• Keine Ergebnisse gefunden

5 Umsetzung in die Praxis

5.4 Ablauf eines Zertifizierungsverfahrens – Expertinneninterview

Um den Ablauf eines Zertifizierungsverfahrens genau beschreiben zu können, hat die Autorin ein Expertinneninterview mit einer Zertifiziererin des Fachausschusses „Autis-muskompetenz“ der BAG BBW durchgeführt. Hierbei handelt es sich um ein systemati-sierendes Expertinneninterview und der Schwerpunkt liegt in einer „[…] möglichst weit-gehenden und umfassenden Erhebung des Sachwissens der Experten bezüglich des For-schungsthemas. Das Interview dient der systematischen Informationsgewinnung, und die Funktion des Experten liegt darin, ‚Ratgeber‘ zu sein: Wir lernen direkt von den Experten, und zwar in umfassender, analytischer Weise“ (Bogner/Littig/Menz 2014, S. 24). Dazu wurde ein Leitfaden mit 26 Fragen (siehe Anhang 6) entwickelt und die Auswertung er-folgte durch eine qualitative Inhaltsanalyse. „Die Inhaltsanalyse fokussiert auf Informa-tionen, das heißt, das Wissen der Experten wird als eine Ansammlung von Informationen konzeptualisiert“ (ebd. S. 72).

Alle nachfolgenden Inhalte und Informationen basieren auf dem Expertinneninterview vom 20.09.2019 mit der Leiterin des Begleitenden Dienstes im Oberlin Berufsbildungs-werk in Potsdam und diese werden sinngemäß bzw. im gesprochenen Wortlaut wieder-gegeben.

Die Leiterin berichtet, dass sie seit 14 Jahren im Oberlin Berufsbildungswerk in Potsdam als Psychologin tätig und seit 2013 Abteilungsleitern des Begleitenden Dienstes bzw. des

„Fachdienstes Autismus“ sei. Der Fachdienst Autismus sei im Januar 2019 in Hinblick auf das Gütesiegel Autismus gegründet worden. 2005 habe die damalige Leitung ein

5 Umsetzung in die Praxis 60

Team für eine kleine Gruppe mit Autist*innen aufgebaut, um vorrangig Coaching durch-zuführen. Dadurch entstand der erste Kontakt mit der Thematik „Autismus“. Eine autis-musspezifische Qualifizierung habe die Leiterin nicht absolviert und diese sei auch nicht geplant. Bezüglich der Begriffe wie „Störung“, „Krankheit“ oder „Neurodiversität“ sowie

„Empowerment“, befinden sich die Mitarbeiter*innen des Oberlin BBW „in einer heißen Diskussion“. Die Psycholog*innen orientieren sich natürlich noch am ICD-10, da die Teilnehmer*innen ohne „Störung“ keine Hilfe erhalten. Innerhalb des Fachdienstes sei es aber so, dass nicht mehr von „Menschen mit Autismus“ gesprochen wird, sondern von

„Menschen im Autismus-Spektrum“. Dieser Paradigmenwechsel müsse sanft stattfinden, aber daraus resultiert die Grundhaltung im BBW. Diese Grundhaltung rege die Leiterin besonders an, da vor allem das Ärzt*innenteam das Autismus-Spektrum noch unter kli-nischen Gesichtspunkten betrachtet. Sie selbst befinde sich noch im Wandel aber die Kol-leg*innen, die diesen Wandel bereits seit Jahren vollzogen haben bzw. praktizieren, ha-ben sie überzeugt (vor allem das Vokabular betreffend). Persönlich sehe sie Autismus jedoch auch (noch) als Beeinträchtigung und verweist dabei auf die Autistin Gee Vero7 die ihr empfundenes Leid beschreibt und nicht „nur“ ein anderes Dasein.

In den 2015 gegründeten „Fachausschuss Autismuskompetenz“, sei die Leiterin im sel-ben Jahr einberufen worden. Auf Wunsch der Geschäftsführung hin, habe sie sich bewor-ben und eine Zusage erhalten. Auch nach der gemeinsamen Erarbeitung der Qualitätskri-terien sei die Mitgliedschaft mit Aufgaben verbunden. Zweimal im Jahr fänden verbind-liche Treffen in verschiedenen BBW statt, um den Zertifizierungsprozess zu optimieren, anzupassen, sich auszutauschen, um Schwierigkeiten zu besprechen, zu reflektieren und Lösungen zu vereinbaren. Diese Aufgaben beinhalten zudem diverse Zuarbeiten außer-halb der Treffen oder Zusammenkünfte kleinerer Arbeitsgruppen. Das Team des Fach-ausschusses Autismuskompetenz bestehe laut der Leiterin aus neun Personen, die alle Mitarbeiter*innen verschiedener BBW sind (zwei Psychiater, eine Sozialpädagogin und sechs Psycholog*innen).

