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1.4 „WAS SOLL MIT DEN ZEHN GEBOTEN GESCHEHEN?“ ZUM INTELLEKTUELLENETHOS

Auf die Frage nach einer kulturellen und ideengeschichtlichen Identität des europäischen Abendlandes erfolgt eine Reaktion im Regelfall postwendend: der Verweis auf die christlich-jüdische Überlieferung. Es ist die Bibel, die, bei allen interreligiösen und interkonfessionellen

138 Bei dieser geographischen Präzisierung handelt es sich offenkundig um eine Verwechslung.

Detailkonflikten um ihre adäquate Übersetzung oder den Umgang mit hinsichtlich ihrer Urhe-berschaft unsicheren Teilen, den Anspruch eines der essentiellen literarischen Fixpunkte des kollektiven Bewusstseins der westlichen Hemisphäre für sich in Anspruch nehmen kann.

Zwar sind in den Epochen von Renaissance, Humanismus, Reformation, Aufklärung, Revolu-tion und Industrialisierung die meisten theologischen, zum Teil politisierten Grundfesten ge-rade des Christentums unter einen wachsenden Legitimationsdruck geraten: die Offenba-rungsgeschichten durch die Aufwertung des Verstandesgebrauchs, die Schöpfungsgeschichte durch die Erkenntnisse von Astronomie und Biologie, die Integrationsleistung der parochialen Sozialeinheit durch das Credo der Individualität, die Hoffnung auf die ewige Seligkeit des Paradieses durch die Verheißung einer sozialen und materiellen Gerechtigkeit schon im Dies-seits und, last, but not least, das Gottesgnadentum und die Institution Kirche durch eine Viel-zahl säkularer Herrschafts- und laizistischer Staatskonzepte. Zumindest eine religiöse Teildis-ziplin aber hat alle Brüche der neuzeitlichen Geschichte vergleichsweise schadlos überdauert:

die Morallehre, möglicherweise deshalb, weil sie für die innere Kohärenz einer Gesellschaft schlichtweg unabdingbar ist.

Die Grundlage des christlich-jüdischen Ethos bildet der Dekalog. Der Frage, welche Rele-vanz er für eine nach wie vor unter dem Eindruck des Weltkriegs stehenden Zeit noch habe, versuchte sich eine im Frühling 1929 von Die Literarische Welt (LW) initiierte Enquête an-zunehmen. Publiziert wurde ihr Rücklauf in zwei Teilen, in den Heften 23 und 24 vom 7.

bzw. 14. Juni. Die Schlichtheit des Titels – „Was soll mit den zehn Geboten geschehen?“

(LW Jg. 5, Nr. 23, 7. 6. 1929/Nr. 24, 14. 6. 1929) – kann über die Vielschichtigkeit des Ge-genstands kaum hinwegtäuschen: Erörtert werden sollen, so die Anregung der Redaktion,

„Wert und Sinn“ der Gebote, die Möglichkeit, „sie zum internationalen Gesetz zu erheben“, oder auch die Notwendigkeit, „neue zehn Gebote als Ausdruck und Essenz der heutigen Mo-ral“ zu dekretieren. Gestellt ist damit natürlich nicht nur die Frage nach dem Orientierungs-wert einer Gebotssammlung aus entlegener Vorzeit für die Legislative eines neuzeitlichen Rechtsstaats oder nach der Kompatibilität eines Regelkatalogs von bescheidenem Format für eine hochkomplexe Industriegesellschaft. Gestellt ist hier auch die generelle Frage nach der Solidität religiöser Bindungen im Land der Reformation und Glaubensspaltung, der langjähri-gen Koalition von Thron und Altar und eines schon damals registrierbaren konfessionsüber-greifenden christlichen Antisemitismus.

