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6. F ORSCHUNGSMETHODE

6.2 Qualitative Interviews

Als Erhebungsmethodik im sozialen Kontext hat sich das qualitative Interview bewährt. Im folgenden Abschnitt wird darauf eingegangen, welche Spezifika das Interview mit Expert/innen aufweist und welche Schritte in der praktischen Umsetzung zu beachten sind.

6.2.1 Besonderheiten des Expert/innen-Interviews

Die grundsätzliche Definition eines Interviews ist beschrieben als „ein planmäßiges Vorgehen mit wissenschaftlicher Zielsetzung, bei dem die Versuchsperson durch eine Reihe gezielter Fragen oder mitgeteilter Stimuli zu verbalen Informationen veranlasst werden soll“ (Schauch 1967: 70, zitiert nach Lamnek 2005: 330). Als passendes Instrument für die verbale Erhebung der Daten wird das leitfadenorientierte Expert/innen-Interview gewählt. Als Expert/innen werden Personen bezeichnet, die aufgrund ihrer Repräsentant/innenfunktion besondere Erkenntnisse zum Forschungsgegenstand besitzen. Gegenstand der Analyse ist nicht der Mensch in seinem gesamten Lebensumfeld und seiner Biographie, sondern vor allem organisatorische, berufliche und institutionelle Erfahrungen. Der Expert/innen-Status wird von der forschenden Person verliehen und es sollte nach den Kriterien der Problemlösungskompetenz und der Entscheidungsstruktur selektiert werden (Meuser & Nagel 2005: 71ff).

Expert/innen müssen sorgfältig ausgewählt sein, um tatsächlich über das erforderliche und speziell ihnen zugeschriebene Rollenwissen zu verfügen. Es ist ratsam, von mehreren Interviewpartner/innen Informationen über den gleichen Sachverhalt einzuholen, um die Thematiken von einer im Interview auftauchenden allzu persönlichen Perspektive trennen zu können. Folgende Fragestellungen bieten sich zur Auswahl an: Wer verfügt über die

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richtigen Informationen? Wer ist in der Lage diese preiszugeben? Wer ist bereit interviewt zu werden? Wer ist verfügbar? (Gläser & Laudel 2010: 117). Expert/innen können prinzipiell verschiedene Formen des Wissens zur Verfügung stellen: Betriebswissen (zu betrieblichen Praktiken in der jeweiligen repräsentierten Institution), Deutungswissen (aufgrund ihres Sachverständigen-Status innerhalb und außerhalb der Organisation) und Kontextwissen (bezogen auf weitere Inhalte, die im Zentrum der Forschung stehen). Je nach Fragestellung des Forschungsvorhabens sollte entschieden werden, welche Perspektiven gewählt bzw.

miteinander verknüpft werden (Przyborski 2010: 132f). Für die Erstellung dieser Arbeit erwies sich primär das Betriebswissen als interessantes Feld der Forschung. Bei den befragten Projektleiter/innen im Bereich Gemeinwesen- und Stadtteilarbeit bei der Caritas Wien kann aufgrund ihres Status von ausreichenden Kenntnissen bezüglich der Forschungsfrage ausgegangen werden (GWA, Ziele, Controlling, etc.) und sie wurden daher als Expert/innen ausgewählt.

6.2.2 Erstellung des Leitfadens

Entscheidend für ein zielführendes Expert/innen-Interview ist der Leitfaden. Dieser kann stärker strukturiert sein als in qualitativen Interviews üblich, da nach relevanten Informationen gezielt gefragt bzw. zu spezifischem Erzählen aufgefordert wird.

Thematische Sprünge sind hierbei natürlich möglich. Der Vorteil des Leitfadens liegt in der erleichterten Auswertung, da Unterthemen quer durch alle Interviews verfolgt werden können (Helfferich 2009: 179f). Zur Auswahl der passenden Fragestellungen werden zwei primäre Fragetypen unterschieden, und zwar nach inhaltlichen und funktionalen Aspekten.

Bei Fragen nach dem Inhalt werden vier weitere Unterkategorien genannt: Fragen nach Erfahrungen (indivuduelle Beobachtungen und Erfahrungen aus dem betrieblichen Alltag bzw. aus der Berufslaufbahn), Wissensfragen (akkumuliertes Wissen abseits vom eigenen Erleben), Hintergrundfragen (demographische Daten) und Meinungsfragen (zu Prozessen, Handlungszielen und Motiven). Die Gesamt-Typisierung wird in Abbildung 9 dargestellt (Gläser & Laudel 2010: 122ff).