Die Zusammenarbeit mit dem Bundesverband Autismus Deutschland e. V. sei auf der Vorstandsebene der BAG BBW entstanden und die Idee sei gewesen, eine BBW-Infra-struktur deutschlandweit für die Teilnehmer*innen zu schaffen, so dass jede/r Teilneh-mende im Autismus-Spektrum in jedem BBW aufgenommen werden könne. Dafür seien die Qualitätskriterien erarbeitet worden und mit dem Erhalt des Gütesiegels empfiehlt sich das BBW hinsichtlich der Autismus-Thematik. Bei der Erarbeitung der Kriterien sei vor allem hilfreich gewesen, dass manche Mitglieder etwas freier waren, was Autist*in-nen wirklich benötigen. Damit drücke die Leiterin aus, dass die Mitglieder, die in einem

7 Gee Vero: Künstlerin und Autorin (z. B. Bareface, The Art of Inclusion) (vgl. Vero o. J., o. S).

5 Umsetzung in die Praxis 61

BBW tätig sind, welches zu dem Zeitpunkt noch keine Siegel-Ambitionen besaß, unbe-irrter vorgehen konnten. Jedoch solle das Siegel für die Berufsbildungswerke ein erreich-bares Ziel bleiben. Somit müssten ein großer Spagat bezüglich der Bedürfnisse der Teil-nehmer*innen und den Anforderungen, die das BBW auch umsetzen können müsse, be-werkstelligt werden. Besonders die Leistungsschlüssel führten immer wieder zu neuen Diskussionen, da diese auch finanziert werden müssen, denn ansonsten würde sich kein BBW auf den Weg zum Siegel machen. Wichtig sei zudem gewesen, dass erfasst würde, wie unterschiedlich die BBW ausgestattet seien, z. B. durch angegliederte oder externe Berufsschulen usw.

Die Erarbeitung des Zertifizierungsverfahrens sei dabei nicht von der Erarbeitung der Kriterien abgetrennt gewesen. Diese Prozesse liefen parallel ab. Die größten Herausfor-derungen und Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Kriterien seien sehr von jedem einzelnen BBW abhängig, aber liegen höchstwahrscheinlich in den Positionen Personal, räumliche und sächliche Ausstattung sowie dem Internat. Deshalb sei bei der Beschrei-bung der einzelnen Kriterien ein recht großer Interpretationsspielraum gelassen worden, so dass die Herausforderungen auch kreativ gelöst werden könnten bzw. nicht vollständig unlösbar seien. Würde laut der Leiterin eine Ausbildung unter autismusspezifischen Be-dingungen erfolgreich abgeschlossen, sei das noch keine Garantie, dass auch der Über-gang ins Berufsleben gelinge. Hier könne zu Recht die Frage gestellt werden, ob das Au-tismus-Gütesiegel für den Übergang auch von Vorteil sein könnte. Der Leiterin zufolge bestehe schon die Hoffnung, dadurch herauszufinden, ob es unterschiedliche Integrati-onsquoten hinsichtlich autistischer und neurotypischer Teilnehmer*innen gäbe.

Sie und ihre Kolleg*innen seien überrascht, dass die Abbruchquoten von Teilnehmer*in-nen im Autismus-Spektrum deutlich niedriger seien als bei anderen Teilnehmenden. Der Erfahrung nach sei es so, dass wenn autistische Teilnehmer*innen erst einmal gut ange-kommen seien, dann blieben sie in der Regel auch bis zum Abschluss. Die Integration ins Berufsleben sei natürlich schwierig, aber durch die Qualitätskriterien würde ja dem Be-reich inzwischen mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Nach ihrem Kenntnisstand, seien die Zahlen in vielen BBW gleich, was die Integration in den Arbeitsmarkt von autistischen und neurotypischen Teilnehmenden angehe. Der Fokus im gesamten Ausbildungsprozess müsse auf jeden Fall auf der Integration liegen. Natürlich hoffe sie, dass durch den Erhalt des Siegels die Integrationsquote steige, aber zum jetzigen Zeitpunkt könne das noch nicht beurteilt werden. Dafür sei es noch zu früh, da sich die Berufsbildungswerke erst jetzt auf den Weg zum Siegel machen und bisher noch nicht viele Zertifizierungen durch-geführt worden sind. Dazu könne in etwa vier Jahren eine Aussage getroffen werden. Das Oberlin BBW ermittle aber für alle Teilnehmenden Integrationszahlen unmittelbar nach der Ausbildung, sechs und zwölf Monate danach. Der Integrationsfachdienst des Hauses bleibe auch darüber hinaus noch etwas länger in Kontakt mit den Absolvent*innen. Vor

