• Keine Ergebnisse gefunden

1.1 „DIE INSZENIERUNG DER REPUBLIK“. DER GEIST ÜBER DIE SYMBOLE DER MACHT

Im Frühling 1925, in einer Zeit also, die in der Periodisierung der Weimar-Forschung ge-meinhin als Phase einer allgemeinen Stabilisierung bezeichnet wird, initiiert die VZ eine Rundfrage unter dem Titel „Die Inszenierung der Republik“ (VZ Nr. 94, 1. Beilage, 19. 4.

1925). Der Weimarer Staat stütze sich, so die zuversichtsgetragenen Vorbemerkung der Re-daktion, auf weitaus stärkere Fundamente, „als der böse Wille ihrer Widersacher es wahrha-ben will.“ Was für den Prozess einer weiteren Konsolidierung des republikanischen Bewusst-seins von entscheidender Bedeutung sei, seien Symbole. Die Möglichkeiten ihrer konkreten Gestalt wie auch ihrer Verwendung im Alltag einer parlamentarischen Republik zu erörtern, dazu lädt die Rundfrage ihre Teilnehmer ein.

Die thematische Akzentsetzung hätte tagesaktueller kaum sein können. Kurz vor der Publika-tion der Antwortschreiben nämlich war die Bekanntgabe der Kandidatur Paul von Hinden-burgs für das Amt des Reichspräsidenten erfolgte113 – ein Ereignis, das, weil ein Wahlerfolg des überzeugten Monarchisten einen geschichtlichen Rollback einzuleiten drohte, dem Ver-trauen der Redaktion der VZ in die Tragfähigkeit des Fundaments des „republikanischen Ge-dankens“ den Charakter einer Trotzreaktion verlieh. Die Spielarten der gezielten Demontage eines der tragenden Symbole der Republik hatte man bereits am Umgang mit Friedrich Ebert, dem ersten Weimar-deutschen Staatsoberhaupt, studieren können. Die Polemik der sozial wie auch weltanschaulich völlig heterogenen, vom monarchistischen Freischärler über den rechts-liberalen Großindustriellen bis zum linksutopischen Intellektuellen reichenden Phalanx seiner Gegner richtete sich nämlich vor allem gegen solche Qualitäten, die Ebert eine durch und durch republikanische Aura verliehen: gegen den konzessiven Pragmatismus seiner Amtfüh-rung, den bürgerlich-zivilen Habitus seines öffentlichen Auftretens und den biographischen, von Bluts- und Besitzprivilegien gänzlich freien Hintergrund seiner politischen Karriere. Mit Hindenburg nun betrat Anfang April 1925 ein Mann die politische Bühne, der die Uniform des Generalfeldmarschalls dem zivilen Outfit seines sozialdemokratischen Vorgängers vorzog und damit an die Tradition einer Zeit anzuknüpfen drohte, deren politische Elite die Staatsge-schäfte ganz selbstverständlich in militärischer Montur besorgte. Die martialisch-heroische Symbolik einer de jure längst abgeschlossenen Geschichtsepoche schien fröhliche Urstände

113 In der ersten Runde der Neuwahl des Staatsoberhaupts am 29. März hatte keiner der angetretenen Kandidaten die erforderliche absolute Mehrheit erringen können. Für die auf den 26. April festgelegte zweite hatten sich die Parteien der ehemaligen Weimarer Koalition auf die Unterstützung des Zentrumspolitikers Wilhelm Marx verständigt, die bürgerlich-konservative Rechte hingegen war mit dem als „Sieger von Tannenberg“ populär gewordenen Hindenburg in den Wahlkampf gezogen.

zu feiern. Hindenburgs Wahlerfolg am 26. April war tatsächlich ein Beweis für die Schlag-kraft politischer Symbole, für die der antidemokratischen allerdings.114

Die Publikationen der VZ vom 19. April prägt allerdings noch der Wortschatz einer prore-publikanischen Symbolsprache. Eine Antwort stammt von Leopold Jessner. Prädestiniert für eine Teilnahme war er aus vielerlei Gründen. Als Intendant des Preußischen Staatstheaters Berlin vertrat er eine Kulturtechnik, die ihre in Jahrtausenden gewachsene Identität ganz we-sentlich der Auseinandersetzung mit den eigenen religiös-kultischen Ursprüngen verdankt.

