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3.2 Analyse der sprachlichen Anforderungen in der

3.3.1 PatientInnen und Angehörige

Die Zielgruppe der Gesundheits- und Krankenpflege sind die PatientInnen. Der Pflegealltag durch viele PatientInnenkontakte ermöglicht unterschiedlichste Gelegenheiten für handlungsbegleitende und informierende, beratende Gesprächssituationen.

Der Krankenhausaufenthalt stellt für die PatientInnen einen Ausnahmezustand dar, welcher eine besondere Form der Kommunikation erfordert.

The state or health care system

 Organisations

36 Dieser Ausnahmezustand kann zu einem veränderten Bewusstseinszustand führen und daraus folgend zu besonderen Charakteristika. Als Beispiel dafür kann erwähnt werden, dass einige PatientInnen sich nach einem Aufklärungsgespräch aufgrund der Überforderung wegen Stress und Aufregung nicht mehr an die einzelnen Fakten erinnern können. Die gesagten Wörter werden wortwörtlich verstanden und bildhaft vorgestellt.

Dieser Bewusstseinszustand trägt dazu bei, dass die Aufmerksamkeit verstärkt auf die Wortwahl und ihre Bedeutung fokussiert wird.49

Die Gespräche zwischen PatientInnen können sich auf drei Ebenen beziehen. Dies sind die Ebenen des pflegerischen Alltags, der diagnostischen Maßnahmen und des psychosozialen Bereichs. Der pflegerische Alltag ist geprägt durch Gesprächsführungen für die Unterstützungen bei der Körperpflege, der Mobilisation, Ernährung und Ausscheidung.

Die Gesprächsführungen im diagnostischen Bereich beschränken sich auf Tätigkeitsbereiche wie das Messen der Vitalparameter oder das Schreiben eines Elektrokardiogrammes auf Anordnung.50 Der psychosoziale Bereich beinhaltet Gesprächshandlungen mit der Intention des Vermittelns des Beistandes durch das aktive, emphatische Zuhören und das Spenden von Trost in besonderen Fallsituationen. Einige Beispiele für die Gesprächssituationen, welche eine bewusste Sprachwahl und emphatische, zuhörende und Trost versprechende Haltung von Pflegepersonen erfordern, sind Gespräche mit plötzlich schwer erkrankten oder sterbenden PatientInnen und ihren Angehörigen.51

Eine gelungene Kommunikation auf diesen drei Ebenen beeinflusst nicht nur die Pflegenden und die PatientInnenbetreuung, sondern optimiert auch die Wahrnehmung der Pflegequalität und die Behandlungsergebnisse. Eine effektive Kommunikation kann die Zufriedenheit der PatientInnen, deren Akzeptanz, Kooperation und die Teilnahme an den Maßnahmen des medizinischen Personals erhöhen sowie den funktionellen und physiologischen Status dieser steigern. Sprachliche, kulturell- und geschlechtsspezifische Unterschiede bei den PatientInnen haben eine prägende Wirkung, was die Kommunikation zwischen Pflegenden und PatientInnen beeinflussen kann.52

49 Vgl. Zech et al., 2013. S. 212-218

50 Vgl. Schrimpf et al., 2017, S. 103-108

51 Vgl. Schrimpf et al., 2017, S. 118-120

52 Vgl. Sethi et al., 2017, S. 31-35; vgl. Perry, Anne Griffin; Potter, Patricia A.;

Ostendorf, Wendy (Hg.): Nursing Interventions& Clinical Skills.

https://www.elsevier.com/books/nursing-interventions-and-clinical-skills/perry/978-0-323-187947, 04.07.2018

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3.3.2. KollegInnen

Ein weiterer Kontext für die pflegerische Gesprächssituation sind KollegInnen. Um die Zielgruppe der Gesundheits- und Krankenpflege bestmöglich betreuen zu können, bedarf es einer laufenden Informationssammlung beziehungsweise eines Informations-austausches zwischen den Pflegepersonen. Beispiele dafür sind Dienstübergaben oder

„Small talks“ im Dienst, welche aus unterschiedlichen Sprachformulierungen und Sprachformen bestehen können.53

3.3.3 Multiprofessionelles Team

Für eine umfassende Betreuung der PatientInnen sollte nicht nur die eigene Profession einbezogen werden, sondern alle am Pflegeprozess beteiligte Personen und Professionen.

