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Popper Lynkeus’ frühe Forderung nach einem BGE

Im Dokument Stefan Krase, Bakk. Masterarbeit (Seite 53-58)

6.   BGE – Modelle

6.1   Popper Lynkeus’ frühe Forderung nach einem BGE

„So lange es vorkommt, dass auch nur ein einziger Mensch hungert oder in seiner Lebenshaltung nicht gesichert ist, so lange taugt die ganze Gesellschaftsordnung nichts.“ (Popper-Lynkeus 1912, S. 13)

Die soziale Frage, welche die Sicherung der Lebenshaltung und Unabhängigkeit betrifft, bewegt Josef Popper-Lynkeus. Er forderte bereits 1912 zu mehr Solidarität unter den StaatsbürgerInnen auf. Seinen Überlegungen zufolge sollte es nicht möglich sein, dass manche Menschen Hunger leiden, während andere Essen im Übermaß haben. Er vertrat die Meinung, dass es wie in einer belagerten Festung sein müsse, hungert einer, hungern alle. Sollte die Produktionstechnologie, die für jedermann genügend Essen und Grundgüter bereitstellt, nicht vorhanden sein sollten alle im selben Ausmaß darunter leiden. (Popper-Lynkeus 1912, S. 13)

Überlegungen zu Werten, Normen und Gerechtigkeit bilden die Basis seiner Bestrebungen. Laut seinem Verständnis, gilt es jede(n) einzelne(n) StaatsbürgerIn von Not oder gar der Angst vor Not, durch die Gewährleistung eines BGE, zu befreien. (vgl. Popper-Lynkeus 1912, S. 516)

Er glaubt diese durch die Institution einer Minimum- oder Nährarmee, die alle Güter die Grundbedürfnisse betreffen produziert, in den Griff zu bekommen. Zu diesen Gütern zählt er diejenigen, die für eine angenehme Lebensführung notwendig sind.

Diese Versorgung, die zur Deckung des Existenzminimums dient wird ausschließlich in Naturalien bzw. in Form von Dienstleistungen ausbezahlt. All jene Güter, die über

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dieses Minimum hinausgehen, sind nicht beinhaltet und werden außerdem weiterhin in Händen der UnternehmerInnen bleiben. (vgl. Popper-Lynkeus 1912, S. 5)

Popper-Lynkeus denkt nicht, dass die Nationalökonomie im Stande ist die soziale Frage zu verstehen und schreibt: „Die kaufmännische Auffassung der Gesamtwirtschaft hindert in ganz besonderem Grade eine Beurteilung derselben vom humanen, sozialistischen Standpunkte aus.“ Weiters schreibt er

[SozialökonomInnen glauben] ... dass der Zinsfuß niedrig gehalten werden soll und dergleichen mehr. Davon versprechen sie sich eine außerordentliche Erhöhung der Produktion und Beseitigung der Not.“ Was jedoch seiner Meinung nicht ausreichen kann, um dies zu bewerkstelligen. (Popper-Lynkeus 1912, S. 73) Er hingegen ist der Meinung, dass sich die Mitglieder einer Gesellschaft eher als Mitglieder einer Familie betrachten sollten, in welcher jedes Mitglied zur Beschaffung des Notwendigen beitragen muss. (vgl. Popper-Lynkeus 1912, S. 74) Deshalb fordert er eine Minimum-Institution, welche sich um die Beschaffung der notwendigen Güter für die Deckung der primären Bedürfnisse, Nahrung, Kleidung, Wohnung und medizinische Versorgung, kümmert. Außerdem werden auch sekundäre Güter, welche vor allem Kulturgüter bezeichnen, bereitgestellt. Luxusgüter werden weiterhin der privaten Wirtschaft überantwortet. Über den Inhalt der primären und sekundären Güterbündel wird in ungefähr 10jährigen Intervallen abgestimmt, um somit auf die sich wandelnden Bedürfnisse einzustellen. Das gesamte Minimum wird von der Nährarmee produziert und bereitgestellt, wobei für die sekundäre Bedürfnisbefriedigung Geldmittel zugeteilt werden. (vgl. Popper-Lynkeus 1912, S.

334) Die Höhe des sekundären Anteils des BGE, welcher bar ausgezahlt wird, errechnet sich für Popper-Lynkeus aus den gut nachvollziehbaren Lebenshaltungskosten, dem Durchschnittseinkommen bzw. dessen prozentuelle Verwendung. Er folgert daraus, dass in etwa ein Fünftel des Wertes des primären Einkommens jährlich in bar ausgezahlt werden sollte. (vgl. Popper-Lynkeus 1912, S.

