• Keine Ergebnisse gefunden

1.7 „KÜNSTLERS WIDERHALL. WAS AUS DEM WALDE DES PUBLIKUMS ZURÜCKSCHALLT“. EIN

Im März 1930 war die unter der Regie des Sozialdemokraten Hermann Müller stehende gro-ße Koalition aus SPD, den beiden katholischen und den beiden bürgerlich-liberalen Parteien am Streit um die Reform der Arbeitslosenversicherung zerbrochen; sie bildet den letzten Ein-trag in der Chronik der von einer parlamentarischen Mehrheit geEin-tragenen Weimarer Reichsre-gierungen. Mit dem durch Hindenburg zum Kanzler ernannten Zentrumspolitiker Heinrich Brüning begann das Kapitel der mit wechselnden Reichstagsmehrheiten agierenden bzw. al-lein vom Vertrauen des Reichspräsidenten abhängigen Minderheitenkabinette, ein entschei-dender Schritt auf dem Weg der Auflösung der parlamentarischen Demokratie. Das eigentli-che Fanal dieses Zerfalls aber stellten die Neuwahlen des Reichstags vom 14. September desselben Jahres dar, sie katapultierten die NSDAP, bis dato eine Splittergruppe mit vier Ab-geordneten, zahlenmäßig auf ein Niveau, das das ohnehin schon zerklüftete Parteienspektrum vollends erschüttern sollte. Mit plötzlich 18 Prozent der Wählerstimmen und 104 Mandaten im Reichstag sollten die Nationalsozialisten den Grundstein einer Erfolgsgeschichte gelegt haben, die ihren Höhepunkt mit Hitlers Ernennung zum Reichskanzler gut zwei Jahre später erreichen wird.

An Pfingsten 1930, auf kalendarisch halbem Wege zwischen dem Rücktritt der Regierung Müller und den denkwürdigen September-Wahlen, lädt die VZ eine Auswahl von Prominen-ten, zumeist Schriftsteller, dazu ein, über ihr Bild im Spiegel der Meinung der eigenen Leser-schaft zu schreiben. Der Rücklauf erscheint am 8. Juni unter dem Titel „Künstlers Widerhall.

Was aus dem Walde des Publikums zurückschallt“ (VZ Nr. 267, 4. Beilage, 8. 6. 1930). Im Vorwort kokettiert die Redaktion ein wenig mit dem „indiskret[en]“ Interessensakzent ihrer Rundfrage: Es gehe um das Echo nicht bei den Künstlerkollegen und -konkurrenten oder der Berufskritik, sondern allein um das „bei dem berühmten ‚Mann auf der Straße’ und bei seiner Ehefrau“.

Schon die Rundfrage zum Verhältnis der Geistigen zum Sport zwei Jahre zuvor hatte gezeigt, dass die traditionsreiche Vossische keineswegs bereit war, die vermeintlich trivialen Themen-bereiche Magazinen wie dem Uhu allein zu überlassen. Die großen Namen des zeitgenössi-schen Kulturlebens band man dabei auch weiterhin erfolgreich ein. Dass man nun aber anläss-lich einer rezeptionsästhetischen Frage ausgerechnet auf Autoren wie Döblin, Heinrich Mann oder Jakob Wassermann zurückgriff, war nicht ohne Pikanterie. Namen wie ihre sind es, die der Nachwelt gemeinhin als erstes einfallen, wenn es um die vermeintlich so quirligen Wei-marer Jahre geht, Rezipienten aber hatten sie seinerzeit kaum, in den Reihen der Leser der VZ

vielleicht noch, nicht aber in der breiteren Masse. Folgt man Laqueur, so gab es spätestens seit der Jahrhundertwende zwei deutsche Literaturen. (vgl. Laqueur: 282) In seinem oben be-reits herangezogenen Aufsatz „Die Rolle der Intelligenz“ thematisiert er das antiproportionale Verhältnis zwischen den literaturgeschichtlich relevanten und den tatsächlich verkauften Bü-chern der Weimarer Zeit: Titel, die die Literaturwissenschaft für den Glanz der Golden twen-ties gemeinhin verantwortlich macht, blieben in ihrer Wirkung vorwiegend auf das bildungs-bürgerliche Milieu beschränkt, solche dagegen, die sie als trivial einordnet und der vermeintlich genügsameren Soziologie überlässt, erzielten Höchstauflagen.177 So banal, wie sie zunächst klingt, war die Initialfrage also keineswegs.

