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3 Forschungsstand zur Beschäftigungs- und Arbeitsmarktsituation von

3.1 Nationale und internationale Erhebungen zur Arbeitsmarktsituation von

In Deutschland lebten laut Angaben des Statistischen Bundesamtes (Destatis) zum Jah-resende 2017 rund 7,8 Millionen Menschen mit Schwerbehinderungen in Deutschland.

Das waren rund 151 000 oder 2,0 % mehr als am Jahresende von 2015 und somit waren 9,4 % der gesamten Bevölkerung in Deutschland schwerbehindert. Hierzu zählen Men-schen mit einem Behinderungsgrad von mindestens 50 und die über einen gültigen Aus-weis verfügen (vgl. Destasis 2018, o. S.).

Zum allgemeinen Verständnis werden im Folgenden die Beteiligung am Erwerbsleben und die Veränderung der Arbeitslosigkeit5 von Menschen mit und ohne Schwerbehinde-rung dargestellt. Dabei waren im Jahr 2013 nur 42,3 % der Menschen mit Schwerbehin-derungen im Alter von 15 bis <65 Jahren erwerbstätig, aber die Erwerbstätigenquote der gesamten Bevölkerung lag bei 73,3 % (siehe Abbildung Nr. 1). Aus der zweiten Grafik (siehe Abbildung Nr. 2) geht hervor, dass 2017 vor allem die Dauer der Arbeitslosigkeit und der Anteil der Langzeitarbeitslosen bei Menschen mit Schwerbehinderungen deutlich höher waren als bei Menschen ohne Schwerbehinderungen (vgl. Riedel 2018, o. S.).

5 „Arbeitslose sind Personen, die wie beim Anspruch auf Arbeitslosengeld vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis stehen, eine versicherungspflichtige Beschäftigung suchen und dabei den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung stehen und sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet haben“ (§ 16 Absatz 1 SGB III).

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Abbildung 1: Beteiligung schwerbehinderter Menschen am Erwerbsleben

(Riedel 2018, o. S.)

Abbildung 2: Veränderung der Arbeitslosigkeit bei schwerbehinderten und nicht-schwerbehinderten Menschen

(Riedel 2018, o. S.)

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Analysiert man nun die Arbeitsverhältnisse von Menschen im Autismus-Spektrum auf nationaler sowie internationaler Ebene, stößt man zuweilen auf sehr viele Erhebungen, Angaben, repräsentative sowie nicht repräsentative Studien. Bereits 2001 veröffentlich-ten Barnard et al. eine Studie aus der hervorgeht, dass in Großbritannien 24 % der Men-schen im Autismus-Spektrum keiner Arbeit nachgehen. Die Autor*innen unterscheiden hier zwischen den sogenannten „High-Functioning-Autist*innen“ (Asperger Syndrom) und „Low-Functioning-Autist*innen“. Insgesamt arbeiten nur 6 % in einem Vollzeit- und nur 4% in einem Teilzeitverhältnis. Davon sind nur 2 % der Low-Functioning-Autist*in-nen und 12% der High-Functioning-Autist*inLow-Functioning-Autist*in-nen in einem Arbeitsverhältnis bzw. 6 % in Teilzeit beschäftigt (vgl. Barnard et al. 2001, S. 18).

Im weiteren internationalen Vergleich sieht die Situation ähnlich aus. So z. B. weisen Baumgartner, Dalferth und Vogel auf eine nicht repräsentative Studie in den USA von Bovee (1999) hin. Danach gehen 65 % der Menschen im Autismus-Spektrum keiner ge-regelten Beschäftigung nach und von den 35 % der Beschäftigten arbeitet der größte Teil in sogenannten „Sheltered Workshops“ (Werkstätten für Menschen mit Behinderungen).

Es sei jedoch noch darauf hingewiesen, dass die Übrigen zwar eine kompetitive Arbeit verrichten aber nur ein geringer Teil davon entsprechend ihren tatsächlichen Möglichkei-ten und Begabungen (vgl. Baumgartner/Dalferth/Vogel 2009, S. 19).

2003 veröffentlichte Howlin eine Zusammenfassung von 15 Studien, die zwischen 1966 und 2002 zu Beschäftigungsverhältnissen von Menschen im Autismus-Spektrum durch-geführt wurden. Dabei konnte Howlin feststellen, dass lediglich 24 % der Menschen im Autismus-Spektrum einen Beschäftigungsstatus inne hatten aber auch hier wieder über-wiegend in Werkstätten für Menschen mit Behinderungen (vgl. Howlin 2003, S. 278 ff.).

Überdies verweisen Baumgartner, Dalferth und Vogel noch auf zwei weitere Untersu-chungen von Hounsell (2004) für Großbritannien und Marsh (2000) für die USA, hin.

