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Postoperative Schmerzbeurteilung .2 Verhalten

2 Schmerzbeurteilung bei Hund und Katze .1 Intraoperative Schmerzbeurteilung

2.2 Postoperative Schmerzbeurteilung .2 Verhalten

Die Schmerzbeurteilung beim Tier erweist sich oft als schwierig, da dazu einerseits die speziesspezifischen Verhaltensmuster bekannt sein müssen, die mit Schmerz in Verbindung gebracht werden können und es andererseits große individuelle, alters- und rassespezifische Unterschiede in der Reaktion auf den Schmerz gibt (TAYLOR u. HOULTON 1984;

MORTON u. GRIFFITH 1985; SMITH 1987; WATERMAN u. KALTHUM 1988;

LASCELLES et al. 1994 b; SMITH et al. 1996; WATERMAN-PEARSON 1997; HOLTON et al. 1996, 1997, 1998 a, b; HARDIE 2001). So scheinen Katzen Schmerzen im Allgemeinen stoischer zu erdulden als Hunde. Aber auch bei den verschiedenen Hunderassen gibt es große Unterschiede, wie empfundener Schmerz im Verhalten ausgedrückt wird. Entsprechend verleihen z.B. Labradorretriever und generell Rassen, die zu Sport oder Arbeit eingesetzt werden, ihrem Schmerz weniger deutlich Ausdruck als Vertreter der Windhund-, Terrier- oder Toyrassen, und junge Tiere zeigen sehr viel früher und deutlicher den empfundenen Schmerz (HART u. MILLER 1985; WRIGHT et al. 1985; BENSON u. THURMON 1987; FAGELLA 1997). Zudem sollte die Möglichkeit, dass Tiere ihren Schmerz nicht zeigen oder der Mensch die Anzeichen falsch deutet, immer in Betracht gezogen werden (JOHNSON 1991). In vielen Fällen muss deshalb das Analogieprinzip zum Menschen herangezogen werden, da gleiche pathophysiologische Prozesse bei der Schmerzentstehung beteiligt sind: Eingriffe, die beim Menschen als schmerzhaft gelten, sind dies auch beim Tier (FLECKNELL 1991; JOHNSON 1991; HASKINS 1992; FLECKNELL 1994; MATHEWS 2000). Im Zweifelsfall sollte immer eine analgetische Behandlung durchgeführt werden (BROCK 1995; HENDRIX u. HANSEN 2000).

Die Schmerzbeurteilung erfolgt im Wesentlichen durch Beobachtung des Spontanverhaltens aus der Distanz sowie durch die durch Annäherung und Berührung ausgelösten Verhaltensänderungen, wobei die kontinuierliche Beobachtung dem Untersucher bessere Ergebnisse liefert als die diskontinuierliche (PASCOE u. DYSON 1993). Die Schmerzbeurteilung eines Patienten sollte möglichst nur durch eine Person erfolgen, um Diskrepanzen zwischen verschiedenen Untersuchern auszuschalten (HOLTON et al. 1996, 1998b). Nach JOHNSON (1991), BROCK (1995) und HANSEN (1997) können die folgenden Verhaltensweisen als Zeichen von Schmerz gedeutet werden: ängstliche Mimik, weit geöffnete Augen mit Mydriasis, Lautäußerung, Depression, Vermeiden bestimmter Positionen, Inappetenz oder Anorexie, Aggression bei Annäherung oder Berührung (Bewachen des Operationsgebietes), Schmerzäußerungen bei Palpation, sistierender Kot- und

Urinabsatz. Aber auch Tachykardie und Hypertonie sowie Tachypnoe werden zu den Schmerzindikatoren gerechnet.

Ein weiteres Hilfsmittel der Schmerzdiagnostik ist die Veränderung der Verhaltensweisen nach Analgetikumgabe, die so genannte diagnostische Therapie (COX u. RIEDESEL 1997;

GRISNEAUX et al. 1997, 1999; SLINGSBY u. WATERMAN-PEARSON 1998).

2.2.3 Deskriptive und numerische Schmerzbeurteilungssysteme (SDS, NRS)

Durch verschiedene Bewertungssysteme wird versucht, das gezeigte Verhalten zu quantifizieren. So enthalten einfach beschreibende Systeme (simple descriptive scale, SDS) bis zu 5 Kategorien mit einer jeweils umschreibenden Definition zur Festlegung des Schmerzgrades. Sie stellen aber insgesamt ein wenig sensitives System dar (BATEMAN et al.

