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1. Einleitung

1.3. Pathogenese und genetische Ursachen von SCN

Heute fasst man unter SCN eine heterogene Gruppe von Krankheiten zusammen, welche auto-somal-dominant, autosomal-rezessiv oder an das X-Chromosom gebunden autosomal-rezessiv vererbt werden oder sporadisch bzw. im Zusammenhang mit einem Syndrom auftreten (Schaffer und Klein, 2007). Nach der Erstbeschreibung von kongenitaler Neutropenie (Kostmann, 1956) wurde von Horwitz und Mitarbeitern 1999 eine heterozygote Mutation im Gen der neutrophilen Elastase (ELA2) auf Chromosom 19p13.3 als Ursache der zyklischen Neutropenie entdeckt (Horwitz et al., 1999). Die zyklische Neutropenie ist eine Form der Neutropenie, bei der die Anzahl der neutrophilen Granulozyten ca. 21-tägig periodisch von normalen Werten bis weniger als 200/µl im peripheren Blut oszilliert. Nach weiteren Analysen wurden auch bei Patienten mit schwerer kongenitaler Neutropenie ELA2-Mutationen entdeckt (Dale et al., 2000; Ancliff et al., 2003). Mittlerweile werden zyklische Neutropenie und ca.

30-Myeloblast Promyelozyt Früher eosinophiler

50% der autosomal-dominanten Form der SCN in Verbindung mit Mutationen im Gen ELA2 gebracht (Skokowa et al., 2007). Es sind bisher mehr als 50 unterschiedliche Mutationen be-kannt, die über die gesamte Gensequenz verteilt und häufig missense-Mutationen sind (Bellanne-Chantelot et al., 2004; Xia und Link, 2008). Die neutrophile Elastase ist eine Se-rinprotease in den azurophilen Granula der neutrophilen Granulozyten (Baggiolini, 1972). Ihre Hauptaufgabe ist es, durch Modulierung der biologischen Aktivität und Aktivierung von Che-mokinen, Zytokinen und Zelloberflächenrezeptoren vor Infektionen mit gramnegativen Bakteri-en zu schützBakteri-en (Belaaouaj et al., 1998; Pham, 2006). Die Mutation in ELA2 führt zu Akkumula-tion von nicht-funkAkkumula-tionellem, falsch-gefaltetem Protein im Zytoplasma und endoplasmatischen Retikulum (ER). Es kommt außerdem zu Störungen des intrazellulären Transports in Neutrophi-len, welche die Aktivierung der Unfolded Protein Response verursachen (Köllner et al., 2006;

Grenda et al., 2007). Es wird diskutiert, ob der dadurch hervorgerufene ER-Stress zur Apoptose von granulozytären Vorläuferzellen führt (Xia und Link, 2008). Interessanterweise ist ELA2-mRNA in SCN-Patienten unabhängig von einer ELA2-Mutation vermindert (Sera et al., 2005).

Die ELA2-Expression ist von myeloiden Transkriptionsfaktoren wie C/EBPα abhängig, die wiederum durch den Transkriptionsfaktor LEF-1 (lymphoid enhancer-binding factor) reguliert werden (Skokowa et al., 2006). Skokowa und Kollegen stellten fest, dass LEF-1 bei SCN herun-terreguliert ist, wodurch sich die verminderte ELA2-Expression erklärt (Skokowa et al., 2006).

Die Verbindung zwischen den Mutationen bei SCN und der LEF-1-Herunterregulation ist noch nicht weiter bekannt und bedarf weiterer Untersuchungen.

Eine andere seltene Mutation wurde bei SCN-Patienten in dem Gen GFI-1 (growth factor inde-pendent 1) gefunden (Person et al., 2003). Nachdem zunächst bei Gfi1-defizienten Mäusen un-erwarteter Weise eine Neutropenie festgestellt wurde (Karsunky et al., 2002), entdeckten Person und Kollegen bei der Sequenzierung der genomischen DNA von SCN-Patienten ohne ELA2-Mutation heterozygote ELA2-Mutationen in GFI1 (Person et al., 2003). Gfi1 ist ein nukleärer Transkriptionsrepressor der Zink-Finger-Protein-Familie, der an der Differenzierung von vielen hämatopoetischen Zellen beteiligt ist (Hock et al., 2003).

Bei Mutationen im Wiskott-Aldrich Syndrom Protein (WASP) tritt das Wiskott-Aldrich Syn-drom oder SCN mit X-chromosomal-rezessivem Vererbungsmodus auf. Das Wiskott-Aldrich Syndrom zeichnet sich durch Mikrothrombozytopenie, wiederkehrende Infektionen und Ekzeme aus. Die von Devriendt und Kollegen entdeckte neue missense Mutation in WAS führte zu Neutropenie mit wiederkehrenden Infektionen ohne Ekzeme (Devriendt et al., 2001). WASP hat Funktionen in der Polymerisierung des Aktinzytoskeletts, das u.a. für Zellmigration, Zellteilung und Vesikeltransport wichtig ist (Miki und Takenawa, 2003). Durch die Mutation ist die WASP-Autoinhibierung gestört, was zu einem konstitutiv-aktiven WAS-Protein führt. Moul-ding und Kollegen zeigten, dass durch die unregulierte Aktinpolymerisierung Mitose und Zyto-kinese gestört sind, was die Hemmung der Myelopoese und die daraus resultierende Neutrope-nie erklären könnte (Moulding et al., 2007).

