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Erfordernis und historische Entwicklung eines Gesundheitssatellitenkontos

5 GGR als Datenbasis zur Stabilitätsanalyse der Gesundheitswirtschaft

5.3 Erfordernis und historische Entwicklung eines Gesundheitssatellitenkontos

Mit der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, bestehend aus dem Dreierge-spann GAR, GKR und GPR, werden detaillierte Daten bezüglich des Kernbe-reichs des Gesundheitswesens, d.h. Kosten von Krankheiten und des im Ge-sundheitswesen beschäftigten Personals, bereitgestellt. Allerdings werden weder wichtige ökonomische Basisinformationen zur Verfügung gestellt wie bspw.

Produktionswert und Wertschöpfung, noch werden volkswirtschaftliche Ver-flechtungen mit der Gesamtwirtschaft abgebildet. Zudem erfasst die GAR aus-schließlich Umsätze am Endverbraucher, sodass der restliche Teil der Wert-schöpfungskette, die Vorleistungsindustrien, nicht abgebildet werden.

Innerhalb der VGR wird eine Analyse der Gesundheitswirtschaft dadurch erschwert, dass sie nach statistischer Definition keine eigenständige Branche darstellt. Vielmehr stellt sie ein Portfolio vieler verschiedener Wirtschaftsberei-che dar, von Arztpraxen über Krankenhäuser bis hin zu KrankenversiWirtschaftsberei-cherungen und medizintechnischen Erzeugnissen. Diese befinden sich in einer Vielzahl zentraler Konten der Wirtschaftszweigklassifikation u.a. 85.1 Gesundheitswe-sen, 85.3 SozialweGesundheitswe-sen, 24.4 Pharmazeutische Erzeugnisse usw., die aus

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schaftspolitischer Sicht eine unzureichende Abgrenzung für gezielte Analysen darstellen. So enthält bspw. der Wirtschaftszweig 85 Gesundheits-, Veterinär- und Sozialwesen eine Reihe nicht gesundheitsrelevanter Bereiche. Es fehlen hingegen in diesem Bereich u.a. Apotheken, Sanitätshäuser und Krankenversi-cherungen. Die meso-ökonomische Bedeutung einzelner Gesundheitsbranchen lässt sich daher nur unvollständig abbilden. Gerade wenn die Bewertung von gesundheitsbezogenen Projekten, Initiativen oder andersartigen Bündeln an Maßnahmenpaketen im Vordergrund steht, liefern die Basisdaten eine unzu-reichende Grundlage.261

Ein Satellitenkonto der Gesundheitswirtschaft schließt diese Datenlücke und liefert detaillierte Informationen über die zunehmend an Bedeutung gewinnende Gesundheitswirtschaft sowie deren Verflechtungen mit der Gesamtwirtschaft.

Ein besonderes Augenmerk bei der Erstellung lag auf der Gewährung einer kon-sistenten Struktur mit der VGR sowie internationaler Vergleichbarkeit.

Das Fehlen und die Erforderlichkeit einer umfassenden und in den gesamt-wirtschaftlichen Kontext eingegliederten Statistik über das Gesundheitswesen sind schon länger bekannt. Essig und Reich bemängelten bereits 1988, dass zur Abbildung der Gesamtwirkung der Gesundheitswirtschaft im volkswirtschaftli-chen Kreislauf die Volkswirtschaftlivolkswirtschaftli-chen Gesamtrechnungen zu allgemein struk-turiert sind und forderten, um gesundheitsrelevante Ströme und Bestände konsis-tent im gesamtwirtschaftlichen Kontext zu beschreiben, die Erstellung eines

„Gesundheitskontos“ als Satellitensystem.262

Erste Versuche die Aufwendungen für Gesundheit abzubilden gehen auf Szameitat und Wuchter aus dem Jahr 1970 zurück.263 Aus diesen Vorhaben ent-stand in Zusammenarbeit des Statistischen Bundesamtes sowie dem Unteraus-schuss „Kosten der Gesundheit“ des Bundesgesundheitsrates eine erste statisti-sche Übersicht über die Ausgaben für Gesundheit in Deutschland für das Jahr 1972. Mit dem Beschluss der Vollversammlung des Bundesgesundheitsrates im September 1976, die Entwicklung der Gesundheitsausgaben möglichst vollstän-dig und transparent jährlich zu veröffentlichen, entstand ein Leistungskatalog, dessen Leistungsarten wiederum in vier Ebenen unterteilt ist: 264

