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Kleften- und Hajdukenlieder

Im Dokument Böhlau Verlag Wien Köln Weimar (Seite 35-40)

Dieser prägnante Liedtyp beschäftigt sich im Gegensatz zum historischen Lied mit z. T. unbedeutenden oder in den Einzelheiten nicht einmal belegbaren geschichtlichen Ereignissen einer Mikroregion vor allem im 17. und 18. Jh., ist unmittelbar an das Räu-berwesen und die türkische Lokalverwaltung und ihre Praktiken gebunden und im

gesamten gebirgigen Balkanraum unter osmanischer Herrschaft (bzw. an der Militär-grenze in Kroatien) in südslavischer, rumänischer, albanischer und griechischer Sprache verbreitet ; durch die Verherrlichung der Illegalität des Sozialbanditentums unter dem

»türkischen Joch«« wurde dieser Liedtyp besonders von den Nationalbewegungen des 19. Jahrhunderts publik gemacht und von der europäischen Romantik rezipiert, stellten sie doch als Widerstandslieder gegen die osmanische Fremdherrschaft einen belegbaren Nachweis ethnischen Nationalbewußtseins dar und wurden als solche in die National-historiographien eingeschrieben. Die semantischen Konnotationen der Terminologie beziehen sich dabei auf das illegale und kriminelle Räuberwesen von outlaws und ent-sprechen damit in etwa den ungarischen Bújdosó- und Betyáren-Liedern202, der mittel-europäischen Räuberromantik von Schmuggler- und Wilderer-Geschichten und dem britischen Sagenkranz um Robin Hood. Κλέπτης (κλέφτης) ist an sich der Dieb, in älte-rer Bedeutung auch der Räuber, hajduci (wahrscheinlich von türk. haydut) sind banden-mäßig organisierte Gesetzlose, Wegelagerer und Plünderer bzw. Freischärler203, Arma-tolen (αρματολοί, martolosi) die von der osmanischen Verwaltung eingesetzten lokalen Schutztruppen an den Engpässen, deren Anführer sich zu einer Art semiautonomem Landadel entwickelten, die nach ihrer Ersetzung durch islamisierte Albaner im 17. Jh.

im Widerstand gegen die türkischen Lokalautoritäten vielfach selbst zu Kleften wurden (κλεφταρματολοί)204, Uskoken nennt man die Grenzkämpfer an der österreichischen Militärgrenze gegen das Osmanische Reich205. Die unterschiedlichen Lokalverhält-nisse erlauben kaum Verallgemeinerungen und über die Wandlung des Räuberwesen auf dem Kontinent und des Piratentums zur See zu nationalbewußten Türkenkämpfern gibt es ein ganzes Geflecht von widersprüchlichen Ansichten206. Eine gewisse Einigkeit herrscht heute bloß bei der Ansicht, daß viele der illegalen kriminellen Gruppierun-gen eine nach ethnischen und religiösen Kriterien gemischte Zusammensetzung ha-ben konnten bzw. daß solche Unterscheidungen eine untergeordnete Rolle spielten, was übrigens auch für die Opfer der Gewalttaten gegolten hat : Dörfer unterschiedlicher ethnischer Zugehörigkeit und Religion hatten den Banditen Tribut zu zahlen. Ihre na-tionale Inanspruchnahme als potentielle Türkenkämpfer ist schon im frühen 19. Jh. ge-geben207 ; die Heroisierung des Räuberwesens und die Interpretation ihrer kriminellen Tätigkeit als patriotische Sendung führte dazu, das kleftis und hajduk von der pejorativen Bedeutung des Strauchdiebs und Raubmörders zur Inkarnation des gerechten und ed-len Widerstandskämpfers in der Freiheit der Berge wurde, der sein Leben für Glauben und Vaterland opfert208. Die Lieder auf die lokalen Waffenführer selbst favorisieren eine solche (Hyper)Interpretation meist nicht, auch nicht als chronikartige Geschichte der Unterdrückten und Geknechteten209. Freiheitsliebe, Waffentod, Vermächtnis und He-roisierung artikulieren sich auf der völlig individuellen Basis des Mannesideals und der Egozentrik der persönlichen Ruhmsucht.

