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Hilberts neue Axiomatik und die Grundlagen der Geometrie Die erwähnten Probleme mit dem traditionellen Standpunkt und den Die erwähnten Probleme mit dem traditionellen Standpunkt und den

Im Dokument An den Grenzen des Endlichen (Seite 62-68)

H ILBERTPROGRAMMS

2.2 Hilberts neue Axiomatik und die Grundlagen der Geometrie Die erwähnten Probleme mit dem traditionellen Standpunkt und den Die erwähnten Probleme mit dem traditionellen Standpunkt und den

traditio-nellen Begründungsstrategien der Geometrie führten Hilbert zu einem grund-legenden Neuansatz der geometrischen Axiomatik.

2.2.1 Die Grundlagen der Geometrie

Die AbhandlungGrundlagen der Geometriewar epochemachend. Sie ist aus Hil-berts Vorlesungen hervorgegangen, erschien zunächst als Teil einer Festschrift zur Enthüllung des Gauß-Weber-Denkmals in Göttingen 189914 und durchlief später als selbständige Schrift eine lange Reihe von Auflagen.15Sie war Hilberts

13Z. B. Frege, vgl. FREGE,Briefwechsel[1976], 62.

14Vgl. auch die Neuedition von HILBERT, Grundlagen Geometrie[1899] in HALLETT,Hilbert’s Lectures[2004].

15Während sich das Werk selbst im Laufe der Auflagen wenig veränderte, sind die ihm bei-gefügten Anhänge (durch Hilbert) und Supplemente (durch Bernays) publikationsgeschichtlich interessant. Die siebte Auflage, die 1930 als letzte zu Hilberts Lebzeiten erschien, enthielt insge-samt 10 Anhänge. In die späteren Auflagen wurden davon nur die Anhänge 1–5 übernommen.

Der Anhang 8 der siebten Auflage war beispielsweise eine empfindlich gekürzte Fassung des AufsatzesÜber das Unendliche, der damit in drei verschiedenen Fassungen von Hilberts Hand vorliegt.

Wurzeln: Axiomatik 

erste Veröffentlichung einer systematischen axiomatischen Untersuchung und gilt bis heute als ein Paradebeispiel für eine solche.

Die Zielsetzung seiner Untersuchung beschreibt Hilbert in der Einleitung:

„Die Aufstellung der Axiome der Geometrie und die Erforschung ihres Zusammenhanges ist eine Aufgabe, die seit Euklid in zahlreichen vortrefflichen Abhandlungen der mathe-matischen Literatur sich erörtert findet. [. . . ] Die vorliegende Untersuchung ist ein neuer Versuch, für die Geometrie ein vollständiges und möglichst einfaches System von Axio-men aufzustellen und aus denselben die wichtigsten geometrischen Sätze in der Weise abzuleiten, daß dabei die Bedeutung der verschiedenen Axiomengruppen und die Trag-weite der aus den einzelnen Axiomen zu ziehenden Folgerungen klar zutage tritt.“

HILBERT,Grundlagen Geometrie[1899], 1

Hilbert sieht seine Arbeit also in Kontinuität zu den Elementen des Euklid, ei-nem axiomatischen Traktat über Geometrie, der durch das Mittelalter und die Neuzeit hindurch bis zu Hilberts Zeiten das maßgebliche Lehrbuch der Geome-trie war.16Allerdings will er einen „neuen“ Versuch präsentieren, geometrische Grundsätze aufzustellen, sie in ihrem Zusammenhang zu untersuchen und aus ihnen die geometrischen Lehrsätze abzuleiten. Das Zitat zeigt auch, wie sehr es Hilbert um den systematischen Aufbau der Geometrie und um die logischen Zusammenhänge zwischen den einzelnen Axiomen und Lehrsätzen geht.

