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Brasilien – Bolsa Familia (Familienförderung)

Im Dokument Stefan Krase, Bakk. Masterarbeit (Seite 84-88)

8.   Praxisbeispiele

8.2   Brasilien – Bolsa Familia (Familienförderung)

Brasilien stellt einen interessanten Boden für Versuche im Bereich des Grundeinkommens dar. Die Verteilung des Familieneinkommens ist 2012 mit einem Gini-Koeffizienten von 0,519 sehr unausgeglichen. Dieses Bild wird durch weitere Zahlen der Einkommensverteilung bestätigt. Demnach verfügen die Reichsten 10%

der Bevölkerung über rund 42,5% des Vermögens, wogegen die Ärmsten 10% nur über 1,2% des Einkommens verfügen. Im Jahr 2008 galten 26% der Bevölkerung als Arm und das, obwohl es nur eine Arbeitslosenrate von rund 6% gibt.22 Im Vergleich zu den USA oder gar Deutschland funktioniert der Umverteilungsmechanismus durch Steuern und Transferleistungen in Brasilien äußerst schlecht. In Deutschland wurde der Gini-Koeffizient 2004 durch Umverteilung von einem Wert vor Steuern und Transferleistungen in Höhe von 55 auf 32 verändert. In Brasilien erfolgte im selben Jahr lediglich eine Veränderung von 67 auf 59. (Künnemann / Leonhard, 2008, S. 32) Deshalb stellt die Familienförderung die Gelegenheit, das soziale Sicherungssystem Brasilien grundlegend zu verändern, dar. Erstmals wird ein landesweiter Sozialgeldtransfer durchgeführt. Auch wenn dieser nur einen sehr kleinen Teil des BIP, gemessen an europäischen Verhältnissen, umverteilt. Bei der Familienförderung

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handelt es sich wie der Name bereits vermuten lässt, nicht um ein bedingungsloses Grundeinkommen. Vielmehr ähnelt es einem BGE und wendet sich jedoch an eine bestimmte Zielgruppe. Diese sind Familien mit einem Pro-Kopf-Einkommen unter 100 Real. Die Gewährung ist außerdem an vier weitere Bedingungen geknüpft.

(Künnemann / Leonhard, 2008, S. 36ff)

• Schulpflichtige Kinder müssen 85% der Schulzeit anwesend sein

• Für Kinder bis 6 Jahren muss eine aktualisierte Impfkarte vorgewiesen werden

• Schwangere oder stillende Frauen müssen regelmäßige ärztliche Untersuchungen in Anspruch nehmen

• Kinderlose Familien in extremer Armut müssen sich Trainingsprogrammen unterziehen

Trotz dieser Bedingungen erreicht die Familienförderung 46 Mio. Personen und somit 25% der Bevölkerung. (Künnemann / Leonhard, 2008, S. 33ff)

8.2.1 Finanzierung  

Da es in Brasilien noch nicht zu einer Anpassung des Steuersystems gekommen ist, wird die Finanzierung über Steuern auf Einkommen sichergestellt. Dies beinhaltet jedoch auch, dass man auf erhaltene Transfers Steuern bezahlen muss. Die Durchschnittsfamilie erhält etwa 64 Real und muss 16 Real wieder als indirekte Steuer abführen. Würde das Steuersystem dahingehend angepasst und die indirekten Steuern für Arme Personen entfallen, dagegen die übrige Bevölkerung etwas stärker besteuert, würde sich mühelos ein BGE für alle gewährleisten lassen.

Der Finanzierungsbedarf liegt im beschriebenen Modus bei lediglich 0,3% des BIP welche an die ärmsten 25% umverteilt werden. Um die Einkommensungleichheiten auf OECD Niveau zu senken müssten jedoch, 10% des Einkommens der Reichsten 20% umverteilt werden. (Künnemann / Leonhard, 2008, S. 35)

8.2.2 Auswirkungen  

Früher wurden Sozialprogramme oft als Geschenk der Politiker an die Armen gesehen, um unter anderem auch Wählerstimmen zu bekommen. Doch durch die

Praxisbeispiele

Implementation von durchdachten Kontroll- und Managementsystemen ist dies weniger häufig zu beobachten. Zusätzlich unterliegt das Gerechtigkeitsverständnis, durch zunehmende Diskurse im Bereich der Menschenrechte, einem Wandel. Immer öfter werden Transferleistungen als berechtigte Ansprüche verstanden, auch wenn diese bis jetzt nicht einklagbar sind. (Künnemann / Leonhard, 2008, S. 33f)

Die beobachteten Auswirkungen sollen zeigen, dass es sich um wesentlich mehr als nur ein Geschenk von Politikern handelt.

