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1.3 „MEIN MENSCHHEITSIDEAL. WÜNSCHE UND ERKENNTNISSE“. UTOPIEN FÜR DEN HAUSGEBRAUCH

Zur Klasse der ohne konkreten äußeren Anlass durchgeführten Rundfragen gehörte eine En-quête des Uhu, die ihre Teilnehmer um Variationen über die Zeile „Mein Menschheitsideal.

Wünsche und Erkenntnisse“ (Uhu, Jg. 5., H. 6, März 1929, S. 37-40) gebeten hatte. Ein Al-lerweltsthema wie dieses entsprach dem Profil des rundfragenden Mediums: Mit der Grün-dung des Uhu 1924 hatte der Ullstein Verlag den Versuch unternommen, auch in Deutschland ein Magazin nach angelsächsischem Vorbild zu etablieren. Die angestrebte Massenauflage sollte auf zwei Wegen erreicht werden: durch die redaktionelle Abdeckung gleich mehrerer Bereiche der Alltagswelt, vom Sport über Wissenschaft und Technik bis hin zur Kultur, sowie durch die Einbindung prominenter Köpfe.130 Letzteres gelang vor allem im Rahmen der Rund-frageaktionen. Dass deren Themenfokus nicht immer derart politiklastig war wie im Falle der VZ, lag angesichts des Leserspektrums, das man abdecken wollte, auf der Hand.

Bei der Auswahl der Teilnehmer schien die Redaktion um den Spagat zwischen Prominenz und Kompetenz bemüht. So hatte man im Falle der Enquête über das Menschheitsideal vor-wiegend Persönlichkeiten angeschrieben, die sich durch ihre Tätigkeit auf den Gebieten von Kultur, Wissenschaft und Medizin einen Ruf als Kenner der Seelenlandschaften des Homo sapiens erworben hatten. Dazu gehörte einmal mehr Heinrich Mann. Dazu gehörte Wilhelm Ostwald, neben Ernst Mach einer der Hauptvertreter des Monismus, eines Welterklärungsmo-dells, das die Entstehung des Seins auf ein einziges Prinzip reduzierte und sich dank seiner Rezeption durch das bürgerlich-liberale Milieu des späten 19. Jahrhunderts den Rang einer

130 Die Gründungsidee ging auf Hermann Ullstein (1875 – 1943) zurück, im Ullstein Verlag zuständig für die Zeitschriften- und Buchabteilung. Beim Aufbau des Uhu gingen ihm Kurt Korff und Kurt Szafranski, die Direktoren der Zeitschriftenabteilung, zur Hand. Zu den „geistigen Vätern“ (Bemmann: 299) des Uhu zählte allerdings auch Tucholsky. Er sollte eigentlich sogar als Redakteur gewonnen werden, beschränkte sich aber, weil er von Paris ungerne wieder nach Berlin zurückgekommen wäre, auf eine Mitarbeit. Er wusste, „dass er für Leser des Zeitalters des Fotoapparats, des Autos, des Boxsports und des Grammophons schrieb“(300), und stellte sich stilistisch und thematisch darauf ein. Der Uhu erschien monatlich und konnte sowohl über den Buchhandel als auch über die Post bezogen werden.

Ersatzreligion hatte erwerben können.131 Dazu gehörten Carl Diem, Generalsekretär des Deut-schen Reichsausschusses für Leibesübungen,132 und Ernst Glaeser, der bereits in jungen Jah-ren mit dem autobiographischen Roman „Jahrgang 1902“ (1926) einen internationalen Publi-kationserfolg verbuchen konnte.133 Dazu gehörten Friedrich Gundolf, Professor für Literatur an der Universität Heidelberg,134 Else Lasker-Schüler und schließlich noch zwei namhafte Wissenschaftler nichtdeutscher Herkunft: Auguste Forel, Psychologe und Hirnforscher, Straf-rechtsreformer, Avantgardist der Volksbildungs- und Volkerziehungsidee und Verfechter des Völkerfriedens sowie Maria Montessori, Ärztin und Pädagogin, vormals Inhaberin eines Lehrstuhls für Anthropologie, engagiert im Kampf für die Rechte der Frau und die Abschaf-fung der Kinderarbeit, Vordenkerin einer die Individualität jeder Entwicklungsbiographie hochhaltenden Pädagogik.