Die systematische Darstellung beginnt mit Hilberts berühmter „Erklärung“, man denke sich drei Systeme von Dingen mit entsprechenden Bezeichnungen (Punkte A, B, C, . . ., Geraden a, b, c, . . ., Ebenen α, β, γ, . . .) und Beziehungen zwischen diesen Dingen mit entsprechenden Bezeichnungen (liegen, zwischen, kongruent, . . . ). Das Wichtige ist dann:

„die genaue und für mathematische Zwecke vollständige Beschreibung dieser Beziehun-gen erfolgt durch die Axiome der Geometrie.“ HILBERT,Grundlagen Geometrie[1899], 2

Dies ist der Kernsatz von Hilberts Verständnis von Axiomatik. Diese Methode

„der Entwicklung einer mathematischen Disziplin als Lehre von einem System von Din-gen mit bestimmten VerknüpfunDin-gen, deren EiDin-genschaften den Inhalt der Axiome bilden,“

BERNAYS,Philosophie der Mathematik[1930], 17

hat Paul Bernays später als „existentiale Axiomatik“ bezeichnet. Sie ist im We-sentlichen schon die Vorgehensweise von Richard Dedekind in seinem wichti-gen BuchWas sind und was sollen die Zahlen?.17

Diese Vorgehensweise erfüllt die eben diskutierten Anforderungen an eine Reform der Axiomatik. Hilbert hält im Verlauf seines Werkes das Prinzip der

„rein logischen“ Beweisführungen durch. „Inhaltliche“ Voraussetzungen wer-den nur in wer-den Axiomen gemacht. Die Geometrie wird auf diese Weise als

de-16Zur Bedeutung der Elemente des Euklid für die mittelalterliche Wissenschaft siehe FOL

-KERTS, Euclid[1989]; zur Bedeutung für die mittelalterliche islamische Mathematik FOLKERTS, Arabische Mathematik[1993].

17DEDEKIND,Was sind[1888].

 Hilberts neue Axiomatik und die Grundlagen der Geometrie

duktives System konzipiert, das Axiome nur als Ausgangspunkte zuläßt. Daher heißen die Axiome bei Hilbert gelegentlich auch „Prinzipien“ der Geometrie.18

Hilbert verzichtet auf jegliche Rechtfertigung der Axiome durch sachliche Wahrheit. Die vollzogene „Abkoppelung“ wird in denGrundlagen der Geometrie vielmehr deutlich sichtbar, wenn er Modelle angibt, in denen beispielsweise das Vollständigkeitsaxiom nicht gilt. Umso bedeutsamer wird dann natürlich die Frage der Widerspruchsfreiheit.

Die Widerspruchsfreiheit der nichteuklidischen Geometrie führt Hilbert in den Grundlagen der Geometriesemantisch auf die Widerspruchsfreiheit der eu-klidischen Geometrie zurück, die der eueu-klidischen Geometrie ihrerseits auf die Widerspruchsfreiheit der höheren Arithmetik. Diese Reduktionen werden im zweiten Teil dieser Arbeit noch genauer analysiert werden, wenn es um die (technische) Durchführung des Hilbertprogramms geht. Die Konzeption von Arithmetik, die Hilbert hier zugrundelegt und die gewissermaßen die gesamte grundlagentheoretische (Beweis-)Last tragen soll, verdient allerdings noch eini-ge Aufmerksamkeit, denn auch hier vertritt Hilbert konsequent den axiomati-schen Standpunkt.

2.2.2 Axiomatische Arithmetik

Von einer mehr konzeptionell-methodologischen Seite her hat Hilbert sein Ver-ständnis von Axiomatik in dem AufsatzÜber den Zahlbegriff näher erläutert, der aus derselben Zeit stammt wie dieGrundlagen der Geometrie.19Dessen wesentli-che Stoßrichtung ist die Infragestellung der traditionellen methodiswesentli-chen Diffe-renz zwischen einer axiomatisch vorgehenden Geometrie und einer „genetisch“

vorgehenden Arithmetik. „Genetisch“ bezieht sich dabei auf die sukzessive Er-weiterung des Zahlbegriffs von den natürlichen über die ganzen und die ra-tionalen bis zu den reellen Zahlen durch Schritte wie die „Forderung“ nach der unbeschränkten Ausführbarkeit von Subtraktion oder Division. Er regt dagegen an, auch in der Arithmetik und sogar in der theoretischen Physik die Axiomatik anzuwenden.

Hilbert baut das Axiomensystem für die Arithmetik ganz analog auf zu dem für die Geometrie in den Grundlagen. Er folgt demselben Ordnungsschema – Einteilung in Axiomengruppen, sogar gleiche Nummerierung durch römische und arabische Ziffern – und beginnt ebenfalls mit dem charakteristischen Satz der existenzialen Axiomatik: „Wir denken ein System von Dingen“.20

18Vgl. das Schlußwort zu HILBERT,Grundlagen Geometrie[1899]. Ähnlich ist auch in HILBERT, Mathematische Probleme[1900a], 293, im Bezug auf die Arithmetik die Rede von „Prinzipien“, die mathematischen Begriffen zugrundeliegen und die die Mathematik „durch ein einfacheres und vollständiges System von Axiomen“ festzulegen hat.