Die Forderungen der politischen Zeitenwende von 1918 hatte er verstanden und in seiner im Oktober des Folgejahres in Berlin übernommenen Intendantenfunktion auf den Gebieten von Theaterorganisation und Inszenierungsästhetik konsequent zu erfüllen versucht. Schnell war er dabei zu einem Vorbild „im Sinne eines republikanischen Engagements“ (Her-mand/Trommler: 196) avanciert. Bereits die legendäre Inszenierung von Schillers „Wilhelm Tell“ 1919 legte Zeugnis davon ab, „dass mit der Revolution ein neuer, die höfischen Fesseln und Bleigewichte entschlossen abschüttelnder Geist in das alte Haus am Gendarmenmarkt eingezogen“ sei (Glatzer: 266). Der Sozialdemokrat Jessner hatte einen Bühnenstil geprägt, dem es gelang, das „Theater wieder mit dem Bekenntnis zum Fortschritt“ zu verbinden und es

„zum Forum des Kampfes gegen die Despotie und den Bourgeois und für die Stärkung der neu erworbenen Freiheit“ (Hermand/Trommler: 196) zu erweitern.

Es nimmt daher nicht wunder, dass Jessner die mentale Bedeutung des Formenrepertoires der Repräsentation für die Konsolidierung eines Staatswesens hervorhebt, zunächst noch ganz unabhängig von dessen ideologischer Selbstverortung. Der Staat funktioniert kaum anders als der Glaube, er brauche Symbole, „um Wurzeln zu schlagen“. Die Abneigung, mit der die jun-ge Republik allem Dekor- und Kulissenhaften in Staat und Politik zunächst bejun-gegnet war, war angesichts der hybriden, durchorchestrierten Selbstdarstellung des Kaiserreichs nur allzu ver-ständlich. Im Laufe der zurückliegenden Jahre aber seien neue „Volksschichten“ herange-wachsen, die in der „glücklichen Lage“ seien, „sich selbst ihr Gesicht geben, sich selbst ihr Gewand bestimmen“, sich die Formen der Demonstration ihrer republikanischen Identität also selbst erwählen zu können. Dieser Identitätssuche schienen zum Zeitpunkt der Rundfrage die ersten Erfolge längst beschert. Die alljährlichen Feiern zum Verfassungstag gehörten genauso dazu sowie die Staatsakte für Rathenau und Ebert – gerade im Falle der beiden Trauerfeiern habe sich „die Republik so gefestigt gezeigt wie niemals sonst [...].“

114 Auch die Frankfurter Zeitung machte die Attitüde des „Ersatzkaisers“ für Hindenburgs Sieg verantwortlich, sie sei es gewesen, die die „romantische Sehnsucht nach vergangenem Glanz und vergangener Größe“ bedient und damit vor allem die wahlentscheidenden „unpolitischen Schichten“ (zit. nach Winkler 2000: 460) an die Urne getrieben habe.

Das Schicksal des neuen Staats hängt für Jessner ganz wesentlich an der Akzeptanz seiner Sinnstiftungs- und Integrationsangebote, die Gefahr einer dauerhaften Entfremdung zwischen Volk und politischer Elite scheint nämlich auch sechs Jahre nach Gründung der Republik ge-nauso wenig gebannt wie die einer ökonomisch oder weltanschaulich motivierten Desintegra-tion einzelner gesellschaftlicher Schichten und Milieus. Jessners eigentliches Augenmerk gilt dem 11. August, dem Jahrestag der Unterzeichnung der Weimarer Reichsverfassung durch Ebert. Natürlich könne sich der Geist des neuen Staates auch in „Gesellschaftsanzug, weiße[r]

oder schwarze[r] Binde“ materialisieren, noch wichtiger aber sei der „Geburtstag der Repu-blik“. Für den Verlauf des Festes, das man ihr aus diesem Anlass ausrichten soll, macht Jess-ner in seiJess-ner Antwort ganz konkrete Vorschläge. Sie zielen darauf ab, der Gesellschaft das Abonnement auf die Rolle des bloßen Beobachters des politischen Rituals zu kündigen und ihr das Bewusstsein einer partizipativen Einheit zu vermitteln. Entsprechend spielen Anspra-chen der politisAnspra-chen Elite und die „Steifheit eines gebügelte[n] Zeremoniells“ in seinen Vor-schlägen eine nur untergeordnete Rolle. Den stärkeren Akzent setzt es in bester basisdemokra-tischer Tradition auf einen anderen Programmpunkt: auf den „Jubel und die Freude des Volkes“. In die dramaturgische Gestaltung dieses Volksfestes eingebunden werden sollen vor allem die renommiertesten Vertreter von bildender Kunst und Literatur. Auf den Regierungs-sitz Berlin beschränkt sein sollen die Feierlichkeiten natürlich keineswegs. Alle Züge sollen mit der „selbstverständlich gültigen Fahne“115 geschmückt sein, um auch die entlegensten Winkel der Republik „in ihrem Zeichen“ zu verbinden. Auf diese Weise müsse „dieser Tag jedem empfänglichen Herzen als ein besonderer eingezeichnet“ bleiben.

