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Die bisherigen Abschnitte haben anschaulich erklärt, in welchem Spannungsfeld Heilpädagogische ambulante Familienhilfe und Familien mit einem behinderten Kind aufeinandertreffen. Dabei konnte gezeigt werden, dass sich insbesondere auf die

Professionalisierungsansprüche seitens des Personals keine eindeutigen Richtlinien definieren lassen, die sich im Sinne eines Fördererfolges konstatieren lassen. Sind Professionelle durch die fortschreitenden Inklusionsbestrebungen dazu angehalten auf die individuellen Bedürfnisse der Betroffenen einzugehen und deren Anliegen in der täglichen Arbeit zu berücksichtigen, müssen diese immer auch zugleich innerhalb eines rechtlich vordefinierten Rahmens agieren und können in diesem Sinne nur bedingt auf diese Bedürfnisse eingehen. Blickt man aus dieser Perspektive auf die Ansprüche, die sich hieraus für die Professionalisierungsbedürftigkeit entsprechender Hilfsangebote ergeben, kann daher festgehalten werden, dass eine einheitliche Definition solcher Ansprüche wohl kaum zu bewältigen ist. Dies liegt nicht nur an der historisch ambivalenten Konstitution des gesamten Spannungsfeldes, sondern wird vor allem in der individuellen Situation der Klient_innen begründet, die nach gängigen Inklusionsbestrebungen zwingend in die Gestaltung solcher Angebote miteinbezogen werden müssen und nicht mehr nach einem Schablonenprinzip als Empfänger solcher Leistungen adressiert werden können.

Zugleich sieht sich HPFH jedoch mit dem Problem konfrontiert, dass sie diese individuellen Bedürfnisse nur bedingt berücksichtigen kann und durch die Rückbindung an rechtliche aber auch implizite normative Vorstellungen in gewisser Weise an einen starr abgesteckten Handlungsrahmen gebunden ist. Daraus ergibt sich das Paradox, dass HPFH zum einen in ihrer Ausrichtung flexibel agieren muss, zugleich aber auf rechtlicher und gesellschaftlicher Ebene nur unzureichenden Spielraum erhält. Daraus ergeben sich demnach einige Fragen, die sich an dieser Stelle mit theoretischen Erkenntnissen nicht mehr erklären lassen, weshalb es notwendig ist, im Sinne einer Feldforschung, die Grenzen der Theorie zu überschreiten und daher die Betroffenen Familien mit einem behinderten Kind selbst zu befragen. Daher lassen sich folgende Fragen formulieren: Wenn HPFH in einem Spannungsfeld von statten geht, das starken rechtlichen und gesellschaftlichen Zwängen unterlegen ist, in denen das Individuum nur bedingt berücksichtigt werden kann, inwiefern empfinden Nutzer_innen solcher Angebote diese dennoch als ein positives Unterstützungssystem?

Als ein erster Hinweis, der dafürspricht, dass diese Angebote als positiv empfunden werden, zeigt sich in der Tatsache, dass diese Angebote tagtäglich in Anspruch genommen werden und sich dabei über die Jahrzehnte fortlaufend entwickelt haben. Ob dies jedoch letztlich als aussagekräftiges Argument genommen werden kann, dass Nutzer_innen dieser Angebote, diese tatsächlich als positiv und zuverlässig empfinden, bleibt an dieser Stelle offen und somit Gegenstand der vorliegenden Untersuchung.

Zudem konnte im Laufe des ersten Abschnittes gezeigt werden, dass dieses Spannungsfeld nicht nur die Professionellen tangiert, sondern auch die Familien selbst. So

wurde hierbei davon ausgegangen, dass die gesellschaftlichen Ordnungszwänge den Blick auf Behinderung nach wie vor aus einem defizitären Blick forciert und auch Eltern von behinderten Kindern, sich diesen Normvorstellungen nicht entziehen können. Daher muss angenommen werden, dass Eltern die Behinderung ihres Kindes als belastend empfinden. Zudem stellt sich die Frage, ob Eltern von behinderten Kindern auf Grund der täglichen Konfrontation mit der Behinderung überhaupt ein gängiges Verständnis der Norm aufweisen und sich in diesem Sinne eventuell sogar für die Behinderung ihres Kindes schämen.