Die meisten der Angeschriebenen leisteten sich das lässliche Vergehen, das „Menschheits-ideal“ mit dem „Idealmenschen“ zu verwechseln. Die Ergebnisse ihrer Gedankenspielereien erschienen in der März-Ausgabe des Jahres 1929. Ein ultimativer Bauplan des Homunkulus ergibt sich aus der Summe der Einzelbeiträge natürlich nicht, auch keine Charakterologie des Idealmenschen. Was mit der fraglichen Uhu-Ausgabe allerdings vorliegt, ist ein Kaleidoskop kürzerer Prosatexte über die Geschichte des menschlichen Strebens und Scheiterns, ein Stück anthropologisches Feuilleton über die Utopie einer moralischen Perfektivität des Menschen.

Zunächst zum Beitrag Heinrich Manns. Sein Versuch einer Beschreibung des Idealmenschen folgt den windungsreichen Pfaden eines dialektischen Einerseits-Andererseits, am Ende aller-dings steht nicht der perfekte, sondern der „wirkliche Mensch“. Auf die kritische Betrachtung seiner Zeitgenossenschaft ist Mann spezialisiert. Wie kaum ein zweiter, Tucholsky sicher ausgenommen, steht er für die literarisch-satirische Auseinandersetzung mit der vom wilhel-minisch geprägten Bürgertum monopolisierten Empfindung einer moralischen, sozialen und damit letztlich auch geschichtlichen Überlegenheit. Dass die Bilder, die das Wunschdenken vom Idealmenschen malt, für gewöhnlich kaum mehr als pastellfarbene Momentaufnahmen sind, weiß er mithin ganz genau, auch in seinem Beitrag für den Uhu überprüft er sie auf ihre Realitätstauglichkeit. Eine seiner Thesen lautet: „Nehmen wir an, er [der Idealmensch, L.-A.

R.] wäre vernünftig, gütig und gerecht.“ Der Folgesatz enthält die Antithese: „Andererseits

131 Ostwald (1853 – 1932), Träger des Nobelpreises für Chemie des Jahres 1909, gehörte zu den produktivsten Wissenschaftspublizisten seiner Zeit. Sein Interesse galt vor allem der Propagierung eines die Mechanistik durch das Energieprinzip ablösenden Welterklärungsmodells. Zu seinen wichtigsten Publikationen gehörten die 1902 gegrün-deten „Annalen der Naturphilosophie“ sowie die Titel „Die Überwindung des wissenschaftlichen Materialismus“ (1895), „Elektrochemie, ihre Geschichte und Lehre“ (1896) und „Energetische Grundlagen der Kulturwissenschaft“ (1909). Als Nachfolger Erich Haeckels übernahm er 1911 den Vorsitz des freidenkerischen „Monistenbundes“.

132 Diem (1882 – 1962) gehörte ferner zu den Initiatoren der 1920 in Berlin gegründeten Deutschen Hochschule für Leibesübung.

133 Vorgelegt hatte Glaeser (1902 – 1963) mit diesem Titel eine schriftstellerische Arbeit, die die emotionale und politische, ganz wesentlich der Erfahrung des Weltkriegs anzulastende Orientierungslosigkeit einer kompletten Generation literarisch einzufangen suchte.

müsste er unbedingt die Leidenschaft kennen, man kommt sonst zu nichts [...].“ Problemati-siert wird dergestalt eine Tugendhaftigkeit nach der anderen, ein Vollkommenheitsattribut nach dem nächsten: Selbstherrschung schließt Wehrhaftigkeit aus, der Stolz die Fähigkeit, sich um des Gemeinwohls willen in bestimmten Situationen auch unterordnen zu können.

