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Fachdidaktik in der kritisch-konstruktiven Didaktik

2 Bildungstheorie – eine Überlegung

2.3 Bildungstheorie und Fachdidaktik

2.3.2 Fachdidaktik in der kritisch-konstruktiven Didaktik

Die bildungstheoretische Didaktik in der modernen Form der kritisch-konstruktiven Didaktik zeigt Unterschiede zum vorangegangenen Modell KLAFKIs. Durch die entstandenen allgemeindidaktischen Zielsetzungen der Selbstbestimmungs-, Mitbestimmungs- und Solidaritätsfähigkeit erkennt PLÖGER einen geeigneteren Bezug bestimmter Fächer zur kritisch-konstruktiven Didaktik (1999, S. 74), zumal auch die fünf Sinngebungen in diesem Modell wegfallen.

Ansatzpunkte für die Herstellung des Verhältnisses von Geografie und Wirtschaftskunde mit der kritisch-konstruktiven Didaktik stellen die Bedeutungsmomente der Allgemeinbildung von KLAFKI dar. In der Folge zäumt man sozusagen „das Pferd von hinten auf“, da von Moment drei bis eins die Relevanz bzw. die Bedeutung für die Fachdidaktik steigt.

2.3.2.1 Das neue Allgemeinbildungskonzept in der Fachdidaktik

„Vielseitige Bildung“

Die vielseitige Bildung bindet instrumentelle und emanzipatorische Fähigkeiten mit ein. Rechen, Schreiben, Lesen etc. zählen zu den instrumentellen Fähigkeiten, die nach KLAFKI (1991, S. 75) „… im Zusammenhang mit emanzipatorischen Zielsetzungen, Inhalten und Fähigkeiten erlernt werden …“ sollen. Dies zeigt, dass gewisse Fächer, die solche Sekundärtugenden bevorzugt lehren, eine geringere Bedeutung besitzen als jene, die emanzipatorische Fähigkeiten schulen. Als emanzipatorisch gelten dabei jene Fähigkeiten, die über instrumentelle Befähigungen hinausreichen und zur Urteilsbildung bei epochaltypischen Schlüsselproblemen (siehe Kapitel 1.1.2) auftreten sollen.

28 Geografie und Wirtschafskunde – ein „hybrides Wesen“

Über diese Schlüsselprobleme kann ein Bezug zum Schulfach Geografie und Wirtschaftskunde hergestellt werden und dies zeigt daher schon eine gewisse Affinität zur kritisch-konstruktiven Didaktik. Vor allem die Fähigkeit des „vernetzten Denkens“ trifft auf die Geografie zu, denn nach RHODE-JÜCHTERN (2009, S. 7) stellt die Geografiedidaktik ein „hybrides Wesen“ dar, welches ein breites Spektrum an anderen Wissenschaften zusammendenken muss. Dies legt den Grundstein für diese Fähigkeit und bildet mit anderen Anliegen die Aufträge des Schulfaches Geografie und Wirtschaftskunde (RHODE-JÜCHTERN 2009 S. 92). Doch nicht nur mit diesem Bedeutungsmoment kann man Geografie für KLAFKIs Didaktik legitimieren, sondern auch in den beiden folgenden Momenten lässt sich ein Zusammenhang herstellen.

„Bildung im Medium des Allgemeinen“

Bei diesem Aspekt spricht man von speziellen Inhalten, den sogenannten epochaltypischen Schlüsselproblemen. Sieht man sich die Liste dieser an, so erkennt man nach PLÖGER (1999, S. 82) eine primäre Bedeutung für sozialwissenschaftliche Fächer und eine sekundäre für naturwissenschaftliche, denn gut die Hälfte der Themen fällt in den Bereich des Politikunterrichts. Nur drei Themenkomplexe (Umweltfrage, Möglichkeiten und Gefahren des naturwissenschaftlichen, technischen und ökonomischen Fortschritts, Verwissenschaftlichung der modernen Welt) fallen naturwissenschaftlichen Fächern zu, die restlichen teilen sich in eine fächerübergreifende Schnittmenge auf, die inhaltlich zu den Schulfächern Deutsch, Biologie, Religion, Politik und Sport zu zählen sind (1999, S. 82).

Stellenwert des Faches Geografie und Wirtschaftskunde im Kontext der Schlüsselprobleme

Angesichts der sekundären Stellung der Fächer mit naturwissenschaftlichem Hintergrund schneiden Geografie und Wirtschaftskunde im Verhältnis zu anderen Fächern relativ gut ab. Blickt man jedoch genauer auf die Themen bzw.

29 Schlüsselprobleme, so lassen sich mehr von ihnen mit der Geografie und Wirtschaftskunde verknüpfen, als dies im Vorhinein den Anschein hatte. Da die Geografie, wie im vorangegangenen Kapitel angeklungen ist, ein „hybrides Wesen“

(RHODE-JÜCHTERN 2009, S. 7) darstellt, findet das Fach auch Legitimation in jenen Schlüsselproblemen, die fächerübergreifend eine Schnittmenge bilden.