Eine derart elementare Frage passte zum Profil der LW. 1925 war sie von Willy Haas und Ernst Rowohlt gegründet worden, allerdings nicht als Literaturzeitschrift „herkömmlichen Typs, sondern nach dem Vorbild der Pariser ‚Nouvelles Littéraires’ [als] literarische

Wochen-zeitung.“ (Mendelssohn 1982: 324) Ihren Hauptakzent hatte sie auf die Kulturberichterstat-tung gesetzt, „der größere Teil jeder Nummer war mit aktuellen Neuigkeiten aus der Litera-tur-, Theater- und Kunstwelt gefüllt“ (ebd.). An den Grenzen des deutschsprachigen Raums machte sie dabei nicht Halt.139 (vgl. Valentini: 99 ff.) Einer ihrer redaktionellen Schwerpunkte waren die Befragungen, „eine Art von Journalismus, die dem [damaligen] Publikum am meis-ten zusagte.“ (103). Kein Wunder also, dass die LW bei einer Enquête wie der zur Beutung der Gebote mit zahlreichen klangvollen Namen aufwarten konnte. Geachtet hat sie bei der Auswahl der Teilnehmer auf eine Vielfalt von Berufsständen, religiösen Konfessionen und Haltungen den Institutionen praktizierter Frömmigkeit gegenüber. Vor allem drei Replikanten können in Anbetracht der sowohl theologischen als auch juristischen Gewichtung der Rund-frage eine Art Expertenstatus für sich beanspruchen: Martin Buber, Friedrich Muckermann und Ludwig Ebermayer. Buber war bereits in den 1920er Jahren einer der namhaftesten zeit-genössischen Religions-, Moral- und Sozialphilosophen. Für ihn war das Judentum beides, religiöse Heimat und Gegenstand seines wissenschaftlichen Interesses.140 Der Publizist und Jesuit Muckermann141 vertrat die Positionen der römisch-katholischen Kirche. Er war Heraus-geber des Kulturperiodikums Der Gral und Mitarbeiter bei der Zeitschrift Stimmen der Zeit.

Als Vertreter eines nationalkonservativen Weltbildes suchte er die Auseinandersetzung mit einem betont atheistischen und kirchenfeindlichen Sozialismus genauso wie die mit der neu-heidnischen Rechten. Ludwig Ebermayer schließlich, Sohn eines protestantischen Dekans, war in den Jahren 1921 bis 1926 Oberreichsanwalt und damit einer der protokollarisch höchs-ten Beamhöchs-ten der Republik.142 Nach seiner Versetzung in den Ruhestand fungierte er als Hono-rarprofessor für Strafrecht in Leipzig. Beteiligt an der Rundfrage waren außerdem Johannes R. Becher, Paul Levi, Robert Neumann, Leopold Schwarzschild und Kurt Tucholsky sowie, im folgenden nicht berücksichtigt, Curt Corrinth, Paul Ernst und George Bernard Shaw.

Zunächst zu Buber (publiziert in: LW Nr. 23).143 Angesiedelt ist seine Antwort im Grenzge-biet zwischen Religions- und Rechtsgeschichte. Sie beginnt mit einer Kritik an der Ausgangs-frage: Diese verschaffe den Geboten „eine Sanktion und eine Gültigkeit“, die sie schlichtweg nicht besitzen. Die Begründung für diesen Einwand wird den Beitrag zum umfangreichsten

139 Der aus Prag stammende Willy Haas (1891 – 1973) war ein Mitschüler Franz Werfels und Paul Kornfelds. In Prag gründete er die Herder-Blätter. Nach seiner Übersied-lung nach Berlin war er zunächst für den Filmkurier tätig. Seit 1925 Redakteur bei der damals noch in der Konzeption befindlichen LW, ein Blatt, das, obwohl auf Rowohlts Initiative gegründet, ganz wesentlich mit dem Namen Haas verbunden ist.

140 Während seiner Studienzeit hatte sich Buber außerdem für den Zionismus engagiert. Da er aber den Akzent auf eine systematische sittliche und geistige Erneuerung des in der Diaspora weitestgehend assimilierten Judentums gesetzt hatte, sollte er in einen ernsthaften Konflikt mit Theodor Herzl und dessen eher ethnisch-nationale und territorialpolitische Programmatik geraten.

141 1899 war Muckermann (1883 – 1946) in die Gesellschaft Jesu aufgenommen worden. Er empfing 1914 die Priesterweihe und war im Ersten Weltkrieg als Seelsorger an der Ostfront tätig.