Einen Dienst erweisen könne man dem neuen Staat aber auch, indem man das „Gute der Vergangenheit [...] sinngemäß und gegenwärtig“ umzugestalten sucht. Jessners Blick fällt dabei auf die Reichswehr. Was ihm vorschwebt, ist die Revitalisierung eines Herrscherrechts vordemokratischen Ursprungs, das dem „Staatslenker[]“ die Benennung der Regimenter ges-tattete. Heute könnte man bei der Benennung von Truppenverbänden, so die Überlegung, auf das Repertoire an Namen Weimar-deutscher Länder, Städte und Regionen zurückgreifen – erhofft haben wird sich Jessner davon möglicherweise die Schärfung eines Bewusstseins für die topographische und territorialgeschichtliche Identität der neuen Republik.116 Dass die Kür der Reichswehr zum Werbeträger des neuen Staats aufgrund ihrer monarchischen Vorge-schichte und ihres Selbstverständnisses als „Staat im Staat“ nicht ohne Pikanterie war, dürfte

115 Wie hoch die Symbolkraft gerade der Reichsflagge war, sollte sich im Mai des Folgejahrs zeigen. Mit der „Flaggenverordnung“ des Reichspräsidenten, damals schon Hindenburg, wurde den konsularischen Vertretungen des Deutschen Reichs gestattet, neben der schwarz-rot-goldenen auch die alte kaiserliche Flagge zu hissen. Das 2.

Kabinett Luther sollte den daraufhin ausbrechenden Koalitionsstreit nicht überstehen.

116 Jessner schreibt: „Man ehrt die Rheinprovinz, man ehrt die Ruhrbevölkerung für ihre Leiden und Opfer, wenn man Regimenter durch ihre Namen erhöht. Man ehrt ein Potsdamer Regiment, indem man es mit dem Namen der Stadt Weimar verknüpft.“

ihm bewusst gewesen sein. Eine erste Frage wäre also die, ob die Toponymie von Regimen-tern den Prozess der Demokratisierung der Weimar-deutschen Streitkräfte zu beflügeln im-stande wäre. Diskutiert wird sie bei Jessner nicht mehr.

Der unausgesprochene Schlüsselbegriff seines Antwortschreibens ist die Authentizität. Popu-larisiert werden muss die Republik unter Verzicht auf jedwede Form von Propaganda. Die Selbstinszenierung des Wilhelminismus hatte ob ihres Hangs zu Pomp, Marschmusik und Gigantomanie jede intellektuelle, aber auch jede emotionale Aufrichtigkeit vermissen lassen.

Durch und durch authentisch indes war das prorepublikanische Credo, für das nicht zuletzt der erst kurz zuvor verstorbene Friedrich Ebert gestanden hatte. Jessner hat völlig richtig er-kannt, dass selbst ein derart gewichtiges Vorbild wie ein Staatsoberhaupt die politische Integ-rationsarbeit nicht allein verrichten kann. Ob der Verfassungstag, immerhin nur eine kalenda-rische Insel im Jahreskreise, dazu taugt, den Menschen den Geist der Republik in bester pfingstlicher Manier ins „überschäumende[] Herz“ zu gießen, darf bezweifelt werden. Einen exponierten Anlass zur Prüfung der eigenen politischen Identität stellt er für den Einzelbürger aber in jedem Fall dar. Dass noch ein langer Weg zurückzulegen ist, ehe die Akzeptanz der Republik landesweit und schichtenübergreifend den Grad „unbestrittener Selbstverständlich-keit“ erreicht haben wird, weiß Jessner genau. Die Auseinandersetzung mit der bevorzugt in völkischen und monarchistischen Kreisen dogmatisierten These, die Republik sei eine der Gemütslage der Deutschen per se nicht entsprechende Staatsform, hat er trotzdem gesucht.