Doch nicht nur diese Schlüsselprobleme können in der Geografie behandelt werden, sondern auch jene mit sozialwissenschaftlichem Hintergrund. In den letzten Jahrzehnten hat sich die Geografie und Wirtschaftskunde von der Länderkunde und der rein naturwissenschaftlichen Betrachtung verabschiedet. In der heutigen Diskussion und im Kontext des Cultural Turns wird von der Geografie mehr denn je als einer „dritten Säule“ gesprochen, die weder reine Naturwissenschaft noch reine Sozialwissenschaft darstellt, sondern diese beiden zusammenzudenken versucht (RHODE-JÜCHTERN 2009, S. 116). Aus dieser Vielfältigkeit der Geografie kann man erkennen, dass das Fach Geografie und Wirtschaftskunde mit allen Schlüsselproblemen KLAFKIs so gut wie möglich im Einklang steht, sodass nicht von einer anfänglich sekundären, sondern einer primären Bedeutung des Faches für die Themenkomplexe auszugehen ist.

Das Thema der Wirtschaftskrise im Medium des Allgemeinen

Geografisch-wirtschaftskundlicher Kontext

Wie angesprochen, geht man von einer primären Bedeutung des Faches Geografie und Wirtschaftskunde im Zusammenhang mit den epochaltypischen Schlüsselproblemen aus. Zum einen ist diese Feststellung lobenswert für das Fach, doch birgt es eine gewisse Gefahr in sich, die auch SCHULTZ (2013, S. 60) erkannte:

„Besonders gefährdet für Problemüberfrachtung ist zweifellos die Geographie, die sich nach Selbstanspruch, vielleicht auch Selbstmissverständnis, als ‚Brückenfach‘

und Sammellinse für alle möglichen Fächer anbietet und geradezu magnetisch Themen von einer solchen Bandbreite anzieht, wie es ihr sonst kein anderes Fach nachmacht.“ SCHULTZ sprach dabei auch von Schlüsselproblemen, wenn er Themen mit großer Bandbreite nannte. Da es in dieser Arbeit um die Inhaltskomponente

30 geht, ist es für die Inhaltssuche essenziell, nicht jedes Schlüsselproblem geografisch-wirtschaftskundlich zu betrachten.

SCHMIDT-WULFFEN (1994, S. 81) sieht in den Schlüsselproblemen KLAFKIs jene Grundsätze von S.B. Robinsohns Geografiedidaktik der 1970er-Jahre und kommentiert dies wie folgt: „Klafki bietet mit dem Konzept der ‚Schlüsselprobleme‘

einen meines Erachtens konsensfähigen Weg, zu Inhalten zu finden, die auf die Lebenswirklichkeit, auf die Bewältigung individueller und gesellschaftlicher Lebenspraxis zielen.“ Er sieht diese Probleme als Hilfestellung zur Themenwahl und Verhinderung einer raschen Veralterung dieser. Zur „weisen Selbsteinschätzung“

nach SCHMIDT-WULFFEN (1994, S. 82) stellt er folgende Schlüsselprobleme in den

„Dienst“ der Geografie und Wirtschaftskunde: Zukunftsthemen wären für SCHMIDT-WULFFEN (KLAPPACHER 2002, S. 17–18) jene der Umwelterhaltung und die der globalen Ungleichheiten. Schlüsselprobleme, die für die Geografie und Wirtschaftskunde auch von Bedeutung sind, wären die Völkerverständigung und Friedenssicherung, soziale Ungleichheit, der Umgang mit Minderheiten und Arbeit.

Sieht man sich die ausgewählten Schlüsselprobleme genauer an (siehe Abbildung 2), so kann man davon sprechen, den Gegenstand der Wirtschaftskrise in einigen der Schlüsselprobleme bzw. deren Unterpunkten erkennen zu können. Bei den Schlüsselproblemen Umwelterhaltung und Umgang mit Minderheiten finden sich keine Übereinstimmungen mit dem ausgewählten Thema, sodass sich vier Probleme für das Thema ergeben.

31 Wirtschaftskrise als Schlüsselproblem?

Geht man nun einen Schritt weiter und versucht das Thema der Wirtschaftskrise als eigenständiges Schlüsselproblem in den bestehenden Kanon zu integrieren, so muss geprüft werden, ob die geforderten Kriterien in diesem Gegenstand enthalten sind und das Thema somit als Schlüsselproblem legitimiert wird.

Die von KLAFKI genannten Schlüsselprobleme stellen sich als epochaltypisch dar und können im Lauf der Zeit erweitert und weiterentwickelt werden, jedoch nicht in

Abbildung 2: Geografisch-wirtschaftskundliche Schlüsselprobleme nach Schmidt-Wulffen (Quelle: eigener Entwurf)

32 beliebiger Art und Weise (1991, S. 60). Dazu muss ein Schlüsselproblem gewisse Kriterien erfüllen, die nach KLAFKI „… epochaltypische Strukturprobleme von gesamtgesellschaftlicher, meistens sogar übernationaler bzw. weltumspannender Bedeutung …“ (1991, S. 60) in sich bergen und „… jeden einzelnen zentral betreffen“

(1991, S. 60) sollen.

