• Keine Ergebnisse gefunden

Paradigmenwechsel im Fach Geografie und Wirtschaftskunde

Das Fach Geografie und Wirtschaftskunde wurde im oben angeführten Kapitel mit der Allgemeinbildung bzw. mit den Zielsetzungen der kritisch-konstruktiven Didaktik in Verhältnis gesetzt. Für das zu erstellende Konzept sind jedoch ebenso die Entwicklung und Paradigmen innerhalb des Faches von Bedeutung, sodass nachfolgend die Geschichte der Geografie in einem kurzen Durchlauf dargestellt wird.

3.1 Historischer Überblick

Die neue Erdbeschreibung

Die Reise beginnt im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts, indem die „Neue Erdbeschreibung“ von A.F. Büsching das Paradigma der Geografie darstellte. Diese war eine Art Staatenkunde, in der man sich mit allen möglichen Fakten natürlicher und menschlicher Art beschäftigte. Dabei handelte man alle Fakten nach einem gewissen Schema ab und führte diese dann zu einem Ganzen zusammen (SCHULTZ 2012, S. 70). Die Beschreibung der Erde diente zur Anschauung göttlicher Erkenntnis und sollte zu jenem Wissen führen, welches für die Lernenden zur Lebensbewältigung des beruflichen als auch privaten Lebens nützlich erschien. Diese Auffassung der Geografie vertrat genauso I. Kant und prangerte deren mangelhafte Umsetzung in der Schule an, obwohl er den Gegenstand nicht als Wissenschaft, sondern als Mittel für den gesunden Menschenverstand sah. Damit war er keineswegs allein, denn auch J.G. Herder sah in der Geografie kein universitäres Fach, sondern vielmehr eine Wissenschaft der Schule, die ihm jedoch als nützlich und notwendig erschien. Durch diese Ausführungen wurde Nützlichkeit zum ersten Schlüsselwort der Geografie als Unterrichtsfach. Nützlich beschrieb man zu jener Zeit solche Schulfächer, die junge Menschen auf das Leben in der Gesellschaft und der res publica vorbereiteten.

Um diese lebens- und berufstauglichen Ziele zu erreichen, eigneten sich vor allem die sogenannten Realien (naturwissenschaftliche und technische Fächer), da diese einen

36 sehr hohen Grad an Realität aufwiesen. Sie standen aber den vom Klerus bevorzugten Fächern wie Latein, Hebräisch, Griechisch gegenüber, waren somit das Bildungsmittel des aufstrebenden Bürgertums und wurden zum Spielball eines Bildungs- und Klassenkampfes (SCHULTZ 2012, S. 72–73).

Neuorientierung durch C. Ritter

Zu dieser Zeit war die Geografie kein Einheitsfach, da sie aus vielen Geografien bestand. Daher wurden Kurse entwickelt, die aufbauend gestaltet wurden. Großteils wurden jedoch weniger Kurse angeboten, in denen vor allem Heimatkunde, Physische Geografie und Staatenkunde immer wieder auftauchten. Genau diese Staatengeografie war es, die die Geografie durch die Napoleonischen Kriege in eine Existenzkrise stürzte, sodass die Geografie am Ende die Staaten wegließ und nunmehr die Einheiten der Erdoberfläche und die Länder in den Mittelpunkt ihrer Betrachtung stellte.

Diese Neuorientierung wurde von den Militärs vorangetrieben und gutgeheißen, da der Charakter des physischen Geländes für diese von Wichtigkeit war. Doch vor allem durch die Bemühungen C. Ritters wurde diese Neuausrichtung zum Hauptprogramm des Faches an den Schulen (SCHULTZ 2012, S. 73).

Er verstand Erde als Organismus unter der ordnenden Hand Gottes. Nach SCHULTZ (2012, S. 74) hatten die Geografen dieser Zeit demnach die Aufgabe, „… die Umgestaltung der Erde durch den Menschen vergleichend nach Räumen und Zeiten zu verfolgen und durch den Vergleich die Wechselbeziehung zwischen Natur und Mensch kausal (zu) erklären“. Diese Auslegung der Geografie ging in sämtliche Lehrpläne der damaligen Zeit über, dennoch konnte sich der Gegenstand nicht von der Geschichte vollständig lösen, sodass sie als dessen Hilfswissenschaft verweilte.

Dies war auf der einen Seite positiv, denn dadurch musste sich die Geografie nicht dem schon besprochenen Bildungskrieg (formale versus materiale Bildungstheorie) stellen. Auf der anderen Seite wurden jedoch ihre Bildungsansprüche ignoriert, was zur Folge hatte, dass sie von den Naturwissenschaften auch nicht wirklich ernst angenommen wurde (SCHULTZ 2012, S. 75–78).

37 Akademisierung der Geografie

Diese Zweitfachstellung änderte sich jedoch mit der Akademisierung der Geografie durch die Reichsgründung 1871, denn um im Universitätsalltag Bestand zu haben, mussten sich die Akademiker mit der Kritik auseinandersetzen, dass Geografie nur ein Stapelplatz für Fremdstoffe sei.