142 In dieser Funktion war Ebermayer (1858 – 1933) u. a. mit den Strafverfahren nach dem Kapp-Lüttwitz-Putsch und den Untersuchungen nach dem Rathenau-Mord betraut.

dieser Rundfrage machen. Zwei Kriterien sind es, mittels derer Buber die Zehn Gebote von den Gesetzestexten und -büchern neuzeitlichen säkularer Rechtsstaaten unterscheidet. Das erste ist ihr persönlich-appellativer Tonfall: Sie stehen nicht im „personenfreien Kodex eines Menschenverbandes, sondern werden von einem Ich zu einem Du gesprochen“. Das zweite ist die Unwägbarkeit der sich aus ihrer Nichteinhaltung ergebenen Konsequenzen. Bubers Got-tesbegriff vollführt an dieser Stelle einen interessanten Spagat zwischen Omnipotenz und Souveränität. Die Allmacht Gottes gibt sich in der Schöpfung von Himmel und Erde, von Natur und Mensch zu erkennen, die Souveränität indes im Verhältnis zu den Menschen selbst.

Kategorien wie Lohn und Strafe, zwei Begriffe mit eher leistungsorientiertem bzw. rechtspo-sitivem Touch, spielen in diesem Verhältnis keine Rolle – Gott habe, so Bubers Formulie-rung, „seinem Willen nach keinen Orden und keine Zuchthauszellen zu vergeben.“

Zumindest an einem Teil der Gebote hat sich das Rechtsverständnis des neuzeitlichen, säku-laren Staats allerdings doch orientiert. Überliefert ist der Dekalog auf zwei Steintafeln – eine Nuance, die der Religionshistoriker Buber in seinem Beitrag naturgemäß berücksichtigt. Die auf der ersten Tafel tradierten Gebote bestimmen den Bezug des Menschen zu Gott, diejeni-gen auf der zweiten das Verhältnis der Menschen untereinander. Die erste enthält die Grund-risse einer auch für das Christentum noch verbindlichen Glaubens- und Frömmigkeitslehre, die zweite hingegen den programmatischen Kern eines Sozialethos. Inspiriert hat die positive Rechtsetzung natürlich vor allem der Gehalt der zweiten Steintafel. Mehr noch: Nach Bubers Dafürhalten hat sich der sozialmoralische Teil des Dekalogs als Conditio sine qua non der Überlebensfähigkeit jeder geschichtlichen „’menschliche[n] Gemeinschaft’“ erwiesen.144 Der Prozess ihrer Transformation in positives Recht vollzog sich dabei in mehreren Schritten. Zu-nächst wurde der Dekalog „aus der Sprache der persönlichen Imperativ-Rede in die der un-persönlichen Soll-Satzung“ übersetzt. Dem Willen einer transzendenten Instanz hatte sich diese Satzung natürlich nicht mehr zu beugen; stattdessen unterstellten sie ihre Autoren der Aufsicht durch die öffentliche Meinung. Diese allerdings erwies sich bald als viel zu unbere-chenbar. Etabliert wurde mit der „Sprache der Wenn-Festsetzung“ deshalb schließlich ein

„mathematisch-übersichtlich[es]“ Gesetzeswerk, mit dessen Hilfe geregelt werden konnte, was Gott zu regeln selbst noch „verschmäht“ habe. Mit diesem dritten Schritt war die

143 Buber spricht Haas in seiner Antwort direkt an.

144 Nachvollziehen lässt sich das vor allem im Falle des Tötungsverbots: Von einem Verbrechen zu einem Laster darf die Tötung nicht werden, das nämlich wäre dem Bestande dieser Gemeinschaft „nicht zuträglich“. Aber auch die Gebote, die Ehe nicht zu brechen und die Eltern zu ehren, sind längst nicht derart obsolet, wie es den An-schein haben mag. Buber weist darauf hin, dass selbst die Sowjetunion, die fast alle gesellschaftlichen Bindungen einer radikalen Neudefinition unterzogen hat, zumindest um den „Zusammenhang zwischen ihren Generationen“ auch weiterhin bemüht sei.

lage eines Strafvollzugs geschaffen, dessen Prinzip darin bestand, stets eine „Relation zwi-schen dem, was einer anstellt und dem, was ihm widerfährt“, herzustellen.

