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Annahmen, Restriktionen und Schlussfolgerung für die Arbeit

4 Quantifizierung gesamtwirtschaftlicher Effekte mit Hilfe der IO-Rechnung

4.4 Annahmen, Restriktionen und Schlussfolgerung für die Arbeit

Allgemein ist festzuhalten, dass das zentrale Problem von Modellen der empiri-schen Wirtschaftsforschung darin besteht, dass sie durch Abstraktion von der Realität entstehen und sich somit im Realitätsgehalt, der Komplexität und der Realitätsnähe unterscheiden. Obwohl sie als Abbild der Wirklichkeit erstellt werden, können die Ergebnisse der auf ihnen aufbauenden, modellgestützten Berechnungen nicht unmittelbar als valide Aussage über die Wirklichkeit inter-pretiert werden.221 Vielmehr müssen die Abhängigkeit von modellinhärenten Definitionen und Annahmen sowie die Genauigkeit der Daten bei der Analyse der Ergebnisse einbezogen werden. Daraus folgt, dass auch die beste prognosti-sche Annäherung an die Wirklichkeit nutzlos ist, wenn die Nachvollziehbarkeit eines Modells nicht mehr gewährleistet werden kann. Daraus resultiert unmittel-bar ein zentrales Problem komplexer integrierter Modelle, die zwar sehr plas-tisch eine gute Annäherung an die Realität darstellen, jedoch aufgrund ihrer

221 Vgl. Holub, H.W., Schnabl, H. (1994a), S. 328

überschaubaren Interdependenzen zwischen den einzelnen Modellteilen nur eine geringe Transparenz aufweisen.

Neben methodischen Ungenauigkeiten durch die Erstellung der symmetri-schen IO-Tabellen, wie z.B. die mathematische Überleitung nicht beobachtbarer Inputstrukturen für die homogenen Produktionsbereiche, die zeitlich verzögerte Veröffentlichung der Fachserie 18 Reihe 2 und die Verwendung fehlerbehafteter Sekundärstatistiken, müssen auch die der IO-Analyse zugrundeliegenden An-nahmen bei der Interpretation der Ergebnisse berücksichtigt werden. Sie beein-flussen maßgeblich die Qualität bzw. Aussagekraft der Ergebnisse. Folgende zentrale Modellannahmen liegen den Berechnungen zu den sich fortpflanzenden indirekten und induzierten Effekten auf Basis symmetrischer Input-Output-Tabellen nach dem ESVG zugrunde:222

1. Konstante wertmäßige Inputstrukturen

2. Konstante Zusammensetzung der Produktionswerte nach homogenen Produktionsbereichen

3. Konstante gütermäßige Zusammensetzung der privaten Konsumausgaben Anders formuliert besagen die Annahmen, dass sich beispielsweise Preisrelatio-nen über die jeweilige Berichtsperiode nicht verändern, die Produktionstechni-ken konstant bleiben und keine Substitution zwischen den Gütern der Endnach-frage stattfindet.223 Modifikationen an den Annahmen sind grundsätzlich mög-lich, z.B. durch Berücksichtigung des technologischen Wandels oder von Preis-änderungen. Abhilfe versprechen diesbezüglich ökonometrische und andere Schätzungen, die helfen, den Einfluss relativer Preise und anderer Einflussfakto-ren auf die technischen Koeffizienten der Vorleistungsmatrix bzw. auf die Kon-sumstruktur der privaten Haushalte einzubeziehen.224 In diesem Zusammenhang sind in den vergangenen Jahrzehnten weltweit zahlreiche sogenannte integrierte Modelle entstanden, die sich bemühen, den offenkundigen Defiziten der Input-Output-Rechnung entgegenzuwirken.225 Sie versuchen die Annahmen der IO-Modelle aufzuheben und durch kontinuierliche Anpassungen der Datenbasis