Diese Zusammenarbeit von unterschiedlichen Professionen wird multiprofessionell bezeichnet. Die Zusammenarbeit im klinischen Setting trägt zur Optimierung der Pflegeergebnisse, wie geringerer Morbidität und niedrigeren Versorgungskosten, bei. Dafür bedürfe es jedoch der Einbeziehung und Verknüpfung der Expertisen jeder Berufsgruppe.

Ein Beispiel dafür ist die Zusammenarbeit der Pflege mit der Ärzteschaft.54 Das pflegerische und medizinische Personal verfügen über unterschiedliche Ausbildungsphilosophien und Kommunikationsarten, welche jedoch als gemeinsames Ziel die Gesundheitserhaltung und Krankheitsprävention der PatientInnen haben.

Die Pflege sieht die PatientInnen unter einem holistischen Blickwinkel, die Medizin hingegen aus einer objektiven und kognitiven Perspektive.55 Die Interprofessionelle Arbeit soll zur Vernetzung und Ergänzung dieser beiden Kompetenzbereiche führen. Im Kontext dieser multiprofessionellen Vorgehensweise sollte jedoch berücksichtigt werden, dass alle Berufssprachen über unterschiedliche Fachsprachen und verschiedene Arbeitskulturen verfügen.

53 Vgl. Schrimpf et al., 2017, S. 130-138

54 Vgl. Schrimpf et al., 2017, S. 142

55 Vgl. Foronda et al, 2016, S. 36-40

38 Dieses wird im Folgenden durch ein Zitat von Clark (2014) bestätigt: „Members from different professions use their telling of the patient´s story, framed in the narrative structure of their own discipline, as a way to pass on information to their colleagues.“56

Schärli et al. (2016) haben durch die Triangulation von qualitativen und quantitativen Daten versucht, die interprofessionelle Zusammenarbeit zwischen Pflegefachpersonen und ÄrztInnen aus der Sicht der Pflegepersonen zu bewerten. Sie lieferten das Ergebnis, dass es drei Hauptfaktoren gibt, welche diese Zusammenarbeit beeinflussen. Das sind die Werte und Haltungen, Fähig- und Fertigkeiten der Berufsgruppen sowie die Strukturen und Prozesse. Diese sind geprägt vom persönlichen, sozio-kulturellen als auch dem fachlichen Hintergrund.

Eine gute bzw. schlechte interprofessionelle Zusammenarbeit wirkt sich aus der Sicht der Pflegefachpersonen in der Studie auf die Zusammenarbeit der Mitarbeitenden und den Teams, den Patientinnen und die Systeme aus. Bei Mitarbeitenden oder Teams kann dieses das Stressempfinden, die Missverständnisse, die Arbeitszufriedenheit sowie die Personalfluktuationsrate und die Motivation beeinflussen. Bei PatientInnen und deren Angehörigen kann dieses die PatientInnensicherheit bzw. -zufriedenheit sowie die Versorgungsqualität beeinflussen. Die Folgen für die Systeme können positiv oder negativ sein bezüglich der Beeinflussung der Kosten, Aufenthaltsdauer, Abläufe, Effizienz und vieles Weitere.57

3.3.4 Wissenschaft und Forschung

Die Pflegewissenschaft und Pflegeforschung als auch die fachspezifische Informatik, Statistik und Dokumentation sind weitere Kontexte in der Gesundheits- und Krankenpflege, welche eine spezifische Sprachform erfordern.

Durch die Forschungsergebnisse anhand von statistischen Auswertungen kann die Pflege laufend auf den neuesten Stand aktualisiert und optimiert werden.

Der Unterschied zwischen den Begriffen Forschung und Wissenschaft ist, dass die Wissenschaft immer aus der Forschung resultiert, aber nicht alle Forschungen wissenschaftlich sind.58

56 Zit. n. Foronda et al., 2016, S. 36-40

57 Vgl. Schärli et al., 2016, S. 53-63

58 Vgl. Moll; Thielmann, 2017, S. 35

39 Wie im Kapitel 3.2 ersichtlich, gibt es schon im zweiten Semester der Ausbildung eine Einführung in den deutschsprachigen wissenschaftlichen Diskurs, in welchem die Lesetechniken von wissenschaftlichen Texten und ihre Bearbeitungen unterrichtet werden.

