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Merkmale, Kriterien und Indikatoren automatischer Stabilisatoren

2 Ökonomische Stabilität als wirtschaftspolitisches Ziel

2.2 Ansätze und Methoden der Stabilitätspolitik

2.2.2 Merkmale, Kriterien und Indikatoren automatischer Stabilisatoren

Ein erstes Indiz der automatischen Stabilisierungswirkung einer Steuer bzw.

Transferzahlung liefert die Bestimmung der Aufkommenselastizität ET. Sie ent-spricht der relativen Änderung des Steuervolumens bzw. der Höhe der Transfer-zahlungen T im Verhältnis zu der relativen Veränderung der Bemessungsgrund-lage Y, z.B. dem Bruttonationaleinkommen oder dem Volkseinkommen,

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Hierbei entsprechen T0 und Y0 den jeweiligen Vorjahreswerten und ǻT so-wie ǻY den absoluten Veränderungen zum Vorjahr. Die Aufkommenselastizität gibt an, wie stark das Aufkommen des automatischen Stabilisators auf rungen der Bezugsgröße reagiert. Ein Wert größer 1 bedeutet, dass die Verände-rung der Bezugsgröße eine überproportionale VerändeVerände-rung des Stabilisators be-wirkt.65 66 Eine hohe Aufkommenselastizität ist in Bezug auf die automatische Stabilisierungswirkung von Vorteil, da im Boom die gestiegenen staatlichen Einnahmen bremsend und in der Rezession eine überdurchschnittliche Steuer-senkung stimulierend auf die Nachfrage wirkt.67

Der Nachteil der Aufkommenselastizität liegt darin, dass lediglich die relati-ve Veränderung gemessen wird, die noch keine Aussagen über das Volumen der Wirkung treffen lässt. So können beispielsweise kleine Bagatellsteuern trotz ho-her Aufkommenselastizität nur eine marginale stabilisierende Wirkung vorwei-sen, da ihr Aufkommensvolumen eine relevante Mindestgröße unterschreitet. Es sollte daher im Zusammenhang mit der Aufkommenselastizität die Steuerflexi-bilität als zweiter Indikator berücksichtigt werden. Die SteuerflexiSteuerflexi-bilität gibt das Verhältnis der absoluten Veränderung des Stabilisators zur absoluten Verände-rung der Bezugsgröße an,

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65 Vgl. Zimmermann, H., Henke, K. D., Broer, M. (2009), S.353 f

66 Im Folgendem wird der Begriff „Stabilisator“ für die der Wirkung ursächliche Strom- bzw.

Budgetgröße verwendet, wie z.B. die Einkommenssteuer, Ein- und Auszahlungsströme der Arbeitslosenversicherung und ggf. auch des Gesundheitswesens

67 Vgl. Pätzold, J. (1998), S. 178

68 Vgl. Zimmermann, Henke, Broer (2009), S. 354

Die Kombination beider Indikatoren ermöglicht somit die Aussage sowohl über die relative als auch absolute Veränderung des automatischen Stabilisators im Verhältnis zur Bezugsgröße und dient daher als erstes Indiz für eine mögli-che konjunkturstabilisierende Wirkung der zu untersumögli-chenden Stromgröße.

Neben einer möglichst hohen Aufkommenselastizität in Verbindung mit ei-nem gewissen Mindestvolumen der Budgetgröße spielt die zeitliche Entwick-lung des Stabilisators in Bezug auf die Bemessungsgrundlage eine entscheiden-de Rolle für die Effektivität eines automatischen Stabilisators. Naturgemäß be-steht immer ein gewisser zeitlicher Abstand zwischen beiden Größen, dennoch ist eine annähernd synchron zum Konjunkturverlauf wirkende Entwicklung grundsätzlich wünschenswert. Ein zu großer zeitlicher Versatz kann dazu füh-ren, dass der Stabilisator seinen antizyklischen Charakter verliert und sogar eine destabilisierende prozyklische Wirkung erlangt. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn eine rezessionsbedingte Nachfragestimulation des automatischen Stabili-sators erst in der nachfolgenden konjunkturellen Hochphase seine Wirkung ent-faltet und somit den konjunkturellen Wachstumstrend verstärkt. 69

Andererseits kann in bestimmten Situationen eine zeitliche Verzögerung bis zum Eintritt der Wirkung des Stabilisators von Vorteil sein, sodass sich diese Bedingung zumindest teilweise relativieren lässt. Dies lässt sich am besten ver-deutlichen, wenn der Konjunkturzyklus in vier einzelne Abschnitte unterteilt wird, die jeweils zwischen Wendepunkt und Hoch- bzw. Tiefpunktpunkt der Kurve liegen, vgl. Abbildung 9.

