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7 Grundsätzliche Möglichkeiten und Wege der beruflichen Teilhabe für

7.1 Autismusspezifische Angebote und Möglichkeiten der beruflichen Teilhabe von

Nachfolgend sollen in diesem Kapitel eine Auswahl an Möglichkeiten der beruflichen Teilhabe vorgestellt werden, die sich konzeptionell explizit an die Zielgruppe der Men-schen im Autismus-Spektrum richten oder teilweise sogar ausschließlich für diese entwi-ckelt wurden.

Hinsichtlich berufsvorbereitender Maßnahmen haben sich inzwischen einige Berufsbil-dungswerke in Deutschland auf Menschen im Autismus-Spektrum spezialisiert und ei-genständige Angebote geschaffen. So z. B. das BBW Karben in Südhessen, welches be-reits seit 2004 junge Menschen im Autismus-Spektrum in einer speziellen, auf ihren Be-darf zugeschnittenen Berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme (BVB) auf die Arbeits-welt vorbereitet (vgl. BBW Südhessen o. J., o. S.). Ebenso spezialisiert haben sich das BBW Oberlin in Potsdam, das LWL-Berufsbildungswerk Soest, die Paulinenpflege Win-nenden in Heilbronn, das BBW in Abensberg und viele mehr. Insgesamt ist eine sehr positive Entwicklung zu verzeichnen, denn noch nie wurden so viele Menschen im Au-tismus-Spektrum überbetrieblich ausgebildet bzw. beruflich gefördert wie heute. Dazu hat Dalferth eine Fragebogenerhebung in 12 Berufsbildungswerken durchgeführt und be-züglich der Teilnehmer*innenzahl, gab es allein zwischen 2010 und 2013 einen Anstieg von 348 auf 649 Teilnehmende im Autismus-Spektrum in den befragten BBW. Dabei lag die Abbruchquote durchschnittlich bei 11,6 %, diese Angabe schwankt jedoch von BBW zu BBW. Die berufliche Platzierung betreffend konnte festgestellt werden, dass 40,5 % der Absolvent*innen sich während des Befragungszeitraums in einem sozialversiche-rungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt befanden.

Weitere 12,2 % begannen eine weiterqualifizierende Ausbildung oder ein Studium, 2,3 % standen dem Arbeitsmarkt aufgrund von Krankheit nicht zur Verfügung und 4,6 % hatten eine Tätigkeit in einer WfbM begonnen. Dennoch waren zu dem Zeitpunkt noch 40,4 % der autistischen Absolvent*innen auf Arbeitssuche. Es muss jedoch beachtet wer-den, dass die Vermittlungsquoten der einzelnen BBW großen Schwankungen von 7 % bis 52 % unterliegen. Abschließend kann eine deutliche Zunahme autistischer Teilneh-mer*innen in Berufsbildungswerken festgestellt werden. Vor allem die Arbeitsagenturen verweisen inzwischen gezielt Menschen im Autismus-Spektrum auf die Berufsbildungs-werke und die Einrichtungen öffnen sich zunehmend der Thematik. Das liegt einerseits daran, dass die BBW unterdessen auf bereits erprobte Strategien bei der Förderung und Integration zurückgreifen können und andererseits gibt es einen sich abzeichnenden de-mografisch bedingten Rückgang der Teilnehmer*innenzahl, welcher dazu veranlasst, sich anderen Zielgruppen zu öffnen (vgl. Dalferth 2014, S. 225 ff.).

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Das „Integrationszentrum für Menschen mit Autismus“ in München bietet ebenso eine speziell für autistische Menschen entwickelte Berufsvorbereitende Maßnahme (MAut BvB) an, um diese in eine Ausbildung zu vermitteln (vgl. MAut o. J., o. S.).

„SALO & PARTNER“, ein Unternehmen, dass sich bereits in einigen Bundesländern angesiedelt hat, hat sich mit der Rehabilitationsmaßnahme „AuReA@SALO“ (steht für:

Autismus – Rehabilitation – Arbeit) zum Ziel gemacht, Menschen im Autismus-Spekt-rum in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren. Somit wurde das Förderprogramm speziell auf die Bedürfnisse und Anforderungen von autistischen Menschen entwickelt und zuge-schnitten (vgl. SALO & PARTNER 2019, o. S.). Besonders kennzeichnend für diese Re-habilitationsmaßnahme ist vor allem, dass zusätzlich zur Vorbereitung und der Vermitt-lung auf eine Tätigkeit auf dem ersten Arbeitsmarkt, das Unternehmen zudem den Aufbau von Unterstützungssystemen am Arbeitsplatz übernimmt, wobei neben Familienangehö-rigen auch die Arbeitgeber*innen in dieses System eingebunden werden (vgl. Theunis-sen/Paetz 2011, S. 93).