8.2.2.1 Armut  und  Beteiligung  am  Arbeitsmarkt  

Betrachtet man die Entwicklung der Durchschnittseinkommen, der durch die Familienförderung erreichten Familien, stieg dies von 306 R$ auf 366 R$. Für etwa 31% der Familien stieg das Einkommen über 60 R$. Spannend stellen sich, in Hinblick auf immer wiederkehrende Kritik, die Entwicklungen am Arbeitsmarkt im Besonderen Partizipationsentscheidungen dar. Hier ist es bei der niedrigsten Einkommenskategorie, von lediglich 50 R$/Monat, zu einer Erhöhung der Partizipation am Arbeitsmarkt um 3,1% gekommen. Bei EmpfängerInnen, die über ein Einkommen von 50 R$ bis 100 R$ verfügen, war ebenfalls eine Steigerung von 2,6% zu beobachten. Der größte Unterschied ergab sich jedoch bei den Frauen. Hier konnte gezeigt werden, dass es zu einer höheren Frauenaktivität am Arbeitsmarkt kommt, wenn diese in den Genuss der Familienförderung kommen. Ein 13,7%

höherer Anteil an Frauen am Arbeitsmarkt im Vergleich zur Gruppe ohne Familienförderung, konnte hier beobachtet werden. (Künnemann / Leonhard, 2008, S. 39)

8.2.2.2 Ernährung  

Im Rahmen einer Meinungsumfrage unter den EmpfängerInnen gaben rund 85% an, dass sich Ihre Ernährung verbessert hätte. Dies wird auch durch die Erhebung der Ausgaben von EmpfängerInnen und der Vergleichsgruppe, die keine Familienförderung erhalten haben bestätigt. Hier kann gezeigt werden, dass sich die Ausgaben pro Familie für Ernährung bei Pro-Kopf-Einkommen bis 50 R$, um durchschnittlich 32 R$ erhöht haben. Bei Familien mit einem Pro-Kopf-Einkommen bis 100 R$ waren es immer noch 23 R$. Simultan war ein Rückgang des Risikos für

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Ergebnisse. Sie reichen von einer Reduktion der unterernährten Kinder von 6,8% auf 4,8% bis hin zu einem Rückgang des Unterernährungsrisikos um 60%. (Künnemann / Leonhard, 2008, S. 39)

8.2.2.3 Bildung  

Im Bereich der Bildung haben sich vor allem durch die Bedingungen der Familienförderung Verbesserungen ergeben. Diese äußern sich in einer Senkung der Abwesenheitszeiten der SchülerInnen. Die Abwesenheit von SchülerInnen deren Familien Transfers erhalten, ist um 3,6% niedriger, als jene ohne Transfers. Im Nordosten Brasiliens sogar um 7,1%. Bereits bei Einführung des Vorgängerprojekts, der Schulförderung (Bolsa Escola), konnte eine Reduktion der Drop-out-Rate von 7,8% und ein Anstieg der Schulabschlüsse von 6% dokumentiert werden.

(Künnemann / Leonhard, 2008, S. 39)

8.2.3 Zusammenfassung  

Auch wenn es sich bei der erörterten Familienförderung nicht um ein BGE im eigentlichen Sinn handelt, kann die Sinnhaftigkeit solcher Transferleistungen gezeigt werden. KritikerInnen sehen in der Einführung der Familienförderung Klientelpolitik, ohne die Umsetzung von Menschenrechten. Um diesen Missstand zu beheben werden Beschwerde- und Klagemechanismen gefordert. Des Weiteren wird die Abschaffung der Konditionalitäten und die damit einhergehende Bedingungslosigkeit gefordert. Nur so kann den Menschenrechten entsprochen werden. (vgl. Künnemann / Leonhard, 2008, S. 38)

Die Realisierung eines BGE und die damit einhergehende Verbesserung der gesellschaftlichen Situation, besonders im Bereich der armen Bevölkerung, stellt sich denkbar einfach dar. Dies könnte durch den Wegfall der Bedingungen und durch stärkere Umverteilung bewerkstelligt werden. Somit würde den Forderungen im Bereich der Menschenrechte nachgekommen. Zusätzlich könnte man auch den Erfordernissen eines BGE, vor allem im Ausmaß, gerecht werden.

Schlussfolgerung

Im Dokument Stefan Krase, Bakk. Masterarbeit (Seite 84-88)