Diese vier Phasen entsprechen dem,

I. Aufschwung vom natürlichen Gleichgewicht bis zum Hochpunkt des Booms,

II. Abschwung vom Höchststand zum natürlichen Gleichgewicht,

III. Abschwung vom natürlichen Gleichgewicht bis zum Tiefstand der Rezes-sion und

IV. Aufschwung vom Tiefstand der Rezession bis zum natürlichen Gleichge-wicht. 70

Wie zu erkennen ist, entfernt sich die Wirtschaftsentwicklung in Phase I und III vom natürlichen Gleichgewicht. In diesen Phasen ist ein möglichst schnelles Eingreifen des automatischen Stabilisators wichtig, um die Konjunkturentwick-lung zu bremsen und eine weitere Abweichung vom natürlichen Gleichgewicht möglichst zu verhindern. In Phase II und IV hingegen folgt die konjunkturelle Entwicklung bereits in Richtung des natürlichen Gleichgewichts. Ein

69 Vgl. Kalusche, J. (2010), S.10

70 Vgl. Kalusche, J. (2010) in Verbindung mit Albers

Sebastian Hesse - 978-3-653-02751-8

sches Eingreifen des Stabilisators führt in diesen Fällen zu einer Verzögerung der gewünschten Entwicklung.

Quelle: Eigene Darstellung Abbildung 9: Schematische Darstellung des Konjunkturzyklus in vier Phasen

Wenn beispielsweise in der Abschwungphase II der automatische Stabilisa-tor durch die rückläufige Wirtschaftsentwicklung eingreift, erfolgt eine Stimula-tion der Nachfrage obwohl sich die Wirtschaft noch oberhalb des Gleichge-wichts befindet. Ebenso kann in Phase IV ein durch den Stabilisator überpropor-tionaler Einkommensentzug die Entwicklung aus der Rezession belasten. In die-sen Fällen wäre eine zeitliche Verzögerung der Wirkung des Stabilisators sogar wünschenswert. Dieser Effekt wird in der Literatur als „fiskalische Bremse“

bzw. „fiscal drag“ bezeichnet. 71

Eine weitere unausweichliche Bedingung, damit automatische Stabilisatoren ihre Wirkung entfalten können, betrifft das Interventionsverhalten des Staates.

Prozyklische diskretionäre Maßnahmen des Staates entkräften den Effekt des Stabilisators, dabei handelt es sich um so genannte Parallelpolitik.72

Wird beispielsweise die im Boom durch den Stabilisator entzogene Kauf-kraft der privaten Haushalte durch staatliche Nachfrage kompensiert, entsteht

71 Vgl. Rürup, B., Körner, H. (1985), S.181 72 Vgl. Andel, N. (1983), S. 441

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ein prozyklischer Einfluss, der destabilisierend auf die Volkswirtschaft wirkt.

Umgekehrt dürfen in Zeiten der Rezession die geminderten staatlichen Einnah-men nicht zu Ausgabenkürzungen führen. Der Mechanismus des automatischen Stabilisators kann nur funktionieren, wenn die Staatsausgaben über den kom-pletten Konjunkturzyklus konstant bleiben.73

Als Erkenntnis dieses Abschnitts lässt sich zusammenfassend festhalten, dass Aufkommens- und Steuerelastizität im Zusammenspiel als Indikator für eine erste Analyse der Wirkungsweise automatischer Stabilisatoren herangezo-gen werden können. Um einen antizyklischen und somit stabilisierenden Effekt zu erreichen, sollte deren Entwicklung möglichst zeitnah und synchron der Richtung der konjunkturabhängigen Bezugsgröße folgen. Allerdings ist der zeit-liche Versatz in jedem Einzelfall zu prüfen und zu beurteilen. Durch diskretionä-re Maßnahmen des Staates kann der Stabilisator an Wirkung verliediskretionä-ren oder sich sogar in einen Destabilisator umkehren. Deshalb sollten staatliche Ein- und Ausgaben über den gesamten Konjunkturzyklus konstant gehalten werden.

2.2.3 Multiplikatorwirkung als Maßnahme der