Eine von Bohn et al. entdeckte homozygote Punktmutation in p14, einem endosomalen Adap-terprotein, verursacht SCN mit partiellem Albinismus, Kleinwuchs und Mangel an B- und zyto-toxischen T-Zellen. Aufgrund der Mutation wird p14 vermindert exprimiert und weist eine a-normale lysosomale Funktion auf (Bohn et al., 2007b). Das Adaptermolekül p14 spielt eine Rolle in dem Mitogen-aktivierten Protein-Kinase Signalweg, der für subzelluläre Kompartmen-talisierung von Signalen (Teis et al., 2002), Zellproliferation und Differenzierung wichtig ist (Bohn et al., 2007a). Die neutrophilen Granulozyten der p14-defizienten Patienten sind in der bakteriellen Abwehr durch eine verminderte antimikrobielle Aktivität in Phagosomen gestört (Bohn et al., 2007a).

Der genetische Defekt klassischer autosomal-rezessiver SCN (Kostmann-Syndrom) wurde 2006 von unserer Arbeitsgruppe durch Linkage-Analysen in drei nicht verwandten kurdischen Fami-lien entdeckt (Klein et al., 2007). Es wurden zunächst drei unterschiedliche homozygote Non-sense-Mutationen im Gen HAX1 (HS-1 associated protein X-1) gefunden (W44X, R86X, Q190X), wobei eine der Mutationen auch in dem von Kostmann beschriebenen Original-Stammbaum entdeckt wurde (Klein et al., 2007). Alle Patienten hatten homozygote Mutationen in HAX1, während die gesunden Verwandten heterozygot waren, was auf einen rezessiven Erb-gang schließen ließ. Damit ist das Kostmann-Syndrom auf eine Mutation in HAX1 zurückzufüh-ren. ELA2 und HAX1 bilden somit nach dem heutigen Stand zwei verschiedene Gruppen von SCN mit unterschiedlichem Erbgang, die sich jedoch weder klinisch noch durch Knochmarks-biopsie unterscheiden lassen. Rund 30% der SCN mit autosomal-rezessivem Erbgang werden mittlerweile auf eine Mutation in HAX1 zurückgeführt (Palmblad und Papadaki, 2008). Die vorliegende Dissertation beschäftigt sich mit dem Protein HAX1, das in den Abschnitten 1.4 und 1.5 beschrieben wird.

Weitere Subtypen von SCN und deren genetische Ursachen sind in Tabelle 1 aufgeführt. Es wird unterschieden zwischen Neutropenien im Zusammenhang mit Hypopigmentation, Stoff-wechselerkrankungen und Syndromen, außerdem werden die klinischen Symptome kurz be-schrieben.

Erkrankung Erbgang Mutation Besonderheiten

SCN AD ELA2 (40-50%) Klassische SCN mit

wiederkeh-renden bakteriellen Infektionen

SCN AD GFI1 Sehr selten

Zyklische Neutropenie AD ELA2 Über ca. 21 Tage

ANC-Schwankungen

Kostmann-Syndrom AR HAX1 (30%) Wiederkehrende bakterielle

In-fektionen

SCN XL WAS Wiederkehrende bakterielle

In-fektionen, sehr selten Mit Stoffwechseldefekt:

Shwachman-Diamond-Syndrom

AR SBDS Stoffwechseldefekt:

Pankreasin-suffizienz; Chondrodysplasie Pearson-Syndrom mitochondrial Mitochondriale

Deleti-on

Stoffwechseldefekt: Pankreasin-suffizienz; Thrombozytopenie, Anämie

Glykogenose Typ 1b AR SLC37A4 Stoffwechseldefekt,

Hypoglykä-mie, Hepatomegalie, Retardie-rung

Methylmalonacidurie AR MUT, MMAA, MMAB Stoffwechseldefekt, Retardierung, Pankreatitis

Mit Hypopigmentation:

Chédiak-Higashi-Syndrom

AR LYST Hypopigmentation, Störung

NK-Zellen, neurologische Defekte

Griscelli-Syndrom 2 AR RAB27A Hypopigmentation, Störung

zyto-toxischer Lymphozyten

Hermansky-Pudlak-Syndrom 2

AR AP3B1 Hypopigmentation,

Blutungsnei-gung, Störung zytotoxischer T- und NK-Zellen

p14- Defizienz AR p14 Hypopigmentation,

Minder-wuchs,

Hypo-gammaglobulinämie, B-Zell- u.

zytotoxischer T-Zell-Defekt Dyskeratosis congenita AD, XL, AR TERC/TERT, DKC1,

und Unbekannte

Hypopigmentation, Ulzera, prä-maligne Disposition

Mit Syndrom:

WHIM-Syndrom AD CXCR4 Warzen,

Hypogammaglobulin-ämie, Infektionen, Myelokathexis (WHIM)

Barth-Syndrom XL TAZ Dilatative Kardiomyopathie,

Myopathie der Skelettmuskulatur

Cohen-Syndrom AR VPS13B Adipositas, Hypotonie,

Retardie-rung, kraniofasciale und Skelett-anomalien

Knorpel-Haar-Hypoplasie

AR RMRP Zwergwuchs, wenig Haare,

Anä-mie, erhöhte prämaligne Disposi-tion

Tabelle 1: Subtypen kongenitaler Neutropenien, ursächliche Gendefekte, Vererbung und klinische Symptome. Autosomal-dominant (AD), autosomal-rezessiv (AR), X-linked (XL). Modifiziert nach (Schaffer und Klein, 2007) mit Ergänzungen aus (Deodato et al., 2006; Kirwan und Dokal, 2008).