a) Wirtschaftskrise als epochaltypisches Strukturproblem

Wirtschaftskrisen zählen nach PLUMPE als „… wiederkehrende, prägende Ereignisse der Geschichte …“ (2010, S. 7), vor allem die Krisen der modernen Wirtschaft folgen einem bestimmten Rhythmus. Weiters muss jede Krise in einem historischen Hintergrund und dessen Eigenheiten gesehen werden (2010, S. 26), was das geschichtliche Element des Themas und dessen Vorkommen in der Geschichte im Sinne epochaltypisch beschreiben soll.

b) Wirtschaftskrise und dessen gesamtgesellschaftliche, übernationale und weltumspannende Bedeutung

Wirtschaftskrisen haben nach PLUMPE eine große Bedeutung, da nicht nur wirtschaftliche, sondern auch politische und soziale Probleme aus diesen entstehen (2010, S. 7), was die Vielschichtigkeit und gesellschaftspolitische Dimension dieser deutlich macht. Zudem wird durch den wirtschaftlichen Aufstieg Asiens der internationale Wirtschaftraum wachsen, womit auch in Zukunft mit Wirtschaftskrisen auf globaler Ebene zu rechnen sein wird (2010, S. 14).

c) Wirtschaftskrisen betreffen jeden einzelnen

Waren die beiden vorangegangenen Kriterien a) und b) mit dem Thema der Wirtschaftskrise zu vereinbaren, so lässt sich über diesen Punkt streiten, da sehr viele Menschen nicht direkt von Wirtschaftskrisen betroffen sind – bzw. ist dies ihre subjektive Empfindung –, doch sind sie es meistens indirekt und nehmen die Auswirkungen deshalb nicht als Krise wahr. Knut BORCHHARDT spricht in diesem Fall

33 von der „Krise für sich“ (PLUMPE 2010, S. 11). In diesem Sinne sind auch die Menschen ein entscheidender Faktor in der Krise nach PLUMPE, denn nicht nur die Reaktion von Politik, Wissenschaft und Wirtschaft, sondern auch die Erwartungshaltungen von Haushalten spielen eine wichtige Rolle im wirtschaftlichen Geschehen (2010, S. 11).

Zusammenfassend kommt man zu dem Schluss, dass das Thema der Wirtschaftskrise in der modernen Zeit als epochaltypisch angesehen werden kann und sich als eigenständiges Problem etablieren könnte.

„Bildung für alle zur Selbstbestimmungs-, Mitbestimmungs- und Solidaritätsfähigkeit“

Dieses Bedeutungsmoment steht ganz im Zeichen politischer Bildung, da Selbstbestimmungs-, Mitbestimmungs- und Solidaritätsfähigkeit die zentralen Zielsetzungen in KLAFKIS Allgemeinbildungskonzept darstellen. Auch SCHNELLER (1975, S. 87) sieht in der politischen Bildung jenes Instrument, in dem gesellschaftliche und wirtschaftliche Bereiche integriert werden sollen. Diese sind Grundvoraussetzungen, damit ein Mensch zur politischen Meinungs- und Willensbildung befähigt wird. Die Ziele der politischen Erziehung nach SCHNELLER haben somit immer die Emanzipation des Menschen zur Folge (1975, S. 88). Damit trifft die politische Bildung genau das Kernthema der klassischen wie modernen Bildungstheorie.

Wie im obigen Kapitel angeführt, wird die Hälfte der Schlüsselprobleme durch den Politikunterricht abgedeckt. In Österreich gilt politische Bildung seit 1978 (GOETZ 1995, S. 25) als fächerübergreifendes Unterrichtsprinzip (VIELHABER 1989, S. 12), und daher ist dieses Prinzip in jedem Fach vertreten, auch wenn Geschichte als besonders geeignet für dieses Prinzip erscheint (PLÖGER 1999, S. 74).

34 Geografie und Wirtschaftskunde im Sinne politischer Bildung

Das Schulfach Geografie und Wirtschaftskunde braucht den Vergleich mit dem Geschichtsunterricht jedoch nicht zu scheuen, denn nach STIPSITS trägt (1989, S.

82) die Geografie einen bedeutenden Beitrag zur politischen Bildung bei und erfüllt wichtige bildungspolitische Aufgaben.

So sieht VIELHABER (1989, S. 26) den politischen Gehalt des Faches Geografie (und Wirtschaftskunde) „… in der Auseinandersetzung des heranwachsenden Menschen mit der gesellschaftlichen Entwicklung und der damit verbundenen räumlichen Wirklichkeit, die sich in ungleich verteilten räumlichen Verfügbarkeiten, Nutzungen und Inwertsetzungen äußert“. Dabei hat Geografie und Wirtschaftskunde ein großes Potenzial von bildungspolitischer Natur, welches aufgrund des vorherrschenden starren Lehrplanes nicht ausgeschöpft werden kann (1989, S. 35). Dieser könnte jedoch „konstruktiv“ im Sinne von KLAFKI verändert werden (1991, S. 90) und müsste sich laut SCHNELLER (1975, S. 88) an den Zielen der politischen Bildung orientieren.

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3 Paradigmenwechsel im Fach Geografie und