Ebenso wird die Struktur, Formen und Kriterien der wissenschaftlichen Quellen und ihre Recherche thematisiert. Ab dem dritten Semester erfolgt zusätzlich die Stärkung der englischen Sprachkenntnisse im beruflichen Kontext und die Kommunikationsfertigkeiten werden im Rahmen wissenschaftlicher Diskurse erweitert.

Weinrich (1985) hat die wissenschaftsethischen Prinzipien zu folgenden Punkten zusammengefasst: Das erste Prinzip ist das Veröffentlichungsgebot. Dieses setzt voraus, dass alle wissenschaftlichen Texte öffentlich gemacht werden müssen, um stets eine Weiterentwicklung vorantreiben zu können. Die zweiten und dritten Prinzipien lauten Rezeptions- und Kritikgebot. Das Rezeptionsgebot setzt voraus, auch weitere Erkenntnisse von anderen WissenschaftlerInnen zu den eigenen Forschungsgegenständen zu akzeptieren. Jedoch wird mittels des dritten Prinzips, des Kritikgebots, zugesichert, diese Erkenntnisse auch begründen zu müssen. Die begründete Bewertung durch andere WissenschaftlerInnen ist die Kontrollinstanz dieser. Um diese Vorgehensweisen ethisch korrekt umsetzen zu können, bedarf es im Weiteren eines gegenseitigen Respekts.

Dieser Respekt beinhaltet das ordnungsgemäße Zitieren von geistigen Werken anderer.

Das Ausgeben von Werken anderer als eigenes, wird als Plagiat bezeichnet und kann bis zur Aberkennung von wissenschaftlichen Qualifikationen führen.59

3.4 Vorherrschende Sprachmuster des Gesundheitswesens

Es wurden verschiedene sprachliche Aktivitäten und deren unterschiedliche Kontexte näher beschrieben. Welche Sprachmuster in der Pflegepraxis tatsächlich vorkommen, soll anhand dieses Unterkapitels erläutert werden.

59 Vgl. Weinreich, 1985, zit. n. Moll; Thielmann, 2017, S. 31-36

40 Diesbezüglich wird ein Zitat von Busch (2013) angeführt, welches die institutionelle Verantwortung gegenüber der Berücksichtigung der sprachlichen Richtigkeit in den Gesprächshandlungen in Anlehnung an Swartz (1998) verdeutlichen soll.

Dieses lautet wie folgt:

„Swartz betont, dass nicht nur die Ebene der Gesprächsführung wichtig ist, sondern dass die Institution ihre Praktiken grundsätzlich hinterfragen muss: zum Beispiel welche Sprachen an der Rezeption gesprochen werden, in welchen Sprachen die Beschilderung, die ausliegenden Informationsmaterialien gehalten sind, ob die Weiterbildung des Personals Mehrsprachigkeit berücksichtigt, ob ein Bewusstsein für Mehrsprachigkeit besteht oder dafür, dass auch Varietäten ein und derselben Sprache so unterschiedlich sein können, dass es zu Verständigungsschwierigkeiten kommt.“60

Durch die Turbulenz des Pflegealltags werden die diversen sprachlichen Ressourcen nicht ausreichend genutzt und somit kommt es zu einer Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität in der Berufsausübung. Dies wird in den folgenden Unterkapiteln erläutert.

3.4.1 Zeitdruck und Stress im Gespräch

Der Pflegealltag ist geprägt durch viele pflegerischen und multiprofessionellen Handlungen.

Dieser Leistungsdruck kann sich beispielweise durch die Verwendung bestimmter Modalverben in der Kommunikation ausdrücken.

Ein Beispiel dafür ist die Benützung von den Modalverben „müssen“ oder „sollen“ im Kommunikationsprozess. Diese haben teilweise eine verstärkte negative Auswirkung auf das Gegenüber, da es Stressoren im menschlichen Körper aktiviert und verstärkt. Mit der unbewussten Auswahl können eventuelle Gefühle wie Hektik, Druck und Gereiztheit beim Gegenüber entstehen.