Vor allem darin besteht sicher auch das Verdienst seines Beitrags für die VZ.

Absender der zweiten Antwort ist Edwin Redslob, ein weiteres Mitglied des Inner Circle pro-fessioneller Strategen einer breitenwirksamen Vermarktung der jungen Republik. Redslob hatte ein Staatsamt inne, das ohne eine solide prorepublikanische Grundhaltung auszufüllen schwer möglich gewesen wäre: Er war Reichskunstwart der Weimarer Republik und als sol-cher ein ständiger Mittler zwischen den Sphären von Politik und Kultur. Im Gefüge der Mi-nisterialbürokratie stellte sein Posten ein Novum dar. In seinen Zuständigkeitsbereich fielen alle Fragen des offiziellen Erscheinungsbildes der Republik, gleichzeitig aber auch die Ver-pflichtung der äußerst heterogenen Gemeinde der damaligen Kulturtragenden auf die ideellen Prinzipien des neuen Staats.117 Die Besetzung dieser kulturpolitischen Schlüsselposition mit Redslob dürfte ein Signal vor allem an die Adresse der stilistisch eher progressiven Künstler gewesen sein: Der promovierte Kunsthistoriker verfügte nicht allein über die nötige fachliche

117 Das Amt des Reichskunstwarts wurde 1920 ins Leben gerufen und im Innenministerium angesiedelt. Redslob (1884 – 1973) war sein erster und zugleich letzter Inhaber.

In der Funktion überlebte er die Weimarer Republik nur kurz. Da er sich kategorisch weigerte, der NSDAP beizutreten, wurde er im April 1933 von allen Ämtern suspen-diert.

Qualifikation, er machte überdies aus seiner vom eigenen ministeriellen Umfeld nicht immer geteilten Aufgeschlossenheit der künstlerischen Avantgarde gegenüber nie einen Hehl.118 Umso mehr muss sein Beitrag für die VZ befremden. Straucheln dürfte man zunächst über die Wortwahl: Begriffe wie „Reich“, „Volkstum“ oder „organisches Wachstum“, für den ge-danklichen Aufbau der Replik allesamt von leitmotivischer Bedeutung, wird eine nachgebo-rene, durch die geschichtliche Kenntnis des Grundwortschatzes der NS-Ideologie sensibili-sierte Leserschaft als vor-, wenn nicht sogar als antirepublikanisch empfinden. Lexikalisch verbunden sind zumal die Begriffe Reich und Volkstum im Regefall mit dem Subjekt „Ge-danke“, eine stilistische Auffälligkeit, die ihnen einen starken Innerlichkeitscharakter ver-passt. Auch das Gesamtbild, das sich durch ihre syntaktische Verknüpfung ergibt, hat mit dem bei Jessner entworfenen nicht mehr viel gemein. Erst zwei Jahre zuvor hatte Redslob die Ge-dächtnisfeier des 75. Jahrestags der 1848er-Revolution organisiert. Vor diesem Hintergrund klingt es wie eine Resignation, wenn er in seinem Beitrag für die VZ das integrative Potential eines „demonstrative[n] ‚Inszenierens’ der deutschen Republik“ in Frage stellt. Dergleichen kann „dem Gedanken der Geschlossenheit und Würde“ des „Reiches“ und des „Volkstums“

nicht dienlich sein. Unter anderem der hohe Respekt den Gesetzen von Wachstum und Konti-nuität gegenüber unterscheidet Redslobs Zeilen von denen Jessners. Statt anlassgebundener Inszenierungen des neuen Staates wünscht er sich die Schaffung einer „Atmosphäre“, an der jeder teilhaben wollen wird, sofern er „nationale Selbstachtung“ besitze. Diese Atmosphäre sei das Ergebnis des „organische[n] Wachstum[s] des neuen Reichsgedankens“. Dieser Pro-zess wiederum habe sich bislang auf der Grundlage eines „ungeheuren tragischen Ernstes“

vollzogen, eines tragischen Ernstes deshalb, weil alle „Kundgebungen der Republik, in denen Reichsgedanke und Volksgedanke eines wurden“, Trauerfeiern gewesen seien. Ganz unab-hängig aber vom konkreten Anlass solle alles, was der Weimarer Staat „auf dem Gebiet der Selbstdarstellung“ unternimmt, allein dem organischen Wachstum des Reichsgedanken die-nen. Handeln soll er dabei stets „im Sinne des Gärtners“.

