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Methodische Bemerkungen

Im Dokument An den Grenzen des Endlichen (Seite 35-43)

Aber bei dem Reize, den das Spinnen der Ge-danken hat, ist mir die unbefangenere Über-zeugung von der Wahrheit der Sache vorzugs-weise aus dem Einvernehmen mit dem ge-schichtlichen Gange des Problems gewachsen.

HERMANNCOHEN41

4.1 Zwischen Systematik und Geschichte

Der geschichtliche Gang eines Problems mag für sich genommen von Interesse sein, aber was trägt er zu der philosophischen Absicht einer Auseinanderset-zung bei, der es um Fragen der Gültigkeit, Wahrheit, Tragfähigkeit oder auch nur der genaueren Bestimmung geht?

Die Wissenschaftsphilosophie muß eine Gratwanderung vollführen. Auf der einen Seite droht der Absturz in die Welt rein theoretischer Konstrukte, in eine Welt irrelevanter Fragen, die sich vom gemütlichen „armchair“ aus leicht beant-worten lassen, weil man sie selbst erfunden hat. Auf der anderen Seite droht der Absturz in die Welt reiner Rekonstruktion, die kaum einen eigenen Gedanken

41COHEN,Das Prinzip[1883], 41.

 Methodische Bemerkungen

beinhaltet und daher von radikal philosophischer Warte aus – um eine schmack-hafte Formulierung aus der wissenschaftlichen Jugendzeit des neuen Papstes zu probieren – „nur mühsam eine völlige geistige Leere verdeckt“.42 Es geht also darum, zwischen diesen beiden Extremen auszubalancieren, d. h., an die Quellen interessante Fragen zu stellen, Rekonstruktionen nicht sklavisch an den überkommenen Bezeichnungsweisen, sondern durchaus am eigenen Verständ-nis der Sache zu orientieren, dabei die Fragen in die Gedankenwelt der ver-gangenen Zeit einzupassen, zu berücksichtigen, daß im Lauf der Zeit Begriffe sich verändern können, auch wenn die Worte dieselben bleiben, und schließlich Wahrheitsansprüche darzustellenundsie kritisch zu prüfen.

Hier wird also die Auffassung vertreten, daß eine adäquate Auseinander-setzung mit einem historisch gewachsenen Problemkreis auch ein Bewußtsein für geschichtliche Entwicklungen voraussetzt. Der wichtigste Grund für diese Auffassung ist, daß die Sache selbst aus dem Blick gerät, wenn man die „histo-rischen“ Quellen nicht ausreichend oder nicht in rechter Weise würdigt. Diese Gefahr ist selbst kein bloß theoretisches Konstrukt, wie zwei Beispiele im Be-reich der Forschungen zum Hilbertprogramm belegen.

Das erste Beispiel betrifft die Negationsfähigkeit genereller finiter Aussagen und die Frage, wie die folgende Stelle in Hilberts Über das Unendlichezu inter-pretieren ist.

„So ist z. B. die Aussage, daß, wennaein Zahlzeichen ist, stets a+ 1 = 1 +a

sein muß, vom finiten Standpunktnicht negationsfähig. Dies können wir uns klar machen, indem wir bedenken, daß diese Aussage nicht als eine Verbindung unendlich vieler Zah-lengleichungen durch ‚und‘ gedeutet werden darf, sondern nur als ein hypothetisches Ur-teil, welches etwas behauptet für den Fall, daß ein Zahlzeichen vorliegt.“

HILBERT,Über das Unendliche[1926], 173

Analysiert man diesen Text sorgfältig und vor dem Hintergrund der übrigen Äußerungen Hilberts zu diesem Thema, so gelangt man zu folgender Interpre-tation: Hilberts Begründung für die Negationsunfähigkeit ist, daß es sich bei Aussagen wie „a+ 1 = 1 +a“ für ein beliebiges Zahlzeichenaum hypothetische Urteile handelt. Würden sie sich als unendliche Konjunktionen, etwa als

0 + 1 = 1 + 0 ∧ 1 + 1 = 1 + 1 ∧ 2 + 1 = 1 + 2 ∧ . . .

auffassen lassen, dann wären sie auch negationsfähig, die Negation wäre z. B.:

0 + 16= 1 + 0 ∨ 1 + 16= 1 + 1 ∨ 2 + 16= 1 + 2 ∨ . . .