5 Umsetzung in die Praxis 62

allem weil hier auch Menschen mit schwerstmehrfachen Beeinträchtigungen ihre Ausbil-dung absolvieren und eine Integration sich deutlich schwieriger gestalten und viel mehr Zeit benötigen würde als bei Menschen im Autismus-Spektrum. Leider werde diese Un-terstützung nicht extra finanziert, ebenso wenig das Personal, welches für den Implemen-tierungsprozess zuständig sei. Dennoch sei ersichtlich, dass gerade Menschen im Autis-mus-Spektrum deutlich mehr Zeit benötigen würden, um sich auszuprobieren bzw. um herauszufinden, welche Rahmenbedingungen notwendig seien und welche Anpassungs-möglichkeiten bereitgestellt werden müssten. Vor allem Misserfolge müssten begleitet und gemeinsam durchgestanden werden, damit die Motivation nicht verloren ginge. Die Entscheidung, den beruflichen Ausbildungsweg in einem BBW zu absolvieren, solle im-mer individuell getroffen und nicht pauschal jedem jungen Menschen im Autismus-Spektrum empfohlen werden. Hier komme der Ausspruch zum Tragen, „kennt man einen, kennt man auch nur den einen“8. Es gebe im Oberlin BBW Teilnehmer*innen, die die Leiterin kompetenter einschätzen würde, als dies das Umfeld getan habe und die ihrer Meinung nach die Ausbildung auch außerhalb des BBW bewältigen könnten. Im Aufnah-meprozess würde das Augenmerk besonders darauf gelegt werden, ob die Bewerber*in-nen die ersten vier Wochen schaffen würden. Denn diese seien durch eine umfassende Diagnostik und den verschiedenen Bereichen, die durchlaufen werden müssen sowie den damit verbundenen Wechseln, sehr herausfordernd für die Teilnehmer*innen. Hier könne es passieren, dass Teilnehmende taffer eingeschätzt würden, als sie es wirklich seien. Eine gewisse Stabilität und Leistungsvoraussetzung sollte vorhanden sein.

Wenn Teilnehmer*innen die kognitiven Voraussetzungen mitbrächten, aber die Stress-toleranz bzw. die Belastungsgrenzen deutlich herabgesetzt seien, gebe es im Oberlin BBW die Möglichkeit, eine Teilzeitausbildung zu absolvieren. Es müssten also nicht, die wie üblich geforderten acht Stunden am Tag geleistet werden, sondern nur sechs. Die Ausbildung strecke sich um ein halbes Jahr und es würde in Form von Gleitzeit gearbeitet.

Der Berufsschulunterricht betrage täglich auch nur sechs Stunden. Die Autorin merkt dazu an, dass es diese Möglichkeit im BBW Leipzig bisher nur für junge Mütter gebe aber nicht grundsätzlich für jeden Teilnehmenden, der das benötigen würde. Das liege laut der Leiterin nicht an den Strukturen der einzelnen BBW, sondern es gebe regionale Unterschiede, was die Richtlinien und Vorgaben der Industrie- und Handelskammern (IHK) betreffen.

Zum eigenen Implementierungsprozess erklärt die Leiterin, dass drei Vollzeitstellen, die auf vier Mitarbeiter*innen aufgeteilt seien, für die Implementierung der Kriterien zur Verfügung stünden bzw. den Fachdienst Autismus bilden würden. Dabei befinden sich alle vier Mitarbeiter*innen des Fachdienstes in der Fachberater*innen-Ausbildung