Folgt man Bubers Darstellung, so waren es lediglich die Inhalte des Dekalogs, die tradiert wurden, seine göttliche Urheberschaft aber wurde nach und nach eskamotiert. Am Ende des Prozesses ihrer „Vermoralisierung“ und „Verjurisierung“ steht, so die Wortwahl, kein „Zitat“

der Gebote mehr, sondern eine Textmasse, die sich zu Buchstabe und Geist der Inschrift der beiden alttestamentarischen Steintafeln verhalte wie ein „Plagiat“ zum Original. Allein als Plagiat also hat der sozialethische Teil der Zehn Gebote die zahlreichen Brüche der abendlän-dischen Kultur-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte überleben können. Zitieren dürfen hätte ihn das positive Recht schon aus theologischen Gründen nicht, schließlich habe es sich Gott verbeten, „von Bütteln und Henkern bedient zu werden“.

Dass auch Muckermann (Nr. 24) der übergeschichtlichen und kulturenübergreifenden Integ-rationskraft der Zehn Gebote das Wort redet, dürfte eingedenk seines theologischen Hinter-grunds kaum überraschen. Die Frage nach ihrer Aktualität deutet er als Beleg für das in Deutschland seinerzeit offenbar allgegenwärtige Verlangen, „dem Chaos“ der Gegenwart endgültig zu entkommen. Aus Sicht der Kirche haben die Gebote die Bedeutung eines welt-ethischen Minimalkonsenses tatsächlich niemals verloren. Um den Substanzverlust, den ihre Lösung aus dem Kontext einer göttlichen Verkündigung und die anschließende Adaption durch das positive Recht bedeuten, weiß Muckermann allerdings genauso gut wie Buber. Der Dekalog habe einen organischen Bezug zu dem, was die katholische Dogmatik „Mysterium oder Übernatur“ nenne, er sei integriert „in das System eines neuen Lebens“.145 Die Kirche selbst ist eine Art Schutzmacht des Bündnisses zwischen dekalogischem Naturrecht und gött-licher Übernatur. Auf die Verkündigung der Gebotsinhalte kann sie sich dabei allerdings auch nicht beschränken, es wäre sogar ein gewaltiger Fortschritt, ließe sich unter ihrer Regie „eine allgemeine Verpflichtung aller Menschen auf die zehn Gebote“ erreichen. Schon wer sich auf den Boden von Humanität und Naturrecht stelle, der tue „etwas Gutes“ und verdiene die Hochachtung der Kirche – gelobt wird an dieser Stelle expressis verbis die Arbeit des Völker-bundes. Muckermann bittet aber auch um Verständnis für die Position der Kirche, aus theolo-gischer Sicht ist es natürlich ein gravierender Unterschied, ob die Gebote den ethischen Fix-punkt der neuzeitlichen Humanistengemeinde oder einer getauften Christenheit bilden. Wie man „den inneren Menschen“ ohne „diktatorische Maßnahmen“ dafür gewinnen könnte, die Verpflichtung auf die Zehn Gebote im Sinne einer religiösen Entität einzugehen, lässt er hier allerdings offen.

Natürlich hat Muckermann den Vertrauensverlust, den zumal eine eher doktrinär auftretende Glaubensgemeinschaft wie die römisch-katholische Kirche in den zurückliegenden Jahrhun-derten zu verzeichnen hatte, im Hinterkopf, natürlich weiß er genau, dass nicht nur die Kirche als organisatorisches Korsett des Christentums, sondern auch ein Teil der ingenuin theologi-schen Inhalte in Misskredit geraten ist. Auch den Tonfall der Gebote kann man durchaus als paternalistisch empfinden – Buber hatte ihn auf den begrifflichen Nenner der „Imperativ-Rede“ gebracht, Schwarzschild und Tucholsky werden es in ihren Antworten terminologisch weit weniger akademisch ausdrücken. Wenn es also um die Auslegung des Dekalogs zu ei-nem Konflikt kommen sollte, dann deshalb, weil die Kirche seine theologische Substanz, die

„Idee der von Gott abhängigen Menschheit“, irgendwann durch das humanistische Ideal der reinen Menschheit dominiert sehen könnte. Für den Theologen Muckermann ist die Apologe-tik der Zehn Gebote natürlich auch eine Ehrrettung der eigenen Glaubens- und Arbeitsbasis.