Kaum eine Antwort, die derart resigniert ausfällt wie diejenige Döblins. Seiner Weimar-deutschen Zeitgenossenschaft bescheinigt der Autor des im Vorjahr erschienenen Romans

„Berlin Alexanderplatz“ eine ausgeprägte Apathie den Leistungen auch und gerade der Litera-tur gegenüber, die Situation des Schriftstellers zum Zeitpunkt der Enquête sei mithin „schau-erlich[]“ und „unsympathisch[]“. Ein Schlüsselbegriff seines Beitrags ist die Masse, die kon-stitutive Größe nicht mehr nur von Politik und Wirtschaft, sondern auch der zeitgenössischen Kultur – der Leser scheint mittlerweile genauso anonym und unberechenbar geworden zu sein wie der Wähler oder der Konsument. Das Geld sei folglich das Einzige, „das man vom ‚Wi-derhall’ merkt“, das Einzige, „womit sich was anfangen lässt.“ Ein zumindest halbwegs zu-verlässiges Indiz für den schriftstellerischen Erfolg gibt es Döblin zufolge über den finanziel-len Verdienst hinaus nicht mehr. Von den Massenauflagen, die einzelne Titel durchaus noch verzeichnen mögen, auf eine generelle Bedeutsamkeit der Literatur zu schließen, hält er für einen Trugschluss, selbst ansehnliche Verkaufszahlen können nicht darüber hinwegtäuschen,

„dass die Literatur, ja alle Kunst, beinah wirkungslos ist –.“178 Seinen Weimarer Autorenkol-legen hält er vor, sich in der Illusion zu wiegen, sie hätten durch ihr künstlerisches Schaffen

„alle Türen und Fenster aufgemacht“, in Wirklichkeit aber sitzen sie „wie hinter Schloss und Riegeln.“ Angelastet wird der Gleichmut der Öffentlichkeit gegenüber der Literatur der

177 Übergeht man die Titel von Hedwig Courths-Mahler und des bereits 1912 verstorbenen Karl May, erreichten in den zwanziger Jahren nur ganze 43 Bücher eine Auflage von mehr als einer halben Million Exemplaren, darunter Erich Maria Remarques „Im Westen nichts Neues“, aber auch die bereits 1901 erschienenen „Buddenbrooks“. Unter den 72 Titeln mit einer Auflage von mehr als 200 000 Exemplaren befanden sich nur sechs, die sich „auf die eine oder andere Weise“ (Laqueur: 282) mit dem Weimarer Zeitgeist in Verbindung bringen lassen, darunter Hans Falladas „Kleiner Mann, was nun?“, Hermann Hesses „Narziss und Goldmund“, Franz Werfels „Verdi“ und Arnold Zweigs „Sergeant Grischa“. Die Gebrüder Mann, Arnold und Stefan Zweig sowie Bruno und Leonhard Frank las man vorwiegend im Bildungsbürgertum, nicht aber Her-mann Löns, Hans Carossa, Hans Grimms „Volk ohne Raum“, Ernst Jüngers „Stahlgewitter“, Werner Beumelburg oder Clara Viebigs „Die Wacht am Rhein“ (ein Titel, der 1929 seine 44. Auflage erlebte) – genau diese Bücher aber waren es, von denen ganze Generationen „ihre Anregungen und Ideale“ (ebd.) erfuhren. Umgekehrt habe die

„große Mehrheit der deutschen lesenden Öffentlichkeit“ nicht geglaubt, dass das Piscator-Theater, die Neue Sachlichkeit oder der Bauhausstil „ihr Deutschland“ (ebd.) repräsentierte.