Damit stellt sich freilich die Frage nach der Kontinuität zum älteren Heldenlied. Ein großer Teil dieser erheblich kürzeren Lieder210 atmet den Geist prägnanter Realistik, ja Präzision in der Wiedergabe von Namen, Örtlichkeiten und Aktionen, zeichnet sich aber durch idealisierte Körperlichkeit der Waffenführer211 und hochgespannte Helde-nethik aus, mit nur wenigen Sprachformeln aus der heroischen Poesie und gewöhnlich der Absenz gehäufter mythologischer und archetypischer Stoffe. Heldennamen und toponymica sind hier nicht auswechselbar, trotzdem die Typologie des Mannesideals der Waffenführer sprachübergreifend ist, ja vielfach sogar auch auf der Gegenseite im feind-lichen Lager zu finden ist. Alois Schmaus hat darauf hingewiesen, daß im serbokrati-schen und bosnisch-dinariserbokrati-schen Raum kein wirklich neuer Liedtyp entstanden ist, son-dern das Hajdukenlied die Tradition des Heldenliedes mehr oder weniger weiterführt212, während vor allem in Ostbulgarien (Achtsilber) und Kontinentalgriechenland (Fünf-zehnsilber) ein neuer dynamisch-dramatischer Liedtyp entstanden sei, der sich nicht ohne weiteres auf die ältere Heldenliedtradition zurückführen läßt213. Charakteristisch ist nun geballte Dramatik, Aktion ohne Analyse und Interpretation, Dialoge in direkter Rede (Rolle der Vögel214 oder blondhaarigen Schönen), Kürze und Prägnanz, Klimax und Steigerung in Wortrepetitionen (Regel der dreifachen Wiederholung), Finalspan-nung und Höhepunkt im Finale ; die bildhafte Unmittelbarkeit läßt den Zuhörer zum Zuschauer werden215. Vor allem die griechischen Kleftenlieder und ihre spezifische Äs-thetik haben auch die Aufmerksamkeit ausländischer Forschung auf sich gezogen216. Diese neue realistischere Heldentypologie und ihre mikroregionale Historizität217, die knappe Ästhetik der Lieddramaturgie und die existenzialistische Ethik des Todes-moments erlauben es nicht nur, eine sprachübergreifende Typologie zu erstellen, son-dern haben auch zu einer ganzen Reihe von balkanvergleichenden Studien geführt218. Sprachimmanente Studien sind für das griechische Kleftenlied erstellt worden219, das südslavische Hajdukenlied220, für die rumänischen pendants221 und die einschlägigen albanischen historischen Lieder222. Die These, daß sich die Kleften/Hajduken-Lieder eigentlich auf die Armatolen (Martolosen) beziehen, ist nicht eindeutig beantwortet worden223.

Das vielfach gleichbleibende thematische Repertoire umfaßt als Stereotypmotiv zu-meist das Vermächtnis des Anführers224, das Kampfgeschehen, das Ende der Kampf-handlungen, den Tod des Kleften/Hajduken225, die Beziehung zu anderen Kleften und zu den osmanischen Lokalbehörden226. Manche dieser Persönlichkeiten, über die ganze Liedzyklen mit zahlreichen Varianten bestehen, sind historisch nachgewiesen, wie etwa über Ivan Senjanin227, der im 16. Jh. sowohl im Inneren der Balkanhalbinsel tätig war sowie auch als uskokischer Pirat in der Adria und in Karlovac hingerichtet wurde228, bei anderen handelt es sich um legendäre Fiktivgestalten, wie im Falle von Toma Alimoș, dem sein Rappe das Grab schaufelt229. Auch andere Liedhelden wie Andrei Budac

(1872–1912)230 und Pintea Viteazul (Grigore Pintea 1670–1703)231 lassen sich identi-fizieren sowie eine ganze Reihe von Persönlichkeiten aus den griechischen Kleftenlie-dern232, darunter interessanterweise auch Frauengestalten233, oder den ostbulgarischen Haijdukenliedern234. Die Frage nach der Historizität stellt sich doch wesentlich anders als beim Heldenlied235 : Die archetypischen Situationen und Verhaltensweisen und die mythischen Dimensionen der übersteigerten heroischen Wirklichkeit sind der Rea-listik konkreter militärischer Vorgänge gewichen, die im persönlichen Heldentod als ethischem Triumph des individuellen Mannesideals kulminieren. Daß in dieser Hel-dentypologie manchmal auch Frauengestalten auftauchen, nicht mehr als Amazonen des heroischen Epos, sondern gemäß der oszillierenden Bedeutung von Klefte/Hajduke zwischen Räuber und Freiheitskämpfer als Mannfrau oder Heldenjungfrau, immer in männlichen Kleidern und in ihrem Wesen oft unerkannt, ist keineswegs eine balkani-sche Spezialität sondern ein europäibalkani-sches Literaturmotiv.

Exkurs : Mannfrau und gender-studies

Die Transgression der Geschlechterrollen ist in Südosteuropa eigentlich nur in der verkehrten Welt des Karnevals anzutreffen. Trotzdem ist das Motiv des kriegerischen Kleftenmädchens in Männerkleidung (virdzina, virgjinesha, αντρειωμένη, harambaša, tombelije usw.) im Liedgut des weiteren Balkanraums anzutreffen236. Es mag sein, daß das in der europäischen Literatur und in mündlichen Erzählungen237 und vor allem Balladen238 beliebte Motiv, ohne gleich auf Amazonenvorstellungen und Nachleben des Diana-Kults zu rekurrieren239, auf eine gesellschaftliche Institution zurückzuführen ist, der virgjineshë, der eidgebundenen Jungfrauen, die als Männer leben und als solche ak-zeptiert werden240. Der irreversible Eid wird vor den Dorfältesten geschworen und die sworn virgins kleiden sich als Männer, legen sich männliche Namen zu, tragen Waf-fen, rauchen, führen Haushalte und verrichten Männerarbeit241. Die Entdeckung der Franziskanerpater in Nordalbanien im 19. Jh.242, die sich in Wirklichkeit auf einen viel weiteren Raum erstreckt, wurde nach den Theorien des frühen 20. Jahrhunderts und des Spätfeminismus gegen sein Ende zu mit Resten von matriarchalen Gesellschaftsformen in Zusammenhang gebracht243 und hat als intentionaler und fiktiver Transvestismus bzw. als artifizielle und synthetische Zwischenrolle in den gender-studies und der pseu-dowissenschaftlichen Sensationspresse ein gewisses Echo ausgelöst244.