60 Zit. n. Busch, 2013, S. 167

41 Ein Modalverb bestimmt die Art und Weise eines folgenden Verbs näher, d.h. es drückt eine Modalität aus, zum Beispiel eine Notwendigkeit oder Möglichkeit von Handlungen bzw.

Tätigkeiten.

Dadurch formen sie Botschaften auf bestimmte Weise und können diesen einen veränderten Sinn geben. Dieser kann im Weiteren beim betroffenen Gesprächspartner unterschiedliche Emotionen hervorrufen.61

3.4.2 Mehrdeutige Aussagen mit Sprachmusterkopplungen

Im Punkt 3.4.1 wurden Beispiele angegeben, wie Aussagen in Sätzen durch Modalverben günstig oder ungünstig verändert werden können.

In diesem Unterpunkt soll der Gebrauch von Wörtern allgemein thematisiert werden, deren Auswirkungen mehrdeutig, kränkend als auch ironisch sein können. Als Beispiele dafür können Schlüsselsätze wie „den Kopf zerbrechen“ oder „die Nase voll“ und einen „dicken Hals haben“ genannt werden.62 Diese Ausdrücke werden als pathologische eingestuft, da sie durch die Aktivierung von negativen inneren Bildern zu belastenden Empfindungen der Menschen führen können. Durch die Ironie wird der Sachinhalt des Gesprochenen und die empfundene Kompetenz des Sprechers verringert.63

Diese mehrdeutigen Aussagen können im Weiteren zu unterschiedlichen Sprachmusterkopplungen führen, welche den betroffenen Personen negative Gefühle bereiten können. Beispiele hierzu sind Schlüsselsätze, „Ich geb‘ mir die Kugel“ oder

„Schlag‘ mich tot, ich weiß es nicht.“64

3.4.3 Unethische Bezeichnungen im Gespräch

Neben stressauslösenden und mehrdeutigen Sprachgebräuchen lassen sich auch unethische Bezeichnungen in Pflegegesprächen herauskristallisieren.

61 Vgl. Mantz, 2016, S. 27-31

62 Mantz, 2016. S. 36

63 Vgl. Mantz, 2016, S. 35-36

64 Mantz, 2016, S. 32-33

42 Sehr oft werden PatientInnen auf die laufenden Diagnosen, Handlungen oder Zimmernummern beschränkt. Beispiele dazu sind Schlüsselsätze wie „Ich geh‘ auf Glocke“

oder „Sind Sie der Blinddarm?“ 65

Dies hat zur Folge, dass Behandlungen als keine professionelle Leistung gesehen werden, sondern als Abfertigung. Im Weiteren kann dieser befremdliche Sprachgebrauch zu Gefühlen von Verlorenheit, Misstrauen und Angst führen.

3.4.4 Füllwörter im Gespräch bzw. Floskelhaftes Reden

Füllwörter bergen eine hohe Gefahr von Missverständnissen und Verwirrung und sind weitere vorherrschende Sprachmuster in der Pflegepraxis. Beispiele hierzu sind Wörter wie

„eigentlich“ oder „mal66. Diese ermöglichen unterschiedlichste Interpretationen des Gesagten und können zu widersprüchlichen bzw. mehrdeutigen Aussagen führen, die im weiteren Prozedere einer stärkeren Auseinandersetzung mit dem Thema bedürften. Ein Gespräch sollte möglich klar und eindeutig sein, um den höchst möglichen Nutzen daraus ziehen zu können.67

65 Mantz, 2016, S. 33-35

66 Mantz, 2016, S. 41

67 Vgl. Mantz, 2016, S. 41-42

43 4 Die deutsche Sprache

Um ein stärkeres Sprachbewusstsein für die Prävention dieser beschriebenen negativen Sprachmuster zu erzielen, wird in diesem Kapitel die Begrifflichkeit der „Sprache“ definiert und erforscht. Zuerst folgt eine auserwählte Definition für den Begriff „Sprache“. Dann werden die unterschiedlichen Eigenschaften der Sprache wie die Sprachmerkmale, Sprachformen, Sprachniveaus und Sprachfunktionen näher betrachtet. Der Fokus liegt auf den Sprachformen. Die Bearbeitung der unterschiedlichen Sprachformen beruht auf den vier Kategorien des Germanisten Hugo Moser (1960). Dieser unterteilt die Sprache in vier Kategorien wie folgt: soziale Schichtung, räumlich-horizontale Schichtung, stilistische Stufen und Gruppen bzw. Sonderformen. 68

Diesen vier Kategorien teilt Moser relevante Sprachformen zu. Davon wird die Fachsprache von der Verfasserin näher behandelt und beschrieben.