Im Beruflichen Trainingszentrum (BTZ) in Jena wird die Berufsvorbereitende Bildungs-maßnahme „AUSTER“ für Menschen im Autismus-Spektrum, mit dem Ziel der Integra-tion in Arbeit und Gesellschaft, angeboten. Laut eines Mitarbeiters des BTZ Jenas werden die Jugendlichen in Kleingruppen von bis zu acht Teilnehmenden gefördert. Hier liegt der Schwerpunkt besonders auf der persönlichen Entwicklung der Jugendlichen und dafür wird sehr viel Zeit eingeplant (vgl. BTZ Jena o. J., o. S.).

Für Menschen im Autismus-Spektrum, die einer Tätigkeit in einer WfbM nachgehen, gibt es seit 2004 das „RouterPrinzip“, „[…] welches den Beschäftigungsauftrag eines Integ-rationsunternehmens mit dem Qualifizierungsauftrag eines beruflichen Bildungsträgers und den Teilhabeauftrag einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung zu einem indi-vidualisierten Instrumentenkoffer für die berufliche Inklusion“, verzahnt (Labruier/Bader 2017, S. 200). Somit soll eine Brücke zwischen der WfbM und der Arbeitswelt geschla-gen werden, das heißt, das „RouterPrinzip“ führt den Arbeit suchenden Menschen mit Unternehmen zusammen, die einen Mitarbeiter*innenbedarf haben. Besonders kenn-zeichnend für das „RouterPrinzip“ ist, dass die Beschäftigungswünsche so mit den Be-schäftigungsbedarfen der jeweiligen Unternehmen abgestimmt sein müssen, dass eine tragfähige Basis für die nachhaltige Beschäftigung gewährleistet ist. Im Zuge dessen ent-wickelte die „ProjektRouter gmbH“ von 2014 bis 2017 gemeinsam mit der Autis-mussprechstunde der Universität Köln im Auftrag des Integrationsamtes Köln, ein ASS-Projekt, welches ein spezialisiertes, ausbildungs- und berufsbegleitendes Coaching- und Unterstützungsangebote für „Menschen mit Autismus-SpektrStörungen“ (ASS), um-fasst (vgl. Labruier/Bader 2017, S.202).

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Die soeben beschriebenen beruflichen Maßnahmen werden alle als eigenständige Maß-nahmen angeboten, aber eingebettet in ein bereits zuvor bestehendes Angebotssystem.

Darüber hinaus existieren inzwischen aber auch Unternehmen als Arbeitgeber, die spezi-ell für Menschen im Autismus-Spektrum gegründet wurden oder die überwiegend Au-tist*innen einstellen.

Dirk Remus-Müller, Vater eines jungen Autisten und ein weiterer Partner gründeten 2017

„Diversicon“ mit Sitz in Berlin, als Sozialunternehmen. Diversicon hat ein besonderes Alleinstellungsmerkmal, da ein solches Unternehmen im Sinne der beruflichen Teilhabe speziell für Menschen im Autismus-Spektrum bisher einzigartig in Deutschland ist. Es werden Kurse, Coachings und Beratungen angeboten, die sowohl für Schulabgänger*in-nen, Arbeitssuchende, Arbeitnehmer*innen und Arbeitgeber*innen ausgerichtet sind (vgl. Diversicon 2019, o. S.).

Der Mitbegründer von Diversicon hat bereits 2011 das Unternehmen „auticon“ gegrün-det, welches eine internationale IT-Beratung und das erste Unternehmen in Deutschland ist, das ausschließlich Menschen im Autismus-Spektrum als IT-Consultants beschäftigt.

Bei auticon sind ca. 170 autistische Mitarbeiter*innen, verteilt auf 15 Büros in mehreren deutschen Bundesländern und in sieben weiteren Ländern, tätig (vgl. auticon 2019b, o. S.).

Drei Jahre zuvor hatten autistische Menschen aus einer Hamburger Selbsthilfegruppe die Idee, eine Initiative zu gründen, um auf die verheerende Situation autistischer Menschen im Arbeitsmarkt zu reagieren. Daraus ist 2009 das „autWorker Projekt“ entstanden. Aut-Worker hat sich zum Ziel gemacht, Wege zur Inklusion von Menschen im Autismus-Spektrum in den Arbeitsmarkt zu finden und bietet als Kerntätigkeit Workshops zum Thema „Autistische Fähigkeiten“ an. Arbeitsinhalte sind außerdem: Kontakte zu Unter-nehmen, Beratungen, Begleitungen auf dem Weg in einen Job, Vermittlungen und eine breit angelegte Öffentlichkeitsarbeit (vgl. autWorker o. J., o. S.).

