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3 Forschungsstand zur Beschäftigungs- und Arbeitsmarktsituation von

3.2 Eigene Forschungsergebnisse

Aufgrund eigener langjähriger Erfahrungen in der Arbeit mit Menschen im Autismus-Spektrum mit dem Schwerpunkt „Autismus und Arbeit“ hat die Autorin im Rahmen eines Forschungsprojektes der Fachhochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur in Leipzig von 2018 bis 2019 eine Studie mit der Methode der qualitativen Sozialforschung durch-geführt. In dieser Forschungsarbeit wollte die Autorin herausfinden, ob Autismus ein Hinweis darauf ist, weshalb sich der Großteil nicht in einem Arbeitsverhältnis befindet.

Dabei sollten vor allem die Übergänge von der Schule ins Berufsleben von Menschen im Autismus-Spektrum untersucht werden. Daraus ergab sich folgende Forschungsfrage:

„Wie gestalten sich die Übergangsverläufe nach der Schule von Menschen im Autismus-Spektrum?“. Als Erhebungsmethode wurde das offene Leitfadeninterview verwendet, so dass die Befragten frei antworten konnten. Es wurden insgesamt 17 Menschen im Autis-mus-Spektrum befragt und acht Interviews transkribiert (vgl. Schipp/Becker 2019, S.

7 f.).

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Die Arbeitshypothesen, die Schipp und Becker formuliert haben, lauteten:

1. „Die nicht optimalen Übergänge nach der Schule tragen dazu bei, dass ein Groß-teil der Menschen im Autismus-Spektrum nicht auf den allgemeinen Arbeitsmarkt integriert werden können.

2. Durch negative Erfahrungen im Übergangsprozess von der Schule ins Berufsle-ben leiden vor allem die Motivation und Bereitschaft der Menschen, sich in die Erwerbsarbeit zu integrieren, deutlich.

3. Die Autismus-Diagnose spielt für das Scheitern auf dem ersten Arbeitsmarkt eine große Rolle/die größte Rolle“ (Schipp/Becker 2019, S. 8).

Die Ergebnisse lauten zusammengefasst wie folgt:

„Aus den exemplarischen Aussagen kann für Hypothese eins geschlussfolgert werden, dass die Angebote zur beruflichen Orientierung überwiegend keine Hilfe dargestellt ha-ben, um gut informiert zu sein, welche Berufe in Frage kommen. Allerdings wurde nicht explizit definiert, ob solche Angebote bereits zum Übergangsprozess zu zählen sind oder noch zur Hauptkategorie Schulverlauf gehören. Es gibt keine beruflichen Maßnah-men speziell für Menschen im Autismus-Spektrum, die an den Schulabschluss anschlie-ßen, um auf das Arbeitsleben vorbereitet zu werden. Zudem sind die Rahmenbedingun-gen vieler AusbildunRahmenbedingun-gen und Studiengänge nicht für Menschen im Autismus-Spektrum geeignet. Die Lebensläufe der Befragten sind von Abbrüchen, neuen Richtungen, ver-schiedenen Maßnahmen oder langer Arbeitslosigkeit geprägt. Diese Umstände lassen den Schluss zu, dass die Übergänge nach der Schule nicht optimal verliefen. Zu beach-ten ist außerdem, dass es in allen Fällen nicht am fehlenden Schulabschluss liegen kann, da alle einen Schulabschluss (überwiegend Realschulabschluss) vorweisen können.

Hier könnte die Vermutung aufgestellt werden, dass eine autismusspezifische Betreu-ung nach der Schule und vor allem mehr Zeit zur VerwirklichBetreu-ung selbstgewählter Ziele, zu einem positiveren Verlauf der beruflichen Laufbahn hätte führen können. Keiner der Befragten hat einen Übergang (außer in der DDR) durchlaufen, der ohne Umwege ver-lief bzw. Neuorientierungen, Umschulungsmaßnahmen oder eine Werkstatt für Men-schen mit Behinderungen bedeuten konnte. Somit kann die Hypothese eins bekräftigt werden, allerdings nur bezogen auf die acht befragten Personen. Hypothese zwei betref-fend, kann die Vermutung bekräftigt werden, dass durch ungeeignete berufliche Maß-nahmen, Studiengänge, Ausbildungen oder schlimme Erfahrungen mit dem Jobcenter, zu viele negative Erfahrungen gemacht wurden. Infolgedessen kommt es zu Resignation und Motivationslosigkeit. […] Bezüglich der dritten Hypothese kann angenommen wer-den, dass die Autismus-Diagnose vor allem eine Rolle spielt, wenn diese erst im Jugend- oder Erwachsenenalter gestellt wurde. Durch eine frühere Feststellung des Autismus-Spektrums, hätte möglichweise eine Unterstützung eher installiert werden und der be-rufliche Weg hätte positiver verlaufen können. Die Forscherinnen sind zudem der Mei-nung, dass nicht die Diagnose selbst, das Problem darstellt, sondern der Umgang des jeweiligen Umfeldes damit und den nicht geeigneten Rahmenbedingungen in Schulen, Bildungsreinrichtungen, Hochschulen, Ausbildungsstätten usw. Nur ein Viertel der Be-fragten gehen inzwischen einer Tätigkeit auf dem ersten Arbeitsmarkt nach“

(Schipp/Becker 2019, S. 17 f.).

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Auch im Rahmen dieser kleiner angelegten Untersuchung decken sich die Ergebnisse mit denen der bereits umfassend aufgeführten Studien. Es stellt sich indes die Frage, weshalb die Beschäftigungssituation von Menschen im Autismus-Spektrum trotz überdurch-schnittlicher Bildungsabschlüsse so prekär ist. Gründe dafür können laut Riedel et al. vor allem eine geringe gesellschaftliche Akzeptanz von Einzelgängertum, mangelnde Team-fähigkeit und weniger Unterstützung durch die Eltern sein. Zusätzlich steigen die Anfor-derungen an die exekutiven Fähigkeiten, die soziale Wahrnehmung und Kompetenz, die Selbstorganisation und Priorisierung von Aufgaben im Berufsleben. Während im Rah-men von Schule, Ausbildung und Studium die Kompensation der autistischen Schwäche möglicherweise noch gelang und eher toleriert wurde. Somit wird aus sozialpsychiatri-scher Sicht deutlich, dass gesellschaftliche Anstrengungen notwendig sind, dieses offen-sichtliche Potential der Autist*innen in den Arbeitsprozess zu integrieren. Allerdings konnte bislang keine Reaktion von der Politik oder den Krankenkassen verzeichnet wer-den (vgl. Riedel et al. 2016, S. 42).

Eine Möglichkeit dieser prekären Beschäftigungssituation entgegenzuwirken ist, Bedin-gungen zu schaffen, die es Autist*innen ermöglicht, ihr Potential und ihre Fähigkeiten entfalten zu können. In den folgenden Kapiteln möchte die Autorin deshalb aufzeigen, wie eine Umsetzung von „autismusfreundlichen Bedingungen“ im Berufsbildungswerk Leipzig realisiert werden kann.