222 Vgl. ESVG (1995), 9.14 223 Vgl. ESVG (1995), 9.14

224 Vgl. Miller, R.E., Blair, P.D. (2009), S. 303ff.; ESVG (1995), 9.14

225 Als Beispiele für solche integrierten Modelle sind u.a. das auf das INFORUM-Modell (INterindustrie FORcasting at the University of Maryland) zurückzuführende INFOR-GE-Modell (INterindustry FORecasting Germany) der Gesellschaft für Wirtschaftliche Strukturforschung GmbH (www.gws-os.com/de) sowie das speziell für regionale „Im-pact-Analysen“ entwickelte amerikanische IMPLAN-Modell der Firma MIG Inc.

(http://implan.com) zu nennen.

Sebastian Hesse - 978-3-653-02751-8

bzw. durch verknüpfte und fortlaufend aktualisierte Schätzungen die Modell-strukturen stärker der ökonomischen Realität anzupassen.226

Dabei ist jedoch festzuhalten, dass die statistisch erhobenen Primärdaten durch die Aufnahme von (ökonometrischen) Schätzgleichungen bzw. die Be-rücksichtigung dynamischer Prozesse, die den innerperiodischen Veränderungen ausgewählter Variablen im Zeitverlauf Rechnung tragen, um subjektive, nicht statistisch erfassbare Einflüssen verfälscht werden. Der Gewinn an Genauigkeit durch Berücksichtigung dynamischer Prozesse im Zeitverlauf, wie z.B. die Be-rücksichtigung relativer Preisänderungen, steht in einem ständigen Spannungs-verhältnis zur Wahrung der Konsistenz gegenüber den statistisch erhobenen Da-ten der Inlandsproduktberechnung. D.h. der empirische Zusammenhang zwi-schen den Eckwerten der VGR und der IO-Rechnung wird durch die Aufnahme zusätzlicher Schätzgleichungen verwässert. Um ein den tatsächlichen Verhält-nissen entsprechendes Bild über die volkswirtschaftlichen Verflechtungen in Deutschland vermitteln zu können, muss die Konsistenz der IO-Tabellen gegen-über den primärstatistischen Daten der VGR als umfassende und fundierte, ge-samtwirtschaftliche Datenbasis gewahrt bleiben.

Die Entscheidung für die Anwendung eines bestimmten Modellansatzes va-riiert maßgeblich in Abhängigkeit von dem zugrundeliegenden Analyseziel so-wie dem zur Verfügung stehenden Datenmaterial. Aufgrund der Fokussierung auf die deutsche Volkswirtschaft und des intransparenten und proprietären Auf-baus der meisten integrierten Modelle ist die IO-Rechnung des Statistischen Bundesamts als Teilrechnung der VGR die beste Ausgangsbasis für die anste-henden Berechnungen in dieser Arbeit. Sie ist frei verfügbar und weist einen objektiven und transparenten Charakter auf, sodass der hohe Anspruch an die Nachvollziehbarkeit und Kommunikation der Ergebnisse grundsätzlich gewähr-leistet ist. Das Statistische Bundesamt veröffentlicht mit der Input-Output-Rechnung für jedes Jahr eine valide und im zeitverlauf vergleichbare Datenba-sis, die die produktions- und gütermäßigen Verflechtungen der deutschen Volkswirtschaft ausgehend von den umfangreichen Datensätzen der Volkswirt-schaftlichen Gesamtrechnungen wiedergibt. Durch die Überleitung der IO-Tabellen aus den statistisch erhobenen und aggregierten Daten der einzelnen Wirtschaftseinheiten wird ein konsistentes Bild der ökonomischen Verflechtun-gen in Deutschland gezeichnet, das unter Berücksichtigung der Modellannah-men und Restriktionen ein wertvolles Hilfsmittel bzw. AnalyseinstruModellannah-ment für wirtschaftspolitische Entscheidungsprozesse darstellt.