Um ein einheitliches Verständnis über die Begrifflichkeit der „Sprache“ zu bekommen, wird diese definiert. Durch die starke Komplexität hat die „Sprache“ jedoch keine allgemein gültige, sondern viele unterschiedliche Definitionen. Die Verfasserin der Arbeit entschied sich nach individueller Wahl für folgende Definition nach Bourdieu (1977):

„Language is not only an instrument of communication or even of knowledge, but also an instrument of power. A person speaks not only to be understood but also to be believed, obeyed, respected, distinguished.“69

4.1 Sprachmerkmale

Die Sprache ist ein Mittel der verbalen Kommunikation und besteht aus einem Zeichensystem, dessen Form mit einer Bedeutung oder Funktion verknüpft ist. Die Formen dieses Zeichens können graphisch oder lautlich sein. Die Bedeutung hängt zum Großteil von der Stellung in einem Kontext ab. Dieses Zeichensystem ist bei Menschen als auch bei Tieren vorhanden. Die Unterscheidung der menschlichen Sprache von vielen anderen Zeichensystemen kann nicht nur durch ein Merkmal, sondern durch ein Bündel von mehreren Merkmalen geschehen.

68 Vgl. Moser, 1960, zit. n. Sinner, 2014, S. 39-40

69 Zit. n. Schlobinski, 2014, S. 198

44 Diese Merkmale sind nach Hocket (1960) die Bidirektionalität, die situationelle Ungebundenheit, die Rückkopplung und im Weiteren die Diskretheit, Produktivität sowie die Arbitrarität des Zeichens. Die Bidirektionalität beschreibt, dass die Menschen sowohl SenderIn als auch EmpfängerIn eines Sprachsignals sein können. Die situationelle Ungebundenheit zeichnet sich dadurch aus, dass die Kommunikation zwischen zwei Menschen nicht nur in dem einen bestimmten Moment stattfinden kann, sondern auch nachfolgend zur beliebigen Zeit. Die Rückkopplung ermöglicht nach dem Hören des eigenen Sprachsignals das Reagieren darauf, beispielsweise durch das Korrigieren. Die Diskretheit beschreibt das Zerlegen der Zeichen in kleine, voneinander unterscheidbare Einheiten. Diese Einheiten beeinflussen die Bedeutung dieser Zeichen. Die Produktivität als weiteres Merkmal, beschreibt das Aneinanderreihen von mehreren Zeichen, aus der begrenzten Menge der diskreten Einheiten, um immer über neue Thematiken kommunizieren zu können. Die Arbitrarität zeigt, dass die Benennung eines Gegenstands nichts über dessen Bedeutung aussagt, sondern konventionell gerichtet ist.70

4.2 Sprachformen

Der menschliche Alltag ist von unterschiedlichen Sprachen und Sprachformen umgeben, welches durch das folgende Zitat bestätigt wird:

„Sprecher_innen bewegen sich in ihrem Alltag gewöhnlich sicher und, ohne sich dessen bewusst zu werden, in dieser komplexen Vielfalt: Sie benützen beispielsweise eine regional gefärbte Umgangssprache für ein kurzes Gespräch auf der Straße, Lingua-franca-Englisch, wenn sie einem Touristen den Weg erklären, ein fachliches Register, um über ein Problem am Arbeitsplatz zu sprechen, eine literarisch ausgeprägte Standardsprache, wenn sie einen Roman lesen.“71

Die diversen Sprachformen werden als „Varietäten“ bezeichnet und unterscheiden sich in ihrem Gebrauch durch ihren Kontext, ihre Komplexität sowie eine zu erreichende erwünschte Wirkung.