19Hilbert hieltÜber den Zahlbegriffzunächst am 19. September 1899 auf der Tagung der Deut-schen Mathematiker-Vereinigung in München und publizierte ihn mit Datum vom 12. Oktober 1899 in den Jahresberichten der DMV; vgl. HILBERT,Zahlbegriff[1900b].

20HILBERT,Zahlbegriff[1900b], 181.

Wurzeln: Axiomatik 

In denGrundlagen der Geometriewar die Widerspruchsfreiheit nichteuklidi-scher Geometrien auf die Widerspruchsfreiheit der euklidischen zurückgeführt worden und die Widerspruchsfreiheit der euklidischen Geometrie auf die der höheren Arithmetik, d. h. der Analysis. Was damit als scheinbar „letzte“ Frage noch offen blieb, war die Widerspruchsfreiheit der Arithmetik selbst.

Konsequenterweise stellte Hilbert diese Frage in seinen Katalog 23 ungelös-ter mathematischer Probleme, den er in seinem berühmt gewordenen Vortrag auf dem Internationalen Mathematikerkongreß 1900 in Paris vorstellte. Hilbert blieb bei dieser Position auch in der Retrospektive, wenn er in Neubegründung 1921 festhält, daß die Widerspruchsfreiheit nachzuweisen ein schwieriges er-kenntnistheoretisches Problem sei, daß ihr Nachweis gleichwohl in vielen Fällen gelinge (er nennt 1921 explizit die Geometrie, die Thermodynamik, die Strah-lungstheorie und andere physikalische Theorien als Beispiele) und zwar durch Zurückführung auf die Widerspruchsfreiheit der höheren Arithmetik.21

Welche Möglichkeiten bieten sich nun grundsätzlich, die Widerspruchsfrei-heit der Arithmetik zu beweisen? Zunächst war es natürlich der naheliegends-te Gedanke, die Ketnaheliegends-te der Reduktionen von Theorien fortzusetzen. Doch auf welches noch basalere System soll man die Arithmetik ihrerseits zurückführen?

Welche Theorie könnte überhaupt den Status haben, noch allgemeiner und noch grundlegender als die Arithmetik zu sein? Der einzige ernsthafte Kandidat ist die reine Logik. Damit ist man genau bei der Zielsetzung der Logizisten ange-langt, die im nächsten Kapitel diskutiert werden soll (Kapitel 3, S. 91ff.).

Gibt es Alternativen dazu, die reduktionistische Kette bis zur Logik fort-zusetzen? Es scheint naheliegend, das im 19. Jahrhundert gängigste Vorgehen zu probieren, wenn man die Widerspruchsfreiheit einer Theorie absichern will, nämlich ein Modell anzugeben oder, in Freges Terminologie, einen Gegenstand aufzuweisen, der die in der axiomatischen Theorie geforderten Eigenschaften besitzt.22Dieses Modell muß natürlich genau wie die bei der ersten Variante ge-suchte Theorie noch allgemeiner und sozusagen noch sicherer sein als die Arith-metik selbst. Auch hier scheint nur die Logik zu bleiben, und es geht um die Konstruktion eines „logischen Modells“ für die Arithmetik. Dies war der Ansatz Richard Dedekinds. Er hat ein rein mengentheoretisches Modell der Arithmetik konstruiert und die mengentheoretischen Methoden selbst galten ihm als logi-sche. Insofern gehört auch sein Ansatz zum Logizismus und wird im nächsten Kapitel thematisiert werden. Schon hier sei jedoch darauf hingewiesen, daß De-dekind zum Beweis der Existenz seines Modells mit dem Begriff der Menge aller Dinge, die Gegenstand meines Denkens sein können, arbeitete. Cantor hatte be-merkt, daß dieser Begriff in sich widersprüchlich ist, und hatte dies Mitte der 1890er Jahre auch Hilbert mitgeteilt. Für Hilbert war damit zu dieser Zeit schon klar, daß auch Dedekinds Weg keine befriedigende Absicherung der Arithmetik in Aussicht stellte.