Abbildung 9: Typisierung von Interviewfragen (Gläser und Laudel 2010)

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Zur Erstellung eines strukturierten Leitfadens bietet sich das SPSS-Prinzip an („Sammeln – Prüfen – Sortieren – Subsumieren“). In einem ersten Schritt werden möglichst viele Fragen in Form eines Brainstormings gesammelt (Was möchte ich wissen? Was interessiert mich?). Daran anschließend wird die erstellte Fragenliste unter den Aspekten des Vorwissens und der Offenheit reduziert und hinsichtlich der Prioritäten der Forschungsfrage geprüft. Die verbleibenden Fragen werden sortiert sowie Themenblöcke und Hauptfragen gebildet, welche die Struktur des Leitfadens festlegen (Helfferich 2009: 182ff).

Bei der Erstellung des in Anhang A beigefügten Fragebogens lag der Fokus bei inhaltlichen Aspekten, konkret bei Faktenfragen nach Erfahrungen im jeweiligen Projekt.

Steuerungsfragen spielten bei der Gestaltung des Gesprächsablaufs ebenfalls eine Rolle (als Erzählanregungen, Einleitungsfragen sowie Wiederaufnahmefragen). Die Vorgehensweise laut SPSS-Prinzip wurde befolgt. Im Leitfaden gab es 12 Fragen, wobei diese in 4 Kategorien unterteilbar sind (Projektbeschreibung als Einleitungsfrage, Finanzierung des Projektes und deren Auswirkung, Zielsetzungen, Erfolgsmessung und Kennzahlen, wünschenswerte Kennzahlen als Abschlussfrage). Es wurden Unterfragen vorformuliert, um bei Bedarf gezielt nachfragen zu können.

Die Prinzipien der Gesprächsführung waren bei der Erstellung des Leitfadens gewährt. Das Interview soll sich vom Allgemeinen zum Spezifischen hin orientieren und an der Perspektive der Befragten seinen Ausgangspunkt nehmen. Daher empfiehlt sich eine offene, eventuell narrative Einstiegsfrage (Kriterium der Offenheit). Daran anschließend und im Zuge des Gesprächsverlaufs ergeben sich spezifischere Nachfragen, die

„signifikante Konfigurationen“ beleuchten (Kriterium der Spezifität). Fragen sollen generell so gestellt werden, dass die Sachverhalte in Hinblick auf ihre subjektive bzw. institutionelle Relevanz hin analysiert werden können (Kriterien der Kontextualität und Relevanz).

(Przyborski 2010: 140f). Für eine effektive Planung von Interviews wird eine Orientierung an den typischen Phasen der Gesprächsführung empfohlen (Lueger 2010: 175):

1. Interviewplanung (Auswahl potentieller Gesprächspartner/innen und Klärung des Zugangs,…),

2. Kontaktaufnahme (Erstkontakt, Vorstellung des Anliegens und Vorabinformationen,…),

3. Gesprächseinstieg (Einwilligung zur Tonbandaufnahme, Rahmenbedingungen klären, weitere Verwendung der Daten besprechen,…),

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47 4. Hauptgespräch

o narrative Einstiegsphase

o gesprächsimmanentes Nachfragen (Klärungen, Vertiefungen, offene Formulierungen)

o exmanentes Nachfragen (Themen die noch nicht angesprochen wurden) und

o Resümee

5. Nachgespräch (informeller Austausch, Fixierung von Vereinbarungen, Verabschiedung).

Abschließend empfiehlt sich für die Durchführung eines Expert/innen-Interviews eine gesprächssteuernde Vorgehensweise, die sich an den zuvor ausformulierten Fragestellungen orientiert. Die ermöglicht es seitens des/der Interviewers/in, die Anzahl von misslungenen Interviews zu minimieren. Darunter werden folgende Szenarien verstanden (Lueger 2010: 175):

• ein Abblocken des/r Expert/in, da er/sie gar kein/e Expert/in ist

• ein Gesprächsverlauf über interne betriebliche Verwicklungen statt über das eigentliche Thema

• ein laufender Rollenwechsel zwischen Expertenrolle und Privatmensch

• ein „rhetorisches Interview“ (Monolog des/der Experten/in anstatt Frage-Antwort-Ablauf).

Ein gut strukturierter Leitfaden und eine sorgfältige Auswahl der Interviewpartner/innen können sehr unterstützend dabei wirken, misslungene Interviews weitestgehend zu vermeiden (Flick 2016: 216f).

6.2.3 Samplingstrategie

Im Forschungsprozess müssen regelmäßig Entscheidungen getroffen werden, die sich auf die Qualität der gewonnenen Daten bzw. die Auswertung auswirken (z.B. welche Personen befragt werden, welche Interviews für die Auswertung berücksichtigt werden, etc.). Obwohl für qualitative Erhebungen als Auswahlstrategie oftmals theoretisches Sampling empfohlen wird, ist das Expert/innen-Interview eher dem statistischen Sampling zuzuordnen (Flick 2016: 154ff). Dies trifft auf die vorliegende Arbeit insbesondere zu, da die Grundgesamtheit der Stichprobe und deren Größe bereits vorab bekannt waren. Die Merkmalsverteilung kann ebenfalls als bekannt angenommen werden, da der Status „Projektleiter/in“ bereits feststand. Das Sampling war beendet, als die gesamte Stichprobe untersucht wurde (d.h.

nach dem letzten Interview). Im Gegensatz dazu unterliegt beim theoretischen Sampling die Auswahl der Stichprobe einem laufenden Prozess, d.h. es kommen wiederholt neue

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Interviewpartner/innen hinzu. Das letzte Interview zeichnet sich durch einen Grad an Sättigung aus, da keine neuen Erkenntnisse mehr gewonnen werden können (Flick 2016:

161). An dieser Stelle muss erwähnt werden, dass im vorliegenden Fall vorab keine - wie in der qualitativen Sozialforschung üblichen - kontrastierenden Extremfälle oder typische Fälle bestimmt werden konnten, da die Interviewpartner/innen lediglich nach ihrer Expert/innen-Funktion ausgewählt wurden (Helfferich 2009: 172f).

6.2.4 Durchführung der Interviews

Bei einem Vorgespräch zwischen der Autorin und der Bereichsleitung im August 2016 wurde die Auswahl der Interviewpartner/innen festgelegt. Die Interviewpartner/innen wurden im Anschluss daran über die Assistenz der Bereichsleitung bezüglich der bevorstehenden Interviews per E-Mail über informiert. In der E-Mail waren Informationen zu Forschungsfrage sowie die Kontaktdaten der Autorin enthalten. Der Bereichsleitung und der Assistenz kommt somit eine „Türwächter“-Funktion zu, da sie den Zugang zum Feld ermöglicht haben (Wolff 2004: 342). In weiterer Folge kam es zu einer Kontaktaufnahme seitens der Autorin mit den Projektleiter/innen. Es waren sechs Interviews zu sieben Projekten geplant, da eine Leitung für insgesamt drei Projekte zuständig war. Die schlussendlich fünf Interviews fanden im Zeitraum Februar bis April 2017 in den jeweiligen Büro-Räumlichkeiten der Caritas Wien in den Wiener Gemeindebezirken Favoriten, Hernals und Döbling statt (Ankerbrot-Fabrik, Stand 129, Brunnenpassage und young caritas Gürtelbögen).

Eine Auseinandersetzung mit ethischen Fragen ist für qualitative Interviews obligatorisch.

So muss eine schriftliche Einwilligungserklärung der Interviewpartner/innen vorliegen, die Aspekte wie den Datenschutz, die Garantie der Vertraulichkeit, die Anonymisierung der Transkripte, das Trennungs- und Löschungsgebot der Audioaufnahmen/Transkripte sowie die Verplichtung der Mitarbeitenden auf die Wahrung des Datengeheimnisses umfasst (Helfferich 2009: 190f). Die Interviews bei der Caritas Wien dauerten zwischen 30 und 45 Minuten und wurden anhand des zuvor erstellten Leitfadens unter Zuhilfenahme eines Diktationsgerätes geführt. Es wurden seitens der Autorin stichworthafte Notizen getätigt, um für detaillierte Nachfragen Anhaltspunkte zur Verfügung zu haben. Eine Einverständniserklärung wurde jeweils zu Beginn des Interviews unterfertigt und anschließend elektronisch zugesendet. Die Gesprächsatmosphäre wurde seitens der Studierenden als sehr offen, wertschätzend und kooperativ empfunden. Es kam nach jedem Interview im Anschluss zu einem informellen Austausch und in zwei Fällen wurden weiterführende Informationen zur SROI-Analyse seitens der Autorin elektronisch zugesendet. In einem Fall kam es durch die Studierende zu einer ersten Vernetzung bezüglich einer möglichen weiteren Kooperation zwischen der FH Campus Wien und einem

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Caritas-Projekt. Es wurden zu jedem Interview Zusatzprotokolle angelegt, um Informationen im Zuge des informellen Austausches sowie Folgeaktivitäten nach den Interviews festzuhalten. Eine Anonymisierung der Ergebnisse sowie die Zusendung der fertig gestellten Masterarbeit wurden seitens der Autorin mit der Bereichsleitung vereinbart.