Ein weiteres sozial-innovatives Unternehmen ist „Specialisterne Deutschland gUG“, mit Sitz in München, welches im März 2013 als gemeinnütziges Unternehmen gegründet wurde. Allerdings ist auf der Internetseite aktuell zu lesen, dass der Geschäftsbetrieb von Specialisterne in Deutschland eingestellt wurde. Specialisterne wurde ursprünglich im Jahre 2004 von einem Dänen namens Thorkil Sonne, dessen Sohn Autist ist, gegründet und hat mittlerweile weltweite Niederlassungen in 17 Ländern, welche die charakteristi-schen Eigenschaften von Mencharakteristi-schen im Autismus-Spektrum als Alleinstellungsmerkmal und Wettbewerbsvorteil nutzen und somit diesen Menschen Arbeitsplätze sichern. Dabei verfügt die Mehrheit der bei Specialisterne angestellten Menschen über eine Diagnose aus dem Autismus-Spektrum. Als Consultants übernehmen sie für Firmenkunden Aufga-ben wie z. B. Software-Tests, Programmierung und Datenerfassung (vgl. Specialisterne o. J., o. S.).

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Der große Softwarekonzern SAP Deutschland SE & Co. KG mit Sitz in Walldorf, hat 2013 das Projekt „Autism at Work“ ins Leben gerufen, mit dem Ziel der beruflichen In-tegration von autistischen Menschen. SAP hat erkannt, dass die analytischen Fähigkeiten und das hohe Konzentrationsvermögen von Autist*innen sehr gut im Rahmen ihrer Auf-gaben eingesetzt werden können. Es hat sich zudem herausgestellt, dass es eine Vielzahl an Berufsfeldern bei SAP gibt, die speziell für Autist*innen gut geeignet sind. Inzwischen gibt es das Projekt an 21 Orten in zehn Ländern und bis heute wurden 126 Autist*innen in verschiedenen Jobs eingestellt, wie z. B. im Qualitätsmanagement, der Softwareent-wicklung oder sogar in der Kommunikationsabteilung. SAP hat sich zum Ziel gemacht, bis 2020 ein Prozent der weltweiten Belegschaft aus dem Autismus-Spektrum einzustel-len. Dazu wurde auch das bereits erwähnte dänische Unternehmen beauftragt, Bewer-ber*innen zu rekrutieren (vgl. SAP SE o. J., o. S.).

Das amerikanische Unternehmen „Walgreen Company“ (Walgreens), mit über 9000 Ge-schäften in den USA, war der erste große US-Konzern, der sich dem Thema Inklusion am Arbeitsplatz annahm. Der Unternehmensberater und Vater eines autistischen Sohnes, Randy Lewis, wurde Mitte der Neunziger Jahre Logistikchef und Vizepräsident bei Walgreens und hat seither ca. 2000 Jobs für Menschen mit Behinderungen geschaffen.

Dabei fungiert eines der Lager von Walgreens in South Carolina heute als Vorzeigebe-trieb, da 40 % der Beschäftigten eine psychische oder physische Einschränkung haben.

Der Logistikchef ließ 400.000 Arbeitsstunden auswerten, um die Produktivität zu über-prüfen. Interessanterweise war die Produktivität dieselbe wie zuvor ohne Beschäftigte mit Behinderungen. Allerdings waren die Kosten durch Mitarbeiterfluktuation um 50 Prozent geringer als bei den Beschäftigten ohne Behinderungen und Freizeit- oder Berufsunfälle waren sogar um zwei Drittel geringer. Laut Lewis gab es bisher keinen Ausschluss einer Behinderungsform und auch für Autist*innen wurden geeignete Aufgabenfelder gefun-den. Inzwischen übernehmen lokale Agenturen die Mitarbeiter*innenakquise und schulen die ausgewählten Bewerber*innen neun Wochen lang. Danach werden diese bei erfolg-reicher Schulung von Walgreens übernommen und die Übernahmequote liegt dabei 90 % (vgl. Die Presse 2018, o. S.).

Die beispielhafte Darstellung von Möglichkeiten der beruflichen Teilhabe in Form von Unternehmen, Projekten und Maßnahmen usw. zeigt, dass es dahingehend eine positive Entwicklung gibt. Betrachtet man jedoch die noch immer sehr hohe Arbeitslosigkeit von Menschen im Autismus-Spektrum, liegt noch ein langer Weg vor allen Beteiligten. Denn in den Beschäftigungszahlen reflektiert sich „[…] ebenso das Maß der Anerkennung und der Wertschätzung, welche die nicht-autistischen Bürger ihren autistischen Mitbürgern und ihrer Form des menschlichen Seins entgegenbringen; und damit gleichwohl auch in welchem Maß sich das Verständnis von Empowerment und Neurodiversität etabliert hat“

(Theunissen/Paetz 2011, S. 95).

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Im folgenden Unterkapitel möchte die Autorin noch auf Angebote und Möglichkeiten zur Teilhabe am Arbeitsleben für Menschen im Autismus-Spektrum auf regionaler Ebene verweisen.

7.2 Angebote und Möglichkeiten zur beruflichen Teilhabe von