21HILBERT,Neubegründung[1922], 161.

22FREGE,Briefwechsel[1976], 71.

 Hilberts neue Axiomatik und die Grundlagen der Geometrie

Gibt es nicht noch „direktere“ Möglichkeiten, sich von der Widerspruchs-freiheit der Arithmetik zu überzeugen? Möglichkeiten, die keine andere Theo-rie oder wiederum anders abzusichernde Modellkonstruktionen voraussetzen?

Es der axiomatischen arithmetischen Theorie gewissermaßen direkt anzusehen, daß sie nicht auf Widersprüche führen kann? Daß ein solcher „direkter Weg“

die einzige Alternative war, war auch Frege klar geworden, obgleich er keinerlei Vorstellung davon hatte, wie dieser Weg aussehen könnte, ja, einen solchen Weg schlicht für unmöglich hielt.23Hilbert schwebte anscheinend eine Idee für einen solchen „direkten Weg“ vor. Seine Bemerkungen dazu bleiben jedoch zunächst schwer verständlich. Er sagt, man müsse „die bekannten Schlußmethoden in der Theorie der Irrationalzahlen im Hinblick auf das bezeichnete Ziel genau durch-arbeit[en] und in geeigneter Weise modifizier[en]“.24 1905 publizierte er dann seinen ersten Versuch, wirklich einen „direkten Weg“ in der Weise zu gehen, daß man rein syntaktisch an einem Axiomensystem seine Widerspruchsfreiheit ablesen will. Die dabei entwickelten Methoden werden im zweiten Teil dieser Arbeit genauer analysiert (vgl. Abschnitt 1.3, S. 208ff.).

2.2.3 Neues und Kritisches

Hilberts Konzeption von Axiomatik war in einigen Punkten ein Fortschritt. Er war die Probleme mit der traditionellen Konzeption erfolgreich angegangen, hat die Axiome von der Anbindung an unmittelbare sachliche Wahrheit gelöst, kei-ne zusätzlichen Annahmen kei-neben den Axiomen verwendet und so das Gebot der strengen Beweisführung durchgehalten.25Aber auch hier gilt wohl der all-gemeine Satz „kein Nutzen ohne Kosten“ und so beinhaltet die Neukonzeption auch einige Punkte, die andere Mathematiker-Philosophen kritisch bemängelt haben.

Der gesamte Rest dieses Kapitels soll der Beschäftigung mit diesen Kritiken gewidmet sein. Dabei soll es allerdings weniger um eine Verteidigung der Hil-bertschen Position gehen, sondern mehr darum, daß im Medium dieser Kritik und ihrer sorgfältigen Abwägung die Charakteristika von Hilberts Konzepti-on deutlicher zum Vorschein kommen. Das setzt natürlichauchdie Prüfung von Gründen, die Bewertung von Argumenten und damit auch gelegentlich die Ver-teidigung der Hilbertschen Position gegen fehlgehende Kritik voraus. Aber dies soll nicht im Zentrum stehen, sondern das Ziel ist ein vertieftes Verständnis des Hilbertschen Ansatzes.

23FREGE,Briefwechsel[1976], 71.

24Vgl. HILBERT,Zahlbegriff[1900b], III, 300.

25Smorynski sieht hierin den deutlichsten Unterschied zwischen Euklid und Hilbert. Er quali-fiziert Hilberts Axiomatik entsprechend als „streng durchgeführt“ und „vollständig“; vgl. SMO

-RYNSKI,Hilbert’s Programme[1988].

Wurzeln: Axiomatik 

Die folgende Diskussion orientiert sich an Kritikpunkten, die Gottlob Frege in einem Briefwechsel mit Hilbert vorgebracht hat.26 Der Briefwechsel aus der Zeit von 1895 bis 1903 ist in der Literatur breit diskutiert worden, allerdings gele-gentlich mit zweifelhaftem Erfolg. Um dies zu illustrieren, sei an eine Postkarte erinnert, mit der Hilbert Frege folgende Erläuterungen übermittelt hat:

„Meine Meinung ist eben die, dass ein Begriff [gemeint ist ein Grundbegriff einer Theorie, C. T.] nur durch seine Beziehungen zu anderen Begriffen logisch festgelegt werden kann.

