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Liebes-, Hochzeits- und Frühlingslieder

Im Dokument Böhlau Verlag Wien Köln Weimar (Seite 80-84)

Exkurs 4 : Lokaler Diffusionssradius – das Schandlied auf Judas

8. Liebes-, Hochzeits- und Frühlingslieder

Rein zahlenmäßig sind die Liebeslieder eine der umfangreichsten Kategorien der süd-osteuropäischen Folklore, doch bei der Forschung keineswegs so begehrt wie die orale Versepik, die historischen Lieder, die Hajduken- und Kleftenlieder oder die Lamenta-tionen. Gattungsmäßig auch schwer einzuordnen774 gehen sie etwa im Motiv des Frau-enlobes als Liebes-, Hochzeits- und Frühlingslieder ineinander über ; sie sind entweder umstandsgebunden und ritualfixiert wie die Hochzeitslieder oder die Mailieder, oder sie werden wie die Liebeslieder in allen möglichen Ritual- oder Situationskontexten ge-sungen bzw. kommen auch ohne erkennbaren Anlaß zum Vortrag (Polyfunktionalität).

An diesen Liedern lassen sich auch gewisse stereotype Techniken des Versbaus bzw. der Sequenzabfolge wie Eingangsfrage oder Eingangsbild, stehende Metaphern (Falke und Taube, Nestbau usw.) und Naturbilder, das Frauenlob und der normierte Körper der Schönheitsideale (z. B. Zypresse für Schlankheit, Schwalbenflügel als Augenbraue) bzw.

die astralen Schmückungssymbole beim Kirchgang (Sonne, Mond, Morgenstern, Sterne) exemplarisch untersuchen775. Liebeslieder gehören auch zu den ältesten aufgezeichne-ten Liedformen : Sie reichen von den mittelalterlichen ungarischen »Blumen«-Liedern776 über die sevdalinka-Lieder der Südslaven777 bis zu den erotischen Alphabetarien der rho-dischen Liebeslieder778 und den osmanischen așık-Barden in Kleinasien779. Diese sind ein exemplarisches Beispiel für die Rolle der Liebeslyrik im Volkslied, vergleichbar mit den fahrenden Minnesängern des westlichen Mittelalters780 : Die Berufung zum așık er-fährt ein junger Mann durch einen prophetischen Traum an einem heiligen Ort oder durch einen erotischen Zaubertrank und erlernt das Handwerk bei einem Meister, bevor er selbst auf Wanderschaft geht, die Geliebte, der er sein Leben geweiht hat, zu suchen781. Im Repertoire des fahrenden Sängers befinden sich unter der Dominanz der Minne-Lie-der (güzelleme) auch anMinne-Lie-dere Kategorien von LieMinne-Lie-dern, vielfach eingestreut in Erzählun-gen (hikâye)782. Diese Tradition setzt sich noch im 20. Jh. unter gewandelten Vorzeichen fort783 ; auch soll es weibliche așık gegeben haben, die heute in folklorisierten Formen der Singtradition eine wesentliche Rolle spielen784. Dies führt wiederum zur Problematik, ob es eine eigene Kategorie von Frauen-Liedern gibt, wie etwa in der serbischen Tradition, und wie kategorisch oder nicht solche gender-Zuweisungen sind785.