338) Durch die Beschaffung der primären Güter in Naturalien und die damit einhergehende Vermeidung von Geldmitteln verspricht sich Popper-Lynkeus außerdem den Wegfall von Beschaffungskriminalität und vor allem der Spekulation, welche sich gegenwärtig als besonders problematisch erweist. (vgl. Popper-Lynkeus 1912, S. 340)

Popper-Lynkeus teilt die Wirtschaft sozusagen in zwei Teile. Ein Teil wird staatlich organisiert und kümmert sich um die Besorgung des BGE. Der zweite Teil bleibt

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privatwirtschaftlich, produziert und handelt nur mit Gütern die nicht existenzsichernd sind, Luxusgütern. In diesem zweiten Teil wird es weiterhin alle selbigen Freiheiten und Einschränkungen geben die es auch jetzt gibt. Diesem Teil kommt auch die Motivation für Forschung und Entwicklung zu. Popper-Lynkeus ist der Auffassung, dass F&E nur durch den privaten Sektor in ausreichendem Ausmaß bereitgestellt werden kann. (vgl. Popper-Lynkeus 1912, S. 343)

6.1.1 Finanzierung  

Die Finanzierung soll durch die Einnahmen von staatlichen Monopolen, Steuereinnahmen oder durch das Drucken von Geld finanziert werden. (vgl. Popper-Lynkeus 1912, S. 339) Außerdem muss ein BGE ohne das Heranziehen von Geldmitteln bewerkstelligt werden. Die Auszahlung soll also dementsprechend in Naturalien realisiert werden. Sobald nämlich Geld verwendet wird drohen sich Probleme einzuschleichen. Geschäftliche Spekulationen, Verspielen aber auch Inflation und dadurch entstehende Probleme der Finanzierung des Lebensunterhalts könnten, durch Naturalien ausgeschlossen werden. (vgl. Popper-Lynkeus 1912, S.

345) Wie bereits zuvor erwähnt sollten die Güter des Grundbedarfs durch die Nährarmee bereitgestellt werden. Zu den Kernbereichen Ernährung und Wohnraum stellte Popper-Lynkeus deshalb Berechnungen mittels vorhanden Statistiken an. Im vorliegenden werden die Erkenntnisse pointiert dargestellt.

6.1.1.1 Berechnungen  zur  Ernährung  

Die Analyse der Ernährungsgewohnheiten und ob die Arbeitseinkommen für eine ausgewogene und vor allem ausreichende Ernährung ausreichen bezieht sich auf einige von Popper-Lynkeus zitierte Studien, welche zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

erstellt wurden. Diese attestierten einem Drittel bis zu einer Hälfte der Bevölkerung Unterernährung. Obwohl sich Löhne nominal steigerten, wurden diese Zugewinne durch ein höheres Preisniveau, welches vor allem auf steigende Mietpreise zurückzuführen war, aufgebraucht. Es konnte somit keine Verbesserung der Lebenshaltung erreicht werden. (vgl. Popper-Lynkeus 1912, S. 514)

Für Popper-Lynkeus bedeutete dies, dass trotz fortwährender Anstrengungen und Verbesserungen, in Hinblick auf Produktion und Handel von Gütern, nicht zu einer Verbesserung der Situation der ArbeiterInnen führte. (vgl. Popper-Lynkeus 1912, S.

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515) Popper-Lynkeus wählt daher den Weg über verfügbare Statistiken, über Produktion und physiologisches Wissen und über den menschlichen Energieverbrauch um zu zeigen, welche Mengen an Nahrungsmittel pro Person bereitgestellt werden müssten und auch ob diese innerstaatlich produziert werden können. (vgl. Popper-Lynkeus 1912, S. 524ff)

Er kommt in seinen Berechnungen zum Schluss, dass unter den gegebenen Bedingungen, jeder erwachsenen Person Lebensmittel mit einem Energiewert von 3.677 kcal, anstatt der unterstellten minimalen Menge von 3.100 kcal, bereitgestellt werden können. Dies bedeutete außerdem, dass zusätzlich, anstelle den damals 60 Mio. EinwohnerInnen Deutschlands, 70 Mio. mit dem Minimum versorgt werden könnten. (vgl. Popper-Lynkeus 1912, S. 528)

6.1.1.2 Überlegungen  zur  Wohnraumschaffung  

Erhebungen zufolge mussten ArbeiterInnen zu Beginn des 20. Jahrhunderts rund 25% ihres Einkommens für Mietausgaben aufwenden. Dass die Problematik noch immer aktuell ist kann man an der Tatsache ablesen, dass die mittlere Miete 2010 in Österreich bei 431 € ohne Betriebs- und etwaigen Garagenkosten lag. Das mittlere Nettoeinkommen für unselbständige Erwerbstätige lag in dieser Periode bei 1.628 € pro Monat. Somit mussten durchschnittlich 26,5% des Einkommens für Mietausgaben aufgewendet werden. (eigene Berechnungen, Daten Statistik Austria 2010) Die Kosten waren jedoch weiter im Steigen, weshalb Popper-Lynkeus zu folgenden Überlegungen kam: Wohnungen, vor allem im Stadtgebiet, sollten bereitgestellt werden. Neubauten sollten vor allem durch den Staat oder speziellen Genossenschaften in Angriff genommen werden, jedoch nicht durch die gewinnorientierte Privatwirtschaft. (vgl. Popper-Lynkeus 1912, S. 536)