Umgekehrt erfährt eine vermeintliche Untugend eine bemerkenswerte Aufwertung: Ohne die Fertigkeiten des „Schwindler[s]“, so Manns Befürchtung, wird der Mensch schnell seiner chronischen Phantasielosigkeit erliegen. Ferner sind es die etablierten Formen eines geregel-ten Broterwerbs, die die Überlebensperspektive des Idealmenschen stark einschränken wür-den: Um ihn „für geistige und selbstlose Ziele leicht zu gewinnen“, bedürfe es nämlich einer langfristigen materiellen Absicherung, die aber kann er „in der gegebenen Welt und bei der herkömmlichen Art des Menschen nicht dauerhaft haben“. Der erste Teil der Schlussfolrung birgt keinerlei Überraschung: Jede FordeSchlussfolrung an den Idealmenschen sei „für sich ge-nommen unerfüllbar.“ Anders dagegen der zweite: Alle Forderungen zusammen aber seien

„bedingt erfüllbar.“ Sie sind es, die sich zum oben schon zitierten „wirklichen“ Menschen summieren. Der wiederum erfüllt, so die Schlusspointe, die „wichtigste aller Forderungen:

nicht langweilig zu sein.“

Die Antwort Wilhelm Ostwalds fällt vergleichsweise prosaisch aus. Sie nennt die Tugenden, über die der Idealmensch verfügen sollte, beim Namen, ohne jeden Umweg über eine Proble-matisierung der Ausgangsfrage und ohne die Verlagerung der Antwort auf eine Metaebene.

So knapp die Reaktion auch ausfallen mag, das Weltbild des Verfassers legt sie zumindest in seinen Grundzügen offen. Ausgangspunkt dabei ist der Konflikt zwischen den Institutionen des religiösen Glaubens und des empirischen Wissens – aus Ostwalds Perspektive ist er im Grunde nicht mehr zu schlichten. Das leidenschaftliche Bekenntnis für den eigenen, naturwis-senschaftlichen Fachbereich ist an eine geschichtlich fundierte, sicher aber auch stark vom Monismus inspirierte Kritik an den Nachwirkungen einer jahrhundertealten klerikalen Defini-tionshoheit über alle Inhalte des Wissens und Erkennens gekoppelt. Die Hauptfigur in Ost-walds Tagtraum ist „der praktische Idealist, der lebfrische Mensch, der seine Ideale nicht in der Vergangenheit sucht, sondern in der Gegenwart und Zukunft“. Verbunden ist damit die konkrete Forderung nach einer gesellschaftlichen Aufwertung der Wissenschaft: Für sie wünscht er sich den Status des „höchste[n] Kulturgut[s]“. Die Scholastik hingegen, die in Theologie und Philosophie des Hoch- und Spätmittelalters gebräuchliche Methode der Wahr-heitsfindung, ist für ihn der Inbegriff aller autoritätsfixierten Forschungspraxis, das „ewige

134 Gundolf (1880 – 1931) hatte im selben Jahr die Gelegenheit, sich mit seiner Festrede aus Anlass des 200. Lessing-Geburtstags im Reichstag als staatstragender Großin-tellektueller zu empfehlen.

Hindernis“ jeder gedanklichen Tätigkeit. Nicht allein die Kirche, auch ein noch in der Epoche des Historismus sozialisiertes Bildungsbürgertum wird Ostwalds Hohelied auf die Erkenntnis-inhalte und -methoden der Naturwissenschaft als ungebührliche Fetischisierung empfunden haben: An einer sozialethischen Note fehlt es dem Text bei all dem keineswegs. Dem Men-schen sei aufgetragen, so die lakonische Weisung des Schlusssatzes, „in weitestem Umfange für andere“ zu sorgen.

Gundolf stellt in seiner Antwort die hohe Kunst der geistigen Verdichtung unter Beweis – trotz ihrer Kürze enthält sie einen Kerngedanken der abendländischen Ästhetik. Ließe sich, so Gundolfs Überlegung, die Bitte um die Beschreibung des Menschheitsideals mit einer presse-kompatiblen und in aller Welt konsensfähigen Formel erfüllen, dann wäre die Kunst überflüs-sig, dann „bedürfte es keiner Bücher und Bilder“ mehr. Zum Anlass genommen hat er die Frage damit für eine – wenn auch nur indirekte – Klärung der historischen Bestimmung der Kunst, der literarischen wie auch der bildenden. Der stärkste innere Antrieb des Künstlers und das zumindest im Hintergrund dauerpräsente Thema seiner „Bücher und Bilder“ scheint für Gundolf das Unbehagen des Menschen angesichts der eigenen intellektuellen, moralischen und physischen Unzulänglichkeit zu sein – lesen lässt sich das natürlich als Variierung des Freudschen Theorems von der Kunst als Kompensationserscheinung. Allein der Kunst – und nicht der vom Uhu möglicherweise erwarteten pointierten Definition – gelingt dank ihres i-maginativen Potentials und ihrer formalen Freiheiten der Brückenschlag zur Idealität. Schlie-ßen lässt sich daraus längst noch nicht, dass es diese Idealität auch wirklich gibt, schlieSchlie-ßen lässt sich daraus nur, dass die Existenz und der Gebrauch ihres Begriffs an der Entwicklung bestimmter Kulturtechniken nicht ganz unbeteiligt waren.