1. Primäre Finanzierung,

263 Vgl. Szameitat, K., Wuchter, G. (1970), S. 121-131

264 Vgl. Henke, K. D., Neumann, K., Schneider, M. (2009), S. 39

Diese vier Bereiche in Verbindung mit ihren jeweiligen Untersektoren fin-den immer noch Verwendung, vgl. Tabelle 12

Tabelle 12: Ebenen und Sektoren des Finanzierungsmodells des Gesundheitswesens I Primäre B Arbeitgeber B Gesetzliche

Ren-tenversicherung

Quelle: Henke et al., 2010; in Verbindung mit dem Statistisches Bundesamt, 1978

1980 erfolgte daraufhin die erste und fortan regelmäße Veröffentlichung der

„Ausgaben im Gesundheitswesen“ im Rahmen der Fachserie 12 Gesundheitswe-sen Reihe 2 des Statistischen Bundesamtes. Wenige Jahre später wurden die ers-ten Versuche unternommen die Verflechtungen und ökonomischen Geschehnis-se des GesundheitsweGeschehnis-sens abzubilden. Holub und Schnabel erweiterten die

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lichen Input-Output-Tabellen um die vier Gesundheitsbranchen Pharmazeuti-sche Güter, Medizintechnik, Krankenhausleistungen und freiberufliches Ge-sundheitswesen. R. Schmidt und U. Schmidt nahmen sich währenddessen auf andere Art und Weise des Problems an, indem sie die Verflechtungen zwischen Finanzierung und Leistungserbringung aufdeckten.265 Obwohl beide Ansätze auf unterschiedlichen Methoden basierten kamen sie zu ähnlichen Ergebnissen.266

Ein erstes tatsächliches Satellitensystem der Gesundheitswirtschaft wurde erstmalig im Jahr 1992 von Sarrazin und dem Statistischen Bundesamt im Auf-trag des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung erstellt.267 Durch die gezielte Verknüpfung der Gesundheitsausgabenrechnung und weiteren Sekun-därstatistiken mit der VGR wurde ein Statistikwerk geschaffen, das kompatibel zum Konzept der VGR eine detailtreuere und tiefere Informationsbereitstellung ermöglicht. Trotz der Verknüpfung mit der VGR stellt sie keinen integralen Be-standteil dar, sondern vielmehr eine eigenständige Ergänzung. Dies ermöglicht es zum einen, die Abgrenzung der Gesundheitswirtschaft flexibel zu variieren, vergleichbar mit dem Schichtenmodell. Zum anderen erleichtert es die Erweite-rung um zusätzliche Größen vor allem auch nichtmonetärer Einflussfaktoren.

Allerdings vernachlässigt das Modell die Vorleistungsverflechtungen im Gegen-satz zu den zuvor genannten Statistiken von Geigant, Holub und Schnabl aus dem Jahr 1986.268 Diese Vorarbeiten legten den Grundstein für die heutige ge-sundheitswirtschaftliche Berichterstattung.

In Anbetracht der volkswirtschaftlichen Relevanz der Gesundheitswirtschaft sind solide Informationen über die Wachstumsentwicklung der Gesundheitswirt-schaft aus wirtGesundheitswirt-schaftspolitischer Sicht zunehmend von Bedeutung. Verlässliche Rahmendaten über Wertschöpfung, Produktivität und Verteilung der Faktorent-gelte sind sowohl aus politischer als auch ökonomischer Sicht unverzichtbar, um belastbare Aussagen und Entscheidungen bezüglich der deutschen Gesund-heitswirtschaft zu treffen. Im Fokus stehen vor allem Fragestellungen der The-menfelder gesamtwirtschaftliches Wachstum, Preisstabilität, Beschäftigungs-entwicklung, fiskalische Stabilität, Außenhandel und die Bedeutung für den Mit-telstand. Im nachfolgenden Abschnitt erfolgt die Beschreibung, wie ein derarti-ges Satellitensystem für die Gesundheitswirtschaft erstellt werden kann.

265 Vgl. Schmidt, R., Schmidt, U. (1986)

266 Vgl. Henke, K. D., Neumann, K., Schneider, M. (2009), S. 43 267 Vgl. Sarrazin, H.T. (1992)

268 Vgl. Henke, K. D., Neumann, K., Schneider, M. (2009), S. 45

5.4 Struktur der Gesundheitswirtschaftlichen