8 Siehe dazu z. B. „Autisten bei SAP: ‚Kennt man einen, kennt man... einen‘“ (Spiegel Online 2015, o. S.)

5 Umsetzung in die Praxis 63

(Funktion des/der Fachreferent*in), obwohl nur ein/e Fachreferent*in pro BBW vorge-schrieben sei. Der Betreuungsschlüssel, den der Fachdienst Autismus erbringen müsse, liege bei 1:40 und aktuell befänden sich im Oberlin BBW 123 Teilnehmende im Autis-mus-Spektrum. Die Berufsbildungswerke würden das unterschiedlich handhaben, da die Personalkosten, wie bereits erwähnt, ein herausfordernder Posten seien. Grundsätzlich solle es aber so sein, dass der Schlüssel eingehalten werde und die Mitarbeiter*innen sol-len z. B. „nicht eigentlich Bildungsbegleiter*innen sein und die Arbeit mit den Autist*in-nen nur nebenbei machen“. Das Kriterium habe zwar eiAutist*in-nen gewissen Spielraum, aber der geforderte Schlüssel gebe eigentlich vor, dass der/die Fachreferent*in auch nur als sol-che/r agieren würde. Gründe dafür lägen vor allem darin, dass die autistischen Teilneh-menden nicht so viele Personalwechsel erfahren sollten, sondern ein festes Beziehungs-angebot in Anspruch nehmen könnten. Im Oberlin BBW führe die Fachreferentin für Au-tismus das Vorstellungsgespräch mit den autistischen Teilnehmer*innen selbst durch und im Anschluss daran, würde der Teilnehmende weiter von ihr betreut. Bezüglich der Kos-ten für die Implementierung der Kriterien könnKos-ten keine genauen Zahlen genannt werden, da jedes BBW andere Voraussetzungen mitbringe, die Beschaffenheit und Ausstattung unterschiedlich sei und Fachkräfte verschieden eingesetzt würden. Einen immensen Pos-ten machen, wie bereits erwähnt, die PersonalkosPos-ten aus und vor allem der Einbau von Orientierungs- und Leitsystemen sei sehr teuer.

Wenn das Interesse bestünde, selbst als Zertifizierer*in tätig zu sein, sei es nicht notwen-dig, bereits vorher Mitglied im Fachausschuss gewesen zu sein. Aktuell fehlen zwei Zer-tifizierer*innen und da könne es gut möglich sein, dass eine Stelle dafür offiziell ausge-schrieben werde. Voraussetzungen die man dafür mitbringen müsse, seien zum einen, dass man die Berufsbildungswerke kenne und zum anderen, dass man die Qualitätskrite-rien verinnerlicht habe. Die Anleitung zur Durchführung eines Audits übernehmen bereits tätige Zertifizierer*innen. Informationen der Leiterin zufolge, gab die BAG BBW bei der Mitgliederversammlung im Mai 2019 den Ablauf eines Zertifizierungsprozesses bekannt.

Der Zertifizierungsprozess laufe dabei so ab, dass sich das betreffende BBW für eine Zertifizierung bewerben müsse, aber auch der Fachausschuss selbst frage immer für das jeweils kommende Jahr an, welche Berufsbildungswerke sich zertifizieren lassen wöllten.

Im Anschluss daran werde ein Stichtag vereinbart, an dem alle notwendigen Zuarbeiten eingereicht werden müssten und es werde festgelegt, in welchem Zeitraum die Zertifizie-rung stattfinden soll. Der Vorsitzende Herr Krug sammle alle Zuarbeiten und plane bzw.

organisiere zusammen mit den anderen Mitgliedern des Fachausschusses, welches BBW von welchem Zertifizierungsteam zertifiziert werden solle. Für den Zertifizierungspro-zess schließe das jeweilige BBW mit der BAG BBW einen Vertrag ab. Das Zertifizie-rungsteam bestehe jeweils aus einem/r Auditor*in von Autismus Deutschland und vom Fachausschuss der BAG BBW. Acht Wochen vor der Zertifizierung teile das Berufsbil-dungswerk Abensberg den individuellen Zertifizierungstermin mit. Zudem erfolgen der

5 Umsetzung in die Praxis 64

Abschluss der notwendigen Vereinbarungen und der Versand der Materialien an den/die Auditor*in von Autismus Deutschland und der BAG BBW, welche die Grundlage für die Zertifizierung bilden. Dazu gehörten die Autismuskonzeption und die beantworteten Leit-fragen in Form eines Selbstberichts. Der Versand dieser, erfolge zwei Wochen vor dem Zertifizierungstermin durch das jeweilige Berufsbildungswerk. Zeitgleich bereite sich das Zertifizierungsteam auf die Zertifizierung vor. Am Vorabend des Audits, treffen sich das Mitglied des Fachausschusses und in der Regel Herr Prof. Dr. Dalferth von Autismus Deutschland e. V. Es werden die erhaltenen Unterlagen besprochen bzw. wo genauer hin-geschaut werden müsse und welche Fragen sich dadurch ergeben hätten. Das Audit be-ginne üblicherweise um 8.00 Uhr morgens und ende zwischen 16.00 und 17.00 Uhr. Ge-meinsam mit dem ausgewählten Team des BBW, welches dem Audit-Team zur Seite stehen werde, würden die Kriterien unter dem Gesichtspunkt Autismus-Siegel nacheinan-der abgearbeitet.

