der Begriff der Sonderpädagogik zu einer Be- und somit Absonderung einer ganzen Personengruppe, die wie der Begriff der Heilpädagogik zuvor die Differenzen auf eine stigmatisierende Weise hervorhob. Dasselbe Problem gab es in der DDR, in welcher der Begriff der Rehabilitationspädagogik vorherrschend war. Werning et al. verweisen hier darauf, dass Rehabilitation verstanden werden kann als ein Wiederherstellen. Und damit auch als ein Anpassen, bzw. Normalmachen an einen zuvor bestimmten Normalzustand, von welchem aus sich die Abweichung abgrenzt. Sie schreiben: „Unter Berücksichtigung des (jüngeren) Normalisierungsprinzips, wonach Normalisierung nicht Normalmachung im Sinne einer Angleichung an einen Standard, sondern im Bejahen einer besonderen menschlichen Situation besteht, erscheint die „Rehabilitation“ […] sehr fragwürdig“ (ebd.:7). Ab den 1970er Jahren kam es zunehmend zu einem Paradigmenwechsel. Durch die zunehmende kritische Reflexion des Behindertenbegriffs im Zuge sozialkonstruktivistischer Ansätze mussten auch die genannten Begriffe neu gedacht und der Behindertenbegriff als sozial konstruierte Bedingungseinheit durch eine Ansicht ersetzt werden, welche die Verschiedenheit der Menschen als die neue Normalität fokussiert. Konstitutionell kam es auch bei der Tätigkeit der Heilpädagogik somit zu einer Reform. Die grundlegende Motivation war es von nun an Heimunterbringung von behinderten bzw. auffälligen Kindern sukzessive abzubauen. Durch die Etablierung von lebensweltorientierten Wohngruppen, Tagesgruppen und nicht zuletzt den familiennahen Hilfen, sollte den Kindern und Jugendlichen ein Verbleib in ihrem natürlichen Lebensumfeld gewährleistet werden (ebd. 123f.) So sollte vor allem das Konzept der Integration dafür sorgen, betroffene Kinder in den alltäglichen Schulalltag einzugliedern und gemeinsam mit nicht beeinträchtigten Kindern zu unterrichten. Auch wurde mit den sich immer weiter ausdifferenzierenden Menschenrechten allmählich eine Position eingenommen, die die Verschiedenheit der Menschen betonte und somit Behinderung nur als eine von vielen Optionen betrachtete. Dieser Wandel gipfelte schließlich in der Ratifikation der UN- Behindertenkonvention im Jahre 2008 in Österreich.

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2.3.2 Heilpädagogik als planmäßiges Handeln

Auch wenn die Heilpädagogik in ihrer wissenschaftlichen Konzeption erst ab dem 18.

Jahrhundert, durch die Industrielle Revolution eine immer ausgeprägtere Systematik anzunehmen begann, gab es Bemühungen um Menschen mit Behinderung schon einige Jahrhunderte davor. So lassen sich die ersten Befunde zu einer planmäßigen Hilfestellung für Behinderte bis in das 16. Jahrhundert zurückdatieren. Damals wurden bereits praktische Bemühungen um Menschen mit sichtbaren Sinnesschädigungen getroffen. So versuchte etwa der Mönch Pedro Ponce de Leon bereits im 16. Jahrhundert eine Gruppe von Gehörlosen zu unterrichten und ihnen eine Art Lautsprache beizubringen (vgl. Biewer, 2017: 15). Günther Opp fasst das grundlegende Wirkungs- und Legitimationsfeld der Heilpädagogik wie folgt. Mit der Tätigkeit der

„Erziehung taubstummer Kinder war ein Grundmuster sonderpädagogischer Klassifikationspraktiken vorgegeben, das (sic!) ab dem 18. Jahrhundert immer weiterentwickelt wurde. Die Tatsache einer „Behinderung“ begründete be-sondere Erziehungsmaßnahmen. Die Behinderungszuschreibung legitimierte spezielle Erziehungsangebote, zusätzlichen Ressourcenverbrauch und letztlich auch die Selektion dieser Kinder in eigenen, dafür errichteten Erziehungseinrichtungen“ (Opp, 2015: 146).

Die Sonderpädagogik beschäftigte sich also mit Phänomenen der Abgrenzung und Differenzierung, die von sichtbaren Merkmalen des Andersseins ausging und zugleich dadurch ihr Handeln legitimierte. Dieses „Grundmuster sonderpädagogischer Klassifikationspraktiken“

(ebd.) wurde ab dem 18. Jahrhundert immer weiter ausdifferenziert.

Zugleich kann Sonderpädagogik jedoch auch betrachtet werden als Versuch der Rettung bzw. Etablierung gesellschaftlicher Strukturen, die neben dem seelischen und körperlichen Wohlergehen so zuletzt die gesellschaftliche Brauchbarkeit forcierte und aus Notwendigkeiten einer gesellschaftlichen Ordnung methodisch an die Inhalte der Bibel gebunden war. Das christliche Gedankengut sollte die Menschen leiten und somit auch die Aufgabe der Sonderpädagogik legitimieren, nämlich sollte sie die Behinderten so nahe wie mögliche an den Normalzustand heranführen und in diesem Sinne somit heilen! Diese Erziehungsbemühungen brachten schlussendlich die allgemeine Schulpflicht mit sich (vgl. ebd), die seitdem als zunehmend mächtige Institution einen besonderen Stellenwert in der Gesellschaft erhalten hat.

Im Zeitalter der Aufklärung machte sich schließlich ein Optimismus in Bezug auf die Pädagogik im Sinne einer Bildsamkeit breit. Durch diese Entwicklungen wurden im 18. Jahrhundert neue

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