Diese Ehrrettung erfolgt im letzten Satz, der wissenschaftliche Tonfall ist darin durch einen eher homiletischen abgelöst: „Fordert das Christentum viel an Pflicht, so schenkt es doch im-mer noch mehr an Liebe.“

Die Antwort Ludwig Ebermayers ist eine indirekte: Publiziert hat die LW (Nr. 24) die Zu-sammenfassung eines Gesprächs, das Erich Ebermayer146 mit seinem Vater über das Thema der Enquête geführt hat. Bemerkenswert ist vor allem die Haltung des Interviewpartners der Herrschaftsform der parlamentarischen Demokratie gegenüber: Völlig schnörkellos spricht ihr der vormalige Spitzenjurist das Misstrauen aus. Was ihn konkret am Dekalog interessiert, ist weniger sein Gehalt und mehr seine Genese: Moses habe noch genau gewusst, „was unsere Zeit leider nicht weiß, dass jedes gute Gesetz von einem Mann gemacht werden“ müsse – ein Statement, aus dem ein hohes Maß von Geringschätzung dem parlamentarischen Entschei-dungsfindungsprozess gegenüber zu sprechen scheint. Für Ebermayer scheint das beste Ge-setz das monolithische zu sein, seine Qualität und Funktionalität scheinen nur dann gewähr-leistet, sofern es autokratisch gefertigt und anschließend ex cathedra verkündet wird. Die legislative Praxis des Parlamentarismus, die „kollegiale Gesetzesmacherei“ in Regierung und Reichstag, seinen Fraktionen und Ausschüssen finden sich unter dem Begriff des Kompro-misses subsumiert, eines KomproKompro-misses, „an dem Niemand seine reine Freude haben

145 Die Prinzipien jeder positiven Ethik werden indes aus der Abstraktion der „natura humana“ geboren, das Prädikat des göttlichen „lex aeterna“ können sie damit natürlich nicht für sich beanspruchen. Deshalb auch kann die Kirche die Lehre von der reinen Natur nicht „ohne das Licht der Gnade“ vertreten.

146 Erich Ebermayer (1900 – 1970) war wie sein Vater Jurist, machte sich allerdings schon während seiner Studienzeit einen Namen auch als Schriftsteller. 1926 hatte er das Schauspiel „Kaspar Hauser“ veröffentlicht; uraufgeführt wurde es mit Gustaf Gründgens in der Titelrolle.

kann.“147 Wo „‚Parteien’, ‚Schulen’, ‚Strömungen’ unter einen Hut gebracht werden“ müssen, entrate alle gesetzgeberische Detailarbeit automatisch zum „politisch-religiöse[n] Kuhhan-del“.Moses hingegen habe sich noch nicht auf die abschüssige Bahn der parlamentarischen Debatte begeben müssen, er nämlich habe Gott und damit das Gesetz selbst „in seiner Brust“

getragen.

Auch Ebermayer differenziert zwischen den ersten vier, den „Religions- und Sittenvorschrif-ten“, und den folgenden sechs Geboten, auch er hält erstere in einem säkularen Zeitalter für belanglos. Auf vier der übrigen sechs geht er genauer ein, auf das des Nicht-Tötens, des Nicht-Ehebrechens, des Nicht-Stehlens und des Nicht-falsch-Aussagens. Als Jurist argumen-tiert er weit weniger theologisch als Buber, für ihn stellt ihre Transformation in eine „morali-sche Richtschnur“ keinen Verlust an göttlicher Autorität dar, im Gegenteil: auch für das Volk Israels hätten sie eine ganz prosaische ordnungsstiftende Funktion gehabt. Die Moderne aller-dings sei zu komplex, mit einem bloßen „Umredigieren“ der Gebote scheint es nicht getan, komplimentiert werden müssten sie vielmehr von einer Klasse „unstarre[r], biegsame[r], der Zeit angepasste[r], mit ihr sich wandelnde[r] irdische[r] Gesetze“. Ebermayers Positionen sind denen seines Fachkollegen Schmitt nicht unähnlich. Aus seiner Stilisierung der Moses-Figur spricht durchaus eine vordemokratische Grundhaltung, wenn auch sicher noch kein klares Bekenntnis zugunsten einer autokratischen Herrschaftsform.