Das anachronistische Vokabular, ein äußerst gravitätischer Tonfall, die Flucht ins Metaphori-sche bei der Rollenbeschreibung des neuen Staats – Redlobs Text wirkt wie ein einziges laut-starkes Veto gegen das von der republikanischen Publizistik gemeinhin hochgehaltene Gebot der Transparenz. Den Verfasser allein deswegen als Parteigänger einer romantischen oder gar frühfaschistoiden Reichsideologie abzustempeln, wäre allerdings unsachgemäß. Auch in der

118 Ihren sicher nachhaltigsten Ausdruck fanden diese Sympathien in der Betrauung von Karl Schmidt-Rottluff mit der graphischen Gestaltung eines Weimarer Reichsadlers sowie in seiner Expertise zugunsten des wegen Gotteslästerung angeklagten George Grosz. Zumal der Streit über Schmidt-Rottluffs Entwurf eines von den bis dato gebräuch-lichen Insignien des preußischen Herrscherhauses gereinigten Reichsadlers zeigte allerdings, dass der Graben zwischen Politik und Kultur trotz der staatlich offiziellen Brücke, die Amt und Person des Reichskunstwart zu schlagen versuchten, an einzelnen Stellen unüberwindlich blieb. Der expressionistische Entwurf scheiterte, ungeachtet der Fürsprache Redslobs, an ästhetischen Vorbehalten in Kabinett und Reichstag.

Gelehrtensprache der Weimarer Republik hatte sich ein Status quo ante konservieren können.

Häufig war es das bei Gay thematisierte, parteipolitisch noch völlig ungebundenes „verzwei-felte[] Verlangen nach Verwurzelung und Gemeinschaft, eine heftige, häufig bösartige Ab-lehnung der Vernunft, begleitet von dem Drang nach unmittelbarer Aktion oder nach Kapitu-lation vor einem charismatischen Führer“ (Gay: 130), die zum Gebrauch des Vokabulars vormaliger Kapitel der politischen Geschichte animierte.119

Im Falle des Reichsbegriffs lagen die Dinge freilich weitaus komplizierter: Er war in die offi-zielle Nomenklatur der politischen Institutionen der Weimarer Republik übernommen wor-den, auch der 1919 aus der Taufe gehobenen Staat nannte sich noch „Deutsches Reich“. Die sich aus einem Rubrum wie diesem für das politische Klima zwangsläufig ergebenden Belas-tungen stehen im Mittelpunkt der nächsten Replik. Ihr Absender ist Heinrich Mann. Die Ü-bernahme des Reichsbegriffs suggeriert seiner Ansicht nach eine staatsformale Kontinuität, die von der Sache her inkorrekt und psychologisch verheerend ist. Reiche seien „bisher immer und überall Monarchien“ gewesen, folglich nähre der Tatbestand, dass auch die Republik ganz offiziell unter dem Namen „Deutsches Reich“ firmiert, vor allem die „Hoffnungen der Monarchisten“. Die Vorschläge, die Mann in seinem Schreiben für die VZ unterbreitet, be-schränken sich nicht auf die inszenatorische Gestaltung kalendarisch herausragender Anlässe, sein Ziel ist es vielmehr, der Republik auch und gerade im gesellschaftlichen Alltag, statt sie

„in den Kulissen“ zu verstecken, zu einer deutlich stärkeren Präsenz zu verhelfen, um ihre Bürger „auf Schritt und Tritt an sie [zu] erinnern.“ Geschehen könne das durch eine konse-quente Beschriftung aller Briefmarken, der Frontseiten aller öffentlicher Gebäude und der Briefköpfe des staatlich-offiziellen Schriftverkehrs mit den beiden memorandenhaften Worten

„Deutsche Republik“. Die Motivationshilfe, die es aus der offiziellen Staatsbezeichnung bis-lang noch zu empfangen scheint, bliebe dem konservativ-monarchistischen Milieu damit ver-sagt. Getan wäre damit freilich nur ein erster Schritt. Die gegenwärtige Verfassungswirklich-keit des Weimarer Staats bietet der republikfeindlichen Gesinnungspflege „ganze[r]