Ein Ende des verschwommenen Bildes wurde durch Ferdinand von Richthofen herbeigeführt. Durch seine starke Persönlichkeit bekam die alte Auffassung, die Geografie sei für die Erdoberfläche und die darauf befindlichen Erscheinungen und dessen Wechselwirkungen zuständig, wieder Gewicht (SCHULTZ 2012, S. 78–79).

Was ist Geografie?

Dennoch nahmen die Diskussionen über die Definition der Geografie kein Ende und wurden fortgeführt. Dabei gab es zwei Möglichkeiten, wie man zu einem sinnvollen Ergebnis kommen konnte. Entweder man akzeptierte den Dualismus Natur–Mensch, oder man versuchte diese beiden unter einen Hut zu bringen.

Da die Länderkunde beide Gegenstände integrierte, wurde auf sie das Hauptaugenmerk im Unterricht gerichtet. C. Ritters Ansatz wurde kurzerhand zur Sackgasse erklärt (SCHULTZ 2012, S. 79–80).

Der Weg zur reinen Naturwissenschaft war ihr daher verwehrt, und so entstand die Vorstellung einer Wissenschaft, die den konkreten Raum als ihren Mittelpunkt hatte.

Der Raum war als Landschaft für jedermann ersichtlich, wodurch die Geografie im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts als Landschafts- und Länderkunde definiert wurde. Das länderkundliche Schema stellte einzelne Länder und deren Schichten, später Geofaktoren dar (BATHELT u. GLÜCKLER 2002, S. 18–19).

Geografie als Raumwissenschaft

Durch den Deutschen Geographentag 1969 und das entstandene Konzept von Bartels, welches den Raum als geometrisches Gebilde im Mittelpunkt der Betrachtung sieht und nicht mehr als Landschaften und Länder, bestand die Aufgabe der

38 Geografie darin, räumliche Verteilungen und Verflechtungen von Phänomenen durch Gesetze des Raumes zu erklären (BATHELT u. GLÜCKLER 2002, S. 20).

Sozialtheoretischer Ansatz

Dieses raumwissenschaftliche Paradigma hatte bis in die 1980er-Jahre seine Gültigkeit, bis es zu einem erneuten Paradigmenwechsel in der Geografie kam, bei dem vor allem sozialtheoretische Vorstellungen in den Gegenstand einflossen. Laut BATHELT und GLÜCKLER (2002, S. 22) kam es zu einer „Inversion der Verursachungsrichtung“, denn soziale und ökonomische Phänomene bestimmen räumliche Strukturen und nicht umgekehrt. Somit rücken Akteure, Individuen, aber auch Organisationen und deren Handeln in den Mittelpunkt der Geografie. Dieser Ansicht ist auch SCHMIDT-WULFFEN, der diese neue sozialgeografische Theorie vertritt und den gesellschaftlichen Prozess in den Mittelpunkt rückt, dessen Hauptakteur wieder der Mensch ist (KLAPPACHER 2002, S. 16).

3.2 Geografie in Österreich

In Österreich stellt das Fach Geografie eine Besonderheit dar, denn mit dem Schulorganisationsgesetz 1962 sollten die Lebensbereiche Wirtschaft und Gesellschaft in die Allgemeinbildung eingebunden werden. Dabei wurde der Bereich Wirtschaft der Geografie zugeordnet, sodass sich diese Geografie und Wirtschaftskunde nannte. Dies hatte kaum Auswirkungen auf die Inhalte, da man bis in die 1970er-Jahre noch Staaten, Länder, Landschaften in den Mittelpunkt stellte und wirtschaftliche Informationen hinzufügte (SITTE 2001, S. 157–160).

1967 fanden zahlreiche Schulversuche statt, die Themen verwendeten, die ökonomische, räumliche, soziale und politische Aspekte integrierten (SITTE 2001, S.

160–162).

In den 1980er-Jahren wurden anhand dieser Schulversuche und deren Ergebnisse ein neuer Bildungsauftrag erteilt, und durch die neue fachdidaktische Strukturierung der Geografie wurde das Fach Geografie und Wirtschaftskunde nach SITTE (2001, S.

162) zu einem „… doppelpoligen Zentrierungsfach unter dem Gesichtspunkt der

39 politischen Bildung“. Auswirkungen, Probleme und Motive des menschlichen Handelns sollten im Mittelpunkte stehen und in den Aktionsbereichen „Raum“ und

„Wirtschaft“ verständlich gemacht werden. Dieser Umstand führte SITTE (2001, S.

164) dazu, ein neues fachdidaktisches Konzept zu entwerfen, das nicht mehr die Vorstellung und Verständigung von räumlichen Strukturen zum Ziel hat, sondern den handelnden Menschen in den Mittelpunkt stellt, denn viele gesellschaftspolitische und ökonomische Entwicklungen sind nicht zwangsläufig auf räumliche Gegebenheiten zurückzuführen. Durch dieses Konzept entstehen wirtschafts- wie raumbezogene Aktivitäten. KLAPPACHER (2001, S. 20) sieht in der Verknüpfung von Geografie und Wirtschaftskunde einen innovativen Geist, da diese „… die zentrale Stellung des Menschen in Raum und Wirtschaft betont, um beide Ansätze sinnvoll zu verknüpfen“.

40