Diese Beziehungen, in bestimmten Aussagen formulirt, nenne ich Axiome und komme so dazu, dass die Axiome (ev. mit Hinzunahme der Namengebungen für die Begriffe) die Definitionen der Begriffe sind.“

Hilbert an Frege, 22. 9. 1900, zit. nach FREGE,Briefwechsel[1976], 79

Der Herausgeber des Briefwechsels, F. Kambartel, bewertete diese Postkarte la-pidar:

„Hilberts kurze Antwort [beharrt] nur dogmatisch auf den bereits vorher geäußerten lo-gisch unhaltbaren definitionstheoretischen Meinungen.“ FREGE,Briefwechsel[1976], 56

Eine solche Bewertung kann man wohl kaum anders erklären als durch einen Mangel an ernsthaftem Bemühen um ein Verstehen der Hilbertschen Position.

Aber ganz unabhängig von der sachlichen Frage, wem hier definitionstheore-tisch eher recht zu geben ist, zeigt sich schon rein vom Kommunikationsverlauf her, daß eine Interpretation als „dogmatisches Beharren“ unhaltbar ist. Selbst ein Leser, der keine Ahnung von der in Rede stehenden Sache hat, wird fest-stellen, daß Hilbert in der Postkarte seinen Standpunkt als „Definition durch Beziehungen“ verdeutlicht und damit einen Punkt aufgreift, den Frege in sei-nem vorangegangenen Brief neu ins Spiel gebracht hatte (übrigens nachdem Frege zunächst „dogmatisch“ festgesetzt hatte, daß Beziehungen zwischen Be-griffen nur bestehen könnten, nachdem die Definition der Begriffe bereits abge-schlossen sei). Das Eingehen auf die Gesichtspunkte, die der Gesprächspartner ins Spiel bringt, und die Erläuterung des eigenen Standpunktes anhand dieser Gesichtspunkte, kann man wohl nur mit einem gehörigenfuror apologeticusals

„dogmatisches Beharren“ beschreiben.

Dieses Beispiel zeigt, daß es auch hier durchaus begründet ist, den Betrach-tungen den Originalbriefwechsel zugrundezulegen und nicht seine Bewertun-gen in der Sekundärliteratur. Von BewertunBewertun-gen dieser Art soll im FolBewertun-genden Abstand genommen werden, der Briefwechsel soll keine Gesamtbeurteilung er-halten und die in ihm vorgebrachten Argumente sollen nicht ausdiskutiert wer-den. Es geht, um dies zur Verdeutlichung noch einmal zu sagen, um die Ausein-andersetzung mit einer Hilbert-Kritik, die die Charakteristika der Hilbertschen Position besser hervortreten lassen soll.

Gewiß wird man eine gewisse Unversöhnlichkeit von Frege und Hilbert in diesem Briefwechsel nicht abstreiten können und sie bei der Interpretation „im Hinterkopf“ behalten. Aber man muß nicht unbedingt wie Adolf Fraenkel in

26Die erhaltenen Teile dieses Briefwechsels sind veröffentlicht in FREGE,Briefwechsel[1976], 58–

80.

 Axiome als implizite Definitionen

Bezug auf den Briefwechsel Cantor-Frege resignierend feststellen, daß sich hier zwei große mathematische Geister nicht ausreichend gegenseitig verstanden ha-ben. Es läßt sich, wie die folgenden Ausführungen zeigen sollen, Einiges an klä-rendem Potential aus dem kritischen Gespräch zwischen Hilbert und Frege ge-winnen.

Freges Kritik richtet sich vor allem gegen drei Punkte in Hilberts Konzep-tion: 1.) Die Auffassung von Axiomensystemen als impliziten Definitionen der Grundbegriffe der Theorie, 2.) den Wechsel auf die metatheoretische Ebene und 3.) die scheinbare Willkürlichkeit der Axiome. Entsprechend werden sich die folgenden Abschnitte 1.) mit der Lehre von den Axiomen als impliziten Defi-nitionen (Abschnitt 2.3, S. 68ff.), 2.) mit der Frage, ob Axiomatik eine Metawis-senschaft ist, (Abschnitt 2.4, S. 71ff.) und 3.) mit Hilberts Kriteriologie für Axio-me beschäftigen, die Freiheit ohne Willkürlichkeit realisieren will (Abschnitt 2.5, S. 76ff.).

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