1994; HOLTON et al. 1996, 1997, 1998b; FIRTH u. HALDANE 1999).

Das am häufigsten eingesetzte numerische System (numerical rating scale, NRS) bewertet verschiedene Verhaltensparameter, deren Ausprägungsgrade anhand exakter Erläuterungen steigenden Zahlenwerten zugeordnet werden. Die Beurteilung in den einzelnen Kategorien erfolgt dabei zunächst aus der Distanz und dann nochmals nach Interaktion mit dem Patienten. Beispiele einer multifaktoriellen numerischen Schmerzskala sind in den Tabellen 8 und 14 im Abschnitt Material und Methoden abgebildet. Die in den einzelnen Kategorien vergebenen Punktzahlen werden schließlich zu einer NRS-Schmerzzahl addiert (CONZEMIUS et al. 1997; HOLTON et al. 1997, 1998 a, b; FIRTH u. HALDANE 1999). Da die vergebenen Punktzahlen ganze Zahlen sind, wird zwischen den einzelnen Kategorien eine gleiche Wertigkeit impliziert, die so nicht in allen Fällen zutrifft (FIRTH u. HALDANE 1999). Daher fehlt diesen Systemen oftmals die Spezifität, da viele Verhaltensmuster zwar einerseits Schmerz bedeuten, aber ebenso auch durch andere Ursachen begründet sein können.

So kann „Vokalisation“ durchaus auch auf eine Opioidwirkung zurückzuführen sein und würde dann in numerischen Systemen zu einer fälschlich erhöhten Schmerzzahl führen (MATHEWS 2000). Auch CONZEMIUS et al. (1997) stellten in einer Untersuchung an Hunden eine enge Korrelation zwischen Ausmaß der „Vokalisation“ und Höhe des mittels numerischen Systems ermittelten Schmerzgrades fest. Daher bewerteten sie das numerische Schmerzbeurteilungssystem als wenig sensitiven Parameter, zumal es außerdem eine enge Korrelation zu dem als sensitiv beurteilten Parameter „mechanisch nozizeptive Schwelle“

vermissen ließ.

Viele dieser Systeme enthalten außerdem die physiologischen Parameter Herz- und Atemfrequenz sowie Blutdruck und vergleichen sie mit Referenzwerten oder den individuell gemessenen Basiswerten vor der Narkose (DAY et al. 1995; SAMMARCO et al. 1996; COX u. RIEDESEL 1997; HELLYER u. GAYNOR 1998; FIRTH u. HALDANE 1999).

2.2.4 Visuell analoges Schmerzbeurteilungssystem (VAS)

Beim visuell analogen System (visual analogue scale) wird auf einer horizontalen Skala zwischen 0 (kein Schmerz) und 100 (extremer Schmerz) der Schmerzgrad des Patienten

markiert. Die Bewertung erfolgt dabei auf Grundlage der Bewertung von Verhaltensweisen des Patienten aus der Distanz bzw. deren Änderung nach Interaktion und möglicherweise sogar Berührung des Operationsgebietes (REID u. NOLAN 1991; LASCELLES et al. 1994a, b, 1995, 1998; HOLTON et al. 1996, 1998 b; STANWAY et al. 1996; BRODBELT et al.

1997; BALMER et al. 1998; SLINGSBY u. WATERMAN-PEARSON 1998; REESE et al.

2000; MATHEWS et al. 2001; SLINGSBY u. WATERMAN-PEARSON 2001, 2002). Die visuelle Analogskala enthält einen großen Spielraum für den Beobachter, da sie keine definierten Kategorien vorgibt. Sie erfordert dadurch aber ein größeres Maß an Erfahrung, gilt allerdings - zumindest bei geübten Untersuchern - als sensitivstes Schmerzbewertungssystem (MANNE et al. 1992; WELSH et al. 1993; LASCELLES et al. 1994a; SAMMARCO et al.