70 Vgl. Hocket, 1960, zit. n. Lüdeling, 2013, S. 9-11

71 Busch, 2013, S. 10

45 Die Begrifflichkeit „Varietät“ wird wie folgt definiert:

„Eine Varietät ist eine Sprache in der Sprache oder eine strukturell abgrenzbare Subsprache (Teilsprache) innerhalb einer Gesamtsprache. Varietäten sind Subsysteme in einem sprachlichen Gesamtsystem. Aus dem Gesamtsystem wählen Sprecher nach bestimmten Prinzipien einzelne Komponenten aus.“72

Der Germanist Hugo Moser (1960) nennt vier Unterscheidungen einer Sprache. Diese sind die soziale-vertikale Schichtung, räumlich-horizontale Schichtung, stilistische Stufen und die Gruppen- und Sonderform.

Die soziale-vertikale Schichtung beinhaltet die Volkssprache, die zwischenschichtliche Umgangssprache und die Hochsprache. Die Volkssprache bezeichnet die Grundsprache und die zwischenschichtliche Umgangssprache die steigernde Form dieser. Die Hochsprache hingegen ist die Schrift- und Schreibsprache. Die zweite Kategorisierung bezeichnet Mundarten, Umgangssprachen und die Gemeinsprache. Die Kategorie der stilistischen Stufen beinhalten die gehobene Form der Sprachvarietäten aus der räumlich-horizontalen Schichtung. Die vierte Kategorie, Gruppen- und Sondersprachen, besteht aus den beruflichen und wissenschaftlichen Fachsprachen als auch aus den Sondersprachen.73

72 Felder, 2016, S. 9

73 Vgl. Moser, 1960, zit. n. Sinner, 2014, S. 39-40

46 Diese Sprachunterscheidungen werden wie folgt dargestellt:

A. Sozial-

a. Berufsfachsprachen: Handwerker aller Art, Bauern, Weingärtner, Schäfer, Hirten, Fischer, Jäger, Kaufleute, Juristen usw.

b. Wissenschaftliche Fachsprachen: Fachwissenschaft, Technik Sondersprachen

a. erhöhte Sondersprache: Religion, Dichtung, Politik b. Standardsprache (Klassensprachen)

c. Spiel und Sport d. Jargon

e. Verhüllende Sondersprachen: Rotwelsch, Zigeunerisch Abbildung 8: Gliederung der Sprache nach Moser (1960)

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4.2.1 Modell zur Bestimmung von Varietäten

Es gibt das Vier-Dimensionen-Modell und Bestimmungsfaktoren, anhand welcher die unterschiedlichen sprachlichen Erscheinungsformen erfasst und voneinander unterschieden werden können. Hierbei beruft sich Felder (2016) auf die beschriebenen vier Dimensionen nach Becker und Hundt (1998), welche er für die Beschreibung der Varietätenlinguistik leicht modifizierte. Diese überarbeiteten vier Dimensionen in Anlehnung an Becker und Hundt (1998) lauten: das Ausdruckssystem, Inhaltssystem, das Medium und die Medialität sowie die diachrone Entwicklung und synchrone Einordnung.

Das Ausdruckssystem bearbeitet den Geltungsradius von bestimmten Ausdruckformen und beschränkt sich auf die kommunikative Reichweite der Ausdrücke. Das Inhaltssystem bearbeitet im Gegensatz zum Ausdrucksystem nicht die kommunikative Reichweite, sondern die Funktionsreichweite der Wortinhalte. Das Inhaltssystem wird als semantisch bezeichnet, da dieses sich mit der Bedeutung von Wort, Satz und Text beschäftigt. Die Dimension Medium und Medialität beschäftigt sich mit den Eigenschaften des Mediums beziehungsweise der Medialität der verwendeten Zeichen. Diese können geschrieben, gesprochen oder multimediale Mischformen sein. Die diachrone Entwicklung und synchrone Einordnung legt den Fokus auf die Zuordnung von Interaktionen nach den historischen Zeitstufen.74