Eine Beschäftigung mit der Hochkultur sei, so Laqueur, legitim, die U-Kultur hingegen sei „von vorwiegend soziologischem Interesse“

(283). „Dieses Vorgehen zeigt uns jedoch nur, was überdauert hat, es führt uns aber nicht zum Verständnis des Zeitgeistes und der Reaktion des Volkes zu jener Zeit in Deutschland.“ (ebd.)

178 Er selbst beklagt, mit seinen Publikationen bei der „’großen Masse’“ auf eine wirkliche Resonanz im Grunde nie gestoßen zu sein.

schen Gesamtsituation der Zeit um die Jahrzehntwende, dem gegenwartstypischen „Durch-einander von Über- und Unterpolitisierung.“ Für den Künstler bedeutet dieser Trend nichts Gutes, Döblin sieht ihn regelrecht dazu gezwungen, „Masse zu bilden“, zu einem „Produzent der Masse“ zu werden. Eine Perspektive für eine anspruchsvolle Literatur ist das nicht, ihr muss in Deutschland vielmehr erst wieder ein Ort geschaffen werden.

Heinrich Manns Antwort nimmt sich dagegen fast schon staatsmännisch aus.179 Anders als Döblin leitet Mann seine Wirkung aus Zahl und Inhalt seiner Leserzuschriften ab. Von Droh-briefen, wie man sie im Falle eines Autors polit- und gesellschaftssatirischer Werke durchaus erwarten könnte, ist dabei keine Rede, vielmehr von Zuschriften seiner eher „’unkritischen’

Leser[]“. Fundiertere „Auslassungen“ über Plot, Personarium oder Botschaft konkreter schriftstellerischer Arbeiten befinden sich darunter allem Anschein nach nur in Einzelfällen, und dennoch geben sie der anonymen Rezipientenmasse für einen Augenblick ein individuel-les Gesicht. Unter intellektuellengeschichtlicher Perspektive interessant ist diejenige Passage seiner Antwort, in der Mann die eigene Außenwirkung zu rekonstruieren versucht. Der Groß-teil der Leser, die sich in Briefform an in wenden, scheint ihn nämlich gerade nicht als klassi-schen Intellektuellen im Sinne eines Großliteraten mit klarem politiklassi-schen Standpunkt und ausgeprägtem moralischen Sendungsbewusstsein wahrzunehmen, sondern eher als pastorale schriftstellernde Integrationsfigur. Zugeschrieben werden kann dieser Status dem Identifikati-onsangebot, das die fiktiven Schicksale der Mannschen Romanwelten dem Rezipienten jen-seits eines politischen Bekenntnisses unterbreitet. Der Autor selbst avanciert dabei zu einer Vertrauensinstanz, zu einem Grenzgänger zwischen Psychologe, Prophet und Laienseelsorger, viele seiner Leser schienen sich selbst erst durch die Lektüre seiner Werke erkannt zu haben.

Er selbst scheint damit, so Mann im Tonfall der diskreten Untertreibung, jemand zu sein, des-sen „Dasein für ihr Glück nicht ganz und gar gleichgültig war.“

Von einer hohen Zahl von Leserbriefen konkret literaturkritischen Inhalts kann auch Jakob Wassermann nicht berichten, auch ihm fehlt folglich die Grundlage dafür, „etwas annähernd Zutreffendes über die Tragweite [der eigenen] Wirkung zu sagen.“ Ihn interessieren vielmehr

„jene anonymen Wirkungen, die dem Schriftsteller eine Art von Zaubergewalt bestätigen, die er über die menschliche Seele ausübt.“ Die Wahl des Plurals ist sicher kein Zufall, einen ein-heitlichen Eindruck nämlich kann die Lektüre eines Buches im Zeitalter der pluralistischen Massengesellschaft kaum noch hinterlassen. Die genauere Beschreibung dieser namenlosen Wirkungen klingt wie folgt: „Sie sind wie geheime unterirdische Stromleitungen, die die statt-findenden Erschütterungen mitteilen, so dass er [der Schriftsteller, L.-A. R.] gewissermaßen

als Seismograph der Beben funktioniert, die er selbst verursacht.“ Gesetzt hätte sich der Schriftsteller damit in bester Intellektuellenmanier an die Spitze der historischen Entwicklung.