Verfolgt man an dieser Stelle zudem den Gedanken, dass sich durch eine Veränderung des Blickes auf Behinderung, wie in der hier vorliegenden Arbeit beschrieben, von einem defizitären zu einem inklusiven Verständnis gewandelt hat, muss davon ausgegangen werden, dass Professionelle ihre Tätigkeit im Rahmen einer Individuums-bezogenen Pädagogik strukturieren müssen und dabei vor allem auf einer interpersonellen Ebene auf die Bedürfnisse der jeweiligen Individuen eingehen müssen. Daher wird angenommen, dass Vertrauen in Prozessen der pädagogischen Koproduktion als zentrales Element einer fortschrittlichen Pädagogik im Sinne des Inklusionsgedankens eine wesentliche Rolle spielt.

Als zusätzlicher Belastungsfaktor soll zudem der Frage nachgegangen werden, inwiefern Nutzer_innen dieses Angebot als einen Eingriff in ihre Privatsphäre empfinden. Da HPFH ihre Tätigkeit im privaten Raum der Familie vornimmt und das grundlegende Konzept überhaupt erst auf diesem Aspekt fußt, muss davon ausgegangen werden, dass dieser ambulante Dienst aus der Perspektive von Nutzer_innen als ein Eingriff in ihre Privatsphäre empfunden wird, den diese in diesem Sinne auch als Belastung empfinden.

5 Befundanalyse, theoretische Untermauerung der Fragestellungen

Um die eingangs gestellten Fragen überprüfen zu können, sollen diese mit den Mitteln der empirischen Sozialforschung beantwortet werden. Dabei sollen diese mittels eines standardisierten Fragebogens, der von Familien mit einem behinderten Kind, welche HPFH in Anspruch nehmen beantwortet und schließlich ausgewertet werden. Welche Vorgehensweise dazu nötig ist und wie sich die gestellten Fragen dabei theorie- und befundbezogen operationalisieren lassen, ist Aufgabe dieses Abschnitts.

Die Erhebung der Daten erfolgte dabei mit tatkräftiger Unterstützung der Heilpädagogische Familienhilfe gGmbH (HPF). Diese Einrichtung mit Sitz in Landeck Tirol ist ein Unternehmen, das sich, seit ihrer (Neu) -gründung im Jahre 2007, mit Heilpädagogischer ambulanter Familienarbeit auseinandersetzt und dabei mobile Frühförderung bzw. mobile Förderung im häuslichen Umfeld, sowie Entwicklungsförderung für Kinder von 0 bis 18 Jahren und den damit verbundenen Familien anbietet. Das Unternehmen hat sich dabei einem Ansatz verschrieben, der ein Prinzip der Ganzheitlichkeit verfolgt. Dazu zählen vor allem die Förderung von Entwicklungsverzögerungen, Förderung auf einer allgemein-medizinischen, einer psychiatrisch-neurologischen, einer funktionalen, einer intrapersonellen, einer interpersonellen und einer systemischen Ebene. Die Rolle, die das Unternehmen in der hier vorliegenden Arbeit spielt, ist die Grundlage dafür, dass diese Arbeit überhaupt erst möglich geworden ist. In enger Zusammenarbeit mit der Leitung der HPF wurde dabei zunächst das grundlegende Anliegen dieser Arbeit geklärt und darauffolgend ein Fragebogen erstellt, welcher per Postweg sodann an eine zuvor bestimmte Auswahl von Klient_innen geschickt wurde.

Welche Auswahlkriterien sich dabei in Bezug auf die Stichprobe ergeben haben, wird im Kapitel 7.1 näher erläutert. Im nun folgenden Kapitel werden jedoch zunächst die vier leitenden Fragen mit theoretischen und empirischen Befunden unterfüttert und sodann im darauffolgenden Abschnitt entsprechend aufbereitet bzw. für die Erstellung des Fragebogens entsprechend in einzelne Items umgewandelt, die sodann im Zuge der Aussendung des Bogens an die einzelnen Familien jene Daten ergeben, die zur späteren Auswertung zwingend notwendig sind.

5.1 Die Frage nach der Behinderung als Belastung und Stigma abseits der