Sie lassen sich jedoch nicht als unendliche Konjunktionen auffassen, sondern sind hypothetische Urteile in dem Sinne, daß nur etwas behauptet wird, wenn ein Zahlzeichen vorliegt. C. Smorynski hingegen interpretierte diese Stelle so,

42RATZINGER,Einführung Christentum[1968], 8.

Einleitung 

als wäre es nach Hilbert ein Kriterium für die Negationsfähigkeit finiter Aussa-gen, daß ihre (möglichen) Negate sich als unendliche Konjunktionen auffassen lassen müßten:43Wenn man die Negationsfähigkeit einer finiten Aussage prüfen will, müßte man sozusagen den Kandidaten für die Negation bilden und dann sehen, ob sich dieser Kandidat als unendliche Konjunktion auffassen läßt. Wenn ja, ist die finite Aussage negationsfähig, wenn nein, dann nicht. Diese Interpreta-tion paßt bei genauerer Betrachtung überhaupt nicht zu Hilberts Text und ist vor dem Hintergrund von Hilberts übrigen Äußerungen zu diesem Thema gerade-zu abwegig.44Aus der Tatsache, daß ein solcher Fehlgriff selbst einem Experten in der Hilbert-Forschung passieren kann, sollte man den Schluß ziehen, daß die Auseinandersetzung mit den Originaltexten bei diesen sachlich sehr schwieri-gen Themen auch für die philosophisch orientierte Beschäftigung unerläßlich ist.

Das zweite Beispiel ist etwas weniger speziell und spricht sozusagen „hand-fest“ für den systematischen und begrifflichen Fortschritt, der durch histori-sche Informiertheit ermöglicht, von zu dünner Quellenkenntnis hingegen ver-stellt werden kann. 1979 legte Warren Goldfarb die verdienstvolle Arbeit Logic in the Twenties – the nature of the quantifier vor, in der er u. a. das Verständnis der logischen Quantoren analysierte, das in der Hilbertschule der frühen 1920er Jahre verbreitet war. Goldfarb geht davon aus, daß erst das Lehrbuch Hilbert-Ackermann 1928 eine befriedigende Quantorentheorie bietet und dies ein Kul-minationspunkt der logischen Forschungen der Hilbertschule sei.45 Diese his-torische Annahme leitet im Hintergrund seine Analyse der Hilbertschen Texte aus der Zeit um 1922/23. Sie führt zum Ausschluß gewisser Interpretationshy-pothesen und wird dadurch systematisch wirksam: Da Hilbert zu dieser Zeit ja noch nicht über das „klassische“ Verständnis der Quantoren verfügt habe (his-torische Voraussetzung), könnten die Quantoren in den frühen Schriften nicht klassisch interpretiert werden, sondern nur konstruktivistisch (Ausschluß der Alternativinterpretation). – Goldfarbs Schlußfolgerung hat sich wie seine Vor-aussetzung über das Hilbert-Ackermann-Buch im Laufe der Zeit als unhaltbar

43Vgl. SMORYNSKI,Hilbert’s Programme[1988].

44Auf beide Kritikpunkte hat in aller Deutlichkeit DETLEFSEN,Alleged Refutation[1990] hinge-wiesen. Detlefsen konnte Smorynskis Interpretationsfehler sogar auf einen Punkt kondensieren, nämlich auf die Frage, worauf sich das „diese Aussage“ im zweiten Satz bezieht. Vom Text her legt sich nahe, es auf die im ersten Satz genannte Aussage zu beziehen, daßa+ 1 = 1 +aist, fallsaein Zahlzeichen ist. Smorynski hingegen hat es auf die mögliche oder hypothetische Nega-tion dieser Aussage bezogen, die von Hilbert gerade abgelehnt wird. – Der Fairneß halber sollte man jedoch bemerken, daß es eine sehr frühe Stelle in Hilberts Publikationen gibt, die zumindest einen Anhaltspunkt für Smorynskis Position geben könnte. In Hilberts Heidelberger VortragÜber die Grundlagen der Logik und der Arithmetikvon 1904 heißt es an einer Stelle, daß eine Allaussage

∀xA(x), die Hilbert dort alsA(x(u))schreibt, eine abkürzende Schreibweise sei für die unendli-che KonjunktionA1u. A2u. A3, . . ., vgl. HILBERT,Grundlagen Logik[1905], 252. Diese Stelle liegt jedoch im Verlauf des von Hilbert dort durchgeführten „Baus der logischen Grundlagen des ma-thematischen Denkens“, der allerhöchstens eine Vorstufe zum später entwickelten Konzept des Finitismus oder der ideal/real-Unterscheidung ist.