Das Liedmotiv ist im weiteren südslavischen Raum245, in Albanien und Griechen-land246 sowie in Ungarn als »Mädchen als Soldat« bekannt247. In bulgarischen Varianten erscheint es auch als kriegerische Maid von riesenhaften Ausmaßen und Kräften248. Im hellenophonen Bereich ist das Lied in drei Versionen geläufig : a) die in der Schlacht unbesiegbare Heldin wird von einem Sarazenen als Mädchen erkannt ; sie flüchtet in

eine Bergkapelle und bittet den Heiligen, sie zu verstecken ; doch dieser läßt den Mar-morstein sich öffnen und zeigt sie den verfolgenden Männern ; die Heldin verflucht den Heiligen : Seine Kapelle soll zum Stall werden ; b) unerkannt zieht die Jungfrau mit den Kleften ; beim Steinwurf öffnen sich ihre enggeschnürten Kleider und es zeigt sich ihre Weiblichkeit ; c) der Verrat des Heiligen mit anderer Eingangsszene : Die Heldin flüchtet vor dem Türkensohn, der sie ehelichen möchte und den Heiligen mit seiner nachfolgenden Taufe überredet249. Besonders interessant ist das Motiv, daß die Heldin, sobald ihre Weiblichkeit erkannt ist, ihre Unbesiegbarkeit verliert und in das sakrale Asyl des Heiligen flüchtet, der sie aber auch nicht beschützt250. Typ B ist auch in Bul-garien bekannt251. Es könnte auch als mythologisches Substrat gedeutet werden, daß die Verkleidung als »Mannsbild« eine fast magische Wirksamkeit besitzt, die nur durch Zufall außer Kraft gesetzt wird ; doch ist dieses Hosenrollenmotiv des Nicht-Erkannt-Werdens der Weiblichkeit ebensogut ein stehendes Literaturmotiv. Im Märchen dage-gen (ATU 514, 884) wird die Offenbarung der Weiblichkeit durch verschiedene Tricks verhindert252.

Eine Art Fortsetzung der Kleften- und Hajdukenlieder bilden die Räuber- und Partisanenlieder des 19. und 20. Jahrhunderts. . Das Räuberwesen in den gebirgigen Kontinentalzonen der Balkanhalbinsel war noch bis tief in die Zwischenkriegszeit eine regelrechte Plage für Handel und Verkehr und konnte mit gezielten militärischen Ope-rationen nur stufenweise eingedämmt werden253. Die Bildwelt der Räuberlieder spiegelt einerseits das Formelgut und Wertethos des Kleftenlieds wider, doch die Verherrli-chung der edlen Räuber, die den Armen helfen und die Reichen berauben, ist auch vom Schauer des Schreckens über die unbeschreiblichen Gewalttaten durchlaufen ; einer-seits geht es zwar um die Verherrlichung der Gesetzlosigkeit in den jungen und labilen Staatsgebilden mit zentraler Verwaltung als Widerstand der Unterschichten gegen die Willkür und Korruption der Amtsträger, auf der anderen Seite ist doch auch die Er-leichterung über das schreckliche, aber letztlich gerechte Ende der Verbrecher in diesen Liedern zu spüren, die zwischen gruseligen Moritatengesängen, Sensationsnachrich-ten und Heroisierung der gewalttätigen out-laws in der KlefSensationsnachrich-ten-Tradition oszillieren254. Die Tradition der negativen Einstellung der Unterschichten gegen die Zentralgewalt und jegliche Obrigkeit, die über die Kommunität hinausgeht, hat ihre Wurzeln in der Organisation und Institutionalisierung des Gebrauchsrechts der Selbstverwaltung in der Türkenzeit und äußert sich bis heute im Mißtrauen gegenüber dem anonymen und abstrakten Staat und seinen Einrichtungen255. Der Widerstand und das Partisanenwe-sen während des Zweiten Weltkriegs (bzw. im nachfolgenden griechischen Bürgerkrieg) führen diese Tradition im wesentlichen weiter : Die Partisanenlieder, noch vor ihrer Ver-einnahmung durch die Folklorepropaganda der sozialistischen Regime, greifen durch-wegs auf die Wertwelt und Bildhaftigkeit der Kleften- und Hajdukenlieder zurück256.

Im Dokument Böhlau Verlag Wien Köln Weimar (Seite 35-40)