Die Konten und Tabellen der VGR als Datenbasis für die Erstellung des Ta-bellenangebots der IO-Rechnung beschreiben grundsätzlich ein

226 Vgl. Holub, H.W., Schnabl, H. (1994a), S. 328

freies System, das auf Konventionen, Normen und Reglements beruht, welche die Definitionen und Klassifikationen, die Abgrenzungen der verwendeten Grö-ßen, die Datenerhebung sowie die Verfahren, mit denen die Basisdaten weiter-verarbeitet werden, einheitlich festlegt.227 Die einheitlich geregelte Aufbereitung und Verdichtung der Basisdaten sowie umfangreiche Kontrollrechnungen bilden die Grundlage für die Objektivität, Transparenz und Vergleichbarkeit der Input-Output-Rechnung.

Trotz der vielfältigen Verwendbarkeit und Anwendungsgebiete der Input-Output-Rechnung können auf Basis der festgelegten Abgrenzungen (z.B. die 71 homogenen Produktionsbereiche in der symmetrischen IO-Tabelle oder auch die zu 59 Wirtschaftsbereichen aggregierte Darstellung in den Basistabellen) nicht alle Fragestellungen gleichermaßen beantwortet werden.228 Oftmals ist eine er-kenntniszielorientierte Aufbereitung des statistischen Datenmaterials unumgäng-lich, um spezielle Analysen durchführen bzw. zweckdienliche Aussagen treffen zu können. Vor diesem Hintergrund haben in den vergangenen Jahren sogenann-te Sasogenann-tellisogenann-tensyssogenann-teme stark an Bedeutung gewonnen, die in Abhängigkeit von dem Informationsbedürfnis die definierten und ausgewiesenen Größen der VGR und ihrer Teilrechnungen disaggregieren, um zusätzliche Daten erweitern und anschließend neu klassifizieren. Dies hat zum Ziel, zusätzliche Erkenntnisse zu gewinnen, die die VGR bzw. die IO-Tabellen als Resultat ihres fest vorgegebe-nen Darstellungsrahmens nicht oder nur eingeschränkt liefern.

Als zentrales Verfahren zur Ermittlung der Ausstrahleffekte der Gesund-heitswirtschaft ist im aktuellen Kapitel das offene statische Mengenmodell der IO-Rechnung vorgestellt worden. Erweitert um eine endogenisierte Konsum-nachfrage finden zusätzlich die Einkommenskreisläufe Berücksichtigung und ermöglichen dadurch die Erfassung der induzierten Effekte als Ursache ausge-wählter Nachfragesteigerungen

Der große Vorteil der Input-Output-Rechnung liegt darin, volkswirtschaftli-che Verflechtungen und Wirkungszusammenhänge aus den Daten der VGR auf Basis nachvollziehbarer mathematischer Modelle aufzuzeigen. Sie ermöglicht einen detaillierten Nachweis der direkten sowie der indirekten produktions- und gütermäßigen Verflechtungen zwischen den einzelnen Wirtschaftseinheiten. Ein deutlicher Vorteil gegenüber einer „einfachen“ Multiplikatoranalyse besteht in der Möglichkeit, die verschiedenen Multiplikatoren nachvollziehbar berechnen und über die Vorleistungsverflechtungen konkret verschiedenen Wirtschaftssek-toren zuordnen zu können, anstatt sie nur in der Summe auszuweisen. Die Ana-lysemöglichkeiten und die Aussagequalität der Ergebnisse einer IO-Analyse

227 Vgl. Brümmerhoff, D. (2007), S. 6 228 Vgl. Brümmerhoff, D. (2007), S. 6

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werden durch das Zusammenspiel zwischen der verwendeten Input-Output-Tabelle und dem analytischen Modell, auf dessen Basis die Erkenntnisse ge-wonnen werden sollen, determiniert.

5 GGR als Datenbasis zur Stabilitätsanalyse