Die übersprachliche Vergleichbarkeit der Liedformen mit der Erosthematik bezieht sich auf Motive, Metaphern, Assoziationslogik und Denkfiguren und nicht auf Versbau, Strophenform, Reimbildung und singtechnische Einzelheiten. Dies mag eine kurze Komparation zwischen türkischen und griechischen Liedern veranschaulichen : wäh-rend bei den türkü der mehrstrophige Elfsilber mit Reimschema xxxy (koșma) und der einstrophige Siebensilber mit Reimschema xxyx (mani) vorherrschen786, ist bei den δη-μοτικά τραγούδια der »politische« Vers (Fünfzehnsilber) mit einfachem Paarreim ohne Strophenbildung die dominante Versform ; durch den Umfang dieses Langzeilenverses (vgl. die südslavischen Oralepik) ergeben sich zwei Gesetzmäßigkeiten, die bei kürzeren Versformen nicht auftreten können : die Wiederholung des Wortsinns des ersten Halb-verses im zweiten und das Gesetz der Isometrie, d. h. daß eine syntaktische Sinneinheit mit der rhythmischen Verseinheit (Halbvers, Vers, Distichon) koinzidiert787. Dazu kön-nen auch singtechnische Einschübe und Ausrufe treten. Zu den syntaktischen Figu-ren tritt die triadische Konstellation der dreifachen Wiederholung788. Während bei den griechischen Liedern neben mehrzeiligen Texten als eigene Kategorie auch die Zwei-zeiler auftauchen (mantinades) (vgl. in der Folge), herrscht bei den türkischen Texten der Vierzeiler vor789.

Zu den vergleichbaren Strukturelementen zählen freilich Formelbildungen, Frage-bildung und Dialogizität790. Zu überraschenden Übereinstimmungen kommt es jedoch in der Metaphorik und der Gestaltanalogie mit Pflanzen und Tieren. Dies gilt auch für andere Sprachen : Naturstimmungen z. B. spielen eine große Rolle bei den ungarischen Blumen-Liedern791, Frühling und Hochzeit als häufige Motive machen die Liebeslie-der, Hochzeitslieder und Frühlingslieder zu einem unzertrennbaren Triptychon792, das Vogeldasein des Liebespaares und seine Beziehung wird mit dem Nestbau wiedergege-ben793. Stimmung und Atmosphäre werden auch von der Farbsymbolik bestimmt794 : Rot als Freude und Lebenslust (bei Bulgaren und Türken auch Farbe des Hochzeits-schleiers)795, Weiß für Schönheit und Unschuld, Gelb für Unglück und Trauer796, Grün für das Leben (Frühling, Hoffnung), Schwarz für Trauer und Unglück, aber auch für Schönheit797, so wie auch violett798. All diese Symbolzuweisungen sind jedoch von einer bemerkenswerten Ambivalenz und Polysemie (ganz wie in der Hochliteratur), von lo-kalen Kulturkontexten und textimmanenten Faktoren abhängig799. Noch komplizierter ist die Zahlensymbolik, wobei auch religiöse Archetypen die Zahlenbedeutung bestim-men können800. Beim Liedtopos des Frauenlobs ist großräumig eine relativ konstante Typologie anzutreffen. Bei den Blumen und Pflanzen : Rose801, Hyazinthe802, Veilchen, Nelke, Jasmin usw.803 ; bei Früchten : Apfel804, Pomeranze, Quitte, Granatapfel, Pfir-sich usw.805, bei Bäumen806 : Weide, Pappel, Feigenbaum und besonders die Zypresse807, aber auch Zitronen- und Lorbeerbaum, Apfelbaum usw., bei Tieren : Nachtigall, Kra-nich, Rebhuhn, Taube, Pfau, Gans und Ente (das Paar)808, für die Männer

Pferdear-ten (Schimmel, Rappe usw.)809, bei Astralvergleichen dominieren Sonne, Mond, Sterne, Morgenstern, aber auch Sakralpersonen810, bei der somatischen Detailbeschreibung der Normschönheit des weiblichen Körpers im »Frauenlob« kommen zur Sprache : Statur und Aufrechtheit, Schlankheit und Biegsamkeit, die schmale Mitte, das Haar (blond, schwarzgelockt), das Gesicht mit Wangen, Stirn, Augen, Brauen, Wimpern, Nase, Mund, Lachen, Zähne, Lippen, Sprechen, sodann Hals, Brust, Hände und Finger, Beine und Gang811. In den körperlichen Vergleich werden auch Edelmetalle und Edelsteine miteinbezogen (Gold, Silber, Diamanten, Zaphire und Rubine, Perlen). Eine eigene Kategorie bilden die Schmuckobjekte812.