Mit Becher (Nr. 23) meldet sich ein bekennender Marxist zu Wort; in den Kategorien der Teleologie denkt auch er, nicht in denen der christlichen Heilsgeschichte freilich, wohl aber in denen des dialektischen Materialismus. Muckermann hatte „das System des neuen Lebens“ in Christo propagiert, eines Lebens, für dessen Gestaltung sich die Gebote als unverzichtbares Ferment erweisen. Becher, im katholischen München aufgewachsener Sprössling eines pro-testantischen Elternhauses, propagiert den „Sturz des Kapitalismus und des Klassenstaates“

und setzt damit auf eine gesellschaftliche Konstellation, die den Geboten der Heiligen Schrift nicht mal mehr eine Nische bietet. Er geht sogar noch einen Schritt weiter und bestreitet allen in einer „Klassengesellschaft“ (wie sie seiner Ansicht nach auch die Weimarer Republik noch darstellt) etablierten ethischen Grundsätzen den Anspruch auf allgemeine, will sagen klassen-übergreifende Gültigkeit. Die Moralgesetze, an denen sich das „revolutionäre Proletariat“ bei der Überwindung der Klassengesellschaft orientiert, sind „grundsätzlich andere[r]“ Art. Über ihre konkreten Inhalte schweigt sich Becher aus, die Rede ist an dieser Stelle lediglich von

„praktische[n] Verhaltungsmaßregeln“, die sich „aus der Notwendigkeit des Klassenkampfes“

ergeben – ein Wendung, die schon ob ihres administrativen Klangs als Einspruch gegen den

147 Dieser Kompromiss sei die Summe von „Beratungen kluger und das Beste wollender Männer, die zwischen Reichstag, Reichsjustizministerium und Wilhelmstraße hin

religiös aufgeladenen Gebotsbegriff verstanden werden dürfte. Diese Verhaltensmaßregeln, nicht aber der Dekalog, bilden den Handlauf im Stiegenhaus, das das Proletariat auf dem Weg in die anvisierte klassenlose Gesellschaft zu erstürmen hat. Der den Zehn Geboten bereits in der gegenwärtigen, erst recht aber in der künftigen Weltordnung einzig angemessene Platz sei das „Altertumsmuseum“.

Ganz ähnlich argumentiert Levi (Nr. 23), nach der Ermordung Leo Jogiches 1919 für kurze Zeit der starke Mann der KPD und zum Zeitpunkt der Rundfrage Reichstagsabgeordneter der SPD. Bechers Zeilen allerdings glichen eher einem furiosen Zwischenruf als einem Beitrag mit solidem rechtsphilosophischem Fundament – einen solchen legt Levi vor. Auch er war Jurist, anders als Ebermayer allerdings einer mit langjähriger parteipolitischer und parlamen-tarischer Praxiserfahrung.148

Levi nutzt das ihm gebotene Forum für Anmerkungen eher rechtsphilosophischer Natur. Eine grundlegende Voraussetzung für seine Überlegungen ist die unter dem Kriterium des jeweili-gen Geltungsbereichs vorjeweili-genommene Differenzierung zwischen Gebotstafel und Gesetzbuch:

Die Gebote stellen den Versuch dar, die Sittlichkeit zu reglementieren, die Gesetze hingegen formalisieren das Recht. Das Recht aber garantiert die „Aufrechterhaltung und d[ie] Funktion einer bestehenden Gemeinschaftsordnung“, das Gesetzbuch kann mithin den Anspruch auf eine weitaus größere Verbindlichkeit erheben. Dieses substantiellen Unterschiedes wegen hält Levi die von der Redaktion der LW angestoßene Überlegung, „die zehn Gebote in rechtliche oder gar strafrechtliche Formen zu kleiden und ihnen etwa internationalen Charakter zu ver-leihen“, für absolut falsch. Die Zivilisationsgeschichte hat Sittlichkeit und Recht von je her miteinander verwoben und den rechtlichen Diskurs damit in ein längst schon chronisches Di-lemma gebracht. So gebe es, ungeachtet der Verschiedenheit ihrer Geltungsbereiche, auf der Inhaltsebene durchaus Kongruenzen zwischen einzelnen Geboten und beispielsweise den Ge-setzen des Strafrechts. Das sicher prominenteste Beispiel dafür ist der Schutz der physischen Integrität der Person. Auch er aber gilt nicht völlig uneingeschränkt: Was sittlich geboten wä-re – Levi verweist mit Tyrannenmord und Euthanasie auf zwei besonders sensible Bewä-reiche –, ist keineswegs automatisch auch rechtens. Abhängig davon, ob ein Delikt in der Außen- oder der Innenwelt begangen wird, ist es entweder rein sittlicher oder aber strafrechtlich relevanter

und her hetzen [...].“

und her hetzen [...].“