Daraufhin erfolge eine Berichterstellung bzw. stimme sich das Zertifizierungsteam über die Eindrücke ab. Dieses informiere zwei Wochen nach dem Zertifizierungstermin so-wohl das zertifizierte Berufsbildungswerk als auch das BBW Abensberg über die Ergeb-nisse. Zuvor werde dem entsprechenden BBW das Audit in Rechnung gestellt und müsse umgehend bezahlt werden (zu Kosten, siehe Kapitel 5.2.2). Sobald es ein „ja“ gebe, sei das BBW offiziell berechtigt das Siegel zu tragen und dürfe dies z. B. auf seiner Webseite veröffentlichen (Logo wird als Datei zugeschickt). Sollte es kein „ja“ geben, hätten die Berufsbildungswerke nach drei Monaten die Möglichkeit eventuell notwendige Nachbes-serungsarbeiten zu erledigen und es komme zur Durchführung eines Wiederholungster-mins für die Zertifizierung. Dieser sei allerdings mit zusätzlichen Kosten verbunden.

Zwei Mal im Jahr berichte das BBW Abensberg über den Stand des Zertifizierungsver-fahrens an den Vorstand der BAG BBW und an Autismus Deutschland e. V. Ebenfalls zwei Mal jährlich werde das Gütesiegel durch die BAG BBW an die erfolgreichen Be-rufsbildungswerke offiziell verliehen. Im Mai 2019 konnte das erste BBW zertifiziert werden und inzwischen hätten insgesamt fünf Berufsbildungswerke das Siegel entgegen-nehmen können. Derzeit könne noch keine Aussage getroffen werden, welche positiven oder negativen Veränderungen sich im Laufe der Zeit in den bereits zertifizierten BBW ergeben hätten. Solche Langzeitfragen könnten erst mittelfristig beantwortet werden.

Der Leiterin zufolge, sei es eher unwahrscheinlich, dass die Teilnehmer*innenzahlen von Autist*innen steigen würden, denn es ginge vordergründig darum, diese zu stabilisieren und eine flächendeckende Qualität anbieten zu können. Es würde ein längerer Prozess sein, um hier Zahlen erfassen zu können, da die bereits zertifizierten BBW schon seit längerer Zeit umfassend mit Autist*innen gearbeitet hätten bzw. autismusspezifische An-gebote vorhalten könnten. Somit rechne sie hier nicht mit einem Anstieg der Zahlen und

5 Umsetzung in die Praxis 65

wenn, dann möglicherweise durch die Teilnehmenden, die nun am Heimatort bleiben könnten. Durch den Erhalt des Siegels solle Qualität deutschlandweit ermöglicht werden.

Der Zeitraum, wie lange ein BBW in der Regel benötige, um alle Qualitätskriterien um-zusetzen, sei sehr unterschiedlich und auch abhängig vom Mut, den die Einrichtungen mitbrächten. Der Zeitaufwand sei also weniger daran gekoppelt, was ein BBW dem an-deren voraus habe oder worin es besser ausgestattet sei. Sie selbst sei eher Perfektionistin und müsse sich sehr sicher sein, dass jedes einzelne Kriterium auch wirklich erfüllt wer-den könne. Aber die bereits zertifizierten BBW hätten mit Hochdruck innerhalb eines halben Jahres die Kriterien implementiert und wären autismusspezifisch betrachtet, auch schon vorher recht gut aufgestellt. Die Leiterin wolle Prozesse, Rahmenbedingungen oder auch Dokumentationen in Ruhe optimieren und eventuell noch eine andere Denkweise durch mögliche Fortbildungen hineinbringen. Es gehe ja nicht nur darum, die Kriterien zu erfüllen, sondern vor allem darum, wieviel im Tun und Denken autismusspezifisch sei bzw. welche Handlungsoptionen den Mitarbeiter*innen eines BBW zur Verfügung stün-den.