Zu den Besonderheiten der Liebeslieder gehört manchmal eine Art fragmentari-sche und verkürzende, aber auch additive Assoziationslogik, die mehr dem Ansprechen des Sentiments und der Erfüllung der Versform verpflichtet ist, als eine logisch durch-konstruierte und verfolgbare Geschehnisabfolge zu bringen. Öztürk hat etwa das Lied vom Raub der schönen Leyla paradigmatisch analysiert, das in manchen Fassungen kei-nen erkennbaren Handlungsgang mehr bringt813. Damit stellt sich auch die Frage der Grenzziehung zwischen Liebesliedern und den destan-Balladen (türkü-destan), die man aus den mahmudum türküsü und den Epen um Dede Korkut hergeleitet hat und die als Erzähllieder Handlungssequenzen und nicht nur situative Dialogszenen bringen ; die Anwendungsmöglichkeit auf den Textbestand erweist sich als eher beschränkt814. Im wesentlichen geht es um eine magisch-animistische Realitätshandhabung, die Denkfi-guren und Bildabfolgen gebraucht, die etwa aus den Märchen oder Orakelhandlungen bekannt sind. Ein Beispiel ist das der Übertragbarkeit durch Berührung (Kontagiosität), die auch in der Volksmedizin eine bedeutende Rolle spielt (transplantatio morborum).

Dazu ein griechisches Beispiel :

Rote Lippen hab ich geküßt, meine Lippe färbte sich, / hab mein Tuch an den Mund geführt, und es färbte sich das Tuch, / im Fluß hab ich es gewaschen, und es färbte sich der Fluß / es färbte sich der Strand des Meers, die Mitte auch des Ozeans. / Der Adler kam und Wasser trank er, seine Flügel färbten sich, / es färbte sich die Sonne halb, und der Mond zur Gänze815. Diese Kontaktmagie beruht auf Denkfiguren wie pars pro toto und der Proxemik von Nachbarschaft und Berührung, die zur Übertragbarkeit und letztlich zur möglichen Identität führen kann (Heilung in der Volksmedizin, Übertragung von Krankheiten), aber auch auf empirischer Beobachtung, wie z. B. daß Weinen und Lachen ansteckend sind, oder im Sprichwort, daß sich Schnupfen und Verliebtsein nicht verbergen lassen.

Um nicht den mediterranen bösen Blick zu erwähnen, wo die animistische Vernetzung aller Dinge eine kommunikationstheoretische Wendung bekommt, die auf den Schwä-chen des menschliSchwä-chen Charakters beruht und alles Exzeptionelle dem Neid

anheim-stellt, oder die Sündenbock-Mechanismen, die dem pharmakos die kollektiv erlittenen Übel aufhalsen und ihn (und sie) aus dem Gemeinschaftskörper aussondern und absto-ßen. Doch dies gehört bereits in andere Zusammenhänge. Zu diesen latenten Kontakt-phänomenen gehört auch der Eros, der als Flirt des Augenspiels beginnen und sich in Komplimenten verbal manifestieren kann, noch mit ungewissem Ausgang. Die Liebes-lieder haben keineswegs immer einen positiven Ausgang : Zur Eros-Thematik gehören auch Liebeskummer, Konflikt, Streit, Abschied und Trennung, die verlassene Frau und der Tod aus Liebesgram bzw. der Freitod der Liebenden. In vielen dieser Fälle ist der Übergang zur Ballade bereits vollzogen.