45Vgl. GOLDFARB,Logic in the Twenties[1979]; HILBERT/ACKERMANN,Theoretische Logik[1928].

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herausgestellt. Die imHilbert-Ackermannpräsentierte Darstellung der formalen Logik geht dem Inhalt wie auch zum Teil jedenfalls den Formulierungen nach auf die Ausarbeitungen zurück, die Paul Bernays ab 1917 von Vorlesungen Hil-berts gemacht hat. In den Vorlesungen der frühen 1920er Jahre war schon der ge-samte inhaltliche Stoff desHilbert-Ackermannverfügbar.46 Ackermanns Beitrag zu diesem Lehrbuch scheint auf das beschränkt gewesen zu sein, was Hilbert im Vorwort erwähnt: die „Gliederung und definitive Darstellung des Gesamt-stoffes“. Der „Gesamtstoff“ hat schon in den Vorlesungen der Jahre vor dem Erscheinen desHilbert-Ackermannvorgelegen. So ist dies ein deutliches Beispiel dafür, wie bestimmte historische Einschätzungen ganz konkret das sachliche Verständnis von Positionen beeinflussen.47

Diese zwei Beispiele sollten wie gesagt zeigen, daß eine tatsächliche Gefahr besteht, die sachlichen Probleme zu verfehlen, wenn man historisch nicht sau-ber genug arbeitet oder sich um die geschichtlichen Fakten nicht schert. Und dies wiederum ist ein wichtiger Grund für die hier vertretene Auffassung, daß eine adäquate Auseinandersetzung mit der Sache nur „historically informed“

erfolgen kann.

Für diese Auffassung sei noch ein zweiter Grund aufgerufen, der besonders beim HP für die Beschäftigung mit den Originaltexten spricht. Er hängt damit zusammen, daß die Komplexität der wissenschaftlichen Gedanken in der mo-dernen Mathematik besonders hoch ist. So hat Solomon Feferman, selbst nam-hafter Beweistheoretiker, einmal festgestellt:

„Unglücklicherweise haben wir keine Theorie, die uns genau sagt, was wir machen, wenn wir die Ordinalzahl eines formalen Systems erhalten, doch es ist klar, daß wir etwas Inter-essantes machen.“ FEFERMAN,Highlights[2000], 18, Eig. Übers.48

Wenn es also selbst dem „working mathematician“ passieren kann, nicht mehr genau zu wissen, was er tut, so ist es besonders angezeigt zu versuchen, sich ein eigenes Bild der Sache zu machen. So bleibt es dabei, daß die Beschäftigung mit den Quellen nicht nur dem systematischen Interesse dieser Arbeit nicht wider-spricht, sondern von ihm sogar verlangt wird.

Sicher gab es in Hilberts Denken eine Entwicklung bezüglich des Pro-gramms seiner Beweistheorie.49In dieser Arbeit soll es aber weniger um die

dia-46Das ist auch gegen Peckhaus’ Einschätzung zu sagen, daß Hilbert erst 1928 mit der Ausar-beitung desHilbert-Ackermann„die logische Grundlage seines metamathematischen Programms gelegt“ habe; vgl. PECKHAUS,Logik, Mathesis[1997], 3.

47Zu dieser Beeinflussung sachlicher Einschätzungen durch historische Fehleinschätzungen bei Goldfarb vgl. auch SIEG,Hilbert’s Programs[1999], 12–13.

48Das Zitat lautet im englischen Original: „Unfortunately, we do not have a theory that tells us exactly what we are doing when we obtain the ordinal of a formal system, though it is clear that we are doing something of interest.“

49Diese Entwicklung bemerkten schon die Herausgeber von HilbertsGesammelten Abhandlun-gen, die in Bezug auf den AufsatzNeubegründung(im Original 1922 publiziert) vermerken, daß er einen Übergang aus einem früheren Stadium der Beweistheorie widerspiegeln würde; vgl. HIL

-BERT,Gesammelte Abhandlungen[GA], Bd. III, S. 168, Fn. 2. Eine solche Entwicklung gibt Hilbert auch selbst unumwunden zu; vgl. HILBERT,Grundlagen Mathematik[1928], 12.