Einen unüberhörbar politischen Akzent hat im Grunde nur die Antwort Ernst Glaesers. Be-rufserfahrungen gesammelt hatte Glaeser als Schriftsteller, Journalist und Dramaturg. Die begriffliche Wendung des politischen Intellektuellen scheint er von je her als Tautologie emp-funden zu haben, sein Beitritt zum Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller Deutsch-lands (BPRS) dürfte auch eine Missfallensbekundung dem Typus des weltanschaulich indiffe-renten und politisch inaktiven Künstlers und Journalisten gegenüber gewesen sein.135 Glaeser geht in seiner Replik gleich in medias res. Er halte jeden Menschen „für erstrebenswert“, dem es gelingt, die Mechanismen „der Wirtschafts- und Gesellschaftsform dieser hochkapitalisti-schen Gegenwart“ in eine Sprache zu übersetzen, aus der sich die Axiome der Revolutionen der Zukunft ableiten lassen. Dass sich eine politische Fundamentalkritik wie diese Feinde machen wird, ist ihm natürlich völlig bewusst. Sorge bereitet ihm vor allem das Potential an

politischer Aggressivität. Ausgestattet sein muss sein Idealmensch deshalb auch mit etwas, das ihn gegen die Unberechenbarkeiten des politischen Diskurses der damaligen Zeit abzusi-chern vermag: Glaeser wünscht ihm „eine Schlauheit und ein körperliches Geschick, die es verhindern, dass er vorzeitig in Deutschland erschlagen“ werde.

Die Antwort des Sportwissenschaftlers Carl Diems liest sich wie eine Fußnote zum häufig zitierten „mens sana in corpore sano“ des Juvenal. Sein Idealmensch soll „rüstig und körper-lich geübt sein, alle Glieder so bewegen können, wie die Natur es uns gegeben hat [...].“ Er-gänzt werden sollen die physischen noch durch mentale Fitnessqualitäten, durch „einen festen Willen, Entschlusskraft, Urwüchsigkeit und Liebe zur Natur [...].“ Allein dann findet der Mensch seiner Einschätzung nach „den Weg zum Edlen und Schönen“, allein auf diesem Weg wird er zum Idealmenschen.

Auf ein Terrain, das man zumal rückblickend als moralisch vermint beschreiben müsste, be-gibt sich Forel. Für ihn steht fest, dass es den Idealmenschen nicht be-gibt. Auf den ersten Blick ähnelt seine Anthropologie derjenigen der von einem martialischen gesellschaftlichen Urzu-stand ausgehenden Vertragstheoretiker der frühen Neuzeit: „In uns allen stecken tief erblich das Raubtier, die affektive Grausamkeit, die Heuchelei usw.“ Die Domestizierung des Wolfes im Menschen ist Forel zufolge allerdings kein Verdienst eines staatskonstitutionellen Levia-than, sondern die Begleiterscheinung eines ethnobiologischen Prozesses: „[B]essere, d. h.

sozialere, ethischere Menschen“ gebe es „dank der vielen Rassenkreuzungen“. Das sicher entscheidende Stichwort seiner Replik lautet „Eugenik“. Konsternieren haben dürfte auch dieser Begriff den zeitgenössischen Leser noch nicht. Obwohl sie in den USA bereits zu Be-ginn des 20. Jahrhunderts als Grundlage für eine dezidiert rassistische Gesetzgebung diente136, dürfte die Eugenik erst durch die politische Umsetzung der Rassentheorie des Nationalsozia-lismus nachhaltig kompromittiert gewesen sein. Forel wendet sie, ungeachtet ihrer seinerzeit schon erwiesenen Missbrauchsanfälligkeit, ins Positive. Er vertraut fest darauf, dass das Ziel der durch „Rassenkreuzung“ generierten Menschen die „eine internationale Menschheit“ sei, eine Menschheit „ohne Krieg, ohne Genussgifte unseres Gehirnes, ohne Geldkapital“.137