Bei positivem Ausgang816 kommt es zur Verlobung bzw. dem Brautwerbungsritual mit oder ohne Aussteuerverhandlung und Mitgiftvertrag, den Vorbereitungen der Hochzeit und der Heiratszeremonie, bei der die Hochzeitslieder eine wesentliche Rolle spielen. Über die Hochzeitslamentationen, die beim Verlassen des Vaterhauses durch die Braut, aber auch an anderen Punkten der Hochzeitszeremonie zum Vortrag kom-men, wurde bereits gesprochen. Die Hochzeitslieder sind im wesentlichen panegyrische Loblieder und Enkomia auf Braut und Bräutigam, die nach den Schönheitsnormen des Idealkörpers und den Wertvorstellungen der sozialen Rolle von Mann und Frau im Familienverband unabhängig von ihrem individuellen körperlichen und sozialen Sosein gepriesen werden, zusammen mit Glückwünschen für Reichtum und Kindersegen817, der für die Überlebensstrategien der traditionellen Mikrosozietät von ausschlaggeben-der Bedeutung ist. Diese Lieausschlaggeben-der bilden zusammen mit den Totenklagen gewöhnlich den harten Kern der Kategorie »Rituallieder«, zu denen man aber auch die Brauch- und Umzugslieder rechnen müßte. Sie kommen in verschiedenen Phasen der Zeremonien-sequenz zum Vortrag : beim Mehlsieben der Hochzeitsbrote, beim Füllen der Matratzen und Polster des Brautbettes, beim Nähen der Leintücher des Brautbetts, beim Über-führen der Aussteuer, beim Rasieren des Bräutigams, beim Ankleiden und Schmücken der Braut, beim Verlassen des Elternhauses, beim Aufbrechen des Brautzugs zur Kirche, beim Eintritt in das Haus des Bräutigams, beim Eintritt in die Brautkammer sowie bei verschiedenen anderen Arbeiten und Tätigkeiten in der Vorbereitungsphase der Hoch-zeit. In ihrer Aussage und Funktion lassen sich diese Preislieder mit den Lobliedern auf die Mitglieder einer Familie bei den Ansingeliedern des Winter- und Frühlings-abschnittes vergleichen : Auch hier läßt sich eine Kulturanthropologie des nach den Schönheitsidealen normierten Körpers von Mann und Frau erstellen sowie der Ideal-vorstellungen des sozialen Rollenverhaltens nach gender-Kategorien (vgl. wie oben).

Manche dieser Lieder sind auch einfache Zweizeiler mit Glückwünschen.

Auch die Frühlingslieder sind mit den Ansingeliedern und dem Umzug der Sänger von Haus zu Haus verbunden : Dies betrifft wesentlich den Umzug der Lazarus-Mädchen am sabbato ante palmas in den orthodoxen slavophonen und rumänischen Gebieten, wo statt

des religiösen Lieds ein Liebes- oder Frühlingslied gesungen wird (vgl. wie oben), oder die Maiprozessionen mit Blumenschmuck, Verkleidungen, Ausflug ins Freie, Aufhängen des Blumenkranzes über der Haustür usw.818. In den Mailiedern wird das Kommen des Früh-lings begrüßt, von Blüten und Blumen ist die Rede, von Jugend, Liebe und Hochzeit819. Ein Großteil der Liebeslieder hat auch die Form von Zweizeilern oder Distichen (im Griechischen mantinades genannt), die nach manchen Folkloristen eine eigene Kate-gorie bilden820, auch andere Thematiken umfassen können bzw. improvisierte Gelegen-heitsgedichte sind, die bei »Sängerwettstreiten«821 zur Lyra auf vorgegebene Themen oder bei exzeptionellen Gegebenheiten (Besuch, Fest, Hochzeit) vorgetragen werden.

Auf der Insel Karpathos werden auch längere Gedichte »mantinades« genannt und in Lokalzeitungen veröffentlicht822. Besonders die Großinsel Kreta ist für diese Kunst des

»G’stanzl«-Singens berühmt geworden823.

Im Dokument Böhlau Verlag Wien Köln Weimar (Seite 80-84)