Neben dem Modell gibt es auch Bestimmungsfaktoren, welche die Einteilung und Benennung der Subsprachen bestimmen. Die Gesamtheit dieser Faktoren wird nach Weinreich (1953/1977) als Diasystem bezeichnet.75 Das Diasystem bearbeitet die verschiedenen Subsysteme, die in bestimmten Sprachgebrauchsformen vorkommen und besteht aus folgenden Faktoren: diatopisch, diafunktional und diastratisch. Die Bezeichnung „dia“ bedeutet „durch“ und verweist durch dieses Merkmal auf die Bestimmung einer spezifischen Varietät. Die Beschreibungen dieser Faktoren gehen auf Coseriu (1988) zurück. Nach diesen beschreibt der Begriff „diatypisch“ die areal bestimmten Lekte wie Dialekte oder Regiolekte. Als „diastratisch“ werden sozial determinierte Lekte wie zum Beispiel die Jugendsprache bestimmt. Der Begriff „diafunktional“ bezeichnet fach- und berufsspezifische Kontexte sowie ihre Funktionalität geprägten Lekte wie Fachsprachen und Berufssprachen.76

74 Vgl. Becker; Hundt, 1988, zit. n. Felder. 2016, S.15-19

75 Vgl. Weinreich, 1953, 1977, zit. n. Felder, 2016, S. 52-53

76 Vgl. Coseriu, 1988, zit. n. Felder, 2016, S. 52-53

48 Die Bezeichnung „Lekt“ wird von Berruto (2004) wie folgt definiert:

„Lekte (Pl.) stehen für systematische und prinzipiengeleitete Variantenrealisierungen, die – treten sie häufig „in vorsehbarer Weise“ (Berruto:2004:189) als Variantenmenge auf – als strukturbildendes Variantenbündel zur Charakterisierung der zu analysierenden Erscheinungsform dienen.“77

Bei den Bestimmungsfaktoren können Überlappungen und Dominanzen vorkommen, so dass alle drei Ebenen zur Erklärung hinzugezogen werden, jedoch mit unterschiedlicher Gewichtung.

Das Diasystem wird im Folgenden anhand einer Abbildung dargestellt:

Abbildung 9: Das Diasystem nach Felder (2016)

77 Zit. n. Felder, 2016, S. 53

Bestimmungsfaktoren von Varietäten

sozial (gruppenbezogen)

diastratisch

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4.2.2 Innersprachliche Varietäten-Merkmale

Die zu bestimmenden Varietäten verfügen über inner- und außersprachliche Merkmale.

Die innersprachlichen Merkmale bestehen aus den linguistischen Ebenen wie folgt:

Phonetik, Phonologie, Graphematik, Morphologie, Lexik, Syntax sowie Text und Gespräch.78 Anhand dieser linguistischen Ebenen soll in diesem Unterkapitel das Vier-Dimensionen- Modell erläutert werden und dadurch die Heterogenität der Sprachformen systematisch und in ihren internen Relationen erklärt werden. Die vier Dimensionen des Modells lauteten: kommunikative Reichweite der Ausdrücke, funktionale Reichweite, Medialitätstypik und diachronen Entwicklungen.79

Felder (2016) bezieht sich in der näheren Beschreibung der kommunikativen Ausdrucksreichweite auf Steger (1988), welcher diese durch zwei Subdimensionen charakterisiert. Das sind die sozialräumliche und die gruppenbezogene Prägung. Die sozialräumliche Prägung wird als die gesellschaftliche und räumliche Lebenswelt beschrieben, in welcher das Ausdruckssystem in bestimmten gesamtgesellschaftlichen beziehungsweise staatsbürgerlichen Verbänden gilt. Darunter ist das Verständnis von BürgerInnen als Mitglied von Gemeinden, Städten, Metropolen oder Regionalverbänden gemeint. Mit der gruppenbezogenen Prägung sind die rein gesellschaftlichen Beziehungen gemeint 80 Die sozialräumliche Subdimension wird im Weiteren in folgende Kategorien unterteilt: „hohe/überregionale Reichweite des Standardlekts, mittlere Reichweite des Regiolekts, kurze/lokale Reichweite des Dialekts.“81

Die funktionale Reichweite der Inhalte wird als Semantik beschrieben. Diese wird als Lehre

Die funktionale Reichweite der Inhalte wird als Semantik beschrieben. Diese wird als Lehre