Und mehr noch: Er deutet die Zäsuren der Geschichte, bevor das Gros seiner Zeitgenossen überhaupt gemerkt hat, dass er sie mit vorbereitet hat. Wassermann selbst will sich eine Posi-tion wie diese allerdings nicht mit „Anerkennung oder Zustimmung“ vergüten lassen, er er-freut sich nach eigenem Bekunden eher an den „Herzen und Geister[n]“, die er dank seiner Bücher aufgeschlossen hat, ihm geht es vor allem „um geschehene Verwandlungen, um Ein-blick in Schicksal, um Erkenntnis.“ Wirkungen wie diese sind es, die ihn in seiner literari-schen Arbeiten bestätigen, einige seiner „entscheidendsten Erlebnisse“ würden mit ihnen zu-sammenhängen.

Die Antwort Georg Hermanns zerfällt in zwei Teile. Der erste ist allgemein gehalten, in ihm thematisiert der Autor die unterschiedlichen Spielarten der künstlerisch ausgelösten Reso-nanz, erst die zweite unternimmt den Versuch einer Klassifizierung der eigenen Leserschaft.

Im Falle der Resonanz als solcher unterscheidet Hermann zwischen der professionellen Lite-raturkritik, der „Anerkennung von Berufskollegen“ und der Zustimmung vonseiten eines Lai-enpublikums. Die Presserezension markiert die Öffentlichkeit, das Feedback der Künstlerkol-legen immerhin noch eine „halbe Öffentlichkeit“, private Sympathiebekundungen aber seien

„Geheimnisse“, die man dem Dichter anvertraut habe und die er nicht verraten dürfe. Eine Art

„Schweigepflicht“ verbietet es ihm, Hermann, zwar, auf die Rundfrage der VZ in detaillierter Form einzugehen, von einer generellen Reflexion über die eigene Lesergemeinde hält sie ihn aber nicht ab. Unterteilt wird auch sie in drei Gruppen, in die „Hermannophilen, die Herman-nologen und die Hermannomanen“. Hermanns Pointenstärke mag damit unter Beweis gestellt sein, wirklich „hermannospezifisch“ [L.-A. R.] ist dieses Schema allerdings nicht. Übertragen lässt es sich nämlich auf beinah jeden Schriftsteller beinah jeder Epoche: Die erste Gruppe ist die der Genießer, die zweite die der Fachleute, in der dritten schließlich finden die Teile eines Publikums zusammen, deren Liebhaberei und Expertentum manische Züge angenommen hat.

Mit der eher koketten Verwunderung darüber, dass es Menschen gibt, die beinah jeden Satz seines literarischen Werks kennen, endet Hermanns Antwort.

Das von Hermann hochgehaltene Diskretionsprinzip ist den Beiträgen Gottfried Benns und Carl Zuckmayers eher fremd. Beide sind vor allem am Fragezusatz der Redaktion orientiert, beide enthalten eine Aufzählung konkreter Einzelreaktionen, eine stellenweise sogar humoris-tisch eingefärbte Rekapitulation dessen, was „aus dem Walde des Publikums“ zurückschallt.

179 Überraschen dürfte das kaum, schließlich befand sich Mann in der späten Weimarer Republik auf dem Gipfelpunkt seiner öffentlichen Anerkennung. 1931, ein Jahr nach der Enquête der VZ, sollte er das neue Amt des Präsidenten der Sektion für Dichtung der Preußischen Akademie der Künste übernehmen.

Für einige allgemeine Anmerkungen zum Stellenwert der Kunst bleibt dabei durchaus auch noch Platz.