Des Weiteren fordert Popper-Lynkeus die Einführung einer Wertzuwachssteuer auf Grund und Boden, um die Spekulationen in diesem Bereich zu vermindern. Weitere teils radikale Maßnahmen wie Zwangsenteignung, falls nötig, werden ebenfalls nicht ausgeschlossen. Eine schrittweise Entwicklung zu einer ausreichenden Bereitstellung an Wohnraum, hält Popper-Lynkeus für unmöglich ohne teils radikale Maßnahmen. (vgl. Popper-Lynkeus 1912, S. 540) Konkret wurde somit die Enteignung von bestehendem Wohnraum und die teilweise Neuvergabe desselbigen gefordert. Personen die bereits in ihren eigenen vier Wänden gewohnt haben, dürfen

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Nährarmee sollte für ausreichenden Wohnraum sorgen. Interessant gestaltet sich die Begrenzung der Anzahl an BewohnerInnen einer Stadt. Diese wird ebenfalls durch den Staat festgelegt. Sollte dieses Maximum überschritten werden, müssen etwaige Personen die dennoch in diese Stadt ziehen wollen selbstständig für Wohnraum sorgen. (vgl. Popper-Lynkeus 1912, S. 550)

6.1.2 Schritte  zur  Realisierung  

Popper-Lynkeus nennt drei Punkte die erfüllt sein müssen, um sein Programm umsetzen zu können: (vgl. Popper-Lynkeus 1912, S. 658)

1. Wachsende Unzufriedenheit in der Bevölkerung und der Drang etwas an der Situation zu verändern. Diesen Punkt sah er als erfüllt an.

2. Sein Programm müsse als Lösungsansatz wahrgenommen werden. Von diesem Punkt war man seiner Einschätzung nach weit entfernt.

3. Die Umsetzung selbst, wobei sich das Tempo nach der gesellschaftlichen Zusammensetzung und dessen Reformwillen ableitet.

Ihm ist jedoch stets bewusst, dass man auf eine derartige Reform noch lange warten müsse, da die Gesellschaft einer raschen Zustimmung zu radikalen Reformen nie fähig ist. (Popper-Lynkeus 1912, S. 659) Genaue Zeitangaben kann Popper-Lynkeus nicht machen, unterstellt jedoch eine längere Dauer der Transition, mehr als ein Menschenleben, zum BGE. (vgl. Popper-Lynkeus 1912, S.684)

Ebenfalls lässt Popper-Lynkeus offen wie und nach welchen Regeln die Umstellung zu erfolgen hat. Dies ist nach seiner Auffassung nicht seine Aufgabe, außerdem gäbe es nicht nur eine Möglichkeit das Ziel zu erreichen. (vgl. Popper-Lynkeus 1912, S. 662)

Trotzdem schrieb er seinen Plan zur Überführung nieder. Popper-Lynkeus verdeutlicht wie bisher seine Überlegungen durch Zahlen. Er spielt die Überführung für deutsche Verhältnisse durch und rechnet durch die Umstellung der Wirtschaft mit etwa 11 Mio. Opponenten die sich vor allem aus den LandwirtInnen, KapitaleignerInnen und UnternehmerInnen zusammensetzt. Diese könnten nur effektiv, durch eine hohe Besteuerung auf Kapitaleinkommen und Erbschaften zermürbt werden. (vgl. Popper-Lynkeus 1912, S. 674)

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Für den Übergang zum BGE sieht er zwei Perioden der Transition vor.

Im Rahmen einer Studienperiode gilt es die notwendigen Güter und Bauten zu definieren und deren Zahl zu erheben und festzulegen. Das bisherige Wirtschaftssystem läuft unterdessen unverändert weiter. (vgl. Popper-Lynkeus 1912, S. 685)

Danach werden in der Bauperiode die Pläne der Studienperiode umgesetzt und die Bevölkerung untersteht nun dem Ministerium für Lebenshaltung und gehört somit aktiv zur Nährarmee. Dieser gehört man ab Beginn des 18. bis zum 55. Lebensjahr, für je 8 Stunden pro Tag, an. Diese Zeit wird dann, laut Vorstellung von Popper-Lynkeus, auf lediglich 13 anstatt der zu Beginn 37 zu leistenden Jahre sinken, wenn die Umstellung erfolgt ist. (vgl. Popper-Lynkeus 1912, S. 687ff)

Popper-Lynkeus macht jedoch zum Abschluss seiner Ausführungen nochmals deutlich, dass es nicht auf den Weg der Überführung ankommt. Es gäbe nicht nur einen möglichen Weg zu einem BGE. Viel wichtiger ist jedoch, dass es zu dieser Transition kommt. (vgl. Popper-Lynkeus 1912, S. 701)

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