Gesellschaftsklassen“ nach Manns Einschätzung immer noch zu viele Enklaven, den Erfolg einer langfristigen Verankerung im Bewusstsein ihrer Bürger wird eine Inszenierung der Re-publik aber erst dann zeitigen, wenn „entschlossene ReRe-publikaner die Macht ergreifen“. Es gebe sie, was Mann ihnen allerdings anlastet, ist ein fehlender Wille zur Macht. Die Wähler wiederum seien „noch unerzogen, lassen aber mit sich reden.“ Dass es auch sie gibt, illustrie-ren die Wahlergebnisse auf Reichs- und Landesebene, zumal die in Preußen, unter den

119 Dieser Versuchung erlagen auch viele einer faschistoiden Gesinnung gewiss unverdächtige Dichter und Hochschulvertreter. Namentlich genannt werden bei Gay der jüdischstämmige Hugo von Hofmannsthal und der Sozialdemokrat Ferdinand Tönnies. (vgl. Gay: 130)

dern des föderal strukturierten damaligen Deutschland hinsichtlich seiner Einwohnerzahl im-merhin ein Gigant.120

Manns Feindbild ist das einer „konservativen Republik“. Die Auseinandersetzung mit ihren Propagandisten nutzt er allerdings zu einer eher populistischen Breitseite gegen einen seiner Ansicht nach raubtierhaft auftretenden und den sozialen Frieden damit dauerhaft destabilisie-renden Kapitalismus. Wer glaube, auch eine konservative Republik sei, ungeachtet ihres welt-anschaulichen Attributs, noch eine Republik, dem antworte die „Tatsache der widerrechtlich den Reichen zugeschobenen Goldmilliarden.“ Ein solcher „’Privilegiertenstaat’“ mag sich nennen, wie er will, eine Republik ist er nicht mehr. Dem ideologischen und materiellen Raubbau seiner Profiteure Einhalt zu gebieten, darin sieht Mann die historisch große Heraus-forderung der Republikaner. Imstande wären sie dazu, aber „sie müssten da sein.“

Eine Aufforderung zu einem offensiveren Engagement für die Sache der Republik enthält auch der letzte Beitrag. Verfasst hat ihn mit Kurt Tucholskys ein Hausautor der VZ.121 Seine Antwort zeichnet er mit dem Pseudonym Peter Panter. Den Auftakt bildet die Erinnerung an eine Episode aus dem zeitlichen Vorfeld des ersten Jahrestages der Annahme der Weimarer Reichsverfassung. Zusammen mit Jessner sei er, Tucholsky, zu einer Besprechung über die Gestaltung der offiziellen Feierlichkeiten ins Reichsministerium des Innern gebeten worden.

Die Pointe des Plans des Ministeriums bestand in einer Öffnung zweier für gewöhnlich ver-schlossener Türen des Reichstags. Als fatal empfand Tucholsky das komplette Projekt aus gleich zwei Gründen, zum einen deshalb, weil das Areal vor dem Reichstag, auf das sich die Türen geöffnet hätten, „Königsplatz“ hieß, zum anderen, weil man den Geburtstag der Repu-blik statt am ereignisgeschichtlich viel bedeutenderen 9. November am allenfalls rechtsge-schichtlich relevanten 11. August feierte. Feiern wie diese seien reine „Zeitverschwendung“, für die „Propaganda der neuen Republik“ gebe es nur eine einzige „Aktion“ – und das sei die

„politische“. Die Frage, auf der Basis welcher konkreten praktikablen Einzelmaßnahmen der Republikanismus zum politischen Credo der Masse gemacht werden könnte, hatte schon Mann zu beantworten versucht. Für Tucholsky zählen die flächendeckende Durchsetzung der schwarz-rot-goldenen Flagge und die Umbenennung von Straßen mit Namen aus der Ära des Wilhelminismus dazu. Wer dergleichen als Verlegenheitsmaßnahme etikettiert, unterschätzt seiner Ansicht nach die nachhaltige mentale Wirkung von Symbolen. Vergessen werde, dass zumal in den Sozialeinheiten jenseits der großen urbanen Zentren „jede kaiserliche Parade,

120 In der Tat hatten die letzten Reichstagswahlen vom 7. Dezember 1924, die zweiten innerhalb eines guten halben Jahres, den prorepublikanischen Parteien SPD, DDP,

120 In der Tat hatten die letzten Reichstagswahlen vom 7. Dezember 1924, die zweiten innerhalb eines guten halben Jahres, den prorepublikanischen Parteien SPD, DDP,