Zumal Benn hat keinerlei Hemmungen, sich in Einzelepisoden zu ergehen. Was sie auch für ein breiteres Publikum interessant macht, ist ihre Pointe bzw. ihre höhere Moral. Zu den Epi-soden der ersten Klasse gehören ein Gesellschaftsabend, auf dem er einen Mann in Bezug auf sich, den renommierten Dichter, zu seinem Tischnachbarn sagen hörte: „’Der sieht doch aber ganz normal aus!’“, oder die Zustellung eines Rosenstrauß mit einer beigelegten Karte, auf der „mit einer ungewöhnlich angenehmen Damenhandschrift ohne Namen“ geschrieben stand: „’Il n’y a que vous.’“180 Zu den Episoden mit eher rezeptionsästhetischem Erkenntnis-gehalt gehört der Brief einer Lehrerin aus Mainz, die ihn um eine Deutung seines Gedichts

„Der junge Hebbel“ bat, sowie der Aufsatz eines Gymnasiasten aus Berlin-Neukölln über eine fiktive Begegnung mit ihm, Benn, den ihm der Lehrer in der korrigierten und kommentierten Version zukommen ließ. Beide Zuschriften haben Benn angenehm überrascht. Generelle Aus-sagen über das Rezeptionsverhalten der literaturinteressierten Öffentlichkeit lassen sich auf der Basis solcher Episoden sicher noch nicht treffen. Als Beleg ihrer Salonfähigkeit taugt die Aufnahme der „moderne[n] Lyriker expressionistischer Herkunft“ in den literarischen Kanon des gymnasialen Deutschunterrichts allerdings durchaus.181

Zuckmayer kann seinen Widerhall u. a. am Flaschenetikett eines „ausgezeichnete[n] Pfälzer Riesling[s]“ festmachen, zu lesen ist darauf nämlich der Namen „‚Der fröhliche Weinberg’“.

Ein humoristischer Einschlag wie dieser kann allerdings kaum darüber hinwegtäuschen, dass die Frage der Redaktion Zuckmayer vor eine akute Verlegenheit stellt, für den Dichter selbst sehe die Sache zumindest auf den ersten Blick natürlich immer einfach aus: „Wer pfeift, ist ein Idiot, wer klatscht, versteht was.“ Eine Antwort ist das freilich noch nicht. Dem Erfolg, dass sein Kinderstück „Kakadu-Kakada!“ bei einem altersmäßig jüngeren Segments seines Publikums nachweislich verbuchen konnte, steht die beispiellose Serie von Theaterskandalen gegenüber, die der „Fröhliche Weinberg“ nach seiner Uraufführung im Dezember 1925 nicht zuletzt in Zuckmayers mittelrheinischer Heimat ausgelöst hatte, ein Flächenbrand, der sich an der Laszivität, an der ungewöhnlichen Derbheit und den parodistischen Seitenhieben gegen die Lebensferne der heranwachsenden deutschnationalen Funktionselite entzündet hatte.182 Worüber sich Zuckmayer in seinem Beitrag für die VZ generell irritiert zeigt, ist die einseitige Hochachtung des Publikums seinen Bühnenarbeiten gegenüber, er selbst nämlich hält seine Prosa für weitaus „höher entwickelt und ausgereifter“. Angelastet werden darf diese

180 Sinngemäß übersetzt: „Sie übertrifft keiner!“

181 Benn selbst spricht in diesem Zusammenhang von einer wachsenden gesellschaftlichen Liberalität.

182 Ausführlich beschreibt Zuckmayer die Resonanz auf den „fröhlichen Weinberg in seiner Autobiographie „Als wär’s ein Stück von mir“ auf den Seiten 349 ff.

genz zwischen Außen- und Selbstwahrnehmung den nicht immer nur mit den Waffen des Feuilletonismus geführten Auseinandersetzungen um Stücke wie „Der fröhliche Weinberg“

oder „Schinderhannes“. Der Prominenz eines Autors mögen Theaterskandale wie diese durchaus förderlich sein, dem Verständnis der Stücke selbst sind sie es nicht. So beklagt Zuckmayer, dass sich selbst seine Anhänger, angesprochen auf die beiden genannten Stücke, vor allem daran erinnern, dass darin „einige Leute ihre Bedürfnisse verrichten“ und „mehrere kräftige Ausdrücke“ benutzen würden. Den Glauben an sein Publikum hat er darüber freilich nicht verloren, was ihm bleibt, ist die Hoffnung, dass sich der „Menschtypus“ seiner Bühnen-stücke in seiner „Notwendigkeit und Wesentlichkeit“ langfristig doch noch behaupten wird.