Die allergrößte Herausforderung sei die inhaltliche Arbeit mit Menschen im Autismus-Spektrum. Das bedeute vor allem, wie sei die Denkweise, die Haltung, „wie lebt dieses Haus“ (BBW) usw. Die Zertifizierer*innen suchen also nicht nur das Gespräch mit den Siegel-Verantwortlichen, sondern gezielt auch z. B. mit Ausbilder*innen. Denn der Fach-dienst Autismus sei nicht prinzipiell für alles, was mit Autismus zu tun hat, verantwort-lich. Dessen Hauptaufgaben seien vorrangig: Beratung, Hospitationen, Anleitung bei Problemen, Gespräche mit Teilnehmer*innen usw. Die Hauptverantwortlichkeit solle aber in der Regel danach wieder in die Hände der Ausbilder*innen zurückgegeben wer-den. Im optimalen Falle, so die Leiterin, arbeiten also alle Beteiligten vernetzt und Prob-leme würden immer zeitnah untereinander kommuniziert werden. Der/die Fachrefe-rent*in habe dabei die Funktion inne zu beraten, zu vernetzen und zu steuern. Im Oberlin BBW gebe es dafür auch ein Mentor*innensystem für das Reha-Team zur Unterstützung der autistischen Teilnehmenden. Dies bedeute, dass der gleiche Mitarbeitende einen Teil-nehmenden vom Beginn an der BVB bis zum Ende der Ausbildung begleite. Wenn man die Kriterien betrachte, sei, wie bereits erwähnt, wohl der Posten des Fachpersonals am schwierigsten umzusetzen. Denn vor allem Fachpersonen, die sich nicht in diesem „So-zialsetting“ sähen aber dennoch an der Arbeit mit Autist*innen beteiligt seien, müssten die geforderte Grundhaltung einnehmen. Hier müsse ein Umdenken passieren, denn Selbstbestimmung und Selbstverantwortung erhöhe die Motivation der Teilnehmenden.

Da diese Arbeitsweise aber mit mehr Aufwand verbunden sei, würde sie oftmals noch gescheut.

Zum Thema einer möglichen Erbringungspflicht oder möglichen Überprüfungsterminen nach dem Erhalt des Siegels sei es so, dass das BBW nach drei Jahren anzeigen müsse,

5 Umsetzung in die Praxis 66

dass es das Autismus-Siegel weiterführen möchte. Im Rahmen eines Audits fände dann eine Überprüfung statt, aber es könne noch nicht abschließend geklärt werden, in wel-chem Maße dies geschehen solle. Es könne aber auch der Fall eintreten, dass sich ein BBW vom Siegel verabschieden möchte, weil es in den drei Jahren zu keiner Rückfinan-zierung gekommen sei. Diesen Aspekt müsse jedes Haus durch seine Regionaldirektion abklären und schauen, ob sich das Siegel rechne oder nicht. Wenn Letzteres eintrete, muss das Logo des Siegels auch wieder von der Webseite des BBW genommen werden. Die Leiterin habe jedoch die Hoffnung, dass alle BBW das Siegel behalten könnten, aber es laufe tatsächlich aus, wenn man sich nicht um eine „Rezertifizierung“ bemühe. Gemein-sam mit Autismus Deutschland e. V. sei aber auch intensiv diskutiert worden, ob einem BBW das Siegel innerhalb der drei Jahre, nach Erhalt, wieder abgesprochen werden

dass es das Autismus-Siegel weiterführen möchte. Im Rahmen eines Audits fände dann eine Überprüfung statt, aber es könne noch nicht abschließend geklärt werden, in wel-chem Maße dies geschehen solle. Es könne aber auch der Fall eintreten, dass sich ein BBW vom Siegel verabschieden möchte, weil es in den drei Jahren zu keiner Rückfinan-zierung gekommen sei. Diesen Aspekt müsse jedes Haus durch seine Regionaldirektion abklären und schauen, ob sich das Siegel rechne oder nicht. Wenn Letzteres eintrete, muss das Logo des Siegels auch wieder von der Webseite des BBW genommen werden. Die Leiterin habe jedoch die Hoffnung, dass alle BBW das Siegel behalten könnten, aber es laufe tatsächlich aus, wenn man sich nicht um eine „Rezertifizierung“ bemühe. Gemein-sam mit Autismus Deutschland e. V. sei aber auch intensiv diskutiert worden, ob einem BBW das Siegel innerhalb der drei Jahre, nach Erhalt, wieder abgesprochen werden