Hier wird ersichtlich, dass nur 5 bis 6 % der Erwachsenen im Autismus-Spektrum einer Vollzeitstelle auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachgehen. Zusammenfassend kann so-mit gesagt werden, dass zwei Drittel bis drei Viertel der Menschen im Autismus-Spekt-rum kaum am Arbeitsleben teilhaben. Die Bundesrepublik Deutschland kann zwar flä-chendeckende Angebote in Form von Werkstätten für Menschen mit Behinderungen vor-halten und dort haben viele der in einem Arbeitsverhältnis stehenden Erwachsenen im Autismus-Spektrum auch eine Arbeitsstelle gefunden. Allerdings gehen in den USA oder Großbritannien wesentlich mehr Autist*innen einer kompetitiven Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nach als in Deutschland. Wobei hier meistens von Teilzeitstel-len die Rede ist, vor allem mithilfe von sogenannten „Supported Employment Maßnah-men“. Es ist jedoch immer davon auszugehen, dass dieser untersuchte Personenkreis über

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sehr unterschiedliche Begabungen und Fähigkeiten verfügt und somit können keine ver-bindlichen Aussagen getroffen werden, wie sich die Behinderung oder die intellektuellen Fähigkeiten im Einzelnen auswirken (vgl. Baumgartner, Dalferth, Vogel 2009, S. 22 f.).

Inzwischen findet man durchaus viele weitere Untersuchungen die durchgeführt wurden, um die Beschäftigungssituation von Menschen im Autismus-Spektrum in Deutschland zu überprüfen. Jedoch gibt es laut Dalferth nur wenige aussagekräftige Studien, wenn man lediglich den Personenkreis der High-Functioning-Autist*innen betrachtet. Bei diesem Personenkreis wird davon ausgegangen, dass dieser aufgrund seiner kognitiven und sprachlichen Voraussetzungen jederzeit einer inklusiven und kompetitiven Tätigkeit nachgehen könnte. Das hängt überwiegend damit zusammen, dass viele Menschen im Autismus-Spektrum in Form des Asperger-Syndroms, statistisch gesehen, weder identi-fiziert, noch diagnostiziert sind. Somit können nur die Autist*innen erfasst und über deren beruflichen Werdegang Aussagen getroffen werden, die in einer Klinik vorstellig waren.

2005 konnten Bölte und Werner et al. in einer Studie feststellen, dass 19 % der Menschen im Autismus-Spektrum auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sind (vgl. Dalferth 2014, S. 224).

Betrachtet man z. B. die 1997 von Leppert durchgeführte „Umfrage zur beruflichen Situ-ation autistischer Erwachsener“, befinden sich 75 % der untersuchten Personen (99) in einer Beschäftigung, Berufsvorbereitung oder Ausbildung, wobei ein Großteil im Alltag auf Hilfen angewiesen ist und fast 40 % einen Sonderschulabschluss haben. Somit sind wie bereits im internationalen Vergleich, etwa zwei Drittel der Menschen im Autismus-Spektrum in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen beschäftigt. Hier kann also nicht von einer Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gesprochen werden (vgl. Leppert 1999, S. 35 f.). Hinzu kommt außerdem, dass die Altersspannen der unter-suchten Personen in den einzelnen Studien sehr variieren und somit eine Vergleichbarkeit nur eingeschränkt möglich ist (vgl. Baumgartner, Dalferth Vogel 2009, S. 18).

Dziobek und Stoll zeigen aus eigenen Erhebungen (siehe dazu Strunz et al., 2017 und Kirchner & Dziobek, 2014) mit High-Functioning-Autist*innen bzw. spätdiagnostizier-ten Personen im Autismus-Spektrum, dass die Ausbildungsabschlüsse deutlich höher sind als von stärker betroffenen Personen im Autismus-Spektrum. Somit hatten 30 % einen Universitätsabschluss, ca. 30 % eine betriebliche Ausbildung abgeschlossen und ca. 40

% waren zu dem Zeitpunkt arbeitslos und erhielten eine staatliche Unterstützung. Auch Untersuchungen von Roux et al., 2013 und Lehnhardt et al., 2011 untermauern diese Zah-len (vgl. Dziobek/Stoll 2019, S. 44).

In einer 2015 durchgeführten Online-Befragung zur „Arbeitssituation von Menschen im Autismus-Spektrum“ von Müller wurden 241 Personen im Autismus-Spektrum befragt.

Dabei gaben ca. 26 % an, erwerbsunfähig oder arbeitslos zu sein, 40 % sind

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mer*innen ohne Unterstützung oder Selbstständig, also auf dem ersten Arbeitsmarkt tä-tig, ca. 4 % waren im Rahmen einer geförderten Unterstützung auf dem zweiten Arbeits-markt tätig und 5,5 % absolvierten eine Ausbildung. Lediglich 1,67 % der Befragten ga-ben an, keinen oder einen Sonderschulabschluss zu haga-ben, aber 47 % haga-ben eine abge-schlossene Ausbildung oder ein abgeabge-schlossenes Hochschulstudium. Zusammenfassend ist hier davon auszugehen, dass weit mehr als 40 % der auf dem ersten Arbeitsmarkt tätigen Personen im Autismus-Spektrum für diesen qualifiziert sind (vgl. Müller 2015, S.