Peter Panter alias Kurt Tucholsky geht die Beantwortung der Frage rezeptionssoziologisch an; auf den Tonfall der Satire verzichtet er auch dabei nicht, wissenschaftlich relevant sind seine Zeilen nichtsdestotrotz. Seiner Erfahrung nach lässt sich jede Lesergemeinde in drei Gruppen unterteilen: in die der „Nichtschreibenden“, in die der „Schreibenden“ und in die der

„Nichtlesenden“. Die Nichtschreibenden stimmen dem Gelesenen innerlich fast immer zu, die Schreibenden reagieren mit einem ganz prosaischen Ja oder Nein, die Nichtlesenden schließ-lich rezipieren „den Autor mit einem Auge“, und das Gelesene geht ihnen sofort „zum ande-ren Ohr wieder heraus.“ Eine Resonanz darf der Künstler folglich nur vonseiten der Gruppe der Schreibenden erwarten, und auch die fällt inhaltlich in aller Regel äußerst reduziert aus.

Für den gesellschaftlichen Status einer politisch profilierten Literatur verheißt eine derart re-siduale Bereitschaft zu einem gehaltvollen Dialog wenig Gutes. Beheimatet sieht Tucholsky den Typus eines Künstlers mit nennenswertem Einfluss auf „die politische Geschichte [sei-nes] Landes“ ohnehin eher in England oder Frankreich, nicht aber in Deutschland, hierzulan-de würhierzulan-de seine Meinung „bestenfalls gehört – selten befolgt.“183 Fälle, in denen der Schrei-bende den Rahmen eines lakonischen Bekenntnisses von Sympathie oder Antipathie verlässt und in ein briefliches Streitgespräch mit dem Autor Tucholsky eintritt, gibt es natürlich auch.

Zumeinst handelt es sich beim Visavis dann um den Typus des „Schulmeister[s]“, für Tu-cholsky beinah das angenehmste Publikumssegment. Von ihnen nämlich könne man, genauso wie von echten „Feinden“, noch am ehesten lernen: Die „Brille blitzt, ein Zeigefinger droht“, am Ende eines bildungslastigen Schlagabtauschs aber haben beide Seiten recht, „jeder von seinem Standpunkt.“

Natürlich will Tucholsky seine Wirkung als Journalist und Schriftsteller in solchen Episoden einer wechselseitigen Positionsvergewisserung nicht erschöpft sehen. Sein Ehrgeiz ist ein durchaus missionarischer: Er will „die Schwankenden stützen, die Mutlosen wieder mutig

183 Aufgegriffen ist damit ein weiteres Mal der Gedanke, den Benjamin fast zeitgleich im Topos vom Elend der deutschen Intellektuellen verdichtet hat.

machen, fremdes Leben in der Berufswahl und in der Berufsausübung maßgebend beeinflus-sen.“ Seine größte Genugtuung bestünde darin, dass, weil er geschrieben habe, „etwas Gutes geschehen oder etwas Böses nicht geschehen ist“. Für den vehementen Kritiker der rechtslas-tigen Weimarer Justiz ist klar, wie die eigene „’fachliche Eitelkeit’“ zu buchstabieren ist:

Wenn er „erführe, dass sich ein Richter vor der Urteilsfällung“ an eine seiner Zeilen „erinnert und diese Erinnerung dem Angeklagten zugute kommt“, dann hätte seine publizistische Ar-beit tatsächlich einen Sinn gehabt. Die Wahl des Konjunktivs an dieser Stelle verrät, dass der-lei bis dato noch nicht vorgekommen ist.

III.1.8 „Was mir in dieser Zeit als Wichtigstes am Herzen liegt ...“ Der Intellektuelle als