Natürlich lässt auch der redaktionelle Impuls dieser Enquête genügend Raum für Antworten ganz unterschiedlichen formalen Zuschnitts. Die sicher persönlichste ist diejenige Else Lasker-Schülers. In ihr findet die Affinität der Autorin zu exotischen literarischen Stoffen und

135 Er selbst arbeitete seit 1926 für die Frankfurter Zeitung, war Dramaturg am Deutschen Theater in Frankfurt a. M. – einer Einrichtung mit einem Schwerpunkt auf der Förderung der Theaterarbeiten der Avantgarde – und seit 1928 Leiter der literarischen Abteilung des Südwestdeutschen Rundfunks.

136 Als Beispiel wird hier das 1905 verabschiedete „Gesetz zur Verhinderung von Schwachsinn und Kriminalität“ genannt, eine Regelung, die zumal die Einwanderung aus Süd- und Osteuropa eindämmen sollte.

137 Die Postkarte, auf die Forel seine Antwort geschrieben hat, publizierte die Redaktion als Faksimile.

Figuren eine feuilletonistische Fortschreibung. Ihr Ideal sei, so Lasker-Schüler, der Inka-Mensch, die Angehörigen des „mexikanischen Indianerstammes.“138 Seit ihrer Schulmädchen-zeit hänge er an ihrer „Herzwand“. Auf selbstkritische Töne verzichtet auch ihre Replik trotz aller Kürze nicht. Als unbefriedigend empfindet sie allerdings nicht die Konzentration auf die eher apolitische Beschreibung der markanten Physiognomie der Inka, Unbehagen bereitet ihr vielmehr die eigene schriftstellerische Unzulänglichkeit, die Unfähigkeit einer poesiesprachli-chen Illustration ihres Menschheitsideals: „[...] aber mein Ideal spricht keine beschwingte Sprache; die wirkliche Liebe in geflügelten Worten auszudrücken, liegt mir nicht.“

Die Antwort mit der sicher stärksten visionären Kraft trägt den Absender Maria Montessoris.

Von je her war die Beschreibung des Idealmenschen das Leitthema ihrer Arbeit als Medizine-rin und Pädagogin, sie suche ihn, so ihre Formulierung, „wie die amerikanischen Forschungs-reisenden das Gold unter der Erde suchten.“ Über das Charakterbild des Großteils ihrer Zeit-genossen macht sie sich bei alldem keine Illusionen: „Wir sind alle verpfuscht, weil wir in der Zeit unserer Entwicklung unterdrückt wurden.“ Umso größer sind die Erwartungen, die sie an die geistigen und damit auch politischen und gesellschaftlichen Kompetenzen des „neue[n]

Mensch[en]“ knüpft. Sie ist der festen Überzeugung, dass er „die sozialen Probleme mit einer verblüffenden Einfachheit lösen würde – dass er alles leicht finden und verstehen würde, dass die Feinde des Menschen nicht auch Menschen sein können; [...].“ Seine größte Leistung aber läge zweifelsohne darin zu erkennen, „worin das Glück der Menschheit besteht.“ Dass dieser neue Mensch zu einer Generation gehört, die in den Genuss der dem Prinzip der Selbstbildung des Kindes verpflichteten Montessorischen Pädagogik gekommen sein wird, dürfte unstrittig sein. Expressis verbis hergestellt wird dieser Bezug allerdings nicht. Montessoris Beitrag für den Uhu also mag den Kern ihres Erziehungsprogramms enthalten, als Propagandaplattform missbraucht sie ihn nicht. Wie pessimistisch ihr Blick auf die mentale Konstitution ihrer Zeit-genossenschaft ist, unterstreicht der letzte Satz. Vom neuen Menschen nämlich würde sie, wenn er ihr dereinst begegnen sollte, das folgende Verdikt erwarten: „’Sie sind für immer begraben.’“