51 ff.).

Ähnliche Angaben finden sich auch in einer 2016 veröffentlichten qualitativen Analyse zu „Berufsbezogenen Erfahrungen und Wünschen von Menschen im Autismus-Spekt-rum“. Von 102 befragten Personen mit einem Durchschnittalter von 41 Jahren haben 29 den Fragebogen per Email vollständig beantwortet. Bis auf drei Personen verfügen alle über ein abgeschlossenes Hochschulstudium (9) bzw. mit Promotion (1), über ein abge-schlossenes Hochschulstudium plus eine Berufsausbildung (2), über eine abgeschlossene Berufsausbildung (12) sowie über ein Berufsförderungsjahr und anschließender abge-schlossener Berufsausbildung (2). Lediglich 13 der Befragten gingen zu dem Zeitpunkt einer Beschäftigung (einschließlich Teilzeit-, Aushilfs- und freiberuflicher Tätigkeiten) nach. 13 Personen waren erwerbsunfähig, berentet, dauerhaft krankgeschrieben oder ar-beitssuchend und drei Personen absolvierten aktuell noch ein Studium. Es ist auch hier festzustellen, dass die Befragten trotz guter bis sehr guter Berufsabschlüsse, von Arbeits-losigkeit bedroht sind und negative Erfahrungen in ihren beruflichen Werdegängen ma-chen mussten. Weiterhin ergab die Analyse, dass ein Mangel an Unterstützung und Ak-zeptanz im beruflichen Umfeld und ungeeignete Unterstützungsmaßnahmen durch Insti-tutionen einen großen Problembereich bilden und den Leidensdruck deutlich erhöhen.

Der Wunsch nach konkretem Unterstützungsbedarf durch autismusspezifische Angebote wurde ausdrücklich benannt (vgl. Proft et al. 2016, S. 277 ff.).

Riedel et al. führten von 2009 bis 2011 eine prospektive Untersuchung zu „Menschen mit hochfunktionalem Autismus am Arbeitsmarkt“ mit 240 Personen im Autismus-Spektrum nach ICD-10 zwischen 17 und 64 Jahren durch. Auch hier sprechen die Zahlen für sich, denn trotz guter Bildungsabschlüsse (50 % allgemeine Hochschulreife, 39 % abgeschlos-senes Hochschulstudium) waren 58% nicht berufstätig. Lediglich 10 % der Befragten gingen einer ihrer Ausbildung angemessenen Tätigkeit nach und 25 bis 30 % waren in einem Arbeitsverhältnis beschäftigt, dass deutlich unter ihrem Ausbildungsniveau lag.

Betrachtet man im Vergleich dazu, die Abschlüsse der Allgemeinbevölkerung in Deutschland aus dem Jahr 2009 (Statistisches Bundesamt), so lag die Abiturient*innen-quote bei 46 % und die der Absolvent*innen von Universitäten oder Fachhochschulen bei 29 % (vgl. Riedel et al. 2016, S. 42).

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Abschließend soll noch eine aktuelle Studie zur „Beruflichen Situation von Menschen im Autismus-Spektrum“, die das „Projekt REHADAT“ des Instituts der deutschen Wirt-schaft Köln e. V. in Kooperation mit dem Bundesverband Autismus Deutschland e. V.

durchführte und vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales gefördert wurde, vor-gestellt werden. Es handelte sich hierbei um eine Online-Befragung, an der zwischen September 2018 und November 2018 205 Personen teilnahmen und 80 % besaßen die Diagnose Asperger-Syndrom. Wobei fast 55 % der Befragten durch einen Grad der Be-hinderung von 50 und mehr als schwerbehindert anerkannt waren. Die Qualifikationen betreffend, hatten 43 % einen Berufsabschluss (Lehre/Berufsfachschule), 39 % einen Hochschulabschluss und 4 % einen Abschluss als Meister*in oder Techniker*in oder Fachwirt*in. 12 % der Teilnehmer*innen absolvierten im Befragungszeitraum aktuell noch eine Ausbildung, ein Studium und ein Teilnehmer promovierte. Nur 11 % der Be-fragten gaben an, dass sie keinen beruflichen Abschluss abgelegt haben. Bei dieser Studie ging es vordergründig darum, die berufliche Situation von Menschen im Autismus-Spektrum zu untersuchen und demzufolge befanden sich alle Befragten in einem Beschäf-tigungsverhältnis (55 % Angestellte, 14 % Selbstständige, 11 % Ausbildung, 7 % Mi-nijobs, 6 % Inklusionsfirma, 4 % WfbM, 2 % Praktikum). Zusammenfassend stellt für 72 % der Umgang mit sozialen Situationen und mit Kommunikation am Arbeitsplatz die größten Herausforderungen dar. Die Ergebnisse sind aufgrund der Anzahl der Befragten jedoch nicht repräsentativ für alle erwerbstätigen Menschen im Autismus-Spektrum in Deutschland (vgl. Institut der deutschen Wirtschaft 2019a, S. 1 ff.).