Einleitung 

chrone Fragerichtung gehen, wie und in welchen Stufen diese Entwicklung sich genau vollzog. Vielmehr sollen Fragen behandelt werden, die zu den historisch-diachronen in einem eigentümlichen Wechselverhältnis stehen. Will man bei-spielsweise historisch erforschen, ob es in Hilberts Denken eine Entwicklung gab, die vor dem eigentlichen HP stehenblieb (das dann erst seine Schüler ent-wickelt hätten), bis zum HP führte oder sich sogar über spätere Modifikatio-nen eines ersten Programms erstreckte, so muß man dafür im Voraus festlegen, was man genau unter dem HP verstehen will. Ob man etwa unter dem Begriff

„HP“ ein ganzes Konglomerat von (möglicherweise nicht miteinander verträg-lichen) Teilprogrammen versteht oder ein einheitliches Programm, beeinflußt entscheidend die Ergebnisse einer Untersuchung zur Frage, ob „das“ HP in ir-gendeinem Sinne „erfolgreich“ war oder „gescheitert“ ist. Die ersteren sind kei-ne historisch beantwortbaren Fragen, sondern solche, die von der historischen Forschung schon vorausgesetzt werden. Erst wenn feststeht, was überhaupt der Begriff des HP ist, kann eine vernünftige historische Untersuchung nach sei-ner Genese einsetzen. Umgekehrt setzt die systematische Analyse eines histo-risch derartig komplexen Phänomens wie des HP Ergebnisse histohisto-rischer For-schungsarbeit stets voraus, schon allein um nicht der Gefahr zu erliegen, bloß eine Chimäre zu verfolgen oder sich damit aufzuhalten, „Pappkameraden“ zu erzeugen, die dann – oh Wunder! – durch sachliche Kritik schnell erledigt wer-den können. Dafür wurde ja oben schon hinlänglich argumentiert.

Auf diesen notwendigen hermeneutischen Zirkel von systematischer Frage, die die historische Arbeit voraussetzt, und historischer Arbeit, die die systema-tische Konzeption voraussetzt, muß sich auch eine eher systematisch-normativ interessierte Forschung einlassen. Erst das mehrmalige Durchlaufen dieses Zir-kels kann überhaupt eine Gewähr für ein annähernd adäquates Austarieren der systematischen und der historischen Komponenten bieten. Was von dieser Tä-tigkeit an der Oberfläche einer Abhandlung sichtbar wird oder sichtbar gemacht werden sollte, steht jedoch auf einem anderen Blatt.

4.2 Zwischen Rekonstruktion und Kritik

Bei den vorausgehenden methodischen Überlegungen wurde so getan, als ob man problemlos zwischen der Rekonstruktion von Gedanken anderer und der Auseinandersetzung mit ihnen unterscheiden könnte. Während dies normaler-weise zumindest in gewissen Grenzen gelingen kann, stellte sich beim Thema dieser Arbeit heraus, daß oftmals selbst über ganz grundlegende Begriffe und selbst unter den „Freunden“ einer bestimmten Position keine Einigung festzu-stellen ist. Als Beispiele sei nur das Problem genannt, was die Begriffe „Logi-zismus“, „Intuitionismus“ und „Formalismus“ eigentlich bedeuten sollen, was also diese Philosophien der Mathematik genau ausmacht. Vielleicht wäre es mit entsprechendem Aufwand möglich, durchgängig die verschiedenen Optionen erst objektiv darzustellen und daran anschließend für oder gegen die eine oder andere Option zu argumentieren. Der Umfang dieser Abhandlung, die

Kom- Methodische Bemerkungen

plexität des Themas und die gesetzten Ziele erlauben dies jedoch nicht. Re-konstruktion und Kritik sind daher oft vermischt anzutreffen und das ist bei der philosophisch-sachlichen Zielsetzung dieser Arbeit wohl auch gerechtfer-tigt. Man wird daher auch in dieser Arbeit mehr oder weniger bewußte Vorent-scheidungen und tendenziöse Darstellungen antreffen.