1996; HOLTON et al. 1998 b; FIRTH u. HALDANE 1999). Auch in einer humanmedizinischen Studie wurde das visuell analoge System gegenüber den numerischen Systemen als sensitiver eingestuft (JOYCE et al. 1975). Einige Autoren postulieren jedoch eine gute Korrelation zwischen dem visuell analogen System und numerischen Schätzskalen (WELSH et al. 1993; HOLTON et al. 1996; CONZEMIUS et al. 1997), zeigen aber auch hier die Gefahr einer Fehleinschätzung des Schmerzgrades durch eine falsche Bewertung der

„Vokalisation“ auf (CONZEMIUS et al. 1997), wodurch die Sensitivität auch dieses Systems eingeschränkt ist. Nach HANSEN (1997) werden Patienten mit extremeren Laut- und Verhaltensäußerungen automatisch als schmerzhafter eingestuft.

2.2.5 Mechanisch nozizeptive Schwelle

Die Bestimmung der Schmerzgrenze erfolgt durch definierte und gezielte Druckausübung im Operationsbereich. Dabei wird die Druckintensität ermittelt, ab der das Tier mit Abwehrreaktionen reagiert (CHAMBERS et al. 1990; LEY et al. 1996; SAMMARCO et al.

1996; THORNTON u. WATERMAN-PEARSON 1997; LASCELLES et al. 1998;

SLINGSBY u. WATERMAN-PEARSON 2001). Nach CONZEMIUS et al. (1997) stellt die Messung der Schmerzschwelle das sensitivste Kriterium zu Beurteilung operationsbedingter Schmerzen dar. Die Autoren beurteilen die Aussagekraft der Schmerzschwelle höher als die der visuell analogen und insbesondere der numerischen Systeme, zu denen keine engen Korrelationen ermittelt werden konnten. Nach LASCELLES et al. (1998) kann darüber hinaus die infolge zentraler Sensibilisierung entstandene sekundäre Hyperalgesie durch Messung der nozizeptiven Schwelle des der Verletzung benachbarten Gewebes evaluiert werden.

2.2.6 Physiologische Schmerzindikatoren

Während der Anstieg von Herz- und Atemfrequenz sowie des arteriellen Blutdrucks intraoperativ sehr wichtige Schmerzindikatoren darstellen (WHITE u. BOYLE 1989;

HASKINS 1992, 1999; OTTO u. GERICH 2001; RAYMONDOS et al. 2003), wird ihre Bedeutung im Rahmen der postoperativen Schmerzbeurteilung sehr kontrovers diskutiert, da sie auch durch viele andere Faktoren, wie beispielsweise durch Angst oder Analgetikawirkungen, ausgelöst werden können. Dies gilt in besonderem Maße auch für die

Mydriasis und Salivation (CONZEMIUS et al. 1997; HANSEN et al. 1997; HELLYER u.

GAYNOR 1998; HOLTON et al. 1998 a). Nur wenige Studien an Hunden und Katzen konnten bisher eine enge Korrelation zwischen diesen physiologischen Schmerzindikatoren und den in numerischen oder visuell analogen Schmerzbeurteilungssystemen subjektiv ermittelten Schmerzgraden belegen. So zeigte sich in einer Studie von SMITH et al. (1996) an Katzen nach Ovariohysterektomie der mittels Ultraschalldoppler gemessene systolische arterielle Blutdruck als sensitivster Schmerzindikator in der postoperativen Phase. HOLTON et al. (1998a) fanden dagegen in einer Studie an Hunden sowohl nach orthopädischen wie weichteilchirurgischen Eingriffen keine enge Korrelation zwischen Herz- und Atemfrequenz sowie Pupillenweite und NRS-Schmerzzahlen. Ebenfalls war in der Untersuchung von CONZEMIUS et al. (1997) keine deutliche Übereinstimmung zwischen NRS- und VAS-Schmerzzahlen einerseits und physiologischen Parametern, wie Atem- und Herzfrequenz sowie Blutdruck nachzuweisen.

Dennoch sind die physiologischen Schmerzindikatoren bisher in vielen numerischen Systemen als eigenständige Kategorien integriert (SAMMARCO et al. 1996; HOLTON et al.

1997; HELLYER u. GAYNOR 1998; FIRTH u. HALDANE 1999).

2.2.7 Neuroendokrine Stressantwort

Die Ruheausschüttung von Katecholaminen aus dem Nebennierenmark wird zentralnervös reguliert. Im Rahmen einer Notfallsituation erhöht sich deren Ausschüttung, gesteuert durch Hypothalamus und limbisches System (JÄNING 2000). Über eine verstärkte ACTH-Freisetzung aus der Hypophyse beeinflusst der Hypothalamus darüber hinaus die Kortisolausschüttung aus der Nebennierenrinde (WUTTKE 2000). Die normale Kortisolproduktion unterliegt zudem beim Hund, nicht jedoch bei der Katze, einem zirkadianen Rhythmus (PALAZZOLO u. QUADRI 1987; KEMPPEINEN u. PETERSON 1996).

Im Rahmen der neuroendokrinen Stressantwort auf einen nozizeptiven Stimulus hin erfolgt ein markanter Anstieg der Katecholamine (Adrenalin, Noradrenalin), des Kortisols, des Kortikotropins, des antidiuretischen Hormons und des Glukagons (HARDIE u. KYLES 1995). Damit kommt der Bestimmung der Plasmakonzentrationen von Kortisol, Adrenalin, Noradrenalin, Blutglukose und Fettsäuren im Rahmen der Schmerzbeurteilung eine besondere Bedeutung zu (LEY et al. 1991; VAINIO 1993; LASCELLES et al. 1994b; SMITH et al.

1996; HANSEN et al. 1997; RECTOR et al. 1997, 1998; GRISNEAUX et al. 1999;

HYDBRING et al. 1999; REESE et al. 2000). Die Wertigkeit und damit Zuverlässigkeit dieser Parameter im Rahmen der postoperativen Schmerzbeurteilung wird in der Literatur allerdings sehr kontrovers diskutiert. So konnten POPILSKIS et al. (1993) nach epiduraler Morphingabe beim Hund in den ersten 4 Stunden post operationem deutlich niedrigere Kortisol- und Katecholaminspiegel messen als bei einer Kontrollgruppe und werteten dies als Zeichen einer besseren Analgesie. BENSON et al. (1988) zeigten an isoflurananästhesierten Katzen, dass nach intravenöser Analgetikagabe (Morphin, Xylazin, Azetylsalizylsäure) der postoperative Schmerz, gemessen an der Katecholaminkonzentration vermindert werden

konnte. Auch in weiteren Studien bestätigten die Autoren die Wertigkeit der Katecholaminspiegelmessung für die Schmerzbeurteilung sowie für die Kontrolle der Wirksamkeit der eingesetzten Analgetika (BENSON et al. 1991). Allerdings bleiben hier die zentralen Wirkungen der eingesetzten Analgetika wie z.B. der Opioide und insbesondere der α2-Agonisten zu berücksichtigen (BENSON et al. 1991; VAINIO u. OJALA 1994; RECTOR et al. 1997, 1998). Im Gegensatz dazu fanden SMITH et al. (1996) bei Katzen nach Ovariohysterektomie zwar eine gute Korrelation zwischen Höhe des Plasmakortisolspiegels und dem Schmerzgrad, nicht jedoch zwischen den Katecholaminspiegeln und dem Schmerzgrad. Auch ZETNER et al. (1996) stellten nach Therapie chronischer paradontaler Schmerzen bei Katzen zwar eine gute Korrelation des Schmerzgrades mit den Kortisol- und Blutglukosespiegeln fest, nicht jedoch mit den Katecholaminspiegeln. Im Gegensatz dazu bewerten SMITH et al. (1996) den Blutglukosespiegel im Vergleich zum Kortisolspiegel als nicht geeigneten Schmerzindikator. In einer Studie von DAY et al. (1995) an Hunden nach Kreuzbandoperationen, die Morphin intraartikulär oder epidural erhalten hatten, ließ sich dagegen kein Zusammenhang zwischen Schmerzgrad und den endokrinen Parametern Kortisol und Katecholamine sowie dem metabolischen Parameter Glukose herstellen. Auch Rector et al. (1997, 1998) fanden bei Hunden nach epiduraler Xylazinapplikation keine eindeutige Korrelation zwischen Schmerzgrad und Kortisol und Katecholaminspiegeln.

Entsprechende Resultate hatten auch REESE et al. (2000). Nach MORTEN und GRIFFITH (1985) sind die endokrinen und metabolischen Reaktionen demnach keine zuverlässigen Schmerzindikatoren.