Dennoch liegt diesen Forschungen die erwähnte Maxime zugrunde, histo-risch „well-informed“ zu arbeiten. Rekonstruktionen von Gedanken anderer sollen so angemessen wie möglich sein, ja in vielen Fällen sogar bewußt ange-messenerals in den bisher üblichen Standarddarstellungen.50Der Umfang des bearbeiteten Stoffes läßt jedoch keinen Anspruch auf Vollständigkeit zu, was die Darstellung aller möglichen Interpretationsweisen oder gar aller Entschei-dungsprozesse im Detail betrifft. Dies ist ein Kompromiß, den man eingehen muß, wenn man im Rahmen einer Qualifikationsarbeit an dem breiten Fokus interessiert ist, den es bedeutet, das Hilbertprogramm mitsamt seinen Wurzeln und seinem Kontext darzustellen, auf die Analyse seiner positiven Durchfüh-rung nicht zu verzichten und schließlich die argumentative Auseinanderset-zung mit seinen Herausforderern ein Stück weit zu führen.

Das Literaturverzeichnis am Ende dieser Arbeit dokumentiert seinerseits noch einmal die Breite, die die mathematisch-logischen, die wissenschaftsphi-losophischen und -historischen Auseinandersetzungen mit dem Hilbertpro-gramm und seiner „Umgebung“ mittlerweile angenommen haben – obwohl hier nicht einmal ansatzweise nach bibliographischer Vollständigkeit gestrebt wurde.

Die eigentlichen historischen Ansprüche der folgenden Darstellung bleiben insgesamt eher bescheiden. Den philosophischen Absichten dieser Arbeit ge-mäß geht es vor allem um den Aufriß des ideengeschichtlichen Kontextes, in dem das Hilbertprogramm entstanden ist. Wissenschaftsexterne Faktoren, die wie immer die faktische Entstehung auch dieses Programms beeinflußt haben, werden dementsprechend kaum eine Rolle spielen. Es geht darum, ein inhalt-liches Verständnis des HP zu gewinnen, das in gewissen Grenzen beanspru-chen kann, historisch adäquat zu sein, ohne zu seiner Gewinnung die Abklä-rung sämtlicher historischer Details zu beanspruchen. Ergo muß simplifiziert werden, und falls die Kompliziertheit historischer Entwicklungen der systema-tischen Prägnanz entgegenläuft, erhält die letztere den Vorzug.

Maßstab der Kritik soll schließlich einkrÐneinim besten Wortsinne sein – ein Unterscheiden von mehr oder weniger Zustimmungswürdigem, zwischen wah-ren und falschen Aspekten. Es wird dabei weniger darum gehen, eine These zu

„verteidigen“, andere Positionen bzw. Autoren „anzugreifen“ oder vermeint-liche „Siege“ einzufahren. Diese kriegerische Metaphorik drückt eine Haltung aus, die dieser Arbeit nicht zugrundeliegt. Wenn doch einmal polemische Spit-zen nicht vermieden werden, so möge der Leser dies einerseits als Versagen

50Dagegen geben etwa GEORGE/VELLEMAN,Philosophies[2002], vii-viii, zu, daß sie nicht ein-mal immer versucht haben, die von ihnen dargestellten Ideen historisch getreu darzustellen.

Einleitung 

eines Autors sehen, der gelegentlich auch nicht in der Lage ist, seine Genervt-heit angesichts der VertracktGenervt-heit mancher repetierter Mißverständnisse zurück-zuhalten; andererseits aber – und hoffentlich hauptsächlich – als unterhaltsame Überzeichnung innerhalb eines sonst vielleicht allzu trockenen Sachgebiets.

Alle methodischen Erwägungen können nicht über den Mixtur-Charakter51 dieser Arbeit hinwegtäuschen. Michael Hallett hat einen solchen einmal als An-spruch formuliert:

„Arbeiten zu Entwicklung und Wesen der Mathematik sollten eine reiche Mischung sein aus Geschichte, Philosophie und technischem Verstehen.“

HALLETT,Cantorian Set Theory[1984], xviii, Eig. Übers.52

Dieser Anspruch gilt.

51Das wissenschaftsphilosophische Arbeiten vielleicht generellMischgebilde sind, formuliert auch CHARPA,Grundprobleme[1996], 33, allerdings speziell im Hinblick auf das Verhältnis nor-mativer und deskriptiver Anteile.

52Das Zitat lautet im englischen Original: „Works on the development and nature of mathema-tics should be